| Titel: | Das Verhältniß des goldnen Schnitts in seiner Bedeutung für bildende Künstler und Techniker. | 
| Fundstelle: | Band 137, Jahrgang 1855, Nr. LXXXIII., S. 322 | 
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                        LXXXIII.
                        Das Verhältniß des goldnen Schnitts in seiner
                           								Bedeutung für bildende Künstler und Techniker.
                        Mit einer Abbildung auf Tab. V.
                        Das Verhältniß des goldnen Schnitts in seiner Bedeutung für
                           								bildende Künstler und Techniker.
                        
                     
                        
                           Sobald der bildende Künstler oder Techniker irgend ein aus mehreren Theilen und
                              									verschiedenen Dimensionen bestehendes Werk herzustellen hat, das nicht bloß dem
                              									praktischen Bedürfniß genügen, sondern zugleich das ästhetische Gefühl befriedigen
                              									soll, ist in formeller Beziehung keine Frage so wichtig für ihn, als die, welches
                              									Größenverhältniß zwischen den einzelnen Theilen und Dimensionen bestehen müsse, um
                              									das Werk als ein harmonisch gegliedertes, planmäßig geordnetes, kurz wohlgeformtes
                              									Ganzes erscheinen zu lassen und dadurch auf das Auge wie auf den Geist des
                              									Schauenden einen wohlgefälligen Eindruck zu machen. Soll das Werk die Nachbildung
                              									irgend eines Naturerzeugnisses, z.B. eines menschlichen oder thierischen Körpers
                              									seyn, so sind die innezuhaltenden Verhältnisse und die daraus hervorgehenden Formen
                              									dem Bildner zwar im Allgemeinen vorgeschrieben, jedoch nicht so, daß er sich ohne
                              									Selbstthätigkeit einer sklavischen Nachahmung überlassen dürfte: denn die Natur
                              									producirt innerhalb einer und derselben Gattung sehr verschiedene und zwar nicht
                              									bloß mehr oder minder schöne, sondern auch entschieden häßliche Gebilde; überhaupt
                              									findet sich unter den Naturproducten keines, welches alle Vorzüge und Schönheiten
                              									der Gattung in sich vereinigte und daher als allgemein gültiges Muster derselben
                              									angesehen werden könnte; der Künstler muß sich also aus verschiedenen Einzelgebilden
                              									der Natur selbst sein Ideal construiren, und es entsteht also auch in diesem Falle
                              									für ihn die Frage, welche unter den verschiedenen von ihm beobachteten Verhältnissen
                              									und Formen er gerade diesem Mustergebilde geben soll.
                           Noch schwieriger ist die Frage über die Wohlgefälligkeit der Verhältnisse für
                              									diejenigen Bildner, welche Werke zu schaffen haben, zu denen sich in der Natur gar keine,
                              									oder nur ganz rohe Vorbilder finden lassen, z.B. ein Gebäude, ein Hausgeräth, ein
                              									Gefäß, ein Werkzeug, ein Gewand, ein Schmuck und dergl. Allerdings sind bis zu einem
                              									gewissen Grade die Grundtypen der Formen und Verhältnisse auch hier durch die
                              									Rücksicht auf den praktischen Zweck des Gebildes vorgezeichnet; aber die hieraus
                              									resultirenden Bedingungen sind doch durchgängig nur so ganz allgemeine und
                              									unbestimmte, daß sie sich ebensowohl ohne, als mit Befriedigung des Schönheitssinnes erfüllen lassen,
                              									und der Künstler wird sich also diejenigen Regeln und Normen, die ihn in
                              									ästhetischer Hinsicht zu leiten haben, selbst schaffen müssen.
                           Aus diesen Gründen haben die bildenden Künstler und die sich ihnen anschließenden
                              									Techniker von jeher nach einem mehr oder minder gemeingültigem Proportionalgesetz
                              									als sicherem Anhalt für das sehr bedeutenden Schwankungen und Irrthümern ausgesetzte
                              									Gefühl gesucht; und indem man hiebei von der richtigen Ansicht ausging, daß der
                              									menschliche Körper als das schönste der Naturgebilde auch die schönsten Verhältnisse
                              									haben und daher als allgemeines Vorbild auch für andere Erzeugnisse benutzt werden
                              									müsse, richtete man hauptsächlich sein Augenmerk darauf, zu erforschen, welche Verhältnisse des menschlichen Körpers unter der
                              									unendlichen Masse der in der Wirklichkeit vorkommenden gerade als die idealen und
                              									normalen anzusehen und in der Kunst anzuwenden seyen. Mit der Auffindung eines
                              									solchen Kanons haben sich von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten die
                              									namhaftesten Vertreter der Kunst und Wissenschaft, wie Plato,
                                 										Polyklet, Vitruv, Leonardo da Vinci, Michel Angelo, Albrecht Dürer, Jean Cousin,
                                 										Audran, Winckelmann, Raphael Mengs, Schadow, Quetelet, Carus etc.
                              									beschäftigt; aber so Treffliches auch in verschiedenen Beziehungen hiebei geleistet
                              									worden ist, so gelang es doch nicht, ein Verhältniß zu entdecken, welches als
                              									Normalverhältniß für die ganze Gliederung des Körpers hätte angenommen werden
                              									können: denn indem man das Maaß irgend eines einzelnen Gliedes oder Abschnitts, z.B.
                              									die Kopflänge, Gesichtslänge, Handlänge, Fußlänge, Nasenlänge etc. als Maaßeinheit
                              									oder Modul annahm, fand man, daß die übrigen Glieder oder Abschnitte bald mehr, bald
                              									weniger solcher Einheiten enthielten, und welches Maaß man auch als Modul ansehen
                              									mochte: es blieben stets sehr viele und sehr wesentliche Abschnitte übrig, die zu
                              									demselben durchaus nicht in einem rationalen, einfachen und übersichtlichen
                              									Verhältnisse standen, und noch weniger ließ sich in der Anordnung und
                              									Zusammensetzung dieser verschiedenen Abschnitte irgend ein einheitlicher Plan
                              									entdecken, welcher den harmonischen Eindruck, den der Bau des menschlichen Körpers
                              									unbestreitbar auf das unmittelbare Gefühl macht, auch nur einigermaßen für den Verstand und
                              									für das wissenschaftliche Bedürfniß zu erklären im Stande gewesen wäre. Nur so viel
                              									erkannte man und darin traf man von allen Seiten zusammen, daß jene Harmonie auf
                              									einer Uebereinstimmung der Verhältnisse theils der einzelnen
                                 										Theile unter sich, theils der Theile zum Ganzen beruhen müsse, einen
                              									wirklich in Zahl und Maaß auszudrückenden und dadurch praktisch brauchbaren Nachweis
                              									dieser Uebereinstimmung wußte man jedoch nicht zu geben, und diese in ihrer
                              									Allgemeinheit richtige Erkenntniß blieb also zufolge ihrer Unbestimmtheit eine für
                              									Theorie und Praxis gleich sehr unbefriedigende.
                           Durch ästhetische Studien auf diese Lücke in der Kunstwissenschaft aufmerksam
                              									geworden, machte ich diese Frage zu einem Gegenstande sorgfältigen Beobachtens und
                              									Nachdenkens, und so ist es mir geglückt, das in Zahl und Maaß ausdrückbare
                              									Verhältniß des goldnen Schnitts als dasjenige zu
                              									entdecken, welches genau den Bedingungen der eben erwähnten Erkenntniß entspricht
                              									und nach welchem in der That die menschliche Gestalt nach allen ihren Abschnitten
                              									und Dimensionen gegliedert ist. Bekanntlich wird durch den goldnen Schnitt eine als
                              									Ganzes gegebene Größe dergestalt in zwei ungleiche Theile getheilt, daß sich der kleinere Theil oder Minor (m) zum größern Theil oder
                                 										Major (M) eben so
                                 										verhält, wie der größere Theil zum Ganzen (T).
                              									Es springt also in die Augen, daß in einem nach diesem Verhältniß eingetheilten
                              									Gebilde wirklich die oben geforderte Uebereinstimmung der Verhältnisse theils der
                              									Theile unter einander, theils der Theile zum Ganzen stattfindet: denn das Verhältniß
                              									zwischen dem kleinern und größern Theil ist ja in der That dasselbe wie das zwischen
                              									dem größern Theil und dem Ganzen.
                           
                              
                              Fig. 1., Bd. 137, S. 323
                              
                           Auf geometrischem Wege wird die Eintheilung einer Größe nach diesem Verhältniß
                              									bekanntlich dadurch gefunden, daß man an eine gegebene Linie ab die Hälfte von ab als Kathete bd ansetzt, dann die
                              									Hypotenuse da zieht und hierauf erst de = bd auf der
                              									Hypotenuse und dann ca, d. i. den Rest der
                              									Hypotenuse, als ac auf der ursprünglich gegebenen
                              									Linie ab abträgt: denn in diesem Fall ist ac der gesuchte Major, cb dagegen der gesuchte Minor der ganzen Linie ab, und es verhält sich mithin bc : ac = ac : ab. (Fig. 1.)
                           
                           Auf arithmetischem Wege findet man dem entsprechend das Maaß des Majors (M) aus dem des Ganzen (T)
                              									nach der Formel: M = √ (T² + T²/4) – T/2. Wird also z.B. T = 10
                              									angenommen, so ist M = √ (10² +
                              									10²/4) – 10/2 = √ (100 + 25) – 5 =
                              									6,₁₈₀₃... Das Maaß des Minors (m) aber ist hienach = T – M, z.B. = 10 –
                              									6,₁₈₀₃... = 3,₈₁₉₇...
                           Hieraus ist zugleich ersichtlich, daß beide Theile trotz ihrer Bestimmtheit stets
                              									einen irrationalen, unendlichen Bruch des Ganzen bilden, daß sie sich mithin in
                              									Zahlen nie ganz genau ausdrücken lassen, und daß folglich bei jedem Zahlenausdruck
                              									derselben entweder der Major um ein Weniges zu klein und der Minor zu groß, oder
                              									umgekehrt der Major zu groß und der Minor zu klein ausfällt.Gebe ich z.B. von 10 den Major als 6,₁₈ und den Minor als
                                    											3,₈₂ an, so ist ersterer um etwa 3/10000 zu klein und
                                    											letzterer um eben soviel zu groß. Bestimme ich dagegen den Major als
                                    											6,₁₉ und den Minor als 3,₈₁, so ist umgekehrt
                                    											jener um etwa 97/10000 zu groß und dieser um eben soviel zu klein angegeben.
                                    											So ist, wenn ich die Proportionaltheile von 8 als 3 + 5, und von 13 als 5 +
                                    											8 angebe, in jenem Falle der Major, und in diesem Falle der Minor ein wenig
                                    											zu groß genommen. Das Verhältniß ist also insofern wirklich ein ideales, in endlichen Größen
                              									nie ganz zu erreichendes; eine wenn auch noch so geringe Abweichung nach der einen
                              									oder der andern Seite hin ist also in der realen Welt geradezu unvermeidlich und die
                              									mehr oder minder vollkommene Realisation dieses Verhältnisses kann daher stets nur
                              									in einer mehr oder minder vollkommenen Annäherung an dasselbe bestehen. Die
                              									praktische Brauchbarkeit desselben wird hiedurch natürlich nicht im Mindesten
                              									geschwächt, im Gegentheil es entspringt daraus für Natur und Kunst der Vortheil, es
                              									nach zwei verschiedenen Seiten hin und in verschiedenen Graden der Vollkommenheit
                              									ausbilden zu können, und späterhin wird sich zeigen, daß hierauf gerade die
                              									wesentlichsten Unterschiede in den Verhältnissen der Erscheinungen, z.B. die
                              									Geschlechtsunterschiede der männlichen und weiblichen Gestalt beruhen.
                           Dieses Verhältniß (3,₈₁...: 6,₁₈... =
                              									6,₁₈...: 10,₀₀, oder wenn das Ganze als Eins angenommen wird, 0,₃₈₁...:
                              									0,₆₁₈... = 0,₆₁₈...:
                              									1,₀₀₀ = 1,₀₀₀:
                              									1,₆₁₈... etc.) ist nun in der That dasjenige, nach welchem in
                              									consequenter Durchführung die ganze menschliche Gestalt gebaut und gegliedert ist;
                              									noch wichtiger und interessanter aber wird es dadurch, daß auch noch eine große
                              									Anzahl von anderen Erscheinungen, welche durch wohlgefällige Größenverhältnisse
                              									einen ästhetischen Eindruck machen, nach demselben Verhältnisse geformt ist oder sich wenigstens
                              									mehr oder minder genau um dasselbe bewegt, so z.B. die Abstände der Planeten, die
                              									Gestalt vieler Krystalle, der Bau vieler Pflanzen und Pflanzentheile, insbesondere
                              									die von O. Braun entdeckte Blattstellung, die Gliederung
                              									der edlern Thiere, die befriedigendsten und wohlklingendsten der musikalischen
                              									Accorde u.s.w. Ueber alles dieses habe ich mich in einem besonderen WerkeNeue Lehre von den Proportionen des menschlichen
                                       												Körpers, aus einem bisher unerkannt gebliebenen, die ganze Natur
                                    											und Kunst durchdringenden morphologischen Grundgesetze entwickelt und mit
                                    											einer vollständigen historischen Uebersicht der bisherigen Systeme begleitet
                                    											von Prof. Dr. Zeising. Mit 177 in den TextTert gedruckten Holzschnitten. Leipzig, R. Weigel. 1854. ausführlich verbreitet und die darin niedergelegte Entdeckung durch Zahlen
                              									und Zeichnungen belegt. Der vorliegende Aufsatz hat daher nur den Zweck,
                              									insbesondere den praktischen Künstler und Techniker auf diese Schrift und das darin
                              									behandelte Proportionalgesetz aufmerksam zu machen, und ich will daher hier nur
                              									diejenigen Punkte berühren, die besonders für ihn von Interesse sind.
                           Zunächst und hauptsächlich ist natürlich das Gesetz für den Bildhauer und Maler,
                              									sowie für alle an diese sich anreihenden Techniker, z.B. für den Steinmetzen,
                              									Holzschnitzer, den Arbeiter in Metall, Porzellan, Glas, Steinpappe etc., kurz den
                              									Bildner und Zeichner jedweder Art, sofern er es mit der Bildung menschlicher Figuren
                              									zu thun hat, von Wichtigkeit, und zwar nicht bloß in theoretischer, sondern auch in
                              									rein-praktischer Beziehung, weil nach keinem andern System die Zeichnung
                              									einer correcten menschlichen Gestalt so einfach und leicht ist, als nach dem hier in
                              									Rede stehenden.
                           Theilt man nämlich die Totalhöhe einer menschlichen Figur vom Scheitel bis zur Sohle
                              									genau auf die oben beschriebene Weise nach dem Verh. des goldnen Schnitts, so fällt
                              									der Durchschnitt, wenn dem Minor die obere Lage gegeben wird, stets mit den zwischen
                              									der untersten Rippe und dem Hüftkamm liegenden Weichen oder der Taille, und zwar am
                              									genauesten mit der Basis derselben oder der ein wenig über dem Nabel hinlaufenden
                              									Bauchfalte, welche besonders deutlich beim Bücken hervortritt, also mit der Gränze
                              									zwischen Oberkörper und Unterkörper zusammen. Der Oberkörper ist also der Minor und
                              									der Unterkörper der Major der Totalhöhe und beide bilden mit dem Ganzen, wenn dieses
                              									als Eins angenommen wird, folgende stetige, dem goldnen
                              									Schnitt entsprechende Proportion:
                           
                              
                                 Oberkörper
                                 :
                                 Unterkörper
                                 =
                                 Unterkörper :
                                 Totalhöhe
                                 
                              
                                    0,₃₈₁...
                                 :
                                     0,₆₁₈...
                                 =
                                     0,₆₁₈...
                                   1,₀₀₀.
                                 
                              
                           
                           Theilt man die Totalhöhe so, daß der Minor unterhalb des Major zu liegen kommt, so
                              									reicht der Major gerade bis zum Handende des senkreckt herabhängenden Arms. Auch in
                              									diesem Fall correspondirt also der goldne Schnitt mit einem wesentlichen Abschnitt
                              									des Körpers.
                           Zu nicht minder wesentlichen Körperabtheilungen gelangt man, wenn man die zuerst
                              									angegebene Eintheilung nach demselben Princip weiter verfolgt. Theilt man nämlich
                              									den Oberkörper (vom Scheitel bis zur Taillenbasis), so bezeichnet der Durchschnitt
                              									gerade die Gränze oder schmalste Stelle zwischen der Kopf- und Rumpfpartie in
                              									der Höhe des Kehlkopfs; theilt man hingegen den Unterkörper, so wird dadurch die
                              									Gränze oder schmalste Stelle zwischen Ober- und Unterschenkel am unteren Ende
                              									des Knies oder Anfang der Wade gefunden. Unter- und Oberkörper sind also nach
                              									demselben Verhältniß gegliedert wie der ganze Körper, nur daß ihre Theile in
                              									demselben Verhältniß kleiner sind, in welchem ihre Totalität hinter der Totalhöhe
                              									zurückbleibt. Die beiden Theile des Unterkörpers bilden mithin mit dem ganzen
                              									Unterkörper in Zahlen folgende Proportion:
                           
                              
                                 Unterschenkelpartie
                                 :
                                 Oberschenkelpartie
                                 :
                                 ganzer Unterkörper;
                                 
                              
                                         0,₂₃₆...
                                 :
                                         0,₃₈₁...
                                 :
                                         
                                    											0,₆₁₈...
                                 
                              
                           dagegen die beiden Theile des Oberkörpers mit dem ganzen
                              									Oberkörper folgende:
                           
                              
                                 Kopfpartie
                                 :
                                 Rumpfpartie
                                 :
                                 ganzer Oberkörper
                                 
                              
                                   0,₁₄₅...
                                 :
                                   0,₂₃₆...
                                 :
                                       0,₃₈₁...Hat man einmal die Zahlenwerthe der beiden Hauptabcheilungen des
                                          													Ganzen gefunden, so gelangt man zu denen der Unterabtheilungen ganz
                                          													einfach auf dem Wege der Subtraction des Major vom Ganzen und des
                                          													Minor vom Major. Der Major des Majors ist daher =
                                          													1,₀₀₀ – 0,₆₁₈... =
                                          													0,₆₁₈..., mithin dem Minor des Ganzen gleich,
                                          													der Minor des Majors (mM), sowie
                                          													auch der Major des Minors (Mm) =
                                          													0,₆₁₈... – 0,₃₈₁...
                                          													= 0,₂₃₆...; der Minor des Minors (mm), sowie auch der Major vom
                                          													Major des Minors (MMm) und der
                                          													Major vom Minor des Majors MmM) =
                                          													0,₃₈₁... – 0,₂₃₆...
                                          													= 0,₁₄₅... u.s.w. Mithin sind die Zahlenwerthe
                                          													für alle aus einer fortgesetzten Untereintheilung sich ergebenden
                                          													Abschnitte, wenn das Ganze als 1 oder 1000 Tausendstel angenommen
                                          													wird, in folgender absteigender Zahlenreihe enthalten:1000 : 618 : 381 : 236 : 145 : 90 : 55 : 34 : 21
                                          													: 13 : 8 : 5 : 3.Alle zwischen diesen Zahlen bestehenden Verhältnisse sind bis auf
                                          													kleine, der Kürze halber hier unberücksichtigt gebliebene
                                          													Bruchtheile einander gleich, z.B. 1000 : 618 = 618 : 381 u.s.w. Als
                                          													die einfachsten Typen dieses Verhältnisses in runden Zahlen lassen
                                          													sich die Verhältnisse 8 : 5 und 5 : 3 ansehen, und zwar jenes als
                                          													Typus derjenigen in denen der Minor, dieses aber als Typus
                                          													derjenigen in welchen der Major ein wenig zu groß ist. In noch
                                          													kleineren Zahlen läßt sich das Verhältniß ohne Bruch nicht mit
                                          													genügender Genauigkeit bezeichnen; doch drückt sich in den
                                          													Verhältnissen 3 : 2, 2 : 1 und 1 : 1, welche in runden Zahlen durch
                                          													fortgesetzte Subtraction des Minor vom Major gewonnen werden, ein
                                          													Uebergang mit oscillirender Bewegung vom Verh. des goldnen Schnitts
                                          													zum Verhältniß des Gleichmaaßes (1 : 1) aus.
                                    										
                                 
                              
                           
                           Nicht anders ist das Resultat, wenn man mit jeder dieser vier Abtheilungen abermals
                              									eine Untereintheilung vornimmt: denn je nachdem man hiebei dem Minor oder Major die
                              									obere Lage gibt, correspondirt der Durchschnitt mit folgenden wesentlichen
                              									Punkten:
                           
                              1) in der Kopfpartie mit dem Orbitalrande oder der Nasenbasis;
                              2) in der Rumpfpartie mit der Höhe der Achselhöhlen oder der Herzgrube;
                              3) in der Oberschenkelpartie mit dem
                                 											Schamende oder dem Handende;
                              4) in der Unterschenkelpartie mit dem
                                 											Ende des Wadenmuskels oder der Schienbeintaille, d. i. der schmalsten Stelle
                                 										zwischen Wade und Knöchel.
                              
                           Je nachdem die hieraus resultirenden Abtheilungen mehr oder minder gegliedert sind,
                              									läßt sich mehr oder minder oft dasselbe Eintheilungsprincip auch bei ihnen
                              									verfolgen, am evidentesten in den Abschnitten der Kopf- und Rumpfpartie,
                              									minder scharf markirt, doch immer noch unverkennbar in den Unterabtheilungen der
                              									Ober- und Unterschenkelpartie. Dieß hier ausführlich ins Einzelne zu
                              									verfolgen, erlauben die Gränzen dieses Aufsatzes nicht; ich begnüge mich daher, die
                              									Ergebnisse einer consequent fortgesetzten Subdivision der vier Hauptabschnitte der
                              									Totalhöhe hier nur in einer Uebersicht anzudeuten und die den Abtheilungen
                              									entsprechenden proportionalen Zahlenwerthe beizufügen.
                           1. Gliederung der Kopfpartie mit dem
                              									Totalmaaß von 145 Tausendsteln der Totalhöhe:
                           
                              
                                 Scheitel bis HaaranfangHaaranfang bis
                                    											Augenbrauen
                                 
                                 
                                 
                                 2134
                                 
                                    
                                    
                                 55
                                 
                              
                                 Augenbrauen bis NasenbasisNasenbasis
                                    											bis KinnKinn bis Kehlkopf
                                 
                                    
                                    
                                    
                                 55
                                 
                                    
                                    
                                    
                                 343421
                                 
                                    
                                    
                                 90
                                 
                              
                           2. Gliederung der Rumpfpartie mit
                              									dem Totalmaaß von 236 Tausendsteln:
                           
                              
                                 Kehlkopf bis
                                    											BrustbeinanfangBrustbeinanfang bis Achselhöhlenhöhe
                                 
                                 
                                 
                                 3455
                                 
                                    
                                    
                                 90
                                 
                              
                                 Achselhöhlenhöhe bis
                                    											HerzgrubeHerzgrube bis RippenendeRippenende bis
                                    											Taillenbasis
                                 
                                    
                                    
                                    
                                 90
                                 
                                    
                                    
                                    
                                 555534
                                 
                                    
                                    
                                 145
                                 
                              
                           
                           3. Gliederung der Oberschenkelpartie
                              									mit dem Totalmaaß von 381 Tausendsteln:
                           
                              
                                 Taillenbasis bis SchambergSchamberg
                                    											bis Schamende
                                 
                                 
                                 
                                 9055
                                 
                                    
                                    
                                 145
                                 
                              
                                 Schamende bis HandendeHandende bis
                                    											KnieanfangKnieanfang bis Wadenanfang
                                 
                                    
                                    
                                 145
                                 
                                    
                                    
                                 905590
                                 
                                    
                                    
                                 236
                                 
                              
                           4. Gliederung der Unterschenkelpartie mit dem Totalmaaß von 236 Tausendsteln:
                           
                              
                                 Wadenanfang bis zur größten Breite der
                                    											WadenGrößte Breite der Waden bis Ende des Wadenmuskels
                                 
                                 
                                 
                                 5534
                                 
                                    
                                    
                                 90
                                 
                              
                                 Ende des Wadenmuskels bis
                                    											SchienbeintailleSchienbeintaille bis FußanfangFußanfang bis
                                    											Fußsohle
                                 
                                    
                                    
                                 90
                                 
                                    
                                    
                                 553455
                                 
                                    
                                    
                                 145
                                 
                              
                           Zur Veranschaulichung dieser Uebersicht dient Fig. 17 auf Tab. V,
                              									welche eine genaue Nachbildung der von Carus in seiner
                              										„Symbolik der menschlichen Gestalt“ zur Darstellung der von
                              									ihm als ideal-normal erkannten Maaßverhältnisse gegebenen Figur ist. Die
                              									Linien und Punkte innerhalb der Figur beziehen sich auf das Carus'sche System; das links von der Figur befindliche Schema nebst den
                              									davon auslaufenden Linien stellt die consequent fortgesetzte Eintheilung der
                              									Totalhöhe dieser Figur nach dem Verhältniß des goldnen Schnitts dar.
                           Ganz nach dem nämlichen Verhältniß gliedern sich nun auch die Arme, Hände, Füße,
                              									Augen etc., wofür hier die Andeutung genügen möge, daß
                           
                              
                                 der ganze Arm mit Hand als Ganzes
                                 3mal
                                 145... = 437...
                                 
                              
                                 der Unterarm mit Hand als Major des
                                    											Ganzen
                                 3mal
                                   90... = 270...
                                 
                              
                                 der Oberarm als Minor des Ganzen
                                 3mal
                                   55... = 167...
                                 
                              
                                 die Hand als Minor des Majors
                                 3mal
                                   34... = 103...
                                 
                              
                                 die Vorderhand als Major der
                                    											Handlänge
                                 3mal
                                   21...  =  63...
                                 
                              
                           Tausendstel der ganzen Körperlänge enthält.
                           Und so entsprechen auch die Breitedimensionen
                              									wohlgebildeter mittlerer Constitutionen in den wesentlichsten Höhepunkten der
                              									einzelnen Partien und Gliedmassen denselben Verhältnißzahlen. So ist z.B. die größte
                              									Breite des Kopfes = 2mal 55; die Breite des Halses = 2mal 34; die größte Breite des
                              									Rumpfes ohne Arme = 2mal 90; die größte Breite des Rumpfes mit Armen = 2mal 145; die
                              									Breite der Hüften = 2mal 90; die mittlere Breite des einzelnen Schenkels = 90; die
                              									Breite des  Knies = 55;
                              									die größte Breite der Wade = 145/2 geringste Breite des Schienbeins = 34, und die
                              									horizontale Ausdehnung des Fußes in der Länge = 145, dagegen in der Breite = 55. Das
                              									Nähere hierüber findet sich in meiner Proportionslehre S. 220–263.
                           
                              
                              Fig. 2.; Bd. 137, S. 329
                              
                           Alle für den Bildner und Zeichner richtigen Abschnitte des menschlichen Körpers
                              									lassen sich mithin in ihrem Maaß mit größter Leichtigkeit nach den wenigen und
                              									leicht zu behaltenden Zahlen der aus der fortgesetzten proportionalen Eintheilung
                              									der Zahl 1000 hervorgehenden Reihe: 1000, 618, 385, 236 u.s.w. bestimmen; und eben
                              									so leicht ist natürlich auch die Bestimmung der Maaße auf rein-geometrischem
                              									Wege, besonders wenn man sich ein für allemal einen General-Proportionsmesser
                              									nach Andeutung der beistehenden Figur entwirft und die in meiner Proportionslehre
                              									(S. 451–456) dazu gegebene Gebrauchsanweisung dabei berücksichtigt. (Fig. 2.)
                           Will z.B. ein Zeichner eine menschliche Figur gerade von der Höhe dieses Maaßstabes,
                              									also = αx entwerfen, so hat er im Major
                              									desselben βx das Maaß für den Unterkörper,
                              									und mithin im Minor αβ = γx (381) das Maaß für den Oberkörper und
                              									zugleich für die Oberschenkelpartie, sowie für die Abschnitte vom Kehlkopf bis zum
                              									Schamende und vom Handende bis zur Sohle: denn alle diese Abschnitte haben das Maaß
                              									von 381. – Im Minor des Majors βγ = δx (236)
                              									besitzt er das Maaß für die Rumpf- und Unterschenkelpartie, sowie für die
                              									Abschnitte vom Scheitel bis zu den Achselhöhlen, von der Taillenbasis bis zum
                              									Handende, vom Schamende bis zum Wadenanfang u.a. – Im nächst kleineren Theil γδ = εx (145) hat er das Maaß für die Kopfpartie, für die Abschnitte vom
                              									Kehlkopf bis zur Herzgrube, von den Achselhöhlen bis zur Taillenbasis, von dieser
                              									bis zum Schamende, vom Handende bis zum Knieende etc., sowie auch für die mittlere
                              									Fußlänge, für die halbe Breite des Rumpfes nebst Armen (in der Höhe der
                              									Achselhöhlen), für die Breite beider Waden etc.; und so liefern ihm auch die
                              									folgenden Abschnitte δε = ζx (90), εζ = ηx (55), ζη = ϑx (34), ηϑ = ιx (21) und ϑι (13) die Maaße für alle ihm wichtigen Abtheilungen, wie
                              									sie auf S. 264 und 265 meiner Proportionslehre tabellarisch zusammengestellt
                              									sind.
                           Soll die Figur kürzer als die ganze Länge des Maaßstabes, z.B. nur Fx seyn, so muß natürlich für βx der Abschnitt fx, für αβ oder γx der
                              									unter γ beginnende Abschnitt fx, für βγ oder δx der unter δ beginnende Abschnitt fx u.s.w. substituirt werden, weil sich diese nach
                              									der Construction des Maaßstabes zu Fx eben so
                              									verhalten, wie βx, γx, δx etc. zu αx.
                           Soll hingegen die Figur länger seyn als der Maaßstab αx, so muß man sich denselben nach Bedürfniß verlängern, nämlich
                              									oben an ihn ein auf gleiche Weise eingetheiltes Stück in der Länge von βx, welches α'x heißen möge, dann wieder ein Stück = αx mit der Bezeichnung α''x, hierauf wieder ein Stück = α'x mit der Benennung α''x u.s.w. ansetzen, bis er eine Länge besitzt, wie man sie
                              									gebraucht. Uebrigens verfährt man dann ganz in der bisher beschriebenen Weise.
                           Natürlich entspricht eine auf solche Weise construirte Figur nur dem Bedürfniß der
                              									Correctheit und entbehrt als solche noch jedes charakteristischen und lebendigen
                              									Ausdrucks; wer aber weiß, daß die Correctheit stets die Basis auch der freieren
                              									Gestaltung seyn und bleiben muß, wird darum die Wichtigkeit eines so leicht zur
                              									Correctheit führenden Verfahrens nicht verkennen, und zwar um so weniger, als dieses
                              									Verfahren, weil es dem Auge und der Hand nur die genaue Erfassung eines einzigen
                              									Verhältnisses zumuthet, weit mehr als alle bisherigen Methoden dazu geeignet ist,
                              									jene Sicherheit und Virtuosität zu erzeugen, welche eines leitenden Kanons nicht
                              									mehr bedarf.
                           Noch mehr aber empfiehlt sich der hier erörterte Kanon dadurch, daß sich aus ihm
                              									zugleich die allgemeinsten Normen für die Darstellung der wichtigsten Modificationen
                              									der Menschengestalt, namentlich der Geschlechts-, Racen- und
                              									Altersunterschiede ergeben. Wie oben bereits angedeutet ist, läßt sich unser
                              									Verhältniß in endlichen Zahlen und Maaßen nie vollkommen genau realisiren, sondern
                              									der reale Ausdruck weicht immer um einen wenn auch noch so geringfügigen Bruchtheil
                              									von demselben ab, und zwar entweder zu Gunsten des Minors, wodurch sich das
                              									Verhältniß dem Verhältniß der Gleichheit (1 : 1) nähert, oder zu Gunsten des Majors,
                              									wodurch es dem Verhältniß einer noch größeren Verschiedenheit, namentlich dem
                              									Verhältniß der Duplicität (1 : 2) näher kommt. Vergleicht man nun die Verhältnisse
                              									der obigen Zahlenreihe mit einander, so findet man daß die Verhältnisse 5 : 8, 13 :
                              									21, 34 : 55, 90 : 145 u.s.w. den Minor, dagegen die dazwischenliegenden Verhältnisse
                              									3 : 5, 8 : 13, 21 : 34, 55 : 90, 145 : 236 etc. den Major bevorzugen, daß also in
                              									dieser Reihe abwechselnd ein Schwanken nach der einen oder der andern Seite hin
                              									stattfindet. Auf diesem unmittelbar aus der Idealität oder Unendlichkeit des
                              									Verhältnisses sich ergebenden Unterschiede beruht nun merkwürdiger Weise auch die
                              									Hauptdifferenz des menschlichen Körperbaues, nämlich die zwischen dem männlichen und
                              									weiblichen Typus. Der männliche Typus folgt nämlich mit entschiedener Vorliebe den
                              									den Minor bevorzugenden Verhältnissen, unter denen sich das Verhältniß 5 : 8 als das
                              									einfachste und Grundverhältniß darstellt; der weibliche Typus hingegen ist häufiger
                              									nach den den Major bevorzugenden Verhältnissen gebildet, unter welchen das
                              									Verhältniß 3 : 5 als das einfachste und zumeist ausgeprägte anzusehen ist. Beim
                              									männlichen Körper nämlich liegt die Taille in der Regel etwas tiefer als der goldne
                              									Schnitt, beim weiblichen hingegen ein wenig höher; in jenem ist also der Minor, in
                              									diesem der Major ein wenig bevorzugt, was sich außerdem auch darin ausdrückt, daß
                              									bei den Männern Kopf und Brust als Theile des Oberkörpers, bei den Frauen dagegen
                              									Hüften und Waden als Theile des Unterkörpers völliger gebaut sind, wie sich denn
                              									überhaupt nach Seite 298 fgg. meiner Proportionslehre alle formellen
                              									Geschlechtsunterschiede als einfache Konsequenzen dieses Grundunterschiedes
                              									darstellen.
                           Auf ähnlichen Schwankungen beruhen nun auch die Racen- und Altersunterschiede,
                              									nur daß hier die Abweichungen von der idealen Mitte des Verhältnisses nach beiden
                              									Seiten hin noch stärker sind, dergestalt daß sie sich in den minder entwickelten
                              									Formen um das Verhältniß der Gleichheit (1 : 1) dagegen in den übermäßig
                              									entwickelten Formen, wie sie in Uebergangsperioden vorzuherrschen Pflegen, um das
                              									Verhältniß der Duplicität (1 : 2) bewegen, über diese Extreme aber nur sehr selten
                              									hinausgehen. Auch die Darstellung des Eigenthümlichen und Charakteristischen in der
                              									Menschengestalt findet also in dem hier besprochenen Proportionalgesetz einen
                              									sicheren Anhalt, worüber man außer meiner Proportionslehre (S. 309 fgg.) auch meine
                              										„Aesthetischen Forschungen“ (§ 186, 196 fgg.)
                              									vergleichen möge.
                           Nächst dem Bildner und Zeichner menschlicher Figuren ist nun dieses Gesetz
                              									selbstverständlich auch für alle diejenigen von wesentlicher Bedeutung, die es mit der Bekleidung,
                              									Costümirung und Ausschmückung des menschlichen Körpers zu thun haben, also für den
                              									Schneider, Modisten, Schnürleibfabrikanten, Waffenschmied u.s.w.: denn es liegt auf
                              									der Hand, daß nur die Ausstattung wirklich als schön
                              									gelten kann, die mit den normalen und charakteristischen Verhältnissen des Körpers
                              									selbst im Einklang ist. Dieß ist vom Gefühl auch stets empfunden, und daher ist man
                              									von jeher bestrebt gewesen, in und an der Bekleidung die drei Hauptcäsuren des
                              									Körpers gehörig hervorzuheben, nämlich die Taille durch den Gürtel, den Hals durch
                              									das Halsband und den Wadenanfang als Gränze zwischen Ober- und Unterschenkel
                              									durch den Kniegürtel oder durch das Ende des Rockes. Nicht selten gerathen aber
                              									Geschmack und Mode bei Bestimmung dieser und anderer für die Gliederung der Gestalt
                              									wichtigen Punkte auch auf Irrwege, und ein leitender Kanon ist daher hier nichts
                              									weniger als überflüssig. Nähere Andeutungen hierüber habe ich bereits im Morgenblatt (1854, Nr. 17 und 18) gegeben, und will ich
                              									daher hier der Kürze halber darauf verweisen.
                           Von nicht geringerer Wichtigkeit ist nun aber ein zuverlässiges Proportionalgesetz
                              									auch für eine große Anzahl anderer Künstler und Techniker, die es nicht unmittelbar
                              									mit dem menschlichen Körper zu thun haben, namentlich für den Architekten, sodann
                              									aber auch für Tischler, Gold und Silberarbeiter, Glas- und
                              									Porzellanfabrikanten, Formschneider, kurz für Alle, die es mit der Anfertigung von
                              									Gefäßen, Tafelaufsätzen, Lampen, Leuchtern, Kandelabern, Uhren, Teppichen, Tapeten,
                              									Stickmustern und sonstigen Gebrauchs- und Luxusartikeln zu thun haben; ja man
                              									kann sagen, es thut hier in noch höherem Grade noth, einerseits weil hier die
                              									natürlichen Vorbilder fehlen und mithin der subjectiven Willkür mehr Thür und Thor
                              									geöffnet ist, andererseits weil viele der Arbeiter, die solche Artikel zu fertigen
                              									haben, nicht in gleichem Maaße wie der Maler, Bildhauer und der eigentliche
                              									Architekt eine durchgreifende Geschmacksbildung erhalten haben. Wie sehr nun das
                              									Verhältniß des goldnen Schnitts auch in dieser Hinsicht sich als dasjenige
                              									empfiehlt, um welches herum man sich bei Bestimmung der Formen zu bewegen hat, und
                              									von welchem man, wenn man nicht das ästhetische Gefühl verletzen will, nicht
                              									allzuweit abweichen darf, geht deutlich daraus hervor, daß man in einer großen
                              									Anzahl von architektonischen und verwandten Kunstwerken und zwar gerade solchen, die
                              									unbestritten als die schönsten anerkannt sind, unbewußt und unwillkürlich, also rein
                              									in Folge des natürlichen Schönheitsgefühls, davon Anwendung gemacht hat.
                           In Betreff der Architektur habe ich hierüber in meiner
                              									Proportionslehre (S. 390–410) eine Reihe überzeugender Belege gegeben, von
                              										denen ich hier nur
                              									auf einige hindeuten will. So verhält sich z.B. am Parthenon zu Athen die Höhe
                              									desselben (von der Grundlinie der Basis bis zur Spitze des Giebels) zur Länge des
                              									Architravs genau wie der Minor zum Major: denn nach den arithmetischen Maaßangaben
                              									besteht die Höhe dieses vollendetsten aller antiken Bauwerke aus 65, dagegen die
                              									Breite, d. i. die Länge der Giebelfront, aus 107, mithin die Summe beider
                              									Dimensionen aus 172 Fuß. Theilt man aber diese Zahl nach dem goldnen Schnitt, so
                              									kommen auf den Major 106–107, auf den Minor 66–65 Fuß; beide Theile
                              									entsprechen also bis auf einen für die Wahrnehmung völlig verschwindenden Bruchtheil
                              									den oben angegebenen Maaßen. In gleich überraschender Weise stimmt die Eintheilung
                              									der Höhe mit unserem Gesetz überein. Theilt man diese nämlich nach dem goldnen
                              									Schnitt, so reicht der längere Untertheil gerade bis zur Grundlinie des Gebälks und
                              									der kürzere Obertheil von da bis zur Spitze des Giebels; der Major correspondirt
                              									also mit der Höhe der Säulen nebst den Stufen, der Minor hingegen mit der Höhe des
                              									Gebälks nebst der Höhe des Giebels. Unterwirft man den Obertheil wieder derselben
                              									Theilung, so fällt die Durchschnittslinie gerade mit der Grundlinie des Giebels,
                              									also der Gränze zwischen Giebel und Gebälk, zusammen; nimmt man aber auch mit dem
                              									Gebälk die Theilung vor, so entspricht die Höhe des Architravs dem Minor und die
                              									Höhe des Frieses und der Corniche zusammengenommen dem Major; im letztem Abschnitt
                              									aber stehen der Fries als Major und die Corniche als Minor zu einander wiederum in
                              									dem nämlichen Verhältnisse. Interessant ferner ist, daß sich auch die Höhe des
                              									nackten Säulenschafts zur summirten Höhe der Basis einerseits und des Capitäls sammt
                              									dem Gebälk andererseits wie der Major zum Minor verhält, und daß alsdann zwischen
                              									der Höhe der Basis und der Höhe des Capitäls sammt Gebälk, also zwischen dem
                              									unterhalb und dem oberhalb des Schaftes liegenden Bau (mit Ausschluß des Giebels)
                              									abermals dasselbe Verhältniß besteht.
                           In nur wenig abweichender Weise finden sich dieselben Proportionen auch an andern
                              									antiken Bauwerken von hervorragender Schönheit wieder z.B. an den Propyläen der
                              									Akropolis, am Erechtheum, am Theseustempel, am Jupitertempel zu Agrigent, am
                              									Apollotempel zu Bassä, am Tempel des capitolinischen Jupiter zu Rom, am Denkmal des
                              									Lysikrates, sowie an vielen Triumphbogen, Mausoleen, Wasserleitungen etc.; von
                              									besonderem Interesse aber ist es, daß sich die verschiedenen Verhältnisse der
                              									Säulenordnung, durch die sich u.a. der dorische und ionische Styl von einander
                              									unterscheiden, zur reinen Mitte unseres Verhältnisses gerade eben so verhalten, wie
                              									die oben erwähnten Modificationen, auf denen die Unterschiede des männlichen und
                              									weiblichen Typus beruhen: denn in der Bestimmung des Verhältnisses der
                              									Säulendicke zum Säulenabstand zeigt der dorische Styl, wie der männliche Typus eine
                              									entschiedene Vorliebe zur Bevorzugung des Minors, also eine Hinneigung zum
                              									Verhältniß 1 : 1, ungefähr bis zum Verhältniß 2 : 3; der ionische Styl hingegen, wie
                              									der weibliche Körperbau, zeigt eine Inclination zur Bevorzugung des Majors, also zum
                              									Verhältniß 1 : 2, ja 1 : 3, ein Umstand, aus dem sich mit Evidenz der männliche
                              									Charakter des dorischen und der weibliche Charakter des ionischen Styls erklärt, und
                              									welcher dadurch eine noch allgemeinere Wichtigkeit erhält, daß auf derselben
                              									Differenz auch der Unterschied zwischen Dur- und
                              										Moll-Schlußaccord in zweistimmigen
                              									Musikstücken beruht: denn der zweistimmige Dur-Schlußaccord, d. i. die kleine Sexte
                              									(z.B. e + ) beruht auf dem Schwingungsverhältniß
                              									5 : 8, in welchem der Minor bevorzugt ist, und der
                              									zweistimmige Moll-Schlußaccord, d. i. die große Sexte (z.B. es +
                              									) beruht auf dem Schwingungsverhältniß 3 : 5, in welchem der Major ein wenig zu groß ist.
                           Wie an antiken Bauwerken findet sich nun das Verhältniß des goldnen Schnitts oft mit
                              									überraschender Consequenz auch an Werken der gothischen Baukunst beobachtet,
                              									namentlich was die Eintheilung der Höhe betrifft. In meiner Schrift habe ich dieß
                              									insbesondere am Kölner Dom, am Freiburger Münster und an der Elisabethkirche zu
                              									Marburg nachgewiesen und durch Zeichnungen veranschaulicht; außerdem aber können
                              									noch eine große Anzahl anderer berühmter Gebäude, z.B. Notre Dame zu Paris, die
                              									Kathedralen zu Amiens, Lincoln, York, Canterbury, Salisbury, Liechfield, Palermo,
                              									Siena etc., sowie viele deutsche Kirchen und Dome gleich überzeugende Belege dafür
                              									liefern. Auch für anderweitige öffentliche und Privatgebäude empfiehlt sich die
                              									Anwendung des Verhältnisses, z.B. zur Bestimmung bei Maaßverhältnissen zwischen der
                              									Höhe des Souterrains und des Erdgeschosses, der Hauptetage und der darüberliegenden,
                              									des obersten Geschosses und des Dachgesimses, der Fensterbrüstung und des Fensters
                              									etc., sowie auch zwischen der Breite des Hauptflügels und der Seitenflügel, der
                              									Fenster und der Fensterwände, der Thürflügel und der Thürbekleidung u.s.w.
                           Nicht minder anwendbar als für die Construction und Gliederung ganzer Gebäude ist das
                              									Gesetz auch für die Gestaltung einzelner Bestandtheile derselben, z.B. der Thüren,
                              										FensterBei Eintheilung der Fensterhöhe durch den Querbalken des Fensterkreuzes hat
                                    											man bisher zwischen den Verhältnissen 1 : 1 und 1 : 2 geschwankt, indem man
                                    											entweder jeder der beiden Abtheilungen 2, oder der untern 2, dagegen der
                                    											obern nur 1 Scheibe gab. Ein unschönes Hinausgehen über das letztere
                                    												Verhältniß findet dann statt, wenn sich die Zahl der Scheiben in beiden Abtheilungen
                                    											wie 1 : 3 verhält; dagegen eine Vermittlung jener beiden zuerst genannten
                                    											Verhältnisse wird erstrebt, wenn man, wie im Schinkel'schen Fenster, der oberen Abtheilung 2, und der unteren 3
                                    											Scheiben gibt, oder wenn man, was neuerdings beliebt ist zwar jede
                                    											Abtheilung nur aus einer Scheibe bestehen läßt,
                                    											aber der unteren 3/5 und der oberen 2/5 der ganzen Fensterhöhe gibt. Hierin
                                    											ist schon eine entschiedene Annäherung an das Verhältniß des goldnen
                                    											Schnitts enthalten; noch wohlgefälliger aber und zugleich praktischer wird
                                    											es seyn, die Höhe der oberen Abtheilung zur Höhe der unteren Abtheilung sich
                                    											wie 3 : 5 oder wie 5 : 8 verhalten zu lassen, weil man auf diese Weise für
                                    											den unteren Flügel noch an Höhe gewinnt, ohne die Höhe der oberen Flügel,
                                    											wie bei dem Verhältniß 1 : 2 der Fall ist, bloß auf die Hälfte von der Höhe
                                    											der untern Flügel zu reduciren., Treppen, Gesimse, Consolen, Arabesken und sonstigen Ornamente. Die ästhetische
                              									Bedeutung derselben folgt schon daraus, daß die den Formen dieser Gegenstände zum
                              									Grunde liegenden geometrischen Figuren, z.B. Dreiecke, Oblongen, Rhomben, Achtecke,
                              									Ellipsen, Ovale, Kreuze, Sterne u.s.w., gerade dann eine dem Auge wohlthuende
                              									Gestalt haben, wenn sie auf die eine oder die andere Weise nach dem Verhältniß des
                              									goldnen Schnitts gebildet sind, z.B. wenn sich Länge und Breite, Grundlinie und
                              									Höhe, längere und kürzere Seite, längerer und kürzerer Radius oder sonstige im Maaß
                              									verschiedene Dimensionen einer Figur gerade wie Major und Minor oder wie ein Product
                              									derselben zu einander verhalten. So ist z.B. eine Ellipse, in welcher sich die
                              									kürzere Achse zur längeren entweder wie der Major zum Ganzen, also ungefähr wie 5 :
                              									8, oder wie der doppelte Minor zum Ganzen, also etwa wie 6 : 8, verhält, eine sehr
                              									wohlgefällige; und ein dem Schönheitssinn entsprechendes Oval – nämlich das
                              									der Kopfform zum Grunde liegende – läßt sich vielleicht auf keine andere
                              									Weise so leicht und sicher als mit Hülfe des goldnen Schnitts construiren, indem es
                              									ganz einfach durch die Verbindung zweier in zwei Punkten sich schneidenden Kreise
                              									herzustellen ist, von denen der größere einen Halbmesser vom Maaße des Majors, der
                              									kleinere dagegen, dessen Centrum in der Peripherie des größern liegen muß, einen
                              									Halbmesser vom Maaße des Minors hat. Selbst die Wellenlinie, deren ästhetische
                              									Wichtigkeit stets erkannt, in ihren Maaßverhältnissen aber ohne nähere Bestimmung
                              									geblieben ist, läßt sich, wie ich in meinen „Aesthetischen
                                 										Forschungen“ (§ 179) gezeigt habe, in den zumeist
                              									befriedigenden Formen bequem nach unserem Verhältniß construiren.Die auf diese Weise entstehenden Wellenlinien sind dieselben, auf denen die
                                    											Conturen der menschlichen Gestalt beruhen; auch die besonders wohlgefälligen
                                    											Schwingungen der Gebirgskämme pflegen ihnen zu entsprechen. Und so stehen auch gewisse eigenthümliche Verhältnisse der Spirallinie, aus
                              									denen die Gebrüder Bravais die Gesetze der Blattstellung
                              									abgeleitet haben, mit unserem Gesetze und einer ihm entsprechenden Kreiseintheilung,
                              									wie meine Proportionslehre (S. 372) nachweist, in nothwendigem und engstem
                              									Zusammenhange.
                           Hieraus ergibt sich zugleich seine Bedeutung für die Formation von Vasen, Bechern,
                              									Urnen, Schalen, Leuchtern und ähnlichen Gegenständen: denn sofern diese nicht
                              									Nachbildungen organischer Gebilde sind, stellen sie sich stets, als mehr oder minder
                              									zusammengesetzte Combinationen geometrischer Formen dar. Von besonderer Wichtigkeit
                              									ist hier das Gesetz, wie die Proportionalität überhaupt, für die Eintheilung der
                              									Höhe z.B. bei einem Becher die Bestimmung der Gränze zwischen dem tragenden und dem
                              									getragenen Theil, und an jedem dieser beiden Haupttheile die Maaßbestimmungen für
                              									die Absätze, Schichten, Einziehungen und Ausbauschungen, für die zur Inschrift oder
                              									zu bildlichen Darstellungen bestimmte Abtheilung, für die Randverzierungen u.s.w. In
                              									sehr vielen Fällen läßt sich aber auch das Verh. der Breite zur Länge, resp. Höhe
                              									entweder für das Ganze oder für einzelne Theile desselben, so wie die Gliederung der
                              									horizontalen Ausdehnung, namentlich die Untereintheilung der beiden zu einander
                              									gewöhnlich gegenständlich-symmetrisch sich verhaltenden seitlichen Hälften,
                              									die Articulation des Umrisses, die concentrische Schichtung des vom Umriß
                              									umschlossenen Raumes etc. auf eine geschmack-befriedigende Weise nach
                              									demselben Verhältniß bestimmen z.B. das Format von Postamenten, Schränken, Commoden,
                              									Tischplatten, Kästchen, Spiegeln, Bilderrahmen, Büchern, Füllungen, Abfachungen
                              									etc., das Maaß des concreten Mittelstücks im Verhältniß zum Maaß der dasselbe
                              									umspielenden Lineamente und Schnörkel bei Rosetten, Arabesken, Agraffen etc.; der
                              									Maaßunterschied breiterer und schmälerer Abtheilungen (z.B. der Triglyphen und
                              									Metopen) bei Friesverzierungen, Brüstungen, Geländern, Einfassungen, Bordüren,
                              									Tapisserien, Draperien u.s.w.
                           Vielleicht taucht in Manchem hiebei die Befürchtung auf, es müsse eine allgemeinere
                              									und mit Bewußtseyn ausgeführte Anwendung des hier in Rede stehenden Verhältnisses
                              									nothwendig zu einer gewissen Monotonie und Gleichartigkeit der Formen und zu einer
                              									Beschränkung der freischaffenden Phantasie führen. Diese Besorgniß ist aber eine
                              									durchaus unbegründete: denn das Verhältniß ist einer so unendlich mannichfaltigen
                              									und verschiedenartigen Ausbildung im Einzelnen fähig, und es läßt der schöpferischen
                              									Kraft innerhalb seiner Gränzen noch einen so unbegränzten Spielraum, daß in keiner
                              									Hinsicht eine beengende Wirkung von ihm zu befürchten ist. Dieß ergibt schon daraus,
                              									daß eine große Anzahl natürlicher und künstlerischer Gebilde, wie die
                              									Menschengestalt, die Figur der schöneren Thiele, der Bau der Pflanzen, die Form
                              									vieler Krystalle, die Anordnung der Planeten, die Construction antiker,
                              									mittelalterlicher und moderner Bauwerke, die harmonische Verbindung von Tönen, und so noch viele andere
                              									Formationen wirklich auf diesem Verhältniß beruhen, ohne daß dadurch ihre
                              									Verschiedenheit und Mannichfaltigkeit irgend einen Abbruch erlitten hätte, ja ohne
                              									daß das zum Grunde liegende Gesetz dem beobachtenden Sinne und forschenden Geiste
                              									auch nur mit Klarheit zum Bewußtseyn gekommen wäre. Es erklärt sich aber diese
                              									unendliche Variabilität und die damit verbundene Schwererkennbarkeit des
                              									Verhältnisses noch deutlicher daraus, daß es sich bald bei dieser, bald bei jener
                              									Dimension, bald an den inneren Achsen einer Figur, bald an ihren äußeren Umrissen,
                              									bald bei der Eintheilung der Linien, bald bei der Eintheilung der Winkel, bald in
                              									einfacherer, bald in complicirterer Weise anwenden läßt, und daß es in seiner
                              									ursprünglichen Reinheit rein idealer, irrationaler Natur ist und daher bei der
                              									Realisation nothwendig gewisse Modificationen erleiden muß, deren Zahl, weil sie auf
                              									der unbegränzten Feinheit von Gradunterschieden beruht, nach zwei verschiedenen
                              									Seiten hin eine schlechthin unendliche ist. Schon die Eintheilung einer einzigen,
                              									einfachen Linie nach diesem Verhältniß kann, je nachdem die Eintheilung einmal,
                              									zweimal, dreimal oder öfter angewandt wird, und je nachdem der Minor bald oberhalb,
                              									bald unterhalb des Majors, oder auch in die Mitte seiner Unterabtheilungen gelegt
                              									wird, eine unberechenbar verschiedene seyn. Nimmt man z.B. als Totalmaaß der Linie
                              									1000 Tausendstel an, so sind u.a. folgende mehr oder minder complicirte
                              									Eintheilungen und Anordnungen von oben nach unten, oder von rechts nach links, oder
                              									von innen nach außen möglich: bei einmaliger Theilung:
                              									381 + 618, und umgekehrt 618 + 381; bei zweimaliger
                              									Theilung: 381 + 236 + 381, oder 381 + 381 + 236, oder 236 + 381 + 381, oder 618 +
                              									236 + 145, oder 145 + 236 + 618 etc.; bei dreimaliger
                              									Theilung: 145 + 236 + 381 + 236, oder 381 + 236 + 145 + 236, oder 236 + 381 + 145 +
                              									236 etc.; bei viermaliger Theilung: 145 + 236 + 236 + 236
                              									+ 145, oder 236 + 145 + 236 + 145 + 236, oder 145 + 236 + 236 + 145 + 236 u.s.w. in infinitum. – Will man nicht vom Ganzen zu den
                              									Theilen, sondern von den Theilen zu dem Ganzen gelangen, so lassen sich die Theile
                              									auch in aufsteigender, absteigender oder wechselnder Progression an einander reihen,
                              									z.B. 3 + 5 + 8 + 13, oder 13 + 8 + 5 + 3, oder 3 + 5 + 8 + 5 + 3, oder 8 + 5 + 3 + 5
                              									+ 8 etc. Jede dieser möglichen Eintheilungen läßt sich natürlich mit jeder andern
                              									theils an derselben Achse, theils an einer andern Achse, oder auch an den Seiten, an
                              									den Winkeln etc. in Verbindung setzen, und so sind noch zahllose andere
                              									Combinationen möglich, so daß der berechnende Verstand nicht einmal im Stande ist, sie unter allgemeine
                              									Rubriken zu bringen.
                           Uebrigens versteht sich von selbst, daß, wenn hier das Verh. des goldenen Schnitts
                              									als das vollkommenste bezeichnet und dem Techniker zur Benutzung empfohlen ist,
                              									damit nicht gemeint seyn kann, daß es überall und in allen Beziehungen angewandt
                              									werden müsse. Neben ihm besteht z.B. das für den Bildner nicht minder wichtige
                              									Gesetz des Gleichmaaßes oder der Symmetrie unangetastet fort, und zwar läßt sich das Verhältniß beider zu
                              									einander so bestimmen, daß das Verh. des Gleichmaaßes das ursprünglichste und
                              									einfachste, das des goldenen Schnitts hingegen das vollendetste und in sich
                              									abgeschlossenste ist. Jenes bildet daher die Basis, dieses die Culmination der
                              									formellen Entwickelung, jenes prävalirt, wie das Gleichgewicht, in der horizontalen,
                              									dieses, wie die Combination eines größeren und geringeren Gewichts, in der
                              									verticalen Richtung. Jenes befriedigt, weil in seiner Gesetzmäßigkeit sofort
                              									erkennbar, auf der Stelle, wird aber auf die Dauer monoton und langweilig; dieses
                              									besitzt, weil es seine Gesetzmäßigkeit verhüllt, etwas Mystisches und Räthselhaftes,
                              									wirkt aber gerade dadurch in höherem Grade anregend und geistbeschäftigend.
                           Außer diesen beiden Hauptverhältnissen gibt es ferner noch eine unendliche Masse
                              									anderer Verhältnisse, theils solche, die zwischen beiden in der Mitte liegen, wie
                              									die Verhältnisse 2 : 3, 3 : 4, 4 : 5, 5 : 6 u.s.w., denn in allen diesen sind die
                              									beiden mit einander verbundenen Theile weder einander vollkommen gleich wie in dem
                              									Verhältniß der Symmetrie (1 : 1), noch in dem Grade von einander verschieden, wie im
                              									Verhältniß des goldenen Schnitts (1 : 1,61...); theils solche, welche über das Verh.
                              									des goldenen Schnitts hinausgehen, wie 1 : 2, 1 : 3, 1 : 4, 2 : 5, 3 : 7 etc. Auch
                              									unter diesen Verhältnissen sind viele von ästhetischer Bedeutung, besonders die
                              									zuerst genannten und diejenigen der letztern, welche sich als bloße Producte oder
                              									Potenzen der beiden Hauptverhältnisse auffassen lassen, wie z.B. 1 : 2, 1 : 3 als
                              									Verdoppelung und Verdreifachung des Verhältnisses 1 : 1; und 3 : 10, 5 : 16 als
                              									Verdoppelungen der Verhältnisse 3 : 5, 5 : 8 etc. Im Allgemeinen qualificiren sich
                              									aber dieselben nicht zur Formbestimmung des Ganzen weder in seiner ursprünglichen,
                              									noch in seiner vollendeten Gestalt, sondern nur zur Gestaltung der untergeordneten
                              									Theile und der vom Anfang zum Schluß überleitenden Momente, so daß sie sich als Theil- oder Uebergangsverhältnisse bezeichnen lassen. Als solche sind sie eben so
                              									wichtig und nothwendig als jene, selbst wenn sie, absolut betrachtet, als
                              									Mißverhältnisse erscheinen sollten. So wirken z.B. in der Musik die Secunden und Septimen mit den
                              									Verhältnissen 8 : 9 und 5 : 9, für sich allein genommen, als Dissonanzen; ja auch
                              									die Verhältnisse der Quinte (2 : 3), Quarte (3 : 4) und der beiden Terzen (4 : 5 und
                              									5 : 6) gewähren nicht eine so selbstständige Befriedigung, daß sich das Ohr zum
                              									Schluß bei ihnen zu beruhigen vermöchte. Aber inmitten einer fortschreitenden Reihe
                              									von Accorden sind sie von ganz außerordentlichem Effect: denn sie lassen gleichsam
                              									die einzelnen Töne als mit einander im Conflict erscheinen, und erzeugen dadurch
                              									diejenige Spannung und Aufregung, welche vorangehen muß, wenn das Beruhigende und
                              									absolut Befriedigende der reinen Harmonie in seiner vollen Schönheit erscheinen
                              									soll. Ebenso ist es nun auch bei den optischen Erscheinungen. Ein Verhältniß der
                              									Breite zur Höhe, wie es z.B. die Figur einer einzelnen Säule darstellt, muß, absolut
                              									betrachtet, schon als ein Mißverhältniß angesehen werden; aber als integrirender
                              									Theil einer Säulenhalle, deren Gesammtform auf einem harmonischen Verhältniß wie 3 :
                              									5 oder 5 : 8 beruht, trägt es wesentlich zur Steigerung und Belebung des Effects
                              									bei, indem es den anschauenden Sinn und Geist zunächst aus seiner Ruhe aufregt, dann
                              									aber ihm Gelegenheit gibt, die einzelnen Theile zu einer harmonischen Totalität
                              									zusammen zu fassen.
                           Durch die hier ausdrücklich hervorgehobene ästhetische Bedeutung, welche das Verh.
                              									der Symmetrie einerseits und die zuletzt erörterten Verhältnisse andererseits
                              									besitzen, wird jedoch die Suprematie des auf dem goldenen Schnitt beruhenden
                              									Verhältnisses nicht aufgehoben, sondern sie läßt sich gerade aus einer Vergleichung
                              									beider mit ihm um so deutlicher erkennen: denn es leuchtet ein, daß dasselbe die
                              									Vorzüge beider in sich vereinigt, indem es einerseits das Beruhigende vom Verhältniß
                              									der Gleichheit und andererseits das Anregende und Belebende von den übrigen
                              									Verhältnissen besitzt. Indem es nämlich die Ungleichheit und Gebrochenheit der
                              									einzelnen Theile durch eine Gleichheit und Continuität der Verhältnisse zwischen dem
                              									Ganzen und seinen Theilen zur Ausgleichung bringt, läßt es uns inmitten der Ruhe
                              									noch die Bewegung und inmitten des Conflicts schon den Frieden empfinden. Daher
                              									bestimmt sich denn auch der ästhetische Rang der übrigen Verhältnisse nach der
                              									nähern oder fernern Beziehung, die sie zum Verh. des goldenen Schnitts haben, und
                              									dieses ist dasjenige Verhältniß, um welches herum sich alle übrigen Verhältnisse wie
                              									um ihre ideale Mitte bewegen. So liegen z.B. unter den musikalischen Verhältnissen
                              									die der Secunden, Terzen, Quarten und Quinten (8 : 9, 5 : 6, 4 : 5, 3 : 4, 2 : 3)
                              										diesseit desselben, d.h. sie nähern sich ihm mehr und
                              									mehr von dem Verhältniß des Gleichmaaßes oder der Prime (1 : 1) aus; dagegen die
                              									Verhältnisse der verschiedenen Septimen (64 : 125, 8 : 15, 5 : 9, 9 : 16, 125 : 216,
                              									75 : 128) liegen jenseit desselben, d.h. sie nähern sich
                              									ihm vom Verhältniß der Duplicität oder der Octave (1 : 2) oder von Verhältnissen
                              									einer noch größeren Differenz aus.
                           In ganz ähnlicher Weise zeigt sich dieses Verhältniß auch als das mittlere bei
                              									optischen Erscheinungen, z.B. in der Anordnung des Planetensystemes. Die mittleren
                              									Abstände der Planeten von der Sonne sind in runden Zahlen bekanntlich folgende:
                           
                              
                                 Mercur
                                   8 Mill.
                                 Mars
                                   32 Mill.
                                 Saturn
                                 196 Mill.
                                 
                              
                                 Venus
                                 15   „
                                 Asteroiden
                                   55   „
                                 Uranus
                                 395   „
                                 
                              
                                 Erde
                                 21   „
                                 Jupiter
                                 108   „
                                 Neptun
                                 626   „
                                 
                              
                           Die Entfernungen des Mercur von der Sonne, der Venus vom Mercur, der Erde von der
                              									Venus etc. drücken sich also in folgenden runden Zahlen aus: 8, 7, 6, 11, 23, 53,
                              									88, 199, 231. Die erste Distanz verhält sich also zur zweiten wie 8 : 7, die zweite
                              									zur dritten wie 7 : 6, die dritte zur vierten wie 6 : 11 u.s.w. Drücken wir diese
                              									Verhältnisse, um sie mit dem Verh. des goldenen Schnitts (1 : 1,₆₁...)
                              									bequem vergleichen zu können, sämmtlich in Decimalbrüchen aus und zwar so, daß die
                              									kleinere Zahl stets als 1, die größere dagegen stets als 1 oder 2 mit einem
                              									Decimalbruch erscheint, so erhalten wir folgende Verhältnisse:
                           
                              
                                 Sonne-Mercur
                                     7
                                    											:     8 = 1 : 1,₁₄...
                                 
                              
                                 Mercur-Venus
                                     6
                                    											:     7 = 1 : 1,₁₆...
                                 
                              
                                 Venus-Erde
                                     6 :   11
                                    											= 1 : 1,₁₆...
                                 
                              
                                 Erde-Mars
                                   11 :   23 = 1 :
                                    											2,₀₉...
                                 
                              
                                 Mars-Asteroiden
                                   23 :   53 = 1 :
                                    											2,₃₀...
                                 
                              
                                 Asteroiden-Jupiter
                                   53 :   88 = 1 :
                                    											1,₆₆...
                                 
                              
                                 Jupiter-Saturn
                                   88 : 199 = 1 :
                                    											2,₂₆...
                                 
                              
                                 Saturn-Uranus
                                 199 : 231 = 1 : 1,₁₆...
                                 
                              
                                 Uranus-Neptun
                                 231 : 374 = 1 : 1,₆₁...
                                 
                              
                           Sämmtliche Verhältnisse schwanken also zwischen den Verhältnissen 1 :
                              									1,₁₄... und 1 : 2,₃₀... Zwischen diesen beiden Extremen
                              									bildet aber das Verh. 1 : 1,₆₁..., also das Verhältniß des goldenen
                              									Schnitts das mittlere Proportionalglied; und wenn man aus allen diesen Verhältnissen
                              									das Durchschnittsverhältniß zieht, erhält man das Verh. 1 : 1,₆₉,
                              									welches dem Verh. des goldenen Schnitts ebenfalls sehr nahe kommt.
                           Zu einem ähnlichen Resultate gelangt man, wenn man z.B. an Pflanzen die Längenmaaße
                              									der zunächst zusammenliegenden Stängelglieder, oder an Thieren die Maaße der nächst
                              									zusammengehörigen Gliedmaßen mit einander vergleicht, worüber ich mir den Nachweis für
                              									eine besondere Abhandlung vorbehalten muß. Dasselbe läßt sich, wie bereits erwähnt,
                              									auch an architektonischen, plastischen und industriellen Kunstwerken beobachten, und
                              									es dürfte daher wohl kaum noch einen Zweifel erleiden, daß sich die Natur und das
                              									unmittelbare künstlerische Gefühl bei ihren Schöpfungen in formeller Beziehung in
                              									bald strengerer, bald freierer Ausführung um das hier erörterte Verhältniß zu
                              									bewegen pflegen.
                           A. Zeising.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
