| Titel: | Chemische Untersuchungen über die Färbekunst; von Hrn. E. Chevreul. | 
| Fundstelle: | Band 129, Jahrgang 1853, Nr. LXXXV., S. 368 | 
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                        LXXXV.
                        Chemische Untersuchungen über die Färbekunst; von
                           Hrn. E. Chevreul.Es ist dieses die neunte Abhandlung, welche Chevreul bezüglich seiner Untersuchungen über die
                                 Färbekunst veröffentlichte; die Auszüge aus den vorhergehenden finden sich im
                                 polytechn. Journal Bd. LIV S. 343 u.
                                 455, Bd. LXXVII S. 128, Bd. LXXXV S. 222, Bd. C S. 23, Bd. CIII S. 123.
                           
                        Aus den Comptes rendus, Juni 1853, Nr.
                              23.
                        Chevreul's chemische Untersuchungen über die
                           Färbekunst.
                        
                     
                        
                           Ueber die Eigenschaft der festen Körper und namentlich der
                                 Faserstoffe, aus Flüssigkeiten die aufgelösten Körper zu absorbiren und auf sich
                                 niederzuschlagen. (Auszug.)
                           Hr. Chevreul übergab der
                              Pariser Akademie der Wissenschaften eine Abhandlung über die Capillarverwandtschaft, d.h. über das Vermögen fester Körper, ohne
                              Veränderung ihres Zustandes Gasarten zu absorbiren oder Stoffe aus deren
                              Lösungsmitteln auf sich niederzuschlagen und zurückzuhalten.
                           Unter den früheren Beobachtungen, welche der Verf. in dieser Hinsicht machte, ist
                              folgende besonders bemerkenswerth: wenn man eine organische Substanz, welche
                              schwefelsaures Kali oder Natron enthält, glüht, so bekommt man eine Kohle, die eine
                              beträchtliche Menge Schwefelkalium oder Schwefelnatrium enthält, welches durch
                              siedendheißes Wasser nicht ausgezogen werden kann; Salzsäure entzieht solcher Kohle
                              dieses Schwefelkalium oder Schwefelnatrium, wobei sich aber die Kohle fest mit einem
                              Theil der Säure verbindet.
                           Die Ergebnisse der Versuche, welche der Verf. in neuerer Zeit über diesen Gegenstand
                              angestellt hat, sind folgende:
                           
                              I. Ueber die Wirkung des Kieses,
                                    gebrannten Thons etc., auf das Kalkwasser.
                              Der Kies und grobe Sand der Seine, der gebrannte Thon, die natürliche und
                                 künstliche Puzzolane, vorher von allen löslichen Stoffen befreit, getrocknet und
                                 mit Kalkwasser in Berührung gebracht, schlagen daraus eine beträchtliche Menge
                                 Kalk nieder, indem sie sich mit dieser Basis verbinden.
                              In einem Kalkwasser, welches aus 1000 Theilen Wasser und 1,37 Theilen Kalk
                                 bestand, wurde der Kalkgehalt verringert:
                              
                                 
                                    
                                         nach einem weniger
                                       als80 Tage dauernden Contact   
                                    nach einem 13 Jahredauernden Contact
                                    
                                 
                                    mit Kies aus der Seine
                                       
                                               bis 1,20
                                       Th.
                                         bis 0,66
                                       Th.
                                    
                                 
                                      „  grobem Sand dto.
                                           
                                           
                                       „  1,20  „
                                          
                                       „  0,66  „
                                    
                                 
                                      „  Ziegeldteinpulver
                                           
                                           
                                       „  0,93  „
                                          
                                       „  0,15  „
                                    
                                 
                                      „  künstlicher Puzzolane
                                            
                                          
                                       „  0,26  „
                                          
                                       „  0,13  „
                                    
                                 
                                      „  natürlicher        „
                                            
                                          
                                       „  0,20  „
                                          
                                       „  0,13  „
                                    
                                 
                              Chevreul überzeugte sich, daß das Kalkwasser schon
                                 beim Aufbewahren in einer vorher mit kaltem Wasser ausgespülten und dann
                                 getrockneten Flasche etwas schwächer wird; Kalkwasser, welches auf 1000 Th.
                                 Wasser 1,47 Th. Kalk enthielt, ergab nach 75 Tagen bei zwei Versuchen nur noch
                                 1,44 und 1,43 Th. Kalk.
                              
                           
                              II. Ueber die Wirkung der
                                    thierischen und vegetabilischen Faser auf wässerige Auflösungen von Salzen,
                                    alkalischen Erden und Säuren.
                              Diese Versuche betrafen die Wirkung der Wolle, Seide und Baumwolle bei
                                 gewöhnlicher Temperatur auf wässerige Lösungen von Kochsalz, Quecksilberchlorid,
                                 Schwefelsäure, Salzsäure, Kalkwasser, Barytwasser, Alaun, salpetersaurem Baryt,
                                 salpetersaurem Blei und gelbem Blutlaugensalz.
                              Bezüglich dieser Wirkung kommen drei Fälle vor, nämlich:
                              1) in der Lösung bleibt das Mengenverhältniß ihrer Bestandtheile unverändert;
                              2) die Lösung gibt an den Faserstoff von dem Wasser mehr ab, als von dem
                                 aufgelösten Körper;
                              3) die Lösung gibt an den Faserstoff mehr von dem aufgelösten Körper ab, als vom
                                 Wasser.
                              
                                 
                                            
                                          Erster
                                          Fall.
                                            
                                           Zweiter
                                          Fall.
                                          Dritter Fall.
                                    
                                 
                                    Die Lösung wird ohne
                                       Aenderung     des
                                       Mengenverhältnisses   der Bestandtheile
                                       absorbirt.Dieser Fall ist mit + bezeichnet.
                                         Die Lösung tritt
                                       an 1000 Th.des Faserstoffs mehr vom
                                       Wasser    als vom aufgelösten Körper
                                       ab.
                                    Die Lösung tritt an 1000Th. des Faserstoffs
                                       mehrvom aufgelösten Körper    als
                                       vom Wasser ab.
                                    
                                 
                                    
                                            
                                             Kochsalz.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle
                                                          
                                       1
                                    
                                    
                                 
                                    Seide
                                                          
                                       2,4
                                    
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                                          
                                       0,5
                                    
                                    
                                 
                                    
                                         Quecksilberchlorid.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle
                                    
                                            26,24
                                    
                                 
                                    Seide
                                    
                                              9,58
                                    
                                 
                                    Baumwolle                                
                                       +
                                    
                                    
                                    
                                 
                                    
                                           
                                          Schwefelsäure.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle
                                    
                                              2,48
                                    
                                 
                                    Seide
                                    
                                              0,65
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                                          
                                       0,84
                                    
                                    
                                 
                                    
                                           
                                              Salzsäure.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle                                          +
                                    
                                    
                                    
                                 
                                    Seide
                                                          
                                       0,55
                                    
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                                          
                                       0,87
                                    
                                    
                                 
                                    
                                           
                                             Kalkwasser.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle
                                    
                                              1,55
                                    
                                 
                                    Seide
                                    
                                              1,98
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                    
                                              0,595
                                    
                                 
                                    
                                           
                                            Barytwasser.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle
                                    
                                              8,3
                                    
                                 
                                    Seide
                                    
                                              7,3
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                    
                                              5,0
                                    
                                 
                              
                              
                                 
                                            
                                          Erster
                                          Fall.
                                            
                                           Zweiter
                                          Fall.
                                          Dritter Fall.
                                    
                                 
                                    Die Lösung wird ohne Aenderung
                                            des
                                       Mengenverhältnisses   der Bestandtheile
                                       absorbirt.Dieser Fall ist mit + bezeichnet.
                                         Die Lösung tritt
                                       an 1000 Th.des Faserstoffs mehr vom
                                       Wasser    als vom aufgelösten Körper
                                       ab.
                                    Die Lösung tritt an 1000Th. des Faserstoffs
                                       mehrvom aufgelösten Körper    als
                                       vom Wasser ab.
                                    
                                 
                                    
                                                  
                                          Alaun.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle
                                    
                                                1,26
                                    
                                 
                                    Seide
                                    
                                                1
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                                              
                                       2,5
                                    
                                    
                                 
                                    
                                       Salpetersaurer Baryt.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle                                          +
                                    
                                    
                                    
                                 
                                    Seide
                                                
                                       vielleicht 0,23
                                    
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                                
                                       vielleicht 0,11
                                    
                                    
                                 
                                    
                                         Salpetersaures Blei.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle
                                    
                                                4
                                    
                                 
                                    Seide
                                    
                                                2,3
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                                              
                                       1,00
                                    
                                    
                                 
                                    
                                       Gelbes Blutlaugensalz.
                                    
                                    
                                 
                                    Wolle
                                    
                                                0,55
                                    
                                 
                                    Seide
                                                              
                                       0,40
                                    
                                    
                                 
                                    Baumwolle
                                                
                                       vielleicht 0,24
                                    
                                    
                                 
                              Erster Fall. – Daraus, daß ein fester Körper
                                 aus einer Lösung das Wasser und die gelöste Substanz in unverändertem
                                 Mengenverhältniß absorbiren kann, darf man nicht schließen, daß zwischen ihm und
                                 der letztern keine Capillarverwandtschaft stattfindet. So absorbirt die
                                 Baumwolle z.B. Quecksilberchlorid und Wasser in demselben Verhältniß, in welchem
                                 beide sich in der Lösung befinden, und dennoch hält sie von dem Quecksilbersalz
                                 einen Theil fest zurück, denn wenn man sie mit Wasser so lange auswascht bis das
                                 Waschwasser das salpetersaure Silber nicht mehr trübt, so wird sie noch von
                                 Schwefelwasserstoffwasser gebräunt und verhält sich anders als die reine
                                 Baumwolle zu den Farbstoffen der Cochenille, des Campecheholzes und des
                                 Krapps.
                              Um bei den auf diesen (ersten) Fall bezüglichen Versuchen genaue Resultate zu
                                 erhalten, muß man sich versichern, daß der Faserstoff seinerseits nichts an die
                                 Flüssigkeit abgibt, und den Verlust berücksichtigen, welchen der auf die Faser
                                 niedergeschlagene Körper durch das Austrocknen erleiden kann, was z.B. bei der
                                 in Alaunlösung getauchten Wolle der Fall ist; letztere tritt einen Theil ihrer
                                 Substanz an die Flüssigkeit ab,und wenn man sie nachher bei 100° C.
                                 austrocknet, verliert der Alaun von seinen 24 Atomen Krystallwasser 18 Atome und
                                 vielleicht noch mehr.
                              Zweiter Fall. – Feste Körper können aus
                                 Lösungen das Wasser in größerem Verhältnisse absorbiren als den gelösten Körper,
                                 und doch zu letzterm Capillarverwandtschaft haben. Wird z.B. die Baumwolle,
                                 welche mehr Wasser als Alaun absorbirt hat, gewaschen bis das Waschwasser den
                                 salzsauren Baryt nicht mehr trübt, so hält sie noch Alaun in sich zurück, so daß
                                 sie sich in Auszügen von Cochenille, Campecheholz, Krapp und Wau schon in der
                                 Kälte sehr merklich färbt. Baumwolle, welche mit salpetersaurem Baryt und mit
                                 salpetersaurem Blei behandelt wurde, zeigt ein ähnliches Verhalten.
                              Allgemeine Bemerkungen. – Man darf nicht
                                 vergessen, daß die vorstehend mitgetheilten Resultate in Beziehung stehen zu der
                                 Concentration und relativen Menge der angewandten Lösungen, den Temperaturen
                                 wobei man operirte und der Dauer der Eintauchung der Faserstoffe in die
                                 Lösungen. Daß die Ergebnisse derartiger Versuche von diesen Umständen abhängig
                                 sind, beweisen besonders die mit der Baumwolle und dem Quecksilberchlorid
                                 angestellten. Bei Anwendung der concentrirtesten Lösung, der längsten Zeit und
                                 dem größten Verhältniß von Quecksilberchlorid zur Wolle, nahmen 100 Theile der
                                 letztern 44 Theile Quecksilberchlorid auf; als dieselbe Lösung mit
                                 verhältnißmäßig mehr Wolle und kürzerer Dauer der Eintauchung angewendet wurde,
                                 betrug die absorbirte Menge 40, und bei einer noch verdünnteren Lösung nur 26
                                 Theile.
                              Das Waschen der Faserstoffe wurde bei diesen Versuchen erst dann unterbrochenunterbrochrn, wenn das Waschwasser auf das zur Nachweisung des mit der Faser
                                 verbundenen Körpers geeignete Reagens keine Wirkung mehr zeigte, und gleichwohl
                                 hielt in vielen Fällen der Faserstoff nachher noch eine ansehnliche Menge dieses
                                 Körpers in sich zurück. Darf man daraus folgern, daß der Faserstoff auch durch
                                 längeres Waschen mit vielem Wasser nicht die ganze Menge des aufgenommenen
                                 Körpers verliert, wie es mit Schwefelsäure, Salzsäure, Kochsalz der Fall ist?
                                 Chevreul hält dieß nicht für wahrscheinlich,
                                 sondern glaubt im Gegentheil, daß die Faserstoffe im Allgemeinen bei sehr langem
                                 Waschen mit vielem Wasser den aufgenommenen Körper gänzlich verlieren
                                 würden.
                              Aehnlich wie die Wolle, Baumwolle etc. kann auch in vielen Fällen das Papier der
                                 Filter auf die Lösungen wirken, die durch das Filter hindurchgehen. Auch erklärt
                                 sich aus einer solchen Wirkung die Schwierigkeit, mit welcher manche
                                 Niederschläge auszuwaschen sind, indem sie im Augenblick ihrer Bildung auf
                                 gewisse in der Flüssigkeit aufgelöst geweseneStoffe capillar gewirkt haben können. Im Mineralreich finden ohne Zweifel
                                 auch vielfach derartige Wirkungen statt.
                              Anwendung der Resultate auf die Farbekunst. –
                                 Wenn man bedenkt, welche geringe Menge Alaun die Wolle bei den erwähnten
                                 Versuchen aufgenommen hat, so drängt sich die Frage auf, warum man im
                                 Allgemeinen, um 100 Theile Wolle als Gespinnst oder Gewebe zu färben, 16 Theile
                                 Alaun anwendet, während doch nur 1,26 Theile von der Wolle aufgenommen werden.
                                 Es ist leicht darauf zu antworten, wenn man die Menge Wasser in Betracht zieht,
                                 welche zur Behandlung der Wolle angewandt wird. Die Wolle könnte nämlich die zu
                                 einer guten Färbung nöthige Menge Alaun der Lösung nicht entziehen, wenn die
                                 Verwandtschaft des Wassers zum Alaun nicht in gewissem Grade durch überflüssigen
                                 Alaun befriedigt wäre. Nur wegen der beim Färben im Kessel angewendeten großen
                                 Menge Wasser ist daher von den sogenannten Beizen eine viel größere Menge
                                 nöthig, als sich auf der Faser fixirt; aus demselben Grunde ist diese Art der
                                 Färbung weniger ökonomisch, als die Färbung durch Bedrucken. Ohne Zweifel wird
                                 man aber dahin gelangen, im Kessel ökonomischer zu färben als es gegenwärtig
                                 geschieht; wenigstens sprechen dafür zahlreiche Versuche von Chevreul, welche er später mittheilen wird.
                              Daß der Alaun sich mit den Faserstoffen verbindet, ohne eine Zersetzung zu
                                 erleiden, wurde schon früher von Thenard und Roard gefunden.
                              Anwendung auf die Physiologie. – Die
                                 vorhergehenden Versuche gestatten eine unmittelbare Anwendung auf die
                                 Physiologie, denn sobald bewiesen ist, daß ein organisches Gewebe eine Lösung
                                 zersetzt, um sich einen ihrer Bestandtheile in größerem Verhältniß anzueignen
                                 als den andern, begreift man, wie ähnliche Wirkungen im Organismus vor sich
                                 gehen können, ohne daß es nöthig ist auf die Lebenskraft zurückzugehen,
                                 wenigstens nicht als nächste Ursache.
                              Auch erklären uns diese Versuche, wie die Wurzeln der Pflanzen, wenn sie in
                                 gewisse Salzlösungen getaucht sind, verhältnißmäßig mehr vom Wasser als von den
                                 aufgelösten Salzen absorbiren, wie es Th. v. Saussure
                                 beobachtet hat. Hier ist die nächste Ursache ebenfalls eine chemische.
                              Es ist nicht unmöglich, daß trockene Gewebe Lösungen durch Absorption des Wassers
                                 derselben concentriren, so daß das aufgelöste Salz krystallisirt. Gewiß ist, daß
                                 wenn man in den einen Schenkel einer gebogenenRöhre Kochsalzlösung gießt,
                                 und in den andern ein trockenes Gewebe, z.B. Sehnen bringt, und die Röhre
                                 luftdicht verschließt, nach einigen Tagen über dem Niveau der Flüssigkeit
                                 Kochsalz krystallisirt ist.