| Titel: | Ueber die Nachtheile des Schnees auf den Eisenbahnen; von Hrn. v. Séguier. | 
| Fundstelle: | Band 131, Jahrgang 1854, Nr. LXXXVI., S. 326 | 
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                        LXXXVI.
                        Ueber die Nachtheile des Schnees auf den
                           								Eisenbahnen; von Hrn. v.
                              									Séguier.
                        Aus den Comptes rendus, Januar 1854, Nr.
                              								2.
                        v. Séguier, über die Nachtheile des Schnees auf den
                           								Eisenbahnen.
                        
                     
                        
                           Die Störungen, welche der Schnee beim Eisenbahnbetrieb veranlaßt, sind in diesem
                              									Winter stärker als jemals hervorgetreten; die Bahnzüge wurden aufgehalten und
                              									verspätet, an manchen Orten sogar die Communication Tage lang gänzlich unterbrochen.
                              									So bedeutende Schneefälle, wie sie stattfanden, darf man jedoch keineswegs als eine
                              									ausnahmsweise Thatsache betrachten, die nur in langen Zeiträumen wiederkehrt, und
                              									gegen welche menschliche Kräfte und Vorkehrungen nichts auszurichten vermögen.
                           Die täglich zunehmende Ausdehnung der Eisenbahnen nöthigt uns auf Mittel zu denken,
                              									um dieses bewunderungswürdige Communicationsmittel, besonders in den
                              									Gebirgsgegenden, nicht allen Nachtheilen der Schneefälle ausgesetzt zu sehen. Es ist
                              									daher eine Untersuchung der Frage, ob sich nicht mit mechanischen Mitteln wirksam
                              									gegen die Schneefälle kämpfen lasse, von Wichtigkeit; denn über mechanische Kräfte
                              									gebietet jede Eisenbahn-Verwaltung, während Menschenkräfte, die unter solchen
                              									Umständen von vielen Verwaltungen aufgeboten, sogar vom Militär requirirt werden, um
                              									die mit Schnee bedeckten Bahnen wieder fahrbar zu machen, sehr bedeutende Kosten
                              									verursachen und auch nur langsam wirken.
                           Ich glaube, daß eine Eisenbahn mit einem geeigneten Material stets in fahrbarem
                              									Stande erhalten werden könnte, und daß es möglich ist, mit Erfolg gegen die
                              									Störungen des Betriebes durch den Schnee zu kämpfen, so daß eine Unterbrechung des
                              									Dienstes nicht mehr zu fürchten wäre.
                           Um aber zu diesem Zweck zu gelangen, müßte man die jetzige Fortschaffungsweise
                              									aufgeben und diejenige annehmen, welche ich schon seit mehreren Jahren vorgeschlagen
                              										habe.Polytechn. Journal Jahrgang 1844, Bd. XCI S. 107 und Jahrg. 1852, Bd. CXXVIII
                                    											S. 249.
                              								
                           Erfahrung, Erörterungen mit Sachverständigen, längeres Nachdenken, die Zeit endlich,
                              									welche die Ideen reift und uns auf deren Mangel aufmerksam macht, haben meine
                              									mechanische Ueberzeugung bezüglich des Fortschaffungssystems, welches ich Locomotion
                              									durch Wälzen (locomotion par laminage) nenne, gar nicht
                              									geändert. Bei diesem System ist nämlich die Fortbewegung der Locomotive nicht mehr, wie
                              									gegenwärtig, das Resultat der Adhärenz ihrer Räder an den Schienen, lediglich in
                              									Folge des Gewichts der ganzen Maschine; sondern sie wird dadurch bewerkstelligt, daß
                              									horizontale Triebräder (Walzen oder Rollen) gegen eine zwischen ihnen befindliche
                              									Schiene andrücken.
                           Ich will nun erläutern, wie mit meinem Fortschaffungssystem die Nachtheile der
                              									Schneefälle überwunden werden können; ehe ich jedoch in eine kurze Erörterung dieser
                              									Frage eingehe, welche in gegenwärtigem Zeitpunkt, wo Eisenbahnen für Gebirgsgegenden
                              									entworfen und ausgeführt werden, so wichtig ist, muß ich bemerken, daß die
                              									Fortbewegung der Locomotiven und Eisenbahnwagen durch die bloße Adhärenz ihrer Räder
                              									auf den Schienen, welche lediglich durch das Gewicht der Locomotive veranlaßt wird,
                              									nicht der erste Gedanke für die Locomotion auf Eisenbahnen war. Die ersten
                              									Eisenbahnen hatten Schienen in Form von Zahnstangen und Locomotiven mit Zahnrädern;
                              									erst später entschloß man sich, das Eingreifen der Räder in die Schienen durch die
                              									bloße Reibung der Laufräder auf den Schienen zu ersehen; nun glaube ich aber, daß
                              									die meisten Nachtheile der jetzigen Eisenbahnen von diesem
                              									Fortschaffungs-Princip herrühren, welches man durch die tägliche Praxis als
                              									das allein anwendbare zu betrachten gewöhnt wurde.
                           Ich will nun kurz zeigen, daß die Nachtheile der Schneefälle von der jetzigen Art der
                              									Locomotion herrühren. Sobald die Oberfläche der Schienen mit Schnee bedeckt ist,
                              									ändert sich der Coefficient für die Reibung des Rades an der Schiene; er wird viel
                              									geringer. Die Anwendung der Schlitten in Gegenden wo der Schnee längere Zeit liegen
                              									bleibt, beweist, wie leicht das Eisen auf einer mit Eis überzogenen Fläche gleitet;
                              									ein anderer Beweis dafür ist das Schlittschuhlaufen, wobei der Mensch sehr große
                              									Räume mit einem geringen Aufwand von Muskelkraft durchläuft; die jetzt
                              									gebräuchlichen Locomotiven würden auch ihre Zugkraft verlieren, sobald die Schienen
                              									mit Glatteis oder Schnee bedeckt sind, wenn nicht eine Sandbüchse am vordern Theil
                              									der Maschine beständig etwas Sand auf die Schienen fallen ließe. Dieß ist aber noch
                              									nicht die Hauptursache des Hindernisses, welches der Schnee entgegensetzt; man muß
                              									sie in der unzureichenden anfänglichen Kraft der Locomotive suchen, welche beim
                              									Abgang nicht größer seyn kann als der Dampfdruck auf die Kolbenfläche, dividirt
                              									durch den Reibungscoefficient welcher dem Gewicht der Locomotive entspricht. Wir
                              									sehen auch, daß bei der gewöhnlichen Witterung und unter den günstigsten Umständen,
                              									die Eisenbahnwagen unter einander mit Ketten verbunden werden müssen, damit die
                              									Locomotive beim Abgang die Gesammtträgheit des Bahnzuges nach und nach überwinden
                              										kann, und man
                              									begreift darnach, mit welcher Schwierigkeit eine Locomotive, welche ihre
                              									Geschwindigkeit noch nicht erlangt hat, gegen eine etwas bedeutende Schneemasse
                              									kämpft, selbst wenn die Maschine mit einem sogenannten Schneepflug versehen ist, der
                              									den Schnee von den Schienen entfernt. Wir müssen wohl berücksichtigen, daß die
                              									gebräuchliche Locomotive zu dieser ausnahmsweisen Leistung niemals mehr als ihre
                              									gewöhnliche Kraft hat, welche noch vermindert ist, weil ihr Reibungscoefficient in
                              									Folge des Schnees oder Glatteises kleiner wurde. Bei dem von mir vorgeschlagenen
                              									Fortschaffungssystem verhält es sich ganz anders.
                           Man kann nämlich eine besondere Locomotive mit großen Kolben, langen Kurbelarmen und
                              									sehr kleinen Wälzrollen construiren; die Kraft einer solchen, mit den nöthigen
                              									Organen zum Fortschaffen des Schnees von den Schienen versehenen Maschine würde nur
                              									zwei Gränzen haben, nämlich die Kolbenfläche und die Festigkeit, womit die Schiene,
                              									an welche sich die Wälzrollen andrücken, am Boden fixirt ist. Ich bin überzeugt, daß
                              									das Befahren der Bahn mit einer solchen Maschine zu verschiedenen Zeiten, je nach
                              									der Menge des gefallenen Schnees, die Bahn hinreichend frei hielte, so daß der
                              									Dienst nie unterbrochen würde. Denn wenn meine Maschine für ihre Kolben und Kurbeln
                              									nur die Verhältnisse einer der jetzigen Locomotiven hätte, so könnte sie eine Kraft
                              									ausüben, welche um die ganze Differenz zwischen den Halbmessern der Triebräder einer
                              									gewöhnlichen Locomotive und denjenigen der Wälzrollen meines besonderen Motors
                              									größer wäre; mit andern Worten, die Kraft würde im umgekehrten Verhältniß der
                              									Geschwindigkeiten der Locomotion stehen. Da man nun zum Abräumen des Schnees von
                              									einer Bahn die Geschwindigkeit opfern könnte, so würde eine Maschine von
                              									gewöhnlicher Dimension, welche mit Wälzrollen von kleinem Durchmesser versehen wäre,
                              									eine Kraft besitzen, die mit Erfolg den angehäuften Schnee bekämpfen könnte.
                           Die Locomotion durch das Andrücken zweier sich wälzenden Rollen gegen eine zwischen
                              									denselben befindliche Schiene, würde noch andere Vortheile gewähren. Ich beschränke
                              									mich hier auf die Angabe eines sehr wichtigen. Durch Annahme dieses
                              									Fortschaffungssystems könnte man wirklich dahin gelangen, daß die Achsen, welche die
                              									Locomotive tragen, die Schienen nicht mehr belasten als diejenigen der Waggons mit
                              									gewöhnlicher Ladung; ich will damit sagen, daß man bei Anlage der Bahn die Stärke
                              									der Schienen darauf beschränken könnte, daß sie die Wagenachsen tragen, ohne, wie es
                              									jetzt der Fall ist, genöthigt zu seyn ihnen Verhältnisse zu geben, welche im Stande
                              									sind der Belastung der Triebachsen der Locomotive zu widerstehen, die gewöhnlich
                              									mindestens doppelt so schwer als die Wagenachsen belastet sind. Wenn das Gewicht des Motors
                              									nicht mehr die Hauptrolle spielt, wie jetzt, wo es die Adhärenz und durch dieselbe
                              									die Locomotion bewirkt, so kann man es recht wohl vermindern. Nach der jetzt
                              									herrschenden Ansicht sind für eine starke und feste Maschine nothwendig ein
                              									Generator mit großer Oberfläche, Kolben von großem Durchmesser, Cylinder von
                              									bedeutender Stärke erforderlich, so daß hinsichtlich dieser Organe das Gewicht nicht
                              									wohl vermindert werden könnte. Ich will auch an diesen durch die Erfahrung
                              									geheiligten Verhältnissen nichts ändern, aber ich behaupte, daß wenn man die
                              									Locomotive in zwei Theile theilt, d.h. wenn man den Dampferzeuger auf einen Wagenzug
                              									setzt und den Motor auf einen andern, es möglich seyn wird, die Gesammtlast auf so
                              									viele Achsen zu vertheilen, daß eine jede keinen viel größern Druck auszuhalten hat
                              									als die gewöhnlichen Waggonachsen. Man kann mir nicht mehr einwenden, daß es
                              									schwierig sey, den Dampf von dem Kessel zum Motor gelangen zu lassen, wenn sich
                              									beide auf verschiedenen Wagen befinden, weil dieses bereits auf einigen Eisenbahnen
                              									geschieht, wo die Tender mit Cylindern und Triebrädern versehen sind.
                           Da bei meinem System das Andrücken der Walzrollen gegen die Schienen, wie ich in den
                              									vorhergehenden Abhandlungen auseinandergesetzt habe, durch den Widerstand des
                              									Bahnzuges selbst bewirkt wird, so habe ich den Vortheil, daß die Locomotion mit der
                              									geringsten Reibung der Triebachsen bewerkstelligt wird, welche Reibung beständig den
                              									veränderlichen Widerstanden der mitgezogenen Wagenreihe proportional bleibt.
                           Auch hinsichtlich der Ersparung an Material gewährt die Vertheilung des
                              									Dampferzeugers und des Motors auf besondere Wagen wesentliche Vortheile. Es ist
                              									vortheilhaft, wenn ein Dampferzeuger stets gefeuert erhalten wird, weil dann nach
                              									der Erfahrung seine Dauer um so größer ist, indem große Temperaturveränderungen der
                              									Festigkeit eines Kessels nachtheilig sind. Während nun ein Triebapparat untersucht
                              									und reparirt würde, könnte der Dampfkessel mit einem andern verbunden werden; auf
                              									diese Weise würden weniger Dampferzeuger als Motoren erforderlich seyn. Letztere
                              									könnte man auf Wagen mit Gehäusen und Fenstern anbringen, wie sich die
                              									Schiffs-Dampfmaschinen in geschlossenen Räumen befinden, wodurch der
                              									nachtheilige Einfluß der äußeren Atmosphäre auf die Maschinentheile wegfiele, so daß
                              									dieselben eine weit längere Dauer hätten. Die von den Dampferzeugern getrennten
                              									Motoren wären von allen Seiten zugänglich, daher sich alle Theile der Maschine
                              									leicht beaufsichtigen ließen. Wie bei den Maschinen der Dampfboote könnten die
                              									Ursachen der Zerstörung schon während der Fahrt gehoben werden, da man sie sogleich
                              									wahrzunehmen im Stande ist. Die Unterhaltungskosten der Maschinen würden daher
                              									bedeutend vermindert, wenn dieselben nicht, wie es bisher der Fall war, unmittelbar
                              									mit dem Kessel verbunden sind. Ich will jedoch die Vergleichung des von mir
                              									vorgeschlagenen Systems mit den Einrichtungen, welche eine langjährige Erfahrung für
                              									sich haben, hier nicht weiter fortsetzen; ich beabsichtigte hauptsächlich die
                              									Ueberzeugung auszusprechen, daß das jetzige System der Locomotion noch wesentlicher
                              									Verbesserungen fähig ist, und mein lebhafter Wunsch, dessen Fortschritte zu
                              									befördern, war die Veranlassung, diesen Vortrag in der (französischen) Akademie der
                              									Wissenschaften zu halten.