| Titel: | Ueber die Anwendung von Gegengewichten an den Triebrädern der Locomotiven; vom Ingenieur Couche. | 
| Fundstelle: | Band 131, Jahrgang 1854, Nr. CXI., S. 416 | 
| Download: | XML | 
                     
                        CXI.
                        Ueber die Anwendung von Gegengewichten an den
                           								Triebrädern der Locomotiven; vom Ingenieur Couche.
                        Nach seiner Abhandlung in den Annales des mines, 1853, t. III, bearbeitet vom
                           								Ingenieur-Assistenten Tellkampf; hier aus dem Notizblatt des hannoverschen Architekten-
                                 								und Ingenieur-Vereins Bd. III Heft 1.
                        Mit Abbildungen.
                        Couche, über die Anwendung von Gegengewichten an den Triebrädern
                           								der Locomotiven.
                        
                     
                        
                           Bei der Bewegung aller Locomotiven, und namentlich der Maschinen mit außenliegenden
                              									Mindern, zeigen sich mancherlei störende Kräfte und Schwankungen, welche durch die
                              									abwechselnde Einwirkung der Dampfkraft auf die beiden rechtwinkelig gegen einander gestellten
                              									Kurbeln der Triebachse hervorgerufen werden und für die Praxis leider unvermeidlich
                              									zu seyn scheinen. Um so wichtiger ist es aber zur Erreichung der nöthigen
                              									Stabilität, daß wenigstens diejenigen Unregelmäßigkeiten der Bewegung, die aus der
                              									Trägheit von einzelnen oscillirenden oder rotirenden Maschinentheilen entspringen,
                              									nach Möglichkeit beseitigt werden, was durch Anwendung von Gegengewichten an den
                              									Triebrädern freilich zum Theil, aber niemals ganz vollkommen, zu erreichen ist. Man
                              									kann nämlich die Gegengewichte so anordnen, daß entweder nur die horizontalen, oder
                              									nur die verticalen störenden Kräfte dadurch vernichtet werden. Da bis jetzt noch
                              									keine allgemeinen Regeln über die Anwendung der Gegengewichte existiren, so
                              									erscheint es nicht unwichtig, die Zweckmäßigkeit jener beiden verschiedenen Systeme,
                              									wovon das erste in England, das zweite in Deutschland und Frankreich fast allgemein
                              									gebräuchlich ist, genau zu untersuchen und zu vergleichen. Zunächst mögen deßhalb
                              									für eine Maschine mit unabhängigen Triebrädern und horizontal liegenden Cylindern
                              									die Größen der störenden Kräfte, welche durch die Trägheit der beweglichen
                              									Maschinentheile entwickelt werden, unter der Voraussetzung, daß keine Gegengewichte
                              									vorhanden sind, zu ermitteln seyn.
                           Nach einem bekannten Naturgesetz können in einem Körpersystem oder einer Maschine
                              									worin nur innere Kräfte thätig sind, auch nur innere relative Bewegungen der
                              									einzelnen Körper oder Maschinentheile vorkommen; es muß aber dabei der Schwerpunkt
                              									des ganzen Körpersystemes immer in völliger Ruhe bleiben, weil eben jede innere
                              									drückende oder ziehende Kraft immer gleich stark nach beiden Seiten hin drückt oder
                              									zieht. Dasselbe Gesetz findet auch unmittelbar auf die Bewegung der Locomotiven
                              									Anwendung, wenn man die wirkliche Fortbewegung derselben, welche durch die äußere
                              									Kraft der Adhäsion zwischen Rädern und Schienen bewirkt wird, ganz außer Acht läßt.
                              									Die Kraft des Dampfes in den Cylindern der Locomotive ist eine innere Kraft; sie
                              									wirkt gleich stark nach entgegengesetzten Richtungen hin auf den Kolben und auf die
                              									kreisförmige Bodenfläche des Cylinders, und treibt deßhalb gleichzeitig die
                              									bewegenden Maschinentheile, nämlich den Kolben, die Lenkstange und die Kurbel an der
                              									Triebachse, nach der einen Seite, die gesammte übrige Masse der Maschine aber
                              									entsprechend weit nach der andern Seite, so daß der Schwerpunkt der ganzen Maschine
                              									immer in Ruhe bleibt. Es zeigt sich also, ähnlich wie bei abgeschossenen Gewehren,
                              									so auch bei den Locomotiven ein Rückstoß oder Rückprall der ganzen Maschine, und
                              									zwar abwechselnd nach vorn und hinten, nach oben und unten, je nachdem die genannten
                              									oscillirenden Maschinentheile sich in der entgegengesetzten Richtung bewegen.
                           
