| Titel: | Ueber die Weingeist-Fabrication aus Holz; von Professor Dr. Max Pettenkofer. | 
| Fundstelle: | Band 136, Jahrgang 1855, Nr. LXXXIX., S. 387 | 
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                        LXXXIX.
                        Ueber die Weingeist-Fabrication aus Holz;
                           von Professor Dr. Max
                              Pettenkofer.
                        Vortrag desselben bei der Monatsversammlung des
                              polytechnischen Vereins für Bayern am 26. Februar 1855. –
                           Aus dem bayer. Kunst-
                                 und Gewerbeblatt, 1855, S. 136.
                        Pattenkofer, über die Weingeist-Fabrication aus
                           Holz.
                        
                     
                        
                           Dem polytechnischen Verein (in München) wurde folgende Frage vorgelegt: „In
                                 Paris errichtet eine Gesellschaft unter der Leitung von Pelouze eine Fabrik zur Bereitung von Weingeist aus Holzfaser.Man vergleiche polytechn. Journal Bd.
                                          CXXXIV S. 219 und 316.
                                       – Für England ließ sich der Banquier Hippolyte Bordier zu Orleans das fragliche Verfahren
                                       zur Weingeistbereitung aus Holzfaser am 5. Juni 1854 als Mittheilung
                                       patentiren. Seine Patentbeschreibung lautet nach dem Repertory of Patent-Inventions, Mai
                                       1855, S. 436 folgendermaßen: „Ich vermische fünf
                                          Gewichtstheile Sägespäne, als feines Pulver, mit sechs Theilen
                                          Schwefelsäure von 60° Baumé. Diese Substanzen werden
                                          mittelst eines kräftigen Zerreibens so innig als möglich mit
                                          einander vereinigt, wodurch man ein teigartiges Gemisch erhält.
                                          Diesen Teig läßt man 12 Stunden in Ruhe; nachher
                                          wird er mit seinem sechsfachen Gewicht Wasser verdünnt und in einen
                                          wohl befestigten hölzernen Bottich gebracht, in welchen man mittelst
                                          eines Bleirohrs Dampf leitet. Auf diese Weise unterhält man ein
                                          rasches und ununterbrochenes Kochen der Flüssigkeit während acht bis
                                          zehn Stunden, indem man besorgt ist, das verdampfte Wasser zu
                                          ersetzen. Man läßt dann die Flüssigkeit in Ruhe, damit sich die
                                          unaufgelösten Holztheilchen absetzen können. Die klare Flüssigkeit
                                          wird nachher abgezogen und mit Kreide gesättigt, welche die
                                          Schwefelsäure in Form von Gyps niederschlägt. Der so erhaltene Brei
                                          oder dicke Teig wird auf Zeugfilter gebracht, damit die Flüssigkeit
                                          abziehen kann; der Niederschlag wird auf diesen Filtern noch
                                          ausgewaschen und dann in die Presse gebracht. Die Flüssigkeiten
                                          werden hierauf vereinigt und in Ruhe gelassen. Nach dem Erkalten
                                          versetzt man sie mit einer hinreichenden Menge von Bierhefe und läßt
                                          die Gährung in einer geeigneten Localität vor sich gehen. Endlich
                                          wird in gewöhnlicher Weise der Weingeist aus der Flüssigkeit
                                          abdestillirt; derselbe hat einen angenehmen Geschmack, ist sehr
                                          gesund, und zu allen Zwecken anwendbar, wozu man den aus Wein
                                          destillirten Alkohol benutzt.“
                                       A. d. Red.
                                 Welche Aussichten
                                 hat dieser Industriezweig und welche national-ökonomische Bedeutung ist
                                 ihm beizulegen?“
                              
                           Eine exacte Beantwortung dieser Frage ist uns bei der Neuheit dieses
                              Industriezweiges, und dem Wenigen, was hierüber vorliegt, fast unmöglich; wir
                              beschränken uns daher darzuthun, auf welche Art aus Holzfaser Weingeist gewonnen
                              werden kann und in welchem Verhältniß diese Fabrication zur allgemein gebräuchlichen
                              Kartoffelbranntweingewinnung steht.
                           Schon vor einigen Decennien war es Braconnot gelungen, aus
                              Pflanzenfaser (Cellulose) unter Einfluß chemischer Agentien Traubenzucker
                              darzustellen. Immer ist es nur der Traubenzucker, der uns Weingeist liefert; selbst
                              Rohrzucker muß erst in diesen übergeführt werden, um bei der Gährung Weingeist
                              liefern zu können, so wie das Stärkmehl der Kartoffel und das der Gerste, ersteres
                              durch Malz, letzteres durch den Keim- und Maischproceß in Stärkegummi und
                              Zucker verwandelt werden muß.
                           Wir kennen in der ganzen Natur keinen anderen Körper, der bei der Gährung Weingeist
                              gibt, als eben den Traubenzucker; dieß ist so sicher, daß wir ihn sogar an dieser
                              Eigenschaft erkennen und dem Gewichte nach bestimmen.
                           Braconnot zeigte uns in der concentrirten Schwefelsäure
                              ein Mittel, um aus Holzfaser Zucker zu gewinnen. Uebergießt man Holzfaser
                              (Pflanzenfaser, Papier, Leinwand) mit Schwefelsäure, so löst sich dieselbe zu einer
                              schleimigen Flüssigkeit auf. Verdünnt man nun mit Wasser und kocht einige Stunden,
                              so wird Traubenzucker gebildet. Man hat jetzt Zucker und verdünnte Schwefelsäure in
                              Lösung. Letztere muß vorerst entfernt werden, was durch feingestoßene Kreide erreicht wird. Es
                              bildet sich schwefelsaurer Kalk (Gyps) der unlöslich zu Boden fällt.
                           Die überstehende Flüssigkeit, welche jetzt nur Zucker mit etwas Gyps enthält, wird
                              mit Ferment versetzt und gibt eine der Zuckermenge entsprechende Quantität
                              Weingeist. Das Verfahren, welches man gegenwärtig in Paris anwendet, dürste den
                              Hauptoperationen nach dasselbe seyn. Was die Gewichtsverhältnisse betrifft, so
                              braucht man auf 2 Theile Holzfaser gewiß 3 Theile concentrirte Schwefelsäure von
                              66° Baumé. Es ist möglich, daß unter Anwendung von Wärme die
                              Concentration der Säure vermindert, also auch der Säureverbrauch verringert werden
                              kann. Sicher bleibt aber, daß immer ein großer Säureüberschuß vorhanden seyn muß, um
                              den Proceß einzuleiten, wenn anders das Verfahren gelingen soll. Es ist gewiß ein
                              beachtenswerthes Zeichen unserer Zeit, daß die Industrie Mittel zu ersinnen bemüht
                              ist, jene Stoffe für ihren Bedarf entbehrlich zu machen, welche zugleich
                              Nahrungsmittel des Volkes bilden; denn bisher wurde fast aller Alkohol aus dem
                              Stärkmehl unserer Nahrungspflanzen gezogen. – Wir wollen nun sehen, wie sich
                              obengenannter Industriezweig in ökonomischer Beziehung (dieß kann ja nur die
                              Hauptfrage und die allein entscheidende seyn) verhält.
                           Da wir sowohl bei der Holzgewinnung als beim Kartoffelbau an die organische Natur
                              gebunden sind, so drängt sich uns sogleich die Frage auf, wie viel producirt eine
                              gewisse Fläche Landes jährlich an Material für die Weingeistbereitung. Wir gehen
                              zunächst von der Kartoffelernte aus. Ein bayerisches Tagwerk (= 40,000 Quadratfuß)
                              liefert jährlich im Durchschnitt 30 Scheffel (90 Centner) Kartoffeln, welchen etwas
                              über 14 Centner Stärkmehl entsprechen. Aus diesem gewinnt man der Erfahrung gemäß im
                              günstigsten Falle 8 Centner absoluten Weingeist. Es ist noch anzuführen, daß man zur
                              Ueberführung des Stärkmehls in Zucker 5 bis 10 Procent Malz anwendet, was also eine
                              bedeutende Production von Gerste bedingt. Betrachten wir die Holzgewinnung etwas
                              näher, so ergibt sich, daß auf 1 Tagwerk jährlich 18 Centner Holz erzielt werden.
                              Diese Zahl setzt schon den besten Waldgrund voraus. Dieses Holz enthält aber viel
                              Wasser, Harz und eiweißartige Körper, die für diese Fabrication keinen Werth haben.
                              Es bleiben an trockenem Holz nur gegen 14 Centner. Um diese in Traubenzucker zu
                              verwandeln, dürfte ein Verbrauch von 19 Centnern concentrirter Schwefelsäure nicht
                              zu hoch angeschlagen seyn. Der Weingeistgewinn wäre dann ungefähr 7 Centner. Diese
                              Zahl ist zunächst eine aus der Traubenzuckergewinnung berechnete, während bei dem
                              Kartoffelweingeist uns die Erfahrung bereits das genaue Resultat angegeben hat. Daß wir
                              von einem Tagwerk Kartoffelland 8 Centner absoluten Alkohol gewinnen, ist bereits
                              erfahrungsgemäß; daß wir aber von einem Tagwerk Waldgrund 7 Centner Alkohol wirklich
                              erhalten werden, ist vorläufig nur eine Möglichkeit, welche eine bis zum Ideal
                              vervollkommnete Methode voraussetzt. Aber dieses angenommen, gewinnt man von einem
                              bayerischen Tagwerk Kartoffellandes 8 Centner, aus Holz 7 Centner absoluten Alkohol.
                              – In Beziehung auf die Production dieses Rohmaterials ist zu bemerken, daß
                              das Holz im Walde wächst, ohne daß wir gerade viel Mühe und Sorgfalt darauf zu
                              verwenden haben, im Vergleich zum Kartoffelbaue. Aber die beim Holze auf das
                              äußerste durchzuführende Verkleinerung (und darauf wird es ankommen, um günstige
                              Resultate zu erzielen) wird viel Zeit und Arbeitskräfte in Anspruch nehmen, so daß
                              sich oben angedeuteter Vortheil bereits hierdurch theilweise aufheben wird. Nun
                              kommen noch die Ausgaben für Schwefelsäure und Kreide dazu. Ob der als Nebenproduct
                              gewonnene Gyps die Kosten des Verbrauchs an Schwefelsäure in einem erheblichen Maaße
                              decken wird, ist sehr zu bezweifeln. Das Erwärmen der Flüssigkeit erfordert auch
                              einen bedeutenden Aufwand an Brennstoff, was bei der gegenwärtig gebräuchlichen
                              Kartoffelbranntweinbrennerei nicht in diesem ausgedehnten Maaße der Fall ist.
                           Andererseits ist nicht abzusehen, daß die Kartoffelbranntweingewinnung ohne Nachtheil
                              ganz verdrängt werden kann; denn diese steht mit der Landwirthschaft in innigem
                              Verbande. Es ist nämlich der Rückstand, die sogenannte Kartoffelschlempe, ein für
                              die Viehmästung so ausgezeichnet werthvolles Futter. Eine natürliche Folge unserer
                              gegenwärtig hohen Getreide- und Kartoffelpreise ist also auch der sich immer
                              erhöhende Werth des Weingeists und der aus ihm gewonnenen Producte.
                           Es ist gewiß beachtenswerth, daß, wie schon oben erwähnt wurde, das Streben, nämlich
                              die Nahrungsmittel der directen Volksernährung zu erhalten, anstatt sie zur
                              Erzeugung von Stoffen für die Technik zu verwenden, bereits bis zu einem gewissen
                              Grade durchgedrungen ist und glückliche Resultate erzielt hat. Wir meinen hier
                              namentlich die Essigsäurebereitung, die sonst allein vom Weingeist abhängig war. Die
                              durch trockene Destillation des Holzes gewonnene rohe Holzessigsäure wird jetzt
                              gereinigt, theils als Essigsäure, theils als Speiseessig in den Handel gebracht.
                              Seitdem hat auch ein Nebenproduct der Holzgasfabrication seine Verwerthung erfahren,
                              nämlich eben dieser Holzessig, aus dem man jetzt in allen Holzgasfabriken
                              holzessigsauren Kalk darstellt und denselben vortheilhaft an Essigsäurefabriken
                              verkauft.
                           
                           Die Fabrik der HHrn. Engelmann und Böhringer im Schwarzwald verarbeitet gegenwärtig sehr große Mengen
                              Holzessig auf reine Essigsäure. Seit einigen Jahren verwendet man in Stuttgart in
                              Haushaltungen mit Vortheil statt des Weingeists, wo er als Wärmequelle dient (für Thee- und Kaffeemaschinen) den sogenannten
                              Holzgeist, eine dem Weingeist analoge Verbindung. Nur die Höhe der Weingeistpreise
                              machte es rentabel, denselben zu gewinnen. Auch England, wo die Nahrung einen fast
                              enormen Preis hat, war darauf bedacht, das Consumo des Weingeists durch
                              Essigfabrication zu vermindern, und kaufte in Amerika Waldungen an, deren Holz auf
                              Essigsäure verarbeitet wird.
                           Wir glauben somit in Kurzem dasjenige, was uns wichtig schien, angeführt zu haben,
                              und ermuntern jene, deren Beruf die Weingeistfabrication insbesondere ist, passende
                              Versuche anzustellen und zu prüfen, in wiefern dieses obenbezeichnete Verfahren das
                              gegenwärtige theilweise zu ersetzen im Stande wäre.