| Titel: | Ueber Anfertigung der Büretten; von Dr. Alexander Müller. | 
| Autor: | Alexander Müller | 
| Fundstelle: | Band 136, Jahrgang 1855, Nr. XXXV., S. 121 | 
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                        XXXV.
                        Ueber Anfertigung der Büretten; von Dr. Alexander Müller.
                        Müller, über Anfertigung der Büretten.
                        
                     
                        
                           Zu den bekannten Schwierigkeiten, welche sich bei Graduirung der Maaßröhren im
                              Allgemeinen geltend machen, kommt für die Büretten noch der Umstand, daß weniger auf
                              die Menge einer Flüssigkeit, welche in die Röhre eingefüllt werden kann, Rücksicht
                              zu nehmen ist, als vielmehr auf die Menge, welche bei einem Versuch herausfließt. Je
                              nach der Consistenz der Flüssigkeit einestheils, je nach dem Verhältniß der
                              Gefäßwandung zum Inhalt anderntheils, wird der durch Flächenanziehung
                              zurückgehaltene Bruchtheil ein verschiedener seyn. Da bei volumetrischen Versuchen
                              fast durchgängig sehr verdünnte wässerige Lösungen angewendet werden, so ist die
                              Verschiedenheit in ersterer Beziehung für die verschiedenen Reagentien verschwindend
                              klein; nicht so verhält es sich mit der durch ungleiche Wandfläche bedingten
                              Verschiedenheit, indem der zurückbleibende Bruchtheil Flüssigkeit sich vergrößert,
                              sowohl wenn der Querschnitt der Röhre von der Kreisform sich mehr und mehr entfernt,
                              als auch wenn er kleiner und kleiner wird. Aus diesen Gründen ist die Calibrirung
                              und Eintheilung der Büretten nach ausgewogenen Quecksilbermengen, wobei der
                              Capillarität wässeriger Flüssigkeiten keine Rechnung getragen wird, nicht zu
                              empfehlen; streng genommen müßte die Bürette nach den ausgewogenen Mengen derjenigen
                              Flüssigkeit, für welche man sie später benutzen will, graduirt werden; indeß, wenn
                              es sich um sehr verdünnte wässerige Lösungen handelt, kann man die Eintheilung nach
                              dem ausfließenden Wasser ohne praktisch fühlbaren Fehler treffen.
                           Hätte man immer reincylindrische Röhren zur Verfügung, so würde es nur nöthig seyn,
                              die zwischen einem obersten und untersten Punkt befindliche Flüssigkeitssäule nach
                              Höhe und Gewicht zu bestimmen und die für eine Maaßeinheit berechnete Größe nach und
                              nach auf die Röhre aufzutragen; aber Jeder, der sich nur einigermaßen mit
                              Anfertigung von Maaßröhren beschäftigt hat, wird wissen, daß unter tausend Röhren
                              kaum eine auf gleiche Länge gleiche Volumina faßt, also cylindrisch ist. Wenn nun
                              die gewöhnlichen Röhren überhaupt zu Maaßröhren benutzt werden sollen, bleibt nichts
                              übrig, als entweder durch, den aufzutragenden Maaßeinheiten der Zahl nach
                              entsprechende Gewichtsbestimmungen der ausgeflossenen Flüssigkeitsmengen eine
                              Interpolation zu umgehen, oder diese letztere auf mathematischem Wege aus wenigen,
                              jedenfalls aber mehr als zwei genauen Bestimmungen zu realisiren.
                           
                           Die erste Methode ist unendlich mühsam und überdieß wegen mechanischer
                              Schwierigkeiten im Ablesen des Flüssigkeitsmeniskus doch nicht absolut genau; die
                              zweite Methode, streng wissenschaftlich ausgeführt, würde verlangen, daß man vorerst
                              den Querschnitt der Röhre prüfte, ob er kreisrund, oval, elliptisch u.s.w. ist,
                              ferner in welchem Verhältniß die Querschnitte verschiedener Höhen zu einander
                              stehen, daß man aus diesen Daten eine Regelmäßigkeit suchte und endlich nach dem
                              gefundenen Verjüngungsverhältniß die Höhe der sich folgenden Kubikcentimeter
                              berechnete.
                           Um den hierbei aufstoßenden Schwierigkeiten, bei welchen der Werth der Arbeit
                              durchaus nicht dem Kraftaufwand entspricht, welche mitunter selbst unüberwindlich,
                              höchstens zu interessanten Uebungsaufgaben der höhern Mathematik führen,
                              auszuweichen, fühlt man sich zuvörderst versucht, eine dem Cylinder sich nähernde
                              Röhre als einen abgestumpften Kegel zu betrachten, und es läßt sich allerdings, wenn
                              man die Gesammthöhe und den Gesammtinhalt desselben durch Maaßstab und Waage
                              ermittelt, darauf den fraglichen Kegel in kleinere abgestumpfte Kegel zertheilt und
                              auch für diese die nöthigen Größen bestimmt hat, nach den bekannten Gleichungen und
                              mit einiger Beharrlichkeit ableiten, welche Höhe von einem Gramm Wasser in einem
                              beliebigen Theil des Kegels beansprucht wird. An Genauigkeit würde eine solche
                              Berechnung für die praktischen Ansprüche wenig zu wünschen übrig lassen, an
                              Leichtigkeit aber wohl viel. Ich gebe im Folgenden eine schneller zum Ziele führende
                              Methode, die sich auf eine andere, wie mich bedünkt, mindestens ebenso annehmbare
                              Voraussetzung stützt.
                           Richten wir unsern Blick auf die Entstehung der Glasröhren: Eine Glaskugel wird etwas
                              ausgeblasen, von einer zweiten Pfeife mitgefaßt und unter Nachfluß der nöthigen
                              Menge Luft bis zur Röhrenform ausgezogen. Geht die Abkühlung langsam von statten und
                              wird dabei zuviel Luft eingeblasen, so ist die entstandene Röhre in der Mitte am
                              weitesten und verengt sich nach den beiden Enden hin; kühlt aber die Glasmasse von
                              den Pfeifen her schnell ab und fließt während des Ausziehens nur wenig Luft nach, so
                              zeigt die Röhre die entgegengesetzte Gestalt; ein reiner Cylinder ist ein seltenes
                              Product, da sich für seine Bildung die widerstrebenden Einflüsse genau neutralisiren
                              müssen; am häufigsten findet man eine Verengerung der Röhre in der Mitte.
                           Nach dieser Genesis kann der Längenschnitt einer nicht cylindrischen Röhre nur durch
                              zwei Curven begränzt seyn, deren Zweige man in den meisten Fällen divergent finden
                              wird. Wenn demnach eine eigentliche Kegelform an den gewöhnlichen Röhren nicht
                              denkbar ist, so wird man sich der Wahrheit mehr nähern, indem man die in der Mitte verengerte Röhre nach
                              beiden Seiten hin aus unendlich vielen Cylindern zusammengesetzt sich denkt, deren
                              Querschnitte nach einer geometrischen Progression zunehmen, deren Höhen in demselben
                              Verhältniß abnehmen, von denen also der nächste immer das gleiche Volum des
                              vorhergehenden besitzt. Je kleiner der Name der Progression ist, um so mehr wird
                              sich die Röhrenform von der Form einer Tuba entfernen und wird in den Cylinder
                              übergehen, wenn der Name gleich 1 ist, denn beim Cylinder verhalten sich die Höhen,
                              so wie die Querschnitte der Stücke von gleichem Volum, wie 1 zu 1. Wir haben nach
                              dieser Betrachtungsweise nur nöthig, an einigen Theilen einer Röhre das Verhältniß
                              zwischen Höhe und Volum zu ermitteln, und können dann in äußerst einfacher Weise die
                              Calibrirung der zwischenliegenden Röhrentheile durch Berechnung oder Construction
                              interpoliren.
                           
                        
                           Auswahl der Glasröhren.
                           Die Graduirung wird um so wahrheitsgetreuer seyn, je mehr sich die Röhre dem Cylinder
                              nähert; darum habe man bei Auswahl der Glasröhren darauf besonders Acht, daß man
                              sich eine möglichst cylindrische Röhre verschaffe; die Röhre darf im Durchmesser der
                              verschiedenen Theile nur geringe Abweichungen zeigen und auch diese nur in dem
                              obenbemerkten Sinne. Der Querschnitt muß außerdem möglichst kreisrund seyn, muß
                              wenigstens der etwa vorkommenden elliptischen oder ovalen Form überall treu bleiben.
                              Für ein gutes und haltbares Instrument ist ferner zu berücksichtigen, daß die Röhre
                              rein im Glase sey und weder Knoten noch offene Blasen habe, durch welche sowohl die
                              Gleichmäßigkeit des Raumes gestört als die Dauerhaftigkeit beeinträchtigt wird. Auch
                              die Farblosigkeit des Glases möge man nicht vernachlässigen, weil diese nicht nur
                              einen angenehmen Eindruck macht, sondern auch die Reinheit des Reagens leichter
                              beurtheilen läßt.
                           Die Dimensionen hängen zwar hauptsächlich von der Bestimmung der Büretten ab, doch
                              könnten auch dafür einige Andeutungen am Orte seyn. Es ist im Allgemeinen rathsam,
                              den Durchmesser nicht unter 5 Millimeter und nicht über 15 Millimeter zu wählen,
                              indem bei engeren Röhren das Verhältniß der Wandfläche zum Inhalt ein zu
                              ungünstiges, bei weiteren aber ein genaues Ablesen kleiner Kubikcentimetertheile
                              unmöglich wird. Die Länge hat man nach der Weite zu bemessen; 200 bis 300 Millimeter
                              scheinen mir die passendsten Gränzen, indem die kürzeren ein öfteres Auffüllen
                              erfordern, die längeren aber lästig im Gebrauche sind, oder den kürzeren wohl gar in
                              Genauigkeit (wegen des langsamen Sammelns der Flüssigkeit in den letzten
                              Kubikcentimetern) nachstehen.
                           Die Wandstärke kann bei weitem Lumen 2 Millimeter, darf bei sehr engem nicht unter 1
                              Millimeter betragen; die starkwandigen Röhren sind zwar weniger zerbrechlich und
                              gestatten eine tiefere Gravirung, dagegen erschweren sie das genaue Ablesen der
                              Theilstriche wegen des Einflusses einer parallactischen Beobachtung.
                           
                        
                           
                              Die Form der Bürette
                              
                           verdient gewiß auch einige Bemerkungen. Soll man die Form der französischen
                              Schwanhalsbürette, oder die der englischen Schnabelbürette, oder die der Bolley'schen Spritzflaschenbürette, oder die der Mohr'schen Quetschhahnbürette vorziehen? Wenn die Bürette
                              nicht zu gleicher Zeit als Maaßrohr zum Mischen von Flüssigkeiten nach bestimmten
                              Volumen dienen soll, entscheide ich mich ganz unbedingt für die Quetschhahnbürette.
                              Es vereinigt diese Construction so viel Bequemlichkeit und Sicherheit des Gebrauchs,
                              daß sie zweifelsohne in Kurzem die Büretten anderer Einrichtung verdrängt haben
                              wird. Zu der von Mohr gegebenen Beschreibung würde ich
                              mir nur noch die Bemerkung erlauben, daß es rathsam ist, die Ränder der oberen
                              Oeffnung lieber durch Abschleifen als durch Verschmelzen abzurunden, weil bei etwas
                              schnellerer Abkühlung das Rohr leicht einen Zustand der Spannung erlangt, welche es
                              bei geringen Erschütterungen springen macht; ferner daß man das untere Ende
                              möglichst dickwandig auszieht und die Spitze in der Glasbläserflamme etwas
                              knopfförmig anschwellen lasse, um einestheils die Zerbrechlichkeit zu vermindern,
                              anderntheils um ein Abrutschen des Quetschhahns zu erschweren.
                           
                        
                           Das Calibriren.
                           Wenn die Bürette nach den Mengen ausfließenden Wassers calibrirt werden soll, ist die
                              erste Bedingung, daß die innere Glaswandung an allen Theilen gleichmäßig von Wasser
                              benetzt werde, daß dieses von allen Punkten gleichmäßig abfließe, ohne Tropfen zu
                              bilden. Man erreicht diese Beschaffenheit der Röhre dadurch, daß man mit einem
                              Gemenge von Aether und Weingeist und mit Kupferoxyd oder einem andern harten aber
                              doch nicht Glas ritzenden und nicht zu feinkörnigen Pulver ausscheuert, darauf mit
                              verdünntem Weingeist und endlich mit destillirtem Wasser wiederholt ausspült. Man
                              bezeichnet sich nun durch feine, möglichst vertical über einander liegende
                              Diamantritze oder Feilstriche die ungefähre Ausdehnung der Scala, welche auf der Bürette angebracht
                              werden soll, theilt sich ferner von diesem obersten und untersten Punkt der Scala
                              nach der Mitte hin etwa den achten bis zehnten Theil durch ähnliche Marken ab und
                              schreitet jetzt zur Gewichtsermittelung der Wassermengen, welche zwischen zweien
                              solcher Einritzungen im Rohr enthalten sind. Angenommen, wir hätten es mit einer
                              Quetschhahnbürette zu thun, so senken wir die Spitze des gut befestigten
                              Quetschhahns in reinstes Wasser von gewöhnlicher Zimmertemperatur
                              (17°–18° C.) und saugen dieses vermittelst eines über die obere
                              Oeffnung der Bürette gezogenen Kautschukröhrchens in die Höhe, bis die oberste Marke
                              überschritten ist. (Durch Auffüllen von oben würde im Quetschhahn, selbst bei
                              theilweisem Ausfließenlassen des Wassers, ein Luftbläschen sich vorfinden, das unter
                              Umständen entweder nach oben aufsteigen oder nach unten fortgerissen werden und
                              somit die Richtigkeit späterer Gewichtsbestimmungen beeinträchtigen könnte.) Wir
                              klemmen das gefüllte Rohr vertical ein und lassen mit vorsichtiger Oeffnung des
                              Hahns wieder soviel Wasser austropfen, daß die untere, am besten wahrnehmbare
                              Begränzung des Meniskus, in horizontaler Richtung betrachtet, mit der obersten Marke
                              in der Glaswand zusammenfällt. Von diesem Punkt an fängt man das durch den
                              wiedergeöffneten Hahn bis zur nächsten Marke ausfließende Wasser in einem tarirten
                              Gefäß auf und bestimmt auf diese Weise nach und nach das Gewicht der Wassersäulen,
                              welche durch die Marken abgegränzt sind; daß man aber vor jedesmaliger Wägung sich
                              vergewissert haben muß, ob das Niveau des Wassers durch Abfließen von der
                              Röhrenwandung noch steigt oder constant bleibt, was schon nach wenigen Minuten der
                              Fall ist, ist eine selbstverständliche Forderung. Bei einiger Aufmerksamkeit lernt
                              man bald alle Umstände so beachten, daß ein abermaliges, der Controle halber
                              vorgenommenes Auswägen des Röhreninhalts identische Werthe liefert.
