| Titel: | Zur Kenntniß der Milch. Ueber abnorme Absonderung von Albumin durch die Milchorgane; von Prof. J. Girardin in Rouen. | 
| Fundstelle: | Band 129, Jahrgang 1853, Nr. XVI., S. 69 | 
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                        XVI.
                        
                           Zur Kenntniß der Milch. Ueber abnorme Absonderung von Albumin
                              durch die Milchorgane; von Prof. J. Girardin in Rouen.
                           
                        Aus den Comptes rendus, Mai 1853, Nr.
                              18.
                        Girardin, über abnorme Absonderung von Albumin durch die
                           Milchorgane.
                        
                     
                        
                           Ich habe mich schon vor mehreren Jahren überzeugt, nicht nur daß das Albumin ein
                              konstanter Bestandtheil der Milch ist, was schon im Jahr 1851 Hr. Doyère nachwies, sondern auch, daß dieser
                              stickstoffhaltige Körper unter einem ganz besondern Umstand in abnormer Menge
                              erzeugt wird, was meines Wissens bisher der Beachtung der Physiologen und Landwirthe
                              entging.
                           Die Veranlassung, daß ich mich mit der Milch in dieser Hinsicht beschäftigte, war ein
                              Brief des Hrn. Verrier d. ält., Veterinärarzt im
                              Departement der untern Seine, vom 6 Julius 1847. „Seit dem 15. Junius,
                                 sagt derselbe, gebe ich mir fruchtlose Mühe mit der Kuhheerde des Hrn. Dupuis zu Servaville-Salmonville, welcher
                                 seine Milch in Rouen verkauft, aber seit einiger Zeit wegen der schlechten
                                 Beschaffenheit derselben alle seine Kunden verloren hat. Dieß wundert ihn auch
                                 nicht, weil seine Milch, sobald sie ruhig gestanden hat, spinnend und
                                 übelschmeckend wird. Bei genauer Untersuchung fand ich, daß die Milch, wenn sie
                                 aus dem Euter kommt, im Ansehen und Geschmack nichts besonderes darbietet,
                                 gleich nach dem Erkalten aber sauer wird, schlecht gerinnt, klebrig und
                                 fadenziehend wird. Die Sahne steigt zwar oben auf, aber in weit geringerer
                                 Menge; man kann genießbare Butter daraus bereiten, der Rest läßt sich aber nur
                                 zur Schweinemastung verwenden. Hr. Dupuis hat diese
                                 Erscheinungen seit zwölf Jahren öfters auf seinem Gute beobachtet, niemals aber
                                 in so hohem Grade wie gegenwärtig.
                              
                           
                              Die von mir untersuchten zehn Milchkühe schienen vollkommen gesund zu seyn. Man
                                 futtert sie zur Zeit im Freien an Pfähle angebunden, mit Katzenklee und weißem
                                 Klee; die Witterung ist trocken. Ich ließ weniger Futter geben, wendete Aderlaß,
                                 Laxanz und Einreibung des Euters mit flüchtigem Liniment an – alles ohne
                                 Erfolg. Ich ließ die Kühe in den Stall bringen und trocknes Futter reichen, das
                                 Uebel ist aber noch immer dasselbe. Ich überschicke Ihnen hiemit die Milch von
                                 sechs Kühen, mit der Bitte sie zu untersuchen und mir zu sagen, was sie Abnormes enthält;
                                 fünf von diesen Kühen geben klebrige, spinnende und unverkäufliche Milch, die
                                 sechste gibt ganz gute Milch.“
                              
                           Durch die Analyse der spinnenden Milch von vier der kranken Kühe überzeugte ich mich
                              bald, daß ein großer Gehalt an Albumin die abnormen Eigenschaften derselben bedingt.
                              Ich fand diesen Stoff auch in der gesunden Milch der sechsten Kuh, jedoch in viel
                              geringerer Menge; ich untersuchte daher die Milch anderer gesunden Kühe von
                              verschiedenen Orten auf einen Albumingehalt und fand diesen Körper in allen mir
                              zugesandten Proben, so daß ich jetzt überzeugt bin, daß das Albumin stets einen
                              Bestandtheil der Milch bildet und bisher mit dem Caseïn aufgeführt wurde.
                           Folgenden Verfahrens bediente ich mich zur Untersuchung der spinnenden sowohl als der
                              gesunden Milch: dieselbe wurde stehen gelassen, bis sie völlig geronnen war; dann
                              auf ein dichtes Leinentuch geschüttet. Der gut abgetropfte Quark (Käsestoff) wurde
                              mit destillirtem Wasser ausgewaschen und dann, noch frisch, mit kochendem Aether
                              ausgezogen. Die ätherische Lösung gab durch Verdampfen im Wasserbad die Butter. Der
                              von der Butter befreite Käsestoff wurde dann im Oelbad getrocknet und hierauf
                              gewogen. Das vollkommen klare Milchwasser (Molke) wurde mit Sublimatlösung in
                              geringem Ueberschuß versetzt, wodurch alles Albumin gefällt wurde. Der auf einem
                              doppelten Filter gesammelte weiße Niederschlag wurde mit destillirtem Wasser,
                              welchem etwas Alkohol zugesetzt war, ausgewaschen und bei 80° R. getrocknet.
                              Das Gewicht desselben diente zur Bestimmung des Albumins, nach Lassaigne's Angabe (die ich bestätigt fand), wornach in 100 Theilen der
                              trockenen Verbindung 93,45 Albumin und 6,55 Quecksilberchlorid enthalten sind.
                              – In das von dem Quecksilberalbumin-Niederschlag getrennte Serum
                              leitete man einen Strom Schwefelwasserstoffgas, um das überschüssige
                              Quecksilberchlorid zu entfernen. Nach dem Filtriren, Aufkochen, und wiederholten
                              Filtriren wurde die Flüssigkeit im Oelbad bei 88° R. abgedampft, wodurch man
                              das Gesammtgewicht des Milchzuckers und der Milchsalze erhielt.
                           Folgendes sind die mittlern Resultate, welche die normale Milch gab. Ich theile hier
                              nur die Analysen der Milch von zwei Kühen mit.
                           
                           
                              
                                 
                                                     
                                               
                                    Von einer gesunden Kuh
                                 
                              
                                 
                                  des Hrn. Gontier
                                    zu        
                                    Petit-Guivilly
                                 
                                     des Hrn. Dupuiszu
                                    Servaville-Salmonville
                                 
                                 
                              
                                 
                                          30. Juli
                                    1847.
                                 16. Juli 1847.
                                          30. Juli
                                    1847.
                                 3. Nov. 1847.
                                 
                              
                                 Wasser
                                             
                                    86,304
                                     85,081
                                             
                                    88,112
                                     86,067
                                 
                              
                                 Caseïn
                                               
                                    4,619
                                       4,948
                                               
                                    3,300
                                       6,140
                                 
                              
                                 Milchzucker und Salze
                                               
                                    3,239
                                       4,570
                                               
                                    3,802
                                       5,000
                                 
                              
                                 Butter
                                               
                                    5,500
                                       5,017
                                               
                                    4,320
                                       2,480
                                 
                              
                                 Albumin
                                               
                                    0,338
                                       0,384
                                               
                                    0,466
                                       0,317
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                           
                                    100,000
                                   100,000
                                           
                                    100,000
                                   100,000
                                 
                              
                                 feste Substanzen im Ganzen
                                             
                                    13,696
                                     14,919
                                             
                                    11,888
                                     13,937
                                 
                              
                           Folgendes nun ist die Zusammensetzung der spinnenden Milch während des ganzen
                              Verlaufs der Krankheit:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 129, S. 71
                              Nummer der Kühe; Datum der
                                 Versuche; Zustand der in das Laboratorium gebrachten Milch; Wasser;
                                 Caseïn; Milchzucker und Salze; Butter; Albumin; Feste Bestandtheile im
                                 Ganz.; Milch – dick geronnen, gelblich, mit obenaufschwimmendem Serum;
                                 Milch – nicht geronnen, aber klebrig und spinnend, etwas gelblich; Milch
                                 – geronnen, in ihrer Masse gelbliche Punkte zeigend; Milch – ganz
                                 gestockt
                              
                           Die Milch der fünf kranken Kühe bekam sonach ihre abnormen Eigenschaften durch einen
                              übermäßig großen Albumingehalt, welcher durch die Milchorgane auf Kosten der andern
                              Bestandtheile (die gewöhnlich secernirt werden) erzeugt wurde. Es ist dieß mithin
                              ein krankhafter Zustand, wie auch bekanntlich in dem Harn mit der Bright'schen Krankheit behafteter Individuen das Albumin
                              vorherrscht.
                           Da Dr. Forget bei Fällen der
                              Blasen-Albuminurie mit sehr gutem Erfolg Salpetersäure-Limonade
                              anwandte, so veranlaßte ich Hrn. Verrier dieses Mittel
                              bei den Albuminmilch gebenden Kühen zu versuchen. Durch dieses Getränke kam ihre
                              Milch bald wieder auf den normalen Zustand zurück. Doch kann ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, daß der
                              saure Trank allein diesen Erfolg bewirkte; am 7. Novbr. schickte mir Hr. Verrier Milch von vier der geheilten Kühe, deren
                              Zusammensetzung sich bei der Analyse mit der normalen übereinstimmend ergab; auch
                              war dieselbe nicht mehr spinnend und die Konsumenten kauften sie ohne Anstand.