| Titel: | Die Grundsätze der Agricultur-Chemie; von Professor Justus v. Liebig. | 
| Autor: | Justus Liebig [GND] | 
| Fundstelle: | Band 137, Jahrgang 1855, Nr. XCVI., S. 378 | 
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                        XCVI.
                        Die Grundsätze der Agricultur-Chemie; von
                           								Professor Justus v. Liebig.Im Begriff, eine neue Ausgabe seines Buches „die Chemie in ihrer
                                    											Anwendung auf Agrikultur und Physiologie“ zu bearbeiten, sah sich
                                 										Hr. Professor v. Liebig veranlaßt, die
                                 										landwirthschaftlichen Journale seit 1845 durchzugehen, um sich mit den seither
                                 										gewonnenen Erfahrungen bekannt zu machen. Unter allen bis jetzt erschienenen
                                 										Arbeiten zeichnen sich diejenigen des Hrn. J. B. Lawes in Rothamsted durch den Umfang und die Dauer der von ihm
                                 										unternommenen Versuche aus, und da das Endresultat derselben, nach Lawes' Folgerungen im Widerspruch steht mit den
                                 										Grundsätzen, welche Prof. v. Liebig in dem obigen
                                 										Werke gelehrt hat, so hielt letzterer es für geeignet, in einer besondern
                                 										Abhandlung auseinanderzusetzen, wie nothwendig es sey, eine richtige Methode zur
                                 										Anstellung von Versuchen zu wählen, wenn diese belehren, eine Ansicht bestätigen
                                 										oder widerlegen sollen. Diese Abhandlung, worin er die Uebereinstimmung der
                                 										Grundsätze der Agricultur-Chemie mit den praktischen Erfahrungen der
                                 										Landwirthe, im Besonderen mit den von Hrn. Lawes
                                 										angestellten Versuchen, nachgewiesen hat, führt den Titel: „Die Grundsätze der Agricultur-Chemie mit
                                       												Rücksicht auf die in England angestellten Untersuchungen; von Justus v.
                                       												Liebig. Braunschweig, 1855, bei Vieweg und Sohn. (107 Seiten.)Hr. Prof. v. Liebig hat seine Ansichten – so
                                 										wie sie aus seinem Buche sich folgern lassen – selbst in kurzen Sätzen
                                 										zusammengestellt, und diese sind es, welche wir hier mittheilen.A. d. Red.
                           							
                        Liebig, über die Grundsätze der
                           								Agricultur-Chemie.
                        
                     
                        
                           Dem Wachsen einer Pflanze geht voraus ein Keim, ein Samenkorn; die Landpflanze bedarf
                              									einen Boden; ohne die Atmosphäre, ohne Feuchtigkeit wächst die Pflanze nicht. Die
                              									Worte Boden, Atmosphäre und Feuchtigkeit sind nicht Bedingungen an sich, es gibt
                              									Kalk-, Thon-, Sandboden, Boden aus Granit, aus Gneis, aus
                              									Thonschiefer, aus Glimmerschiefer entstanden, ganz verschieden in ihrer
                              									Beschaffenheit und Mischung. Das Wort Boden ist ein Sammelwort für eine ganze Anzahl
                              									von Bedingungen; der fruchtbare Boden enthält sie in dem für die Ernährung des
                              									Gewächses richtigen Verhältniß in dem unfruchtbaren Boden fehlen einige dieser
                              									Bedingungen.
                           
                           Ebenso umfassen die Worte Dünger, Atmosphäre, eine Mehrheit von Bedingungen; der
                              									Chemiker, mit dem ihm zu Gebote stehenden Mitteln, analysirt alle Bodenarten, er
                              									analysirt den Dünger, die atmosphärische Luft und das Wasser, er zerlegt die
                              									Sammelworte, welche die Summe der Bedingungen ausdrücken, in die Anzahl der
                              									einzelnen Bedingungen, und substituirt diese in seinen Auseinandersetzungen den
                              									Sammelworten. Wenn es als eine ganz ausgemachte Wahrheit gilt, daß der Boden, die
                              									Atmosphäre, das Wasser, der Dünger Einfluß auf das Wachsthum der Pflanze üben, so
                              									ist es eben so unzweifelhaft, daß dieß lediglich durch ihre Bestandtheile geschieht;
                              									diese ihre Eigenschaften und ihr Verhalten demjenigen, der sich mit der Cultur der
                              									Gewächse beschäftigt, vor Augen zu legen, dieß ist die Aufgabe des Chemikers und
                              									erfolgt von dem Hrn. Verfasser in nachstehenden 50 Fundamentalsätzen.
                           1) Die Pflanzen empfangen im Allgemeinen ihren Kohlenstoff und Stickstoff aus der
                              									Atmosphäre, den Kohlenstoff in der Form von Kohlensäure, den Stickstoff in der Form
                              									von Ammoniak. Das Wasser (und Ammoniak) liefert den Pflanzen ihren Wasserstoff; der
                              									Schwefel der schwefelhaltigen Bestandtheile der Gewächse stammt von Schwefelsäure
                              									her.
                           2) Auf den verschiedensten Bodenarten, in den verschiedensten Klimaten, in der Ebene
                              									oder auf hohen Bergen gebaut, enthalten die Pflanzen eine gewisse Anzahl von
                              									Mineralsubstanzen, und zwar immer die nämlichen, deren Natur und Beschaffenheit sich
                              									aus der Zusammensetzung ihrer Asche ergibt; diese Aschenbestandtheile waren
                              									Bestandtheile des Bodens, denn alle fruchtbaren Bodenarten enthalten gewisse Mengen
                              									davon, in keinem Boden, worauf Pflanzen gedeihen, fehlen sie.
                           3) In den Producten des Feldes wird in den Ernten die ganze Quantität der
                              									Bodenbestandtheile, welche Bestandtheile der Pflanzen geworden, hinweggenommen und
                              									dem Boden entzogen; vor der Einsaat ist der Boden reicher daran als nach der Ernte;
                              									die Zusammensetzung des Bodens ist nach der Ernte geändert.
                           4) Nach einer Reihe von Jahren und einer entsprechenden Anzahl von Ernten nimmt die
                              									Fruchtbarkeit der Felder ab. Beim Gleichbleiben aller übrigen Bedingungen ist der
                              									Boden allein nicht geblieben, was er vorher war; die Aenderung in seiner
                              									Zusammensetzung ist die wahrscheinliche Ursache seines Unfruchtbarwerdens.
                           5) Durch den Dünger, den Stallmist, die Excremente der Thiere und Menschen wird die
                              									verlore Fruchtbarkeit wieder hergestellt.
                           6) Der Dünger besteht aus verwesenden Pflanzen- und Thierstoffen, welche eine
                              									gewisse Menge Bodenbestandtheile enthalten. Die Excremente der Thiere und Menschen
                              									stellen die Asche der im Leibe der Thiere und Menschen verbrannten Nahrung dar, von Pflanzen, die auf
                              									den Feldern geerntet wurden. Der Harn enthält die im Wasser löslichen, die Fäces die
                              									darin unlöslichen Bodenbestandtheile der Nahrung. Der Dünger enthält die
                              									Bodenbestandtheile der geernteten Producte des Feldes; es ist klar, daß durch seine
                              									Einverleibung im Boden dieser die entzogenen Mineralbestandtheile wieder erhält; die
                              									Wiederherstellung seiner ursprünglichenurspünglichen Zusammensetzung ist begleitet von der Wiederherstellung seiner
                              									Fruchtbarkeit; es ist gewiß, eine der Bedingungen der Fruchtbarkeit war der Gehalt
                              									des Bodens an gewissen Mineralbestandtheilen. Ein reicher Boden enthält mehr davon
                              									als ein armer.
                           7) Die Wurzeln der Pflanzen verhalten sich in Beziehung auf die Aufnahme der
                              									atmosphärischen Nahrungsmittel ähnlich wie die Blätter, d.h. sie besitzen wie diese
                              									das Vermögen, Kohlensäure und Ammoniak aufzusaugen und in ihrem Organismus auf
                              									dieselbe Art zu verwenden, wie wenn die Aufnahme durch die Blätter vor sich gegangen
                              									wäre.
                           8) Das Ammoniak, welches der Boden enthält, oder was demselben zugeführt wird,
                              									verhält sich wie ein Bodenbestandtheil; in gleicher Weise verhält sich die
                              									Kohlensäure.
                           9) Die Pflanzen- und Thierstoffe, die thierischen Excremente gehen in Fäulniß
                              									und Verwesung über. Der Stickstoff der stickstoffhaltigen Bestandtheile derselben
                              									verwandelt sich in Folge der Fäulniß und Verwesung in Ammoniak, ein kleiner Theil
                              									des Ammoniaks verwandelt sich in Salpetersäure, welche das Product der Oxydation
                              									(der Verwesung) des Ammoniaks ist.
                           10) Wir haben allen Grund zu glauben, daß in dem Ernährungsproceß der Gewächse die
                              									Salpetersäure das Ammoniak vertreten kann, d.h. daß der Stickstoff derselben zu
                              									denselben Zwecken in ihrem Organismus verwendet werden kann, wie der des
                              									Ammoniaks.
                           11) In dem thierischen Dünger werden demnach den Pflanzen nicht nur die
                              									Mineralsubstanzen, welche der Boden liefern muß, sondern auch die Nahrungsstoffe,
                              									welche die Pflanze aus der Atmosphäre schöpft, zugeführt. Diese Zufuhr ist eine
                              									Vermehrung derjenigen Menge, welche die Luft enthält.
                           12) Die nicht gasförmigen Nahrungsmittel, welche der Boden enthält, gelangen in den
                              									Organismus der Pflanzen durch die Wurzeln; der Uebergang derselben wird vermittelt
                              									durch das Wasser, durch welches sie löslich werden und Beweglichkeit empfangen.
                              									Manche lösen sich in reinem Wasser, die andern nur in Wasser, welches Kohlensäure
                              									oder ein Ammoniaksalz enthält.
                           
                           13) Alle diejenigen Materien, welche die an sich im Wasser unlöslichen
                              									Bodenbestandtheile löslich machen, bewirken, wenn sie in dem Boden enthalten sind,
                              									daß dasselbe Volumen Regenwasser eine größere Menge davon aufnimmt.
                           14) Durch die fortschreitende Verwesung der im thierischen Dünger enthaltenen
                              									Pflanzen- und Thierüberreste entstehen Kohlensäure und Ammoniaksalze; sie
                              									stellen eine im Boden thätige Kohlensäurequelle dar, welche bewirkt, daß die Luft in
                              									dem Boden und das in demselben vorhandene Wasser reicher an Kohlensäure werden, als
                              									ohne ihre Gegenwart.
                           15) Durch den thierischen Dünger wird den Pflanzen nicht nur eine gewisse Summe an
                              									mineralischen und atmosphärischen Nahrungsmitteln dargeboten, sondern sie empfangen
                              									durch denselben auch in der durch seine Verwesung sich bildenden Kohlensäure und den
                              									Ammoniaksalzen die unentbehrlichen Mittel zum Uebergange der im Wasser für sich
                              									unlöslichen Bestandtheile, in derselben Zeit eine größere Menge, als ohne Mitwirkung
                              									der verwesbaren organischen Stoffe.
                           16) In warmen, trockenen Jahren empfangen die Pflanzen durch den Boden weniger
                              									Wasser, als unter gleichen Verhältnissen in nassen Jahren; die Ernte in
                              									verschiedenen Jahren steht damit im Verhältniß. Ein Feld von derselben
                              									Beschaffenheit liefert in regenarmen Jahren einen geringeren Ertrag, er steigt in
                              									regenreicheren, bei gleicher mittlerer Temperatur bis zu einer gewissen Gränze mit
                              									der Regenmenge.
                           17) Von zwei Feldern, von denen das eine mehr Nahrungsstoff enthält wie das andere,
                              									liefert das daran reichere auch in trockenen Jahren, unter sonst gleichen
                              									Verhältnissen, einen höheren Ertrag als das ärmere.
                           18) Von zwei Feldern von gleicher Beschaffenheit und gleichem Gehalt an
                              									Bodenbestandtheilen, von denen das eine aber in verwesbaren Pflanzen- (oder
                              									Dünger-) Bestandtheilen außerdem eine Kohlensäurequelle enthält, liefert das
                              									letztere auch in trockenen Jahren einen höheren Ertrag als das andere.
                           19) Alle Widerstände, welche die Löslichkeit und Aufnahmsfähigkeit der im Boden
                              									vorhandenen Nahrungsstoffe der Gewächse hindern, heben in demselben Verhältnisse
                              									deren Fähigkeit auf, zur Ernährung zu dienen, d.h. sie machen die Nahrung
                              									wirkungslos. Eine gewisse physikalische Beschaffenheit des Bodens ist eine
                              									nothwendige Vorbedingung zur Wirksamkeit der darin vorhandenen Nahrung. Der Boden
                              									muß der atmosphärischen Luft und dem Wasser Zutritt und den Wurzelfasern die
                              									Möglichkeit gestatten, sich nach allen Richtungen zu verbreiten und die Nahrung
                              									aufzusuchen. Der Ausdruck tellurische Bedingungen
                              									bezeichnet den Inbegriff aller von der physikalischen Beschaffenheit und
                              									Zusammensetzung des
                              									Bodens abhängigen, für die Entwickelung der Pflanzen nothwendigen Bedingungen.
                           20) Alle Pflanzen ohne Unterschied bedürfen zu ihrer Ernährung Phosphorsäure,
                              									Schwefelsäure, die Alkalien, Kalk-, Bittererde, Eisen; gewisse
                              									Pflanzengattungen Kieselerde; die an dem Strande des Meeres und im Meere wachsenden
                              									Pflanzen Kochsalz, Natron, Jodmetalle. In mehreren Pflanzengattungen können die
                              									Alkalien zum Theil durch Kalk- und Bittererde, und diese umgekehrt durch
                              									Alkalien vertreten werden. Alle diese Stoffe sind einbegriffen in der Bezeichnung
                              										mineralische Nahrungsmittel; atmosphärische Nahrungsmittel sind Kohlensäure und Ammoniak. Das Wasser
                              									dient zur Nahrung und zur Vermittelung des Ernährungsprocesses.
                           21) Die für eine Pflanze nothwendigen Nahrungsstoffe sind gleichwerthig, d.h. wenn
                              									eines von der ganzen Anzahl fehlt, so gedeiht die Pflanze nicht.
                           22) Die für die Cultur aller Pflanzengattungen geeigneten Felder enthalten alle für
                              									diese Pflanzengattungen nothwendigen Bodenbestandtheile; die Worte fruchtbar oder reich,
                                 										unfruchtbar oder arm drücken das relative
                              									Verhältniß dieser Bodenbestandtheile in Quantität oder Qualität aus. Unter
                              									qualitativer Verschiedenheit versteht man den ungleichen Zustand der Löslichkeit,
                              									oder Uebergangsfähigkeit der mineralischen Nahrungsmittel in den Organismus der
                              									Pflanzen, welcher vermittelt wird durch das Wasser. Von zwei Bodenarten, welche
                              									gleiche Mengen mineralischer Nahrungsmittel enthalten, kann die eine fruchtbar (als
                              									reich), die andere unfruchtbar seyn (als arm angesehen werden), wenn in der
                              									letzteren diese Bestandtheile nicht frei, sondern in einer chemischen Verbindung
                              									sich befinden. Ein Körper, der sich in chemischer Verbindung befindet, setzt, in
                              									Folge der Anziehung seiner anderen Bestandtheile, einem zweiten, der sich damit zu
                              									verbinden strebt, einen Widerstand entgegen, der überwunden werden muß, wenn beide
                              									sich verbinden sollen.
                           23) Alle für die Cultur geeigneten Bodenarten enthalten die mineralischen
                              									Nahrungsmittel der Pflanzen in diesen zweierlei Zuständen. Alle zusammen stellen das
                              									Capital, die frei löslichen den flüssigen beweglichen Theil des Capitals dar.
                           24) Einen Boden durch geeignete Mittel, aber ohne Zufuhr von mineralischen
                              									Nahrungsmitteln verbessern, bereichern, fruchtbarer machen, heißt einen Theil des
                              									tobten, unbeweglichen Capitals beweglich und verwendbar für die Pflanzen machen.
                           25) Die mechanische Bearbeitung des Feldes hat den Zweck, die chemischen Widerstände
                              									im Boden zu überwinden, die in chemischer Verbindung befindlichen mineralischen
                              									Nahrungsmittel frei und verwendbar zu machen. Dieß geschieht durch Mitwirkung der
                              									Atmosphäre, der Kohlensäure, des Sauerstoffs und des Wassers. Die Wirkung heißt Verwitterung. Stehendes Wasser im Boden, welches der
                              									Atmosphäre den Zugang zu den chemischen Verbindungen verschließt, ist Widerstand
                              									gegen die Verwitterung.
                           26) Brachzeit heißt die Zeit der Verwitterung. Während der
                              									Brache wird dem Boden durch die Luft und das Regenwasser Kohlensäure und Ammoniak
                              									zugeführt; letzteres bleibt im Boden, wenn Materien darin vorhanden sind, welche es
                              									binden, d.h. die ihm seine Flüchtigkeit nehmen.
                           27) Ein Boden ist fruchtbar für eine gegebene Pflanzengattung, wenn er die für diese
                              									Pflanze nothwendigen mineralischen Nahrungsstoffe in gehöriger Menge, in dem
                              									richtigen Verhältniß und in der zur Aufnahme geeigneten Beschaffenheit enthält.
                           28) Wenn dieser Boden durch eine Reihe von Ernten, ohne Ersatz der hinweggenommenen
                              									mineralischen Nahrungsmittel, unfruchtbar für diese Pflanzengattung geworden ist, so
                              									wird er nach einem oder einer Anzahl von Brachjahren wieder fruchtbar für diese
                              									Pflanzengattung, wenn er neben den löslichen und hinweggenommenen
                              									Bodenbestandtheilen eine gewisse Summe derselben Stoffe in unlöslichem Zustande
                              									enthielt, welche während der Brachzeit durch mechanische Bearbeitung und
                              									Verwitterung löslich geworden sind. Durch die sogenannte Gründüngung wird diese
                              									Wirkung in kürzerer Zeit erzielt.
                           29) Ein Feld, worin diese mineralischen Nahrungsmittel fehlen, wird durch Brackliegen
                              									und mechanische Bearbeitung nicht fruchtbar.
                           30) Die Steigerung der Fruchtbarkeit eines Feldes durch die Brache und die
                              									mechanische Bearbeitung und Hinwegnahme der Bodenbestandtheile in den Ernten, ohne
                              									Ersatz derselben, hat in kürzerer oder längerer Zeit eine dauernde Unfruchtbarkeit
                              									zur Folge.
                           31) Wenn der Boden seine Fruchtbarkeit dauernd bewahren soll, so müssen ihm nach
                              									kürzerer oder längerer Zeit die entzogenen Bodenbestandtheile wieder ersetzt, d.h.
                              									die Zusammensetzung des Bodens muß wieder hergestellt werden.
                           32) Verschiedene Pflanzengattungen bedürfen zu ihrer Entwickelung dieselben
                              									mineralischen Nahrungsmittel, aber in ungleicher Menge oder in ungleichen Zeiten.
                              									Einige Culturpflanzen müssen Kieselsäure in löslichem Zustande im Boden
                              									vorfinden.
                           33) Wenn ein gegebenes Stück Feld eine gewisse Summe aller mineralischen
                              									Nahrungsmittel in gleicher Menge und in geeigneter Beschaffenheit enthält, so wird dieses Feld
                              									unfruchtbar für eine einzelne Pflanzengattung, wenn durch eine Aufeinanderfolge von
                              									Culturen ein einzelner dieser Bodenbestandtheile (z.B. lösliche Kieselerde) so weit
                              									entzogen ist, daß seine Quantität für eine neue Ernte nicht mehr ausreicht.
                           34) Eine zweite Pflanze, welche diesen Bestandtheil (die Kieselerde z.B.) nicht
                              									bedarf, wird, auf demselben Felde gebaut, eine oder eine Reihenfolge von Ernten zu
                              									liefern vermögen, weil die anderen ihr nothwendigen mineralischen Nahrungsmittel in
                              									einem zwar geänderten Verhältnisse (nicht mehr in gleicher Menge), aber für ihre
                              									vollkommene Entwickelung ausreichenden Menge vorhanden sind. Eine dritte
                              									Pflanzengattung wird nach der zweiten auf dem nämlichen Felde gedeihen, wenn die
                              									zurückgelassenen Bodenbestandtheile für den Bedarf einer Ernte ausreichen; und wenn
                              									während der Cultur dieser Gewächse eine neue Quantität des fehlenden Bestandtheils
                              									(der löslichen Kieselerde) durch Verwitterung wieder löslich geworden ist, so kann
                              									auf demselben Feld beim Vorhandenseyn der anderen Bedingungen die erste Pflanze
                              									wieder cultivirbar seyn.
                           35) Auf der ungleichen Menge und Beschaffenheit der mineralischen Nahrungsmittel und
                              									dem ungleichen Verhältniß, in dem sie zur Entwickelung der verschiedenen
                              									Pflanzengattungen dienen, beruht die Wechselwirthschaft
                              									und die Verschiedenheit des Fruchtwechsels in verschiedenen Gegenden.
                           36) Das Wachsen einer Pflanze, ihre Zunahme an Masse und ihre vollkommene
                              									Entwickelung in einer gegebenen Zeit, bei Gleichheit aller Bedingungen, steht im
                              									Verhältniß zur Oberfläche der Organe, welche bestimmt sind, die Nahrung aufzunehmen.
                              									Die Menge der aus der Luft aufnehmbaren Nahrungsstoffe ist abhängig von der Anzahl
                              									und der Oberfläche der Blätter, die der aus dem Boden aufnehmbaren Nahrung von der
                              									Anzahl und Oberfläche der Wurzelfasern.
                           37) Wenn während der Blatt- und Wurzelbildung zwei Pflanzen derselben Gattung
                              									eine ungleiche Menge Nahrung in derselben Zeit dargeboten wird, so ist ihre Zunahme
                              									an Masse ungleich in dieser Zeit, sie ist größer bei derjenigen Pflanze, welche in
                              									dieser Zeit mehr Nahrung empfängt, die Entwickelung derselben wird beschleunigt.
                              									Dieselbe Ungleichheit in der Zunahme zeigt sich, wenn den beiden Pflanzen die
                              									nämliche Nahrung in derselben Menge, aber in einem verschiedenen Zustande der
                              									Löslichkeit dargeboten wird. Durch Darbietung der richtigen Menge aller zur
                              									Ernährung eines Gewächses nothwendigen atmosphärischen und tellurischen
                              									Nahrungsmittel in der gehörigen Zeit und Beschaffenheit wird ihre Entwickelung in
                              									der Zeit beschleunigt. Die Bedingungen der Zeitverkürzung ihrer Entwickelung sind die
                              									nämlichen wie die zu ihrer Zunahme an Masse.
                           38) Zwei Pflanzen, deren Wurzelfasern eine gleiche Länge und Ausdehnung haben,
                              									gedeihen weniger gut neben einander und nach einander, als zwei Pflanzen, deren
                              									Wurzeln, von ungleicher Länge, ihre Nahrung aus ungleicher Tiefe und Ebene des
                              									Bodens empfangen.
                           39) Die zum Leben einer Pflanze nöthigen Nahrungsstoffe müssen in einer gegebenen
                              									Zeit zusammenwirken, wenn sie zur vollen Entwickelung in dieser Zeit gelangen soll.
                              									Je rascher sich eine Pflanze in der Zeit entwickelt, desto mehr Nahrung bedarf sie
                              									in dieser Zeit, die Sommerpflanze mehr wie die perennirenden Gewächse.
                           40) Wenn einer der zusammenwirkenden Bestandtheile des Bodens oder der Atmosphäre
                              									fehlt oder mangelt, oder die zur Aufnahme geeignete Beschaffenheit nicht besitzt, so
                              									entwickelt sich die Pflanze nicht oder in allen ihren Theilen nur unvollkommen.
                              									– Der fehlende oder mangelnde Bestandtheil macht die anderen vorhandenen
                              									wirkungslos, oder vermindert ihre WirksamkeitWirsamkeit.
                           41) Wird der fehlende oder mangelnde Bestandtheil dem Boden zugesetzt oder der
                              									vorhandene unlösliche löslich gemacht, so werden die anderen wirksam. – Durch
                              									den Mangel oder die Abwesenheit eines nothwendigen Bestandtheils, beim Vorhandenseyn
                              									aller anderen, wird der Boden unfruchtbar für alle diejenigen Gewächse, welche
                              									diesen Bestandtheil zu ihrem Leben nicht entbehren können. Der Boden liefert
                              									reichliche Ernten, wenn dieser Bestandtheil in richtiger Menge und Beschaffenheit
                              									zugesetzt wird. Bei Bodenarten von unbekanntem Gehalt an mineralischen
                              									Nahrungsmitteln geben Versuche mit den einzelnen Düngerbestandtheilen Mittel ab, um
                              									Kenntniß von der Beschaffenheit des Feldes und dem Vorhandenseyn der anderen
                              									Düngerbestandtheile zu erlangen. Wenn z.B. der phosphorsaure Kalk wirksam ist, d.h.
                              									den Ertrag eines Feldes erhöht, so ist dieß ein Zeichen, daß derselbe gefehlt hat
                              									oder in zu geringer Menge vorhanden war, während an allen übrigen kein Mangel war.
                              									Hätte einer von den anderen nothwendigen Bestandtheilen ebenfalls gefehlt, so würde
                              									der phosphorsaure Kalk keine Wirkung gehabt haben.
                           42) Die Wirksamkeit aller Bodenbestandtheile zusammen genommen in einer gegebenen
                              									Zeit, ist abhängig von der Mitwirkung der atmosphärischen Nahrungsmittel in eben
                              									dieser Zeit.
                           43) Die Wirksamkeit der atmosphärischen Nahrungsmittel in der Zeit ist abhängig von
                              									der Mitwirkung der Bodenbestandtheile in eben dieser Zeit; beim Vorhandenseyn der
                              									Bodenbestandtheile und ihrer geeigneten Beschaffenheit steht die Entwickelung der Pflanzen im
                              									Verhältniß zu der Menge der dargebotenen und aufgenommenen atmosphärischen
                              									Nahrungsmittel. Das Verhältniß der Menge und der Beschaffenheit der mineralischen
                              									Nahrungsmittel (ihres Zustandes der Aufnahmefähigkeit) im Boden und die Abwesenheit
                              									oder das Vorhandenseyn der Hindernisse ihrer Wirksamkeit (physikalische
                              									Beschaffenheit) erhöht oder vermindert die Anzahl und Masse der auf einer gegebenen
                              									Fläche cultivirbaren Pflanzen. Der fruchtbare Boden entzieht in den darauf
                              									wachsenden Pflanzen der atmosphärischen Luft mehr Kohlensäure und Ammoniak als der
                              									unfruchtbare; diese Entziehung steht im Verhältniß zu seiner Fruchtbarkeit und ist
                              									nur begränzt durch den begränzten Gehalt an Kohlensäure und Ammoniak in der
                              									Luft.
                           44) Bei gleicher Zufuhr der atmosphärischen Bedingungen des Wachsthums der Pflanzen
                              									stehen die Ernten in geradem Verhältniß zu den im Dünger zugeführten mineralischen
                              									Nahrungsmitteln.
                           45) Bei gleichen tellurischen Bedingungen stehen die Ernten im Verhältniß zu der
                              									Menge der durch die Atmosphäre und den Boden zugeführten atmosphärischen
                              									Nahrungsmittel. Wenn den im Boden vorhandenen wirksamen mineralischen
                              									Nahrungsmitteln Ammoniak und Kohlensäure zugesetzt werden, so wird seine
                              									Ertragsfähigkeit erhöht. Die Vereinigung der tellurischen und atmosphärischen
                              									Bedingungen und ihr Zusammenwirken in der richtigen Menge, Zeit und Beschaffenheit
                              									bedingen das Maximum des Ertrages.
                           46) Die Zufuhr einer größeren Menge atmosphärischer Nahrungsmittel (mittelst
                              									Ammoniaksalze, Humus), als die Luft darbietet, erhöht die Wirksamkeit der
                              									vorhandenen mineralischen Nahrungsmittel in einer gegebenen Zeit. In derselben Zeit
                              									wird alsdann von gleicher Fläche mehr geerntet, in einem Jahre möglicherweise so
                              									viel als in zwei Jahren ohne diesen Ueberschuß.
                           47) In einem an mineralischen Nahrungsmitteln reichen Boden kann der Ertrag des
                              									Feldes durch Zufuhr von denselben Stoffen nicht mehr erhöht werden.
                           48) In einem an atmosphärischen Nahrungsstoffen reichen Felde kann der Ertrag durch
                              									Zufuhr derselben Stoffe nicht gesteigert werden.
                           49) Von einem an mineralischen Nahrungsmitteln reichen Felde lassen sich in einem
                              									Jahre oder in einer Reihenfolge von Jahren durch Zufuhren und Einverleibung von
                              									Ammoniak allein, oder von Humus und Ammoniak allein, reichliche Ernten erzielen,
                              									ohne allen Ersatz der in den Ernten hinweggenommenen Bodenbestandtheile. Es hängt
                              									alsdann die Dauer dieser Erträge ab von dem Vorrathe, der Menge und Beschaffenheit
                              										der im Boden
                              									enthaltenen mineralischen Nahrungsmittel. Die fortgesetzte Anwendung dieser Mittel
                              									bewirkt eine Erschöpfung des Bodens.
                           50) Wenn nach dieser Zeit der Boden seine ursprüngliche Fruchtbarkeit wieder erlangen
                              									soll, so müssen ihm die in der Reihe von Jahren entzogenen Bodenbestandtheile wieder
                              									zugeführt werden. Wenn der Boden in zehn Jahren zehn Ernten geliefert hat, ohne
                              									Ersatz der hinweggenommenen Bodenbestandtheile, so müssen ihm diese in der
                              									zehnfachen Quantität im elften Jahre wieder gegeben werden, wenn derselbe seine
                              									Fähigkeit wieder erhalten soll, eine gleiche Anzahl von Ernten zu liefern.
                           Die vorstehenden 50 Sätze, bemerkt der Hr. Verfasser weiter, knüpfen sich an einen
                              									einzigen Satz, daß nämlich die Ernährung, das Wachsthum und die Entwickelung der
                              									Pflanzen von der Aufnahme gewisser Materien abhängig ist, welche durch sich selbst,
                              									durch ihre Masse eine Wirkung äußern. Diese Wirkung steht deßhalb in gewissen
                              									Gränzen, im geraden Verhältniß zu ihrer Masse und im umgekehrten Verhältniß zu den
                              									Widerständen, die ihre Wirkung hindern. Wird dieser außer Zweifel stehende Satz
                              									angenommen, so lassen sich alle 50 Sätze daraus folgern, wenn man den Verhältnissen
                              									der Quantität die Worte arm oder reich, fruchtbar oder unfruchtbar, und ihrer
                              									Wirkung die Worte Fruchtbarkeit, Ertrag, Ernte etc. substituirt.
                           Auf der Landwirthschaft ruht jetzt noch ein Zwang, der unerkannt Allem, was die
                              									Wissenschaft lehren mag, den Zugang verschließt. Dieser Zwang ist die Wechselwirthschaft. Der Landwirth kann nicht bauen was er
                              									soll, oder was er vorzugsweise bauen möchte, sondern er ist genöthigt, einen großen
                              									Theil seines Feldes mit Gewächsen zu bestellen, um mittelst eines ihm ganz unnützen
                              									und beschwerlichen Viehstandes Dünger für die Getreidefelder, für die Erzielung
                              									seiner verkaufbaren Producte zu erzeugen. Eine Masse von Werthen in Feldern, in
                              									Arbeit und Geld wird durch diese lebenden Düngerfabriken vernichtet. Die einzige der
                              									wissenschaftlichen Landwirthschaft würdige Aufgabe in unserer Zeit ist, an die
                              									Stelle des Wechsels mit Gewächsen einen Wechsel mit den geeigneten Düngmitteln zu
                              									setzen, durch welchen der Landwirth in Stand gesetzt wird, auf jedem seiner Felder
                              									diejenigen Feldfrüchte zu ziehen, deren Verwerthung für ihn je nach seiner Lage und
                              									seinen Zwecken am vortheilhaftesten ist. Wie unendlich einfach würden sich die
                              									Arbeiten des Landwirths gestalten, wenn es ihm gelänge, auf demselben Felde ohne
                              									Aufhören dieselbe Pflanze zu cultiviren! Was die meisten Landwirthe Lehre nennen,
                              									bewegt sich um die dunkeln unklaren Begriffe von den Boden bereichernden, schonenden, erschöpfenden, starkangreifenden
                              									 Gewächsen! Ich weiß
                              									nicht ob und wie weit man dem wissenschaftlichen Ziele näher gekommen wäre, welches
                              									vielleicht nicht erreichbar, und der localen Verhältnisse wegen vielleicht nicht
                              									einmal für Alle gleich möglich ist; aber die Wichtigkeit der Lehre selbst, die
                              									vollkommene Gewißheit über die Wirkung der einzelnen Düngerbestandtheile, nach ihrer
                              									Beschaffenheit und Form, in ihrem Wechsel nach der geologischen und klimatischen
                              									Beschaffenheit der Felder, diese kann nicht überschätzt werden. Wenn von den großen
                              									Summen, welche durch die landwirthschaftlichen Vereine jährlich zusammenfließen und
                              									in der Mehrheit der Fälle ganz ohne bestimmte und bestimmbare Erfolge verwendet
                              									werden, ein kleiner Theil in den verflossenen zehn Jahren zu wohl durchdachten
                              									Versuchen in dieser Richtung verwendet worden wäre, so könnte man jetzt um einen
                              									guten Schritt diesem Ziele näher seyn. Wenn man erwägt, daß die Zuckerfabrik in
                              									Waghäusel allein jährlich 600,000 Pfd. Kalisalze in den Handel bringt, welche von
                              									den Feldern der badischen Rübenpflanzer stammen, ohne ersetzt zu werden, daß man in
                              									Norddeutschland Jahr für Jahr mit Hülfe von Guano eine außerordentliche Masse von
                              									Kartoffeln zieht, lediglich für die Spiritusfabrication, und daß außer den
                              									Bestandtheilen des Guano diesen Kartoffelfeldern keiner von den darin enthaltenen
                              									anderen Bestandtheilen wieder zugeführt wird, so kann man über den endlichen Zustand
                              									der Felder nicht zweifelhaft seyn. Der Vorrath von diesen anderen Bestandtheilen mag
                              									noch so groß seyn, er ist erschöpfbar.