                           Die nächste Aufgabe ist, die Höhen der gewogenen Flüssigkeitssäulen oder mit andern
                              Worten, die Entfernungen der eingeritzten Merkzeichen zu bestimmen. Direct findet
                              man die gesuchten Größen, indem man durch einen auf Spiegelglas aufgetragenen
                              Maaßstab hindurch, der noch Zehntelmillimeter angeben muß, die Marken aufsucht und
                              die Höhenunterschiede notirt. In Ermangelung eines solchen Maaßstabes hilft man sich
                              folgenderweise: man reibt die Marken mit Farbstaub ein, deckt einen Streifen festen
                              Briefpapiers darauf und drückt ihn mit einem Falzbein an, wobei der Farbstaub dem
                              Papier anhaftet, oder man hält die mit dem Papier umgebene Röhre gegen das Licht und
                              ritzt mit einem scharfen Instrumente die Stellen ein, wo eine Marke durchscheint; in
                              beiden Fällen hat man noch mittelst eines Cirkels und Maaßstabes die Entfernungen
                              auszumessen.
                           
                           Nachdem dieß geschehen, sind wir in den Stand gesetzt zu entscheiden, ob die
                              betreffende Glasröhre ein Cylinder ist oder nicht. Bei einer cylindrischen Röhre
                              müssen die Quotienten der gemessenen Flüssigkeitssäulenhöhen in den zugehörigen
                              Gewichtsmengen gleich seyn; nehmen die Quotienten nach einer Seite hin ab, so haben
                              wir eine Röhre vor uns, deren Querschnitt nach einer Seite hin sich verkleinert,
                              eine Röhre, auf welche die oben berührte Betrachtungsweise anzuwenden ist. Das wie?
                              besprechen wir am besten, indem wir uns auf einen concreten Fall beziehen.
                           
                        
                           Eintheilung der Röhre.
                           Es betrug bei einer anzufertigenden Mohr'schen Bürette die
                              Entfernung der zweiten Marke von der obersten 21,6 Millimeter, das ausgewogene
                              Wasserquantum aber 3,924 Gramme; die Entfernung der zweiten und dritten Marke 139,2
                              Millim., das zugehörige Wasserquantum 23,842 Grm., und endlich die Entfernung der
                              dritten und vierten Marke 25,6 Millimet. mit 4,280 Grm. Wasser. Daraus folgte für 1
                              KubikcentimeterWie es bei der Gewichtsanalyse, weil man es nur mit Verhältnißzahlen zu thun
                                    hat, gleichgültig ist, ob die benutzten Grammengewichte genau mit dem
                                    Pariser Normalgewicht übereinstimmen, wenn sie nur mit ihren
                                    Unterabtheilungen harmoniren, so ist man auch bei Eintheilung der Büretten
                                    nicht gehalten als Volumeinheit genau den Pariser
                                    Normal-Kubikcentimeter anzunehmen. Es scheint mir im Gegentheil
                                    angemessener und bei weitem bequemer, daß man für volumetrische Zwecke als
                                    Volumeneinheit den Raum annimmt, den 1 Gramm reinsten Wassers von
                                    17,5° C. nach dem Gewichtsatz des analysirenden Chemikers gewogen,
                                    ausfüllt, und ich halte es für unbedenklich diesem Raum den Namen
                                    Kubikcentimeter zu belassen. im obersten Röhrenstück die Höhe durchschnittlich zu 21,6/3,924 = 5,5 Mm.;
                              im darunterliegenden zu 139,2/23,842 = 5,8 Millimeter und im tiefsten zu 25,6/4,280
                              = 6,0 Mm. Die Zunahme der Quotienten zeigt an, daß man eine nach unten sich
                              verjüngende Röhre vor sich hat, doch ist der Unterschied nicht so bedeutend, daß
                              diese Röhre nicht noch als Bürette benutzt werden könnte. Ich ziehe mir nun auf
                              glattem festem Papier eine etwa 200 Millimeter lange gerade Linie und trage auf ihr
                              eine entsprechende Größe, etwa 5 Millimeter, von einer Seite her so oft auf, als die
                              ausgewogene Röhre Gramme oder Kubikcentimeter Wasser faßte, in vorliegendem Beispiel
                              32, errichte im zweiten Theilpunkt ein Perpendikel von 22,0 Millimeter Höhe (d. i.
                              die Höhe von 4 Kubikcentimetern Wasser im obersten Röhrentheil), deßgleichen im
                              drittletzten Theilpunkt ein Perpendikel von 23,9 Mm. Höhe (d. i. die Höhe von 4 Kubikcentimetern
                              Wasser im untersten Röhrentheil) und verbinde diese beiden Perpendikel durch eine
                              Gerade. Jedes fernere in irgendwelchem Punkt der ersten Linie errichtete und bis an
                              die zweite Linie verlängerte Perpendikel gibt mir bei obenbemerkter Annahme die
                              vierfache Höhe, welche der dem Errichtungspunkt entsprechende Kubikcentimeter in der
                              Röhre beansprucht; ein im 8ten Theilpunkt errichtetes Perpendikel hat die vierfache
                              Höhe des 8ten Kubikcentimeters u.s.f.
                           Um mit Hülfe dieser Perpendikel die Bürettenscala zu entwerfen, hat man vorerst auf
                              passendem Papier eine Gerade zu ziehen, deren Länge ungefähr die der Bürette
                              erreicht, und sodann auf diese die Marken der Bürette zu übertragen. Jetzt nimmt man
                              22,0 Millim. in den Cirkel und trägt sie von der dem obern Röhrentheil
                              entsprechenden Seite her auf die Gerade auf; in gleicher Weise trägt man von diesem
                              Punkt aus das im 6ten Theilpunkt errichtete Perpendikel, welches die Höhe des dem
                              5ten bis 8ten Kubikcentimeter zugehörigen Röhrenstücks bezeichnet, auf und fährt so
                              fort mit dem Perpendikel im 10ten, 14ten, 18ten bis 30ten Theilpunkt. Mit diesem
                              letzten Perpendikel müßte man, wenn Alles gut zusammentrifft, den Punkt der
                              untersten Röhrenmarke nahezu erreichen, da das ausgewogene Röhrenstück 32,046 Gramme
                              oder Kubikcentimeter faßte und das letzte Perpendikel die Länge für den 29ten bis
                              32ten Kubikcentimeter angab; der Rest müßte genau gleich (0,046 × P₃₂)/4 seyn, worin P₃₂ das im 32ten Theilstrich errichtete Perpendikel
                              bedeutet. Da es aber bei obigem Verfahren durch Summation kleiner Fehler leicht
                              kommen kann, daß der Rest nicht mit der berechneten Zahl zusammentrifft, so dürfte
                              es gerathener seyn, die Eintheilung der Scala gleichzeitig vom Ende her vorzunehmen
                              und zwar so, daß wir als Endpunkt der Scala den Punkt annehmen der von der letzten
                              Bürettenmarke um (0,046 × P₃₂)/4
                              entfernt ist. Unzweifelhaft können wir nach dieser Methode leichter eine Differenz,
                              welche sich für die Röhrenlänge des 14ten bis 18ten Kubikcentimeters ergeben sollte,
                              durch geringe Abänderungen in der Länge der aufgetragenen Perpendikel
                              beseitigen.
                           Nachdem wir gewissermaßen ein Gradnetz für die Bürettenscala gewonnen haben, macht
                              die Eintragung der einzelnen Kubikcentimeter und deren Unterabtheilungen wenig
                              Schwierigkeit. Ein im ersten Theilstrich errichtetes Perpendikel dividirt durch 2
                              gibt die Länge der ersten beiden Kubikcentimeter, das halbe Perpendikel im 3ten
                              Theilstrich die Länge für den 3ten und 4ten Kubikcentimeter u.s.w. Man könnte die
                              gleiche Methode für die
                              weiteren Untereintheilungen benutzen, doch werden bei so geringer Verengerung der
                              Röhre, wie in unserm Beispiel, die Unterschiede der Röhrenlängen so verschwindend
                              klein, daß man sie ohne Fehler einander gleich setzen kann.