                           In Wirklichkeit sind nun zwar die Locomotiven, namentlich vermöge der Einwirkung
                              									ihres bedeutenden Gewichtes, nicht im Stande, dem Impulse jenes Rückstoßes ganz frei
                              									zu folgen; allein derselbe äußert sich dann gleichwohl durch einen lästigen
                              									statischen Druck und bringt jedenfalls immer vielfache sehr unangenehme und
                              									gefährliche Störungen und Schwankungen im Gange der Maschinen hervor.
                           
                        
                           1. Horizontalstörungen.
                           Der gesammte horizontale Rückstoß, welchen die Maschine erfährt, setzt sich aus den
                              									Bewegungen der beiden rechtwinkelig gegen einander gestellten Kurbeln nebst den
                              									zugehörigen Lenkstangen und Kolben zusammen. Es sey die Masse eines Kolbens mit der
                              									Kolbenstange = K, die einer Lenkstange = L und die einer Kurbel = C;
                              									ferner seyen die Halbmesser der Kreise, welche bei der Umdrehung der Triebachse vom
                              									Schwerpunkt der Kurbel und vom Kurbelzapfen beschrieben werden, = ϱ und = r. Die ganze
                              									Bewegung möge von dem Augenblick an betrachtet werden, wo die eine Kurbel
                              									horizontal, die andere vertical steht. Wenn sich dann die Triebachse um den Winkel
                              										β dreht, so ist die Horizontalverschiebung
                              									des Schwerpunktes der ersten Kurbel = ϱ . (1
                              									– cos β), und die Horizontalverschiebung
                              									des Schwerpunktes der Lenkstange und des Kolbens annähernd = r . (1 – cos β).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 131, S. 417
                              
                           Bei der zweiten Kurbel ist während derselben Zeit die Horizontalverschiebung des
                              									Schwerpunktes der Kurbel = ϱ . sin β, und diejenige des Schwerpunktes der
                              									Lenkstange und des Kolbens annähernd = r . sin β.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 131, S. 417
                              
                           
                           Wenn nun M die ganze Masse der Locomotive und x den Weg bezeichnet, welchen jene Masse vermöge der
                              									Einwirkung des Rückstoßes in horizontaler Richtung durchläuft, indem der Schwerpunkt
                              									der Locomotive auf derselben Stelle verbleibt, so ist:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 131, S. 418
                              
                           Der Einfachheit wegen möge die auf den Kurbelzapfen reducirte Masse der Kurbel c = (C . ρ)/r eingeführt
                              									werden, also
                           (1) Textabbildung Bd. 131, S. 418
                           Wenn man die Winkelgeschwindigkeit ω = dβ/dt, womit sich die
                              									Triebachse umdreht, als constant ansieht, so findet sich die Geschwindigkeit der
                              									Bewegung des Rückstoßes gleich
                           (2) Textabbildung Bd. 131, S. 418
                           Die Acceleration φ dieser Bewegung ist gleich
                           (3) Textabbildung Bd. 131, S. 418
                           Die bei dem Rückstoß ausgeübte Kraft F ist gleich
                           (4)  F = M . φ = (c + L + K) . r . ω² . (cos β – sin
                                 										β).
                           Die beiden Componenten (c + L
                              									+ K) . r . ω² . cos
                                 										β und – (c + L + K) . r . ω² . sin β, woraus sich die Kraft F zusammensetzt, bringen nicht allein durch ihre
                              									Vereinigung den Rückstoß hervor, sondern sie suchen auch, da sie zu beiden Seiten
                              									der Maschine in entgegengesetzter Richtung wirken, die ganze Locomotive in
                              									horizontaler Richtung seitwärts zu drehen, was namentlich bei den Locomotiven mit
                              									außenliegenden Cylindern, wobei der Hebelarm dieser Drehkräfte am größten ist,
                              									unangenehme Schwankungen in der Bewegung erzeugt.
                           Nach Gleichung (2) ist die Geschwindigkeit v der Bewegung
                              									des Rückstoßes = 0 für β = 135° und β = 315°; sie nimmt aber für β = 45° und β = 225° ihren größten Werth an, nämlich:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 131, S. 418
                              
                           
                           Die Kraft F des Rückstoßes wird nach Gleichung (4) = 0
                              									für β = 45° und β = 225°; sie wird ein Maximum für β = 135° und β =
                              									315°, nämlich:
                           F₁ = ± (c +
                              										L + K) . r . ω² .
                              									√2.
                           Bei den Locomotiven mit gekuppelten Rädern hat man auch noch die auf die Kurbelzapfen
                              									reducirten Massen c₁ der Kuppelungskurbeln und
                              									die Massen L₁ der Kuppelstangen mit in die
                              									Rechnung einzuführen. Wenn die Cylinder außen liegen, so werden die bewegenden
                              									Kurbeln an den Triebrädern auch zur Kuppelung mit benutzt, es ist dann also c = c₁; bei den
                              									Maschinen mit innenliegenden Cylindern befinden sich aber an den Triebrädern
                              									besondere Kuppelungskurbeln, welche den bewegenden Kurbeln an der Triebachse gerade
                              									entgegengesetzt angebracht sind. Es ist für eine Außenseit-Maschine mit 4
                              									gekuppelten Rädern:
                           F = (2c + L + L₁ + K) . r . ω² . (cos
                                 										β – sin β).
                           Deßgleichen mit 6 gekuppelten Rädern:
                           F = (3c + L + 2L₁ + K) . r . ω² . (cos
                                 										β – sin β).
                           Für Innenseit-Maschinen mit 4 gekuppelten Rädern ist:
                           F = (c + L + K – L₁ – 2c₁) . r . ω² . (cos β – sin β).
                           Deßgleichen mit 6 gekuppelten Rädern:
                           F = (c + L + K – 2L₁ – 3c₁) . r . ω² . (cos β – sin β).
                           Die Kuppelstangen und Kuppelungskurbeln sollen bei den Innenseit-Maschinen
                              									auch zugleich als Gegengewichte dienen; ihre vereinigte Masse ist aber bei 4
                              									gekuppelten Rädern zu gering und bei 6 gekuppelten Rädern zu groß, so daß doch noch
                              									immer ein schwächerer horizontaler Rückstoß nach der einen oder andern Richtung hin
                              									übrig bleibt. Bei den Außenseite-Maschinen wird der Rückstoß durch die
                              									Verkuppelung der Räder immer noch bedeutend verstärkt.
                           
                        
                           2. Verticalstörungen.
                           Weil das bedeutende Gewicht der Locomotiven dieselben immer fest auf die Schienen
                              									niederdrückt, so darf man sie in verticaler Richtung nicht als frei beweglich
                              									ansehen, d.h. es können die verticalen störenden Kräfte,
                              									welche durch die Trägheit der bewegenden Maschinentheile erzeugt werden, nicht so wie die horizontalen
                              									Kräfte eine wirkliche Bewegung der ganzen Maschine hervorbringen, sondern sie werden
                              									sich an der Stelle wo sie angreifen, nur durch einen entsprechenden Druck nach oben
                              									oder unten äußern. Weil demnach ein gemeinsames Zusammenwirken der zu beiden Seiten der Maschine
                              									erzeugten Verticalkräfte fast gar nicht stattfindet, so genügt es hier, die Bewegung
                              									überhaupt nur für eine Seite der Maschine, also nur für
                              										ein Triebrad und eine
                              									Kurbel nebst Kolben und Lenkstange zu betrachten. Im Anfang der betrachteten
                              									Bewegung möge die Kurbel sich in horizontaler Lage befinden; ferner möge die Länge
                              									der Lenkstange = l und die Entfernung ihres
                              									Schwerpunktes vom Kopf der Kolbenstange = λ seyn.
                              									Wenn nun das Triebrad sich um den Winkel β dreht,
                              									so wird in verticaler Richtung von der auf den Kurbezapfen reducirten Masse der
                              									Kurbel c der Weg r . sin β und vom Schwerpunkt der Lenkstange der Weg
                              										λ/l . r . sin β
                              									zurückgelegt; bei dem Kolben und der Kolbenstange kann eine Verticalverschiebung
                              									natürlicherweise nicht vorkommen. Man erhält nun durch eine ganz ähnliche Rechnung
                              									wie früher die Größe der verticalen störenden Kraft für eine Seite der Maschine
                              									gleich:
                           (5)    F₁
                              									= ∓ (c + λ/l .
                                 										L) . r . ω² . sin β.
                           Es kommt aber vor allen Dingen darauf an, den Verticaldruck zu bestimmen, welchen das
                              									Triebrad erfährt. Die obige Kraft F₁ besteht nämlich aus den zwei Componenten
                              										c . r . ω². sin
                                 										β und λ/l . L . r . ω². sin
                                 										β, wovon die erste am Kurbelzapfen angreift und ganz und gar auf das
                              									Triebrad übertragen wird, die zweite aber im Schwerpunkt der Lenkstange angreift und
                              									sich theils auf die Geradführung der Kolbenstange und somit auf das darunterliegende
                              									Laufrad, theils auch auf den Kurbelzapfen und folglich auf das Triebrad vertheilt.
                              									Es ist also der Verticaldruck auf das Triebrad gleich:
                           (6)    F₂
                              									= (c + L . λ²/l²)
                              									. r . ω² . sin β.
                           Dieser Verticaldruck F₂, der abwechselnd nach oben
                              									und nach unten wirkt, äußert sich dadurch besonders schädlich, daß er den Druck der
                              									Triebräder auf die Schienen und folglich die Adhäsion zwischen beiden veränderlich
                              									macht und eine ungleiche, an einigen Stellen besonders starke Abnutzung der Räder
                              									und Schienen veranlaßt.
                           Für Locomotiven mit außenliegenden Cylindern mit 4 gekuppelten Rädern ist:
                           F₁ = (2c + L . λ/l + L₁) . r . ω² . sin β.
                           
                           Deßgleichen mit 6 gekuppelten Rädern:
                           F₁ = (3c + L . λ/l + 2L₁) . r . ω² . sin β.
                           Für Innenseit-Maschinen mit 4 gekuppelten Rädern ist:
                           F₁ = (c + L . λ/l + 2c₁ – L₁) . r . ω² . sin
                                 										β.
                           Deßgleichen mit 6 gekuppelten Rädern:
                           F₁ = (c + L . λ/l – 3c₁
                              									– 2L₁) . r .
                              										ω². sin
                                 										β.
                           
                        
                           3. Anwendung der
                                 									Gegengewichte.
                           Schon bei den zuerst erbauten Locomotiven war ein kleines Gegengewicht, wodurch nur
                              									die Kurbel im Gleichgewicht gehalten wurde, an den Triebrädern angebracht; dadurch
                              									reducirte sich die Kraft des horizontalen Rückstoßes auf
                           (L + K) .
                              										r . ω² .
                              										(cos β – sin
                                 										β),
                           und der veränderliche Verticaldruck, welchen ein Triebrad zu erleiden hat, auf
                           L . λ²/l². r . ω². sin
                                 										β.
                           Die englischen Ingenieure vergrößerten später die Masse diese Gegengewichtes,
                              									freilich nur in der Absicht, um die Centrifugalkraft der Kurbel und der Lenkstange
                              									im Gleichgewicht zu halten. Zu dem Ende brachten sie die Triebräder zwischen die
                              									Spitzen einer Drehbank und vermehrten das Gegengewicht so lange, bis es die Kurbel
                              									und die Lenkstange, welche mit dem einen Ende fest aufgehängt war, im Gleichgewicht
                              									hielt. Auf diese Weise erreichten sie indessen noch mehr als sie beabsichtigt
                              									hatten; denn das so gefundene Gegengewicht, dessen Masse, auf. den Kurbelzapfen
                              									reducirt, = c + L . λ/l ist, reicht
                              									gerade hin, um die verticale störende Kraft F₁
                              									vollständig zu vernichten. Auch wird die horizontale störende Kraft dadurch reducirt
                              									auf
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 131, S. 421
                              
                           Als man erkannte, daß auch noch durch diesen Rest der horizontalen störenden Kraft
                              									unangenehme Seitenschwankungen der Locomotiven hervorgebracht wurden, so schlug Heaton vor, anstatt der an den Triebrädern befestigten Gegengewichte eine
                              									gleitende Masse vom Gewicht des Kolbens mit der Kolbenstange zu beiden Seiten am
                              									hintern Ende der Maschine anzubringen und dieselbe durch eine zweite Kurbel und
                              									Lenkstange, welche Theile der bewegenden Kurbel und Lenkstange ebenfalls gleich und
                              									entgegengesetzt sind, in oscillirende Bewegung zu versetzen. Hierdurch würden
                              									allerdings sowohl die Horizontal- als auch die Verticalstörungen vollkommen
                              									aufgehoben werden; allein die Anwendung einer so verwickelten Construction und einer
                              									so bedeutenden tobten Masse erscheint für die Praxis als unausführbar.
                           In Deutschland und Frankreich pflegt man nach Nollau's
                              									Methode am Umfange des Triebrades ein Gegengewicht, dessen Masse, auf den
                              									Kurbelzapfen reducirt, = (c + K + L) ist, anzubringen, wodurch die Kraft des
                              									horizontalen Rückstoßes vollständig, und die Seitenschwankungen wenigstens zum
                              									größten Theil vernichtet werden. Dahingegen wird aber der besonders schädliche
                              									Verticaldruck F₂ auf die Triebräder dadurch noch
                              									etwas vergrößert, nämlich gleich:
                           [K + L .
                              									(1 – λ²/l²)] . r . ω² . sin β,
                           während er nach Gleichung (6) bei der Anwendung von gar keinem Gegengewichte nur
                              									gleich (c + L . λ²/l²)
                              									. r. ω². sin
                                 										β war. Die übeln Folgen dieses Verfahrens sollen im Nachstehenden
                              									näher untersucht und im Einzelnen beleuchtet werden.
                           Zunächst macht der auf die Triebräder wirkende Verticaldruck F₂ die Adhäsion zwischen den Schienen und Triebrädern veränderlich
                              									und bewirkt, daß die Radkränze der Triebräder ungleichmäßig, und zwar an einigen
                              									Stellen vorzüglich stark abgenutzt werden. Hierdurch wird ein öfteres Nachdrehen der
                              									Radkränze erforderlich, was besonders bei den Maschinen mit gekuppelten Rädern sehr
                              									unangenehm und kostspielig ist, weil dabei immer die sämmtlichen verkuppelten Räder
                              									nachgedreht werden müssen, wenn nur eines derselben eine einzige schlechte Stelle
                              									bekommen hat. Uebrigens trägt auch die an der Kurbel angreifende bewegende
                              									Dampfkraft direct dazu bei, um den Verticaldruck auf die Triebräder und folglich
                              									auch die Abnutzung der Räder veränderlich zu machen. Es setzt sich nämlich die
                              									Abplattung der Radkränze aus zwei verschiedenen Ursachen zusammen, theils aus dem
                              									auf die Schienen ausgeübten Verticaldruck, welcher den Radkranz zu zerdrücken sucht,
                              									und theils aus dem Moment der am Kurbelzapfen angreifenden Tangential- oder
                              									Drehkraft, welche alle passiven Widerstände und namentlich die Reaction der Schienen
                              									überwinden muß und
                              									deßhalb fortwährend zur Abnutzung der Radkränze durch Abreiben oder Abschleifen
                              									beiträgt. Wenn P den auf den Kolben ausgeübten wirksamen
                              									Dampfdruck bezeichnet, so ist der veränderliche Theil V
                              									des auf dem Triebrade lastenden Verticaldruckes gleich:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 131, S. 423
                              
                           Der Tangentialdruck T am äußeren
                              									Umfange des Radkranzes, dessen Halbmesser = R seyn möge,
                              									ist gleich:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 131, S. 423
                              
                           Wenn der Dampfdruck P constant
                              									ist, so werden die Werthe von V und T ein Maximum für β =
                              									90°. Bei allen Maschinen aber, wo Expansion oder Absperrung des Dampfes
                              									stattfindet, ist der Werth von β, wobei V und T ein Maximum werden,
                              									um desto kleiner als 90°, je kürzer die Zeitdauer des freien Dampfzutrittes
                              									ist, wie sich dieses auch aus vielfachen Erfahrungen und angestellten Versuchen
                              									ergibt. Derartige Beobachtungen über die Stellen der größten Abnutzung an den
                              									Radkränzen sind nur mit großer Schwierigkeit und Sorgfalt, mit Sicherheit wohl nur
                              									auf der Drehbank vorzunehmen, weil solche eingedrückte Stellen sich durch das bloße
                              									Auge oder durch einfache Berührung fast niemals erkennen lassen.
                           Hinsichtlich der nöthigen Festigkeit, die man den Schienen zu geben hat, ist der
                              									Einfluß eines periodisch größeren Druckes der Triebräder auf die Schienen ebenfalls
                              									ein Gegenstand von großer Wichtigkeit, weil man dadurch gezwungen wird, erheblich
                              									stärkere und kostbarere Schienen anzuwenden, als bei einer gleichmäßigen Belastung
                              									derselben nöthig seyn würde. Man pflegt zwar bei der Vertheilung des Gewichtes einer
                              									Locomotive auf deren drei Achsen die der Triebachse zu ertheilende Belastung so
                              									gering anzunehmen, als es die erforderliche Adhäsion nur irgend zuläßt; aber diese
                              									Vorsicht gewährt wenig Nutzen, wenn die Belastung der Triebräder periodisch um 60
                              									bis 80 Procent zu- und abnimmt. Der Einfluß einer solchen veränderlichen
                              									Belastung auf die Schienen kann sich nur bei sehr großen Geschwindigkeiten der Züge,
                              									wobei die Zeitdauer der Einwirkung auf dieselbe Stelle zu kurz ist, verhältnißmäßig
                              									weniger stark äußern; allein aus allen darüber angestellten Versuchen ergibt sich,
                              									daß in diesem Fall auch die constanten Belastungen immer ungemein schädlich auf die
                              									Schienen einwirken, weßhalb das schnelle Fahren überhaupt unzulässig und zu
                              									gefahrvoll ist.
                           Es ist ferner zu befürchten, daß durch den veränderlichen Verticaldruck, welcher an
                              									jedem Triebrade angreift und bald nach oben, bald nach unten, wirkt, ein
                              									Entgleisen der Triebräder verursacht werde, und zwar nicht ohne Grund, denn dasselbe
                              									ist auf der französischen Nordbahn wirklich dreimal bei Maschinen, die nach dem
                              									Systeme Crampton's erbaut waren, vorgekommen. Obgleich
                              									auch einige andere Umstände, namentlich die bei einer großen Geschwindigkeit leicht
                              									vorkommenden Stöße und eine gewisse Unregelmäßigkeit in der Vertheilung des
                              									Gewichtes der Maschine auf die drei Achsen, zu diesen Unfällen mit beigetragen haben
                              									mögen, so sind dieselben doch hauptsächlich dem Einfluß der trägen Masse des
                              									Gegengewichtes zuzuschreiben. Es ist auch leicht durch Rechnung zu zeigen, daß jener
                              									Einfluß öfters schon fast allein für sich hinreicht, um ein Triebrad in die Höhe zu
                              									heben. Es sey nämlich eine Maschine zu betrachten, welche 27 Tonnen wiegt, und zwar
                              									möge dieses Gewicht gleichmäßig auf alle sechs Räder der Maschine vertheilt seyn, so
                              									daß jedes Rad eine Belastung von 4500 Kilogr. trägt. Das Gewicht der Kolbenstange
