| Titel: | Ueber das Talgschmelzen ohne Geruch; von Professor W. Stein in Dresden. | 
| Fundstelle: | Band 136, Jahrgang 1855, Nr. LVI., S. 226 | 
| Download: | XML | 
                     
                        LVI.
                        Ueber das Talgschmelzen ohne Geruch; von
                           Professor W. Stein in
                           Dresden.
                        Aus dem polytechn. Centralblatt, 1855, Liefer.
                              8.
                        Stein, über das Talgschmelzen ohne Geruch.
                        
                     
                        
                           Das Talgschmelzen hat bekanntlich die Trennung des Fettes von der Substanz der
                              Zellen, in denen es eingeschlossen ist, zum Zweck, und mithin die Aufgabe, das
                              Austreten des ersteren aus letzteren zu bewirken. Dieß geschieht auf zweierlei
                              Weise: entweder wird nämlich der rohe Talg erhitzt, wodurch die Zellenmembran
                              austrocknet, sich zusammenzieht und zerreißt, trocknes
                                 Schmelzen; oder der Talg wird mit verdünnter Schwefelsäure (Verfahren von
                              Lefèvre) oder verdünnter Aetzlauge (Verfahren
                              von Evrard), welche beide die Zellensubstanz lösen oder
                              wenigstens brüchig machen, gekocht, nasses Schmelzen.
                           Wenn es sich um das Ausschmelzen von reinem, frischem Talg handelt, so ist es
                              rücksichtlich des Erfolges gleichgültig, welches Verfahren man wählt, nur erhält man
                              beim trocknen Schmelzen Griesen, die als Futter für Schweine oder zur
                              Blutlaugensalzfabrication verwendbar sind, während man die Rückstände des nassen
                              Schmelzens nur als Düngemittel verwerthen kann. Sobald dagegen Talg verschmolzen werden
                              muß, der mit häutigen, fleischigen und sehnigen Theilen stark untermischt ist, so
                              verdient das nasse Schmelzen darum den Vorzug, weil beim trocknen Schmelzen leichter
                              ein Anbrennen der letztgenannten Theile stattfindet und viel Fett in den Griesen
                              stecken bleibt. Diese Theile gehen überdieß bald in Fäulniß über und sind Ursache,
                              daß sich beim Ausschmelzen des Talges ein ekelerregender Gestank entwickelt, welcher
                              die Nachbarschaft der Seifensiedereien weithin belästigt und in Städten zu häufigen
                              Beschwerden führt.
                           Durch derartige Beschwerden wurde ich veranlaßt, mich mit diesem Gegenstande zu
                              beschäftigen und Erfahrungen zu machen, die ich nicht anstehe mitzutheilen, da auch
                              in anderen Städten die nämlichen Verhältnisse die nämlichen Uebelstände mit sich
                              führen.
                           In allen Seifensiedereien ist es unmöglich, nur reines und frisches Material zu
                              verarbeiten. Man sondert zwar das erstere von dem mit häutigen Theilen u.s.w.
                              untermischten, um es für sich allein auszuschmelzen, allein das letztere kann nicht
                              weggeworfen, es muß möglichst vollständig zu gute gemacht werden. Dieß ist jedoch
                              nur durch Ausschmelzen am besten zu ermöglichen und darum wird es so lange
                              angesammelt, bis eine hierzu ausreichende Menge beisammen ist. Während dieser Zeit
                              schreitet aber die Fäulniß, besonders im Sommer, sehr weit vor, und die Folge davon
                              ist ein unerträglicher Gestank beim Ausschmelzen solcher Fettmassen. Um das Mittel
                              zur Abhülfe finden zu können, war es zuerst nöthig zu prüfen, ob keine der bis jetzt
                              in Anwendung gebrachten Schmelzmethoden geeignet sey den Geruch zu vermindern, wenn
                              nicht ganz zu beseitigen. Insbesondere mußte in dieser Beziehung die Methode von Evrard
                              Polytechn. Journal, 1851, Bd. CXX S. 204. versucht werden, von der ausdrücklich behauptet wurde (was freilich Lefèvre auch von der seinigen früher gethan hat),
                              daß nach ihr der Talg geruchlos ausgeschmolzen werden könne. Wenn die Ergebnisse
                              derartiger Versuche maßgebend für die Praxis seyn sollen, so müssen sie
                              nothwendigerweise möglichst unter denselben Bedingungen, wie sie beim praktischen
                              Betriebe stattfinden, angestellt werden. Ich habe mich daher zur Ausführung
                              derselben mit einem eben so wissenschaftlich gebildeten, als praktisch tüchtigen
                              Fachmanne, dem Hrn. Seifensiedermeister Steinmetz,
                              verbunden, in dessen Werkstätte und unter dessen specieller Mitwirkung die
                              Schmelzungen (mittelst Dampf) vorgenommen worden sind.
                           
                           Prüfung der Evrard'schen Methode. – Es wurde Talg von guter, mittler und schlechter Qualität
                              nach der Vorschrift von Evrard mit Aetznatronlauge von
                              3/8 Procent ausgeschmolzen und dabei folgende Beobachtungen gemacht: 1) Guter Talg
                              verbreitete während des Schmelzens keinen widerlichen Geruch, was allerdings auch
                              nicht der Fall war, wenn man dieselbe Sorte mit bloßem Kochsalz oder mit
                              Schwefelsäure schmolz. Der geschmolzene Talg sonderte sich gut von den Griefen,
                              welche sich frei von Fett erwiesen, und war nach dem Erkalten von schöner Weiße und
                              reinem Geruch. 2) Talg von mittlerer Qualität zeigte beim Beginn der Schmelzung ein
                              lästiges Aufschäumen und erforderte längere Zeit, um die Griefen fettfrei zu
                              erhalten, als dieß beim Schmelzen mit Schwefelsäure der Fall ist. Der Geruch war
                              nicht widerlich, das Fett sonderte sich jedoch schwieriger und auch auf Zusatz von
                              Kochsalz nicht vollständig, so daß die trübe Brühe mit Schwefelsäure behandelt
                              wurde, wobei dann ein sehr unangenehmer Geruch sich entwickelte. Nach dem Erkalten
                              war das Fett übrigens weiß und untadelhaft. 3) Schlechter Talg, der schon, wie
                              gewöhnlich, stark in Fäulniß übergegangen war, schmolz nur sehr unvollständig aus.
                              Selbst nach sehr lange fortgesetztem Schmelzen waren noch viele mit Fett gefüllte
                              Griefen vorhanden, die, getrennt, mit Schwefelsäure ausgeschmolzen werden mußten.
                              Der Geruch während des Schmelzens war in der Nähe des Schmelzgefäßes stark
                              ammoniakalisch, in einiger Entfernung widerlich. Das Fett sonderte sich so wenig,
                              daß Fett und Griesen nicht von einander zu trennen waren, und sah nach dem Erkalten
                              schmutziggrau aus. Es wurde daher mit Schwefelsäure umgeschmolzen und verbreitete
                              dabei einen im höchsten Grade widerlichen Geruch.
                           Nachdem durch diese Versuche die Ueberzeugung gewonnen war, daß schlechter Talg, um
                              welchen es sich eben handelte, nach Evrard's Vorschrift
                              nicht geruchlos geschmolzen werden konnte, stellte ich Versuche zur Auffindung eines
                              zweckmäßigeren Verfahrens zuerst im Kleinen an. Der Geruch des schlechten Talges
                              rührt, wie wohl bekannt, davon her, daß die damit vermischten häutigen und
                              fleischigen Theile in Fäulniß übergehen und das im reinen Zustande weniger
                              veränderliche Fett anstecken. Der chemische Vorgang dabei muß die größte
                              Aehnlichkeit mit dem bei der Käsebildung stattfindenden haben, wo gleichfalls Fett
                              und stickstoffhaltige Stoffe bei gegenseitiger Berührung der Fäulniß unterliegen. In
                              diesem Falle weiß man wenigstens so viel, daß der Geruch vorzugsweise von riechenden
                              Säuren herkommt, die nicht allein frei, sondern selbst an Basen gebunden ihren
                              Geruch entwickeln. Hiernach muß es nach einem doppelten Principe möglich seyn, den
                              Geruch beim Talgschmelzen zu beseitigen. Entweder muß man die Fäulniß unterdrücken
                              oder ihre riechenden Erzeugnisse geruchlos machen. Ich habe in beiden Richtungen
                              Versuche angestellt. Die Fäulniß zu unterdrücken oder zu verhindern, läßt sich
                              abermals ein doppelter Weg einschlagen; man wendet nämlich sogenannte fäulnißwidrige
                              Mittel an, oder zerstört den fäulnißerregenden Stoff. Fäulnißwidrige Mittel sind
                              entweder solche, welche den Sauerstoff der Luft in so hohem Grade in Anspruch
                              nehmen, daß er nicht dazu kommen kann das stabile Gleichgewicht in dem
                              fäulnißfähigen Atom zu stören, oder solche, welche mit diesem Atom eine stabilere
                              Verbindung eingehen. Ich habe von diesen Mitteln schweflige
                                 Säure, welche zur ersten, und Gerbstoff, welcher
                              zur letzten Classe der fäulnißwidrigen Stoffe gehört, in Anwendung gebracht, indem
                              ich schlechten Talg in eine wässerige Lösung von schwefliger Säure und eine
                              Abkochung von Eichenlohe einlegte. Der Erfolg, obgleich in beiden Fällen ungenügend,
                              war bei der schwefligen Säure am besten. Läßt man den Sauerstoff in höchst
                              verdichtetem Zustande (im Entstehungsmomente) auf fäulnißerregende Stoffe einwirken,
                              so beschränkt sich seine Wirkung nicht bloß auf eine Erschütterung der Atome, er
                              ruft nicht bloß eine Bewegung der Elemente hervor, in Folge deren diese sich nach
                              eigenem Belieben wieder neu gruppiren, sondern seine Menge reicht nun hin, damit er
                              selbst sich ihrer bemächtigen und höchst oxydirte Verbindungen mit ihnen bilden
                              kann, die verschieden von den gewöhnlichen Producten der Fäulniß sind. Ich habe
                              dieses Mittel in Form von Salpetersäure, von
                                 doppelt-chromsaurem Kali mit Schwefelsäure und von übermangansaurem
                              Kali mit Schwefelsäure angewendet. Die Salpetersäure wirkt bei gewöhnlicher
                              Temperatur und im verdünnten Zustande nicht kräftig genug und greift in der Hitze
                              die Fettsubstanz selbst an. Dagegen wirken die beiden letzteren Mittel gleich gut
                              und so ausgezeichnet, daß ein in voller Fäulniß befindlicher schlechter Talg durch
                              Einlegen in Wasser, welchem ein Procent vom Gewichte des Talges doppeltchromsaures
                              Kali, vorher in dem zehnfachen Wasser gelöst und gemischt mit dem doppelten Gewichte
                              englischer Schwefelsäure, zugesetzt wurde, in kurzer Zeit seinen Geruch gänzlich
                              verliert und es nur eines kurzen Kochens bedarf, um das Fett von den häutigen
                              Theilen zu trennen.
                           Da das chromsaure Kali im Kleinen so befriedigende Resultate geliefert hatte, so
                              wurden nun mehrere Versuche im Großen damit angestellt, und zwar zuerst in der
                              Weise, daß der schlechte Talg, so wie er vom Fleischer kam, in die vorhin angeführte
                              Mischung eingelegt und so lange liegen gelassen wurde, bis eine zum Schmelzen
                              ausreichende Menge sich gesammelt hatte. Dabei bemerkte man, daß in einzelnen Fällen
                              der Fäulnißgeruch nach einiger Zeit wieder zum Vorschein kam und deßhalb ein neuer Zusatz von chromsaurem
                              Kali und Schwefelsäure gemacht werden mußte. Beim Ausschmelzen war nur ein
                              säuerlicher, an den des Sauerkohls erinnernder Geruch zu bemerken, und die Griesen
                              waren im vierten Theile der Zeit fettfrei, welche beim Schmelzen mit Schwefelsäure
                              dazu nöthig ist. Bei dem allen zeigte sich jedoch ein großer Uebelstand, der
                              nämlich, daß das Fett, mit der wässerigen Flüssigkeit zu einer Art Emulsion
                              vermischt, sich durchaus nicht davon sonderte. Bei der Untersuchung der Masse fand
                              ich, daß sich viel Leim gebildet hatte, welcher durch die schleimige Beschaffenheit,
                              die er dem Wasser ertheilte, jedenfalls einen großen Antheil an der Erscheinung
                              hatte. In der Voraussetzung, daß das Verweilen des Talges in der schwefelsauren
                              Lösung Ursache der Lösung der leimgebenden Gewebe sey, wurde bei einem späteren
                              Versuche der Talg erst am Abend vor dem Schmelzen, endlich gar nicht vorher in diese
                              Lösung eingelegt, sondern im letzten Falle das Gemisch von Schwefelsäure und
                              chromsaurem Kali erst beim Schmelzen zugegeben. Die Emulsion bildete sich jedoch
                              auch unter diesen Umständen, und war es daher nöthig, die Sonderung des Fettes durch
                              andere Mittel herbeizuführen. Hr. Steinmetz wandte mit
                              dem besten Erfolge Unterlauge an. (Kochsalz, Alaun lassen sich gleichfalls benutzen,
                              sind aber natürlich theurer.)