                           Für jede andere Röhre wird sich aus dem hier Gegebenen das geeignetste Verfahren
                              leicht ableiten lassen. Man wird aber gut thun, anfänglich lieber größere Theile der
                              Scala als wie in unserm Fall den 8ten Theil, etwa den 5ten, 4ten oder 3ten Theil
                              abzugränzen.
                           Man vollendet die Construction der Scala in bekannter Weise dadurch, daß man die
                              verschiedenwerthigen Punkte der Zehner, Fünfer, Einer u.s.w. der Kubikcentimeter mit
                              längeren oder kürzeren Querlinien markirt.
                           
                        
                           Das Graduiren.
                           Gewöhnlich klebt man die Papierscala auf die Glasröhre auf – wegen hierbei
                              eintretender Erweichung und kaum vermeidlicher Linearveränderung des Papierstreifens
                              ziehe ich vor, denselben seitlich so weit zu beschneiden, daß er, zur Rinne gebogen,
                              die innere Röhrenwandung bis auf einen schmalen Streifen auskleidet, ihn um einen
                              Glasstab zu legen und in die Röhre einzuschieben, bis die auf dem Papier
                              befindlichen Versuchsmarken mit den Originalmarken auf dem Glas genau coincidiren.
                              Die Uebertragung der Theilstriche auf die Röhre kann in verschiedener Weise
                              realisirt werden; am elegantesten fällt die Graduirung aus, wenn die Röhre mit einem
                              recht durchsichtigen Firniß überzogen, mittelst des Westhoff'schen Apparats nach den durchscheinenden Theilstrichen
                              eingeritzt, mit Nummern versehen und mit Flußsäuredampf oder mit einer
                              schwefelsauren Lösung von Fluorammonium (auch Fluornatrium) geätzt wird.
                           Einfacher und bei einiger Uebung ebenfalls nicht ungefällig kann die Graduirung
                              folgendermaßen vorgenommen werden: Man schiebt auf die Röhre eine kurze gut
                              anschließende und etwas federnde Blechrinne (am besten von Stahl), die an beiden
                              Enden genau rechtwinkelig gegen ihre Achse abgeschnitten ist, visirt eine Kante
                              genau vertical auf eine durchscheinende Linie und ritzt in gehöriger Ausdehnung mit
                              einer englischen Glasfeile ein. Weniger bequem für diesen Zweck finde ich die
                              Benutzung einer Diamantfeder, während sie für Einritzung der Kubikcentimeterzahlen
                              unentbehrlich ist.
                           Schlüßlich versichere man sich der Richtigkeit der Bürette durch Auswägen des
                              Inhaltes; die Bürette wird, wie oben bemerkt, gereinigt, mit Quetschhahn versehen,
                              mit Wasser durch Aufsaugen gefüllt und vertical eingeklemmt. Man stellt nun die
                              untere Begränzung des Meniskus auf einen Theilstrich, fängt das ferner ausfließende
                              Wasser in einem tarirten Gefäß auf, wägt und vergleicht das Gewicht mit der
                              Differenz der Theilstriche. Bei einer Bürette, welche auf ungefähr 10 Millimeter
                              Höhe 1 Kubikcentimeter faßte, erhielt ich Zahlen, welche höchstens um 1/50 Gramm
                              gegen das geforderte Gewicht differirten; vielfache Erfahrungen ähnlicher Art lassen
                              mich hoffen, daß auch Andere zu gleich erfreulichen Resultaten gelangen werden.