| Titel: | Ueber Anwendung des Arseniks zum Beizen des Saatkorns; von Hrn. Boussingault. | 
| Fundstelle: | Band 142, Jahrgang 1856, Nr. XV., S. 62 | 
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                        XV.
                        Ueber Anwendung des Arseniks zum Beizen des
                           								Saatkorns; von Hrn. Boussingault.
                        Aus den Anales de Chimie et de Physique, April 1856, S.
                              									458.
                        Boussingault, über Anwendung des Arseniks zum Beizen des
                           								Saatkorns.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich haben im Elsaß im Jahr 1854 die Feldmäuse großen Schaden angerichtet; im
                              									Bezirk Weißenburg wurde der Verlust auf mehr als 800000 Francs angeschlagen. Man hat zwar durch das
                              									Umgraben eine ungeheure Menge dieser Feldmäuse vertilgt; dessenungeachtet wurde ich,
                              									weil das durch den Pflug aufgelockerte Erdreich zur Säezeit noch sehr viele Mäuse
                              									enthielt, im Herbst zu Rath gezogen, ob man sie nicht vergiften solle. Das Vergiften
                              									der Feldmäuse, um die Saat zu Schützen, erschien mir nur in so weit zulässig, als
                              									das Getreide durch die in der Gegend gebräuchlichen Beizmittel keine giftige
                              									Eigenschaft erlangt. Man benutzt zum Beizen des Getreides bekanntlich den Kalk
                              									(weßhalb das Beizen auch Kalken genannt wird), die Holzasche, die Jauche der
                              									Düngergruben, das Kochsalz, den Alaun, das Glaubersalz, den Kupfervitriol, den
                              									Grünspan, die arsenige Säure (sogenannten Arsenik), endlich Schwefelarsenik (Realgar
                              									und Operment). Jede dieser Substanzen erfüllt den beabsichtigten Zweck, das Getreide
                              									vor dem Brande zu bewahren; die Anwendungsweise hängt natürlich von den
                              									Eigenschaften der gewählten Substanzen ab; so werden sie, wenn sie sehr wenig
                              									auflöslich sind, als Pulver auf das vorher befeuchtete Korn gestreut; die im Wasser
                              									leicht löslichen läßt man vom Saatkorn einsaugen. Sehr oft werden mehrere Beizmittel
                              									mit einander angewandt. Nach Marshall befeuchten die
                              									Pächter in Norfolk das Saatkorn mit einer Kochsalzlösung, ehe sie es mit Kalk
                              									bestreuen; dieß ist das von Mathieu de Dombasle
                              									empfohlene Verfahren, nur mit dem Unterschied daß er das Kochsalz durch Glaubersalz
                              									ersetzt.
                           Mit wenigen Ausnahmen sind die zum Beizen gebräuchlichen Substanzen alle giftig. Der
                              									Kalk selbst wirkt in gewissem Grade giftig, er verliert aber nach seiner Anwendung
                              									seinen caustischen Zustand sehr schnell, indem er sich mit der Kohlensäure der Luft
                              									verbindet, daher bald nicht mehr Kalkhydrat, sondern ein völlig unwirksames
                              									kohlensaures Salz das gebeizte Korn umhüllt.
                           Trotz aller bisherigen Bemühungen, den Arsenik als Beizmittel des Saatkorns zu
                              									verbannen, gingen die Landwirthe mehrerer Gegenden von dem Gebrauch desselben nicht
                              									ab. Seitdem unsere Landwirthschaft im östlichen Frankreich von den Feldmäusen so
                              									sehr zu leiden hatte, ist mir diese Hartnäckigkeit allerdings begreiflicher. Das
                              									Beizen muß offenbar zwei Zwecke erfüllen: es muß erstens die Ernte vor dem Brande
                              									Schützen, und zweitens sie der Gefräßigkeit der schädlichen Thiere entziehen; nun
                              									ist das mit Kochsalz, Glaubersalz und Kalk behandelte Saatkorn zwar gehörig
                              									vorbereitet, um die Entwickelung schmarotzerischer Kryptogamen zu verhindern, aber
                              									gewiß nicht, um den Angriffen der Ratten, Mäuse oder Feldmäuse zu entgehen; es ist
                              									im Gegentheil wahrscheinlich, daß durch jene Vorbereitung deren Appetit erst recht
                              									gereizt wird.