                           Theils wegen des so eben beschriebenen Uebelstandes, theils darum, weil die Menge des
                              anzuwendenden chromsauren Kalis nicht ein- für allemal bestimmt angegeben
                              werden kann, sondern sich nach der größeren oder geringeren Menge in Fäulniß
                              übergegangener Stoffe richten muß, wünschte ich ein noch einfacheres Verfahren zu
                              ermitteln, und stellte deßhalb Versuche zu dem Zwecke an, die riechenden Producte
                              der Fäulniß geruchlos zu machen. Hierbei ging ich von der oben schon ausgesprochenen
                              Ansicht aus, daß dieselben vorherrschend Säuren seyen. Es handelte sich demgemäß
                              darum, diese in Salze zu verwandeln, welche ihrerseits geruchlos oder wenig riechend
                              waren. Auch in diesem Falle ließ sich voraussichtlich der Zweck auf doppelte Weise
                              erreichen, die erwähnten Salze konnten nämlich in der Flüssigkeit selbst, oder da
                              die riechenden Säuren flüchtig seyn mußten, außerhalb derselben gebildet werden. Ich
                              versuchte zunächst das erstere mittelst Kalkwassers.
                              Dieses Mittel mußte offenbar dem Evrard'schen ähnlich
                              wirken, gewährte aber vor allen Dingen sicherlich den Vortheil einer stets gleichen
                              und so bedeutenden Verdünnung, daß voraussichtlich wohl die frei vorhandenen Säuren
                              neutralisirt, nicht aber Fett verseift wurde, und möglicherweise waren die
                              Kalkverbindungen der Säuren weniger stark riechend, als die Natronverbindungen. In
                              der That verminderte sich der Geruch von faulendem Talg in auffallender Weise, als
                              man denselben in Kalkwasser einlegte; als man ihn aber damit schmolz, trat er wieder stärker
                              hervor, so daß von der Anwendung des Kalkwassers abgesehen wurde. Nun versuchte ich
                              Salze herzustellen, die nicht allein nicht schlecht-, sondern sogar von sehr
                              übelriechenden Säuren wohlriechend sind; ich versuchte die Aetherverbindungen zu
                              erhalten. Zu diesem Ende wurde auf bekannte Weise Schwefeläthersäure gemischt und
                              dem mit Wasser übergossenen, faulenden Talg beigegeben; der Geruch verschwand und
                              trat auch beim Schmelzen in keiner Weise unangenehm hervor. Es stellte sich jedoch
                              die Emulsionbildung auch hier wieder ein, und deßhalb wurde auch dieses
                              Schmelzverfahren aufgegeben.
                           Um die Emulsionbildung zu verhindern, blieb nun kaum etwas anderes übrig, als auf
                              gewöhnliche Weise mit Schwefelsäure (oder auch trocken) zu schmelzen und die
                              entweichenden Riechstoffe nach ihrem Austritte aus der Flüssigkeit unschädlich zu
                              machen. Es ist bekannt, daß man in diesem Sinne vorgeschlagen hat, die Dämpfe unter
                              die Feuerung zu leiten und die Riechstoffe durch Hitze zu zerstören. Der Erfolg kann
                              aber offenbar kein befriedigender seyn, weil die Riechstoffe eben wegen ihrer
                              Flüchtigkeit wenigstens zum größten Theile der Einwirkung der Hitze unter den
                              gegebenen Verhältnissen sich entziehen. Ich wendete, um sie zu binden, ein Gemenge
                              von gelöschtem Kalk und Holzkohle an. Der Kalk mußte die riechenden Säuren, die
                              Kohle die nicht sauren riechenden Verbindungen zurückhalten. Es wurde ein 3–4
                              Zoll breiter Siebkranz, der dampfdicht auf die Mündung des Schmelzgefäßes aufgesetzt
                              werden konnte, mit Packleinwand an die Stelle des Siebbodens überspannt, mit einem
                              Gemenge von gelöschtem Kalk und frisch ausgeglühten Holzkohlen in haselnußgroßen
                              Stücken angefüllt und auf das Schmelzgefäß ausgesetzt. Alle aus dem Schmelzgefäße
                              entweichenden Dämpfe mußten selbstverständlich durch das Gemenge streichen und waren
                              bei ihrem Austritte aus demselben vollkommen
                                 geruchlos.
                           Das Schmelzen des Talges unter Anwendung der beschriebenen Vorrichtung, die ich
                              „Kohlendeckel“ nennen will,
                              entspricht den strengsten Anforderungen, und ist vollständig geeignet, alle Klagen
                              gegen das Talgschmelzen der Seifensieder in den Städten zu beseitigen. Der
                              Kohlendeckel hat überdieß den großen Vortheil vor allen übrigen Verfahrungsweisen
                              voraus, daß er eben so gut beim nassen als beim trocknen Schmelzen angewendet werden
                              kann. Im letzteren Falle muß nur der Schmelzkessel einen Zwischenboden erhalten,
                              damit das Anbrennen der Griesen vermieden wird. Dieselbe Einrichtung müssen die
                              Kessel auch dann erhalten, wenn man naß, nicht mit Dampf, sondern auf freiem Feuer
                              schmilzt.