                              									sey = 159 Kil., des Kolbens = 20 Kil., der Lenkstange = 135 Kil., das Gewicht der
                              									Kurbel auf den Kurbelzapfen reducirt = 60 Kil., also das Gegengewicht für
                              									horizontales Gleichgewicht, auf den Kurbelzapfen reducirt, = 159 + 20 + 135 + 60 =
                              									374 Kil., der Kurbelhalbmesser r = 0,275 Meter, und das
                              									Verhältniß λ/l = 3/5.
                              									Wenn ferner der Durchmesser der Triebräder = 2,10 Meter ist, und die Locomotive
                              									einen Schnellzug mit einer Geschwindigkeit von 90 Kil. per Stunde oder 25 Meter per Secunde zu
                              									fördern hat, so ist die Winkelgeschwindigkeit ω
                              									der Triebachse = 25/1,05 = 23,81, und es wird für β = – 90° das Maximum der verticalen störenden Kraft
                              									für ein Triebrad gleich:
                           F₂ = + [(159 + 20) + 135 .
                              									{1 – (3/5)²}] . 0,275 . 23,81².
                           F₂ = 4217 Kilogramme.
                           Es erfährt also das Triebrad in dem Augenblick, wenn β = – 90° ist, d.h. wenn die Kurbel
                              									ihre tiefste Stellung erreicht hat, einen Verticaldruck von unten nach oben, welcher
                              									beinahe der auf dem Rade ruhenden Belastung gleichkommt, so daß schon ein geringes
                              									äußeres Hinderniß genügen wird, um das Rad in diesem Augenblick über die Schienen
                              									emporzuheben.
                           Die Anwendung des Gegengewichtes für horizontales Gleichgewicht bringt endlich auch
                              									noch den Uebelstand mit sich, daß das Gewicht der ganzen Maschine, welches man sonst
                              									doch auf jede mögliche Weise einzuschränken sucht, durch die ausnehmend große todte
                              									Masse des Gegengewichtes so sehr vermehrt wird. Schon das Gegengewicht für verticales Gleichgewicht
                              									erfordert, namentlich bei den Maschinen mit gekuppelten Rädern und außenliegenden
                              									Cylindern, eine ziemlich bedeutende todte Masse.
                           Wie sich aus den obigen Betrachtungen ergibt, so sind unter den Horizontal-
                              									und Verticalstörungen die letzteren als das größere Uebel bei der Bewegung der
                              									Locomotiven anzusehen und deßhalb vor allen Dingen möglichst vollständig zu
                              									vernichten. Diesen Zweck erfüllt nun das Gegengewicht für verticales Gleichgewicht,
                              									indem es gleichzeitig die Horizontalstörungen erheblich vermindert; die Anwendung
                              									des Gegengewichtes für horizontales Gleichgewicht ist dagegen unzweckmäßig zu
                              									nennen, weil dadurch zwar die Horizontalschwankungen größtentheils beseitigt, aber
                              									die besonders schädlichen Verticalstörungen noch verstärkt werden. Da es nun
                              									unmöglich zu seyn scheint, durch ein einfaches Mittel sowohl die Vertical-
                              									als auch die Horizontalstörungen vollkommen aufzuheben, so muß die einstimmige
                              									Ansicht der englischen Ingenieure, daß man sich am besten mit der Anwendung des
                              									Gegengewichtes für verticales Gleichgewicht begnügt,
                              									unbedingt gebilligt werden, weil dadurch das größere Uebel vollständig beseitigt und
                              									das kleinere fast um die Hälfte vermindert wird. Der Rest der horizontalen störenden
                              									Kraft, welcher bei Anwendung jenes Gegengewichtes noch übrig bleibt, schadet
                              									übrigens auch nur wenig, besonders seitdem in der neueren Zeit mannichfache, auf
                              									eine größere Stabilität hinzielende Verbesserungen in der Construction der
                              									Locomotiven, z.B. die Verlegung der Triebachse unter das hintere Ende bei den
                              									Maschinen für Schnellzüge, eingeführt worden sind.