                           
                           Das im Jahr 1807 von B. Presvôt als eines der
                              									kräftigsten Schutzmittel gegen den Brand empfohlene Beizen mit Kupfervitriol sollte
                              									anscheinend allen Erfordernissen genügen; denn dieses Salz ist giftig, obgleich in
                              									geringerem Grade als der Arsenik; auch ist seine Anwendung mit wenig Gefahr
                              									verbunden wegen seiner Farbe und dem starken Geschmack seiner Auflösung. Das Beizen
                              									mit Kupfervitriol erhält auch mit jedem Jahr eine größere Verbreitung; im Elsaß ist
                              									es schon längst im Gebrauch, daher es sich bloß noch um die Beantwortung der Frage
                              									handelt, ob das mit diesem Kupfersalz behandelte Getreide die Feldmäuse
                              									vergiftet.
                           Zum Beizen mit Kupfervitriol schreibt J. Sainclair vor,
                              									auf 1 Hektoliter Korn 100 Gramme dieses Salzes in 11 Liter oder Kilogr. Wasser
                              									aufzulösen. Man bringt das Korn in einen Zuber mit obiger Auflösung und setzt
                              									derselben noch so viel Wasser zu, daß das Korn mit einer 12 bis 15 Centimeter (4 1/2
                              									bis 5 1/2 Zoll) dicken Schicht der Flüssigkeit bedeckt ist. Man rührt um, und
                              									nachdem man die obenaufschwimmenden Körner entfernt, läßt man in Körben abtropfen,
                              									welche nach Verlauf einer Stunde für einen Augenblick in frisches Wasser getaucht
                              									werden. Nachdem man das Korn dann wieder abtropfen ließ, trocknet man es, indem man
                              									es auf einer Tenne ausbreitet.
                           1. Versuch. – Nach obiger Vorschrift mit
                              									Kupfervitriol vorbereitetes Weizensaatkorn wurde Mäusen und Feldmäusen dargeboten,
                              									welche während mehrerer Tage davon fraßen, ohne die geringste üble Folge zu
                              									verspüren. Dieser Weizen war sonach nicht giftig und, weit entfernt diese Thiere zu
                              									vertilgen, würde er ihnen als Nahrung dienen. Die Unschädlichkeit des Korns beruhte
                              									ohne Zweifel darauf, daß es eine nur geringe Menge Kupfersalz enthielt.
                           2. Versuch. – Ich glaubte mehr Kupfervitriol
                              									anwenden zu müssen, nämlich 125 Gramme auf 1 Hektoliter Korn, und zwar in der Art,
                              									daß das Kupfersalz gänzlich absorbirt wird.
                           Um allen Kupfervitriol in die Körner eindringen zu machen, mußte ich vorerst
                              									ermitteln, wie viel Wasser ein bestimmtes Volum Korn aufnehmen kann.
                           Ein Deciliter Weizensamen, welcher 70 Gramme wog, wurde mit 64 Kubik-Centim.
                              									Wasser in ein Glasgefäß gebracht. Nach einer Stunde brachte man den Weizen auf einen
                              									Durchschlag; es liefen 48 Kubik-Centim. Wasser ab; 16 Kubik-Centim.
                              									Wasser waren also im Weizen geblieben.
                           Der Weizen und das abgelaufene Wasser wurden wieder vereinigt, dann nach Verlauf
                              									einer Stunde neuerdings durchgeseiht, wobei 16 Kub.-Centim. Masser abliefen, daher weitere 2
                              									Kubik-Centim. absorbirt worden waren.
                           Wie man sieht, wurde das Wasser hauptsächlich während der ersten Stunde des
                              									Einweichens vom Getreide absorbirt; 1 Liter Same nimmt also in einer Stunde, theils
                              									durch Absorption, theils durch Befeuchtung, 160 Kubik-Centim. Wasser auf.
                              									Wenn das Einweichen nicht länger als eine Stunde dauern darf, muß man höchstens 16
                              									Liter Wasser auf 1 Hektoliter des zu beizenden Korns anwenden, wenn man nicht will
                              									daß nach dem Einweichen Flüssigkeit zurückbleibt, was z.B. erforderlich ist, wenn
                              									man sämