| Titel: | Die Fahrkunst auf der Steinkohlengrube „Gewalt“ im Essen'schen Bergamts-Bezirke. | 
| Fundstelle: | Band 131, Jahrgang 1854, Nr. LXXXVIII., S. 332 | 
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                        LXXXVIII.
                        Die Fahrkunst auf der Steinkohlengrube
                           									„Gewalt“ im Essen'schen Bergamts-Bezirke.Wir verweisen auf die Abhandlung in diesem Bande des polytechn. Journals S.
                                    										21.A. d. Red.
                           							
                        Die Fahrkunst auf der Steinkohlengrube
                           									„Gewalt“.
                        
                     
                        
                           Diese erst im Jahre 1852 ausgeführte, sehr zweckmäßig eingerichtete Fahrkunst, ist
                              									von Hrn. Lottner in der 3ten Liefer, der
                                 										„Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen in
                                    										dem preußischen Staate“, S. 120 bis 137 beschrieben und auf 3 Tafeln
                              									und mittelst 9 Holzschnitten abgebildet worden.
                           Menschlichkeit und ein guter Grubenhaushalt gebieten die Anlage von Fahrkünsten,
                              									sobald die Schächte eine gewisse Tiefe überschritten haben, und obgleich es lange
                              									dauern dürfte, ehe ihre allgemeinere Einführung bewirkt wird, da keine Gesetze dieß
                              									verlangen, so kommen sie dennoch immer mehr in Anwendung.
                           Wirft man die Frage auf, welches von den verschiedenen bekannten Systemen der
                              									Fahrkünste das bessere sey, so möchte sich hinsichtlich der Gestänge kaum bezweifeln
                              									lassen, daß den eisernen der Vorrang gebühre, und zwar aus denselben Ursachen,
                              									welche bei fast allen Constructionen der Maschinentechnik das Eisen dem Holze
                              									voranstellen, nämlich verhältnißmäßig geringere Dimensionen und minderes Gewicht bei
                              									gleicher Tragfähigkeit, sowie längere Dauer. Nur wo stark anfressende Grubenwasser
                              									vorhanden sind, bleiben Holzgestänge mehr zu empfehlen. Unter den eisernen Gestängen
                              									selbst möchten die aus Winkelschienen gebildeten die bessern seyn, da die Rippe
                              									denselben mehr Steifigkeit verleiht und die Verbindung mit geeigneten Führungen das
                              									Schlottern so weit als möglich beseitigt.
                           Die Größe der Tritte bestimmt sich nach der Zahl der Personen, die zu gleicher Zeit
                              									darauf Platz finden sollen, und ist bei vorhandenen Schächten durch den zur
                              									Einbringung der Kunst zu Gebote stehenden Raum begränzt. Als Minimum für 1 Mann
                              									möchten Dimensionen von 12 und 11 Zoll zu betrachten seyn; mit Rücksicht auf die
                              									Sicherheit der Fahrenden ist es jedenfalls besser sie größer zu nehmen. Geländer um
                              									große Bühnen, wie bei mehreren in Belgien angewendeten Fahrkünsten, sind zwar
                              									zweckmäßig, lassen sich aber zum Vortheil der Anlagekosten und der zu bewegenden
                              									Last vermeiden, wenn die ohnehin nöthige Verkleidung des Raumes, in welchem die
                              									Kunst sich bewegt, sorgsam ausgeführt und der Spielraum zwischen Tritten und Stößen
                              									auf das durchaus erforderliche Minimum reducirt wird. Ueberdieß ist ein durch
                              									Unvorsichtigkeit herbeigeführtes Unglück weniger zu befürchten, während die
                              									Mannschaft auf der Bühne steht, als bei zu frühem oder zu spätem Uebertreten von
                              									einer Bühne zur andern, und hiergegen schützen auch Geländer nicht.
                           Die Ausgleichung der Gewichte beider Gestänge durch zwischengelegte Rollen oder
                              									Balanciers und Ketten ist fast überall angenommen und einfach. Vorzuziehen seyn
                              									möchte diejenige Stellung der Gleichgewichtsrollen, bei welcher eine ununterbrochene
                              									Fahrung auf der Kunst möglich wird. Hinsichtlich der Art, wie den Gestängen die alternirend
                              									auf- und absteigende Bewegung ertheilt wird, zerfallen die Fahrkünste in zwei
                              									Gruppen: in solche, bei welchen dieselbe durch direct wirkende Dampfmaschinen, und
                              									in solche, bei denen sie durch Vermittelung von Krummzapfen oder Kurbelscheiben und
                              									von Kreuzen erfolgt. Erstere sind in Belgien, letztere am Harz, in Sachsen, Preußen
                              									und in England in Anwendung.
                           Die durch Krummzapfen erzeugte auf- und abgehende Bewegung ist eine stetige
                              									und bewirkt zugleich das Umsehen der Gestänge mit dem geringst möglichen Verluste an
                              									lebendiger Kraft, und der Umlauf des Krummzapfens oder der Kurbelscheibe läßt sich
                              									auf die leichteste Weise durch Anbringung eines conischen Pendels egalisiren,
                              									wodurch der Gang der Kunst regelmäßig, für die Fahrenden bequemer und angenehmer,
                              									und eben darum sicherer wird.
                           Ganz anders ist es bei direct wirkenden Maschinen mit Kataraktpausen. Hier beginnt
                              									die Bewegung plötzlich, und diese plötzliche Bewegung bringt, weil sie sich dem
                              									Körper wegen seiner Trägheit nicht schnell genug mittheilt, beim Einfahren das
                              									unangenehme Gefühl hervor, als weiche die Bühne unter dem Fahrenden aus; eben so
                              									unangenehm ist das plötzliche Stillstehen der Kunst. Jedoch kann auch den direct
                              									wirkenden Maschinen eine Einrichtung gegeben werden, um diese Nachtheile zu
                              									beseitigen.
                           Die Grube „Gewalt“, die tiefste unter allen Steinkohlengruben im
                              									westphälischen Haupt-Berg-Distrikte, liegt in der Gemeinde Oberruhr,
                              									am linken Ufer der Ruhr, unweit Steete. Sie ist 150 Lachter (à 80 Zoll rhein.) tief, allein der Abbau findet noch in höhern
                              									Sohlen statt, weßhalb die Fahrkunst für jetzt nur 126 Lachter tief eingebauet worden
                              									ist; es ist die erste Fahrkunst beim westphälischen Steinkohlenbergbau.
                           Sie wird durch eine besondere horizontale Dampfmaschine bewegt, die im
                              									Dampfgöpelgebäude, neben den Seiltrommeln aufgestellt ist, und ihre Dämpfe aus den
                              									Hochdruckkesseln des Dampfgöpels erhält. Die Kunst hat zwei Bremsen, von denen die
                              									eine am Schwungrade und die andere an der Schwungradwelle angebracht worden ist. An
                              									der Schwungradwelle sitzt ein Getriebe mit 21 Zähnen, welches in ein Zahnrad mit 130
                              									Zähnen greift. Der eine Arm des letztern ist mit einer Warze versehen, von der eine
                              									Lenkstange nach einem Gangkreuze geht, an dessen anderem Arme das eine Gestänge der
                              									Fahrkunst hängt, während der Kreuzarm mit dem einen Arm des Halbkreuzes in
                              									Verbindung steht, an dessen Kreuzarm das zweite Gestänge der Fahrkunst hängt. Es ist
                              									diese Einrichtung gänzlich die am Harze gebräuchliche.
                           
                           Was nun die Gestänge betrifft, so wird ein jedes derselben
                              									von zwei gewalzten eisernen Winkelschienen mit nach innen gekehrter Rippe gebildet.
                              									Da der Hub der Gestänge 10 Fuß beträgt, so sind die Trittbühnen um das Doppelte oder
                              									20 Fuß von einander entfernt angebracht und eben so lang auch die das Gestänge
                              									bildenden Winkelschienen gewalzt.
                           Die Kunst, jetzt nur bis zur 6ten Sohle oder bis zu 126 Lachter unter Tage reichend,
                              									soll später noch bis 150 Lachter verlängert werden; hiernach sind die Querschnitte
                              									der Schienen für die jetzige Teufe in drei Abtheilungen gewählt und es wiegt eine
                              									Schiene der obersten Abtheilung 176 Pfd., eine der Mittlern Abtheilung 170 Pfd. und
                              									eine der untern Abtheilung 130 Pfd. – Laschen, die mit zahnartigen
                              									Vorsprüngen in entsprechende Einschnitte der Rippen greifen und durch Lasche und
                              									Schienenblatt gezogene Schraubenbolzen stellen die Verbindung der Schienen an den
                              									Wechseln her, und der obere und untere Schraubenbolzen der Laschenverbindung dient
                              									zugleich zum Festhalten der Bügel, welche die Trittbühnen tragen.
                           Diese sind 25 Zoll lang und 21 1/2 Zoll breit, bestehen aus 2zölligen eichenen Bohlen
                              									und zwei sich gegenüberstehende Tritte sind nur 1 Zoll von einander getrennt. Jedes
                              									Trittbrett besteht aus zwei, durch Scharniere von Rothkupfer verbundenen Theilen, so
                              									daß der vordere Theil der herabkommenden Bühnen in die Höhe klappen kann, wenn der
                              									Ausfahrende auf der aufsteigenden Bühne unvorsichtiger Weise mit der Schulter oder
                              									dem Fuße zu weit vorstehen sollte. 40 Zoll über den Trittbühnen sind rechtwinklich
                              									gebogene Handgriffe angebracht, an denen sich die Fahrenden festhalten.
                           Mit den Kreuzen sind die Gestänge aus folgende Weise verbunden: Jede der Achsen an
                              									den einander zugekehrten Kreuzenden wird außerhalb der Kreuzhälften von zwei 4 Zoll
                              									breiten, oben und unten 1 7/8 Zoll starken Scherenstangen umfaßt. Diese Scheren
                              									drehen sich oben im Schachte um eine gegossene Welle, auf welche nach unten zwei 2
                              									Zoll kantige Eisenstangen mittelst Augen aufgekeilt und deren Enden mit Schlitten
                              									behufs der Geradführung versehen sind. – Die Geradführungen (Leitungen)
                              									bestehen aus je zwei unter sich verschieden gebildeten, 4 Zoll von einander
                              									entfernten und gegen im Schachte angebrachte Bolzen gelehnten 13 Fuß langen
                              									Schienen, welche oben und unten durch eine verschraubte Gußplatte mittelst Flanschen
                              									zusammengehalten werden. Zwei Wellen mit je zwei Schlitten bedingen vier solcher
                              									Geradführungen; einerseits gleiten die Schlitten in dem durch die Schienen
                              									gebildeten Falz, andererseits auf der schmalen Seite derselben. Außer durch die Geradführungen
                              									in der Nähe der Hängebank werden die Gestänge im Schachte durch besondere Lehren
                              									geleitet, welche zugleich dem Schlottern vorbeugen. – Das Verfahren, die
                              									Gestänge mittelst Rollen und Ketten gegen einander abzuwiegen, hat man auch bei
                              									dieser Fahrkunst beibehalten, jedoch deren stets zwei angebracht und diese so weit
                              									abgerückt, daß die Trittbühnen daran vorbeigehen können, mithin eine ununterbrochene
                              									Fahrung auf der Kunst hergestellt ist. Die erste Abwiegung der Gestänge liegt dicht
                              									unter der dritten Sohle oder in etwa 52 Lachter Teufe, und die zweite unter der
                              									fünften Sohle in 93 Lachter Teufe unter Tage; der Raum dafür war gegeben und nicht
                              									zu wählen. – Zur Verhütung jeder Gefahr für den Fahrenden, unter die
                              									Schachtzimmerung zu gerathen und beschädigt zu werden, ist der Raum, in welchem die
                              									Kunst sich bewegt, dicht mit Brettern nach innen verschlagen.
                           Was nun den Effect der Maschine betrifft, so macht sie beim Anfahren der Mannschaft 4
                              									Doppelhube in der Minute. Bei 29 Mann Belastung wird beim Uebertreten das
                              									Uebergewicht des betreffenden Gestänges so groß, daß der Dampf gänzlich abgesperrt
                              									werden kann und die Maschine leer arbeitet. Mit dem Auftreten neuer Mannschaft
                              									müssen aber die Bremsen in Thätigkeit gesetzt werden, um die normale Hubzahl
                              									innezuhalten. Der Maschinenwärter zieht hierbei die unmittelbar an der
                              									Schwungradwelle wirkende Klotzbremse vor, da sie sich besser stellen läßt als die
                              									Backenbremse am Schwungrade, weil sich diese stark erhitzt und überhaupt nur zur
                              									Stillsetzung der Maschine bei plötzlichen Unfällen dient. Erfolgt nun das Einfahren,
                              									wie es gewöhnlich der Fall ist, von der Stollensohle aus, die 9 Lachter unter der
                              									Hängebank des Schachtes liegt und woselbst auch die ausfahrende Mannschaft abtritt,
                              									so legt der Einfahrende mit jedem Doppelhube 2 × 10 = 20 Fuß = 3 Lachter, in
                              									der Minute also 12 Lachter zurück und gelangt in 117/12 = 9,75 Minut. zur 6ten
                              									Sohle. Mit jedem Hube folgt ein anderer Arbeiter, dieß macht in 1 Minute 4 Mann; um
                              									daher eine Belegschaft von etwa 500 Mann einzufordern, sind 9,75 + 499/4 = 134,5
                              									Minut. = 2 1/4 Stunden nöthig und eine gleiche Zeit zum Ausfahren.
                           Rechnet man für das Einfahren auf der Fahrt 1/2 und für das Ausfahren 1 Stunde; nimmt
                              									3 Lachter lange Fahrten und 3 Mann zugleich auf einer Fahrt an, so brauchen die
                              									nächsten 3 Mann 30 117: 3 = 30/39 = 10/13 Minuten mehr, weil sie vor dem Auftreten
                              									so lange warten müssen, bis die ersten 3 Mann die erste Fahrt passirt haben u.s.f.
                              									Die ganze für 500 Mann
                              									erforderliche Zeit wird daher seyn 30 + (500/3 + 1) × 30/39 = 160 Minuten = 2
                              									Stunden 40 Minuten. Ebenso ergibt sich die Zeit für das Ausfahren = 60 + (500/3
                              									– 1) · 60/39 = 320 Minuten = 5 Stunden 20 Minuten.
                           Die nominelle Kraft der Maschine beträgt 1035799,38 Fußpfund = 34 Pferdekräfte. Der
                              									Nutzeffect der Maschine ist = 45 Procent.
                           Für den Gebrauch dieser Fahrkunst ist vom königl. Bergamte zu Essen ein besonderes
                              									Reglement erlassen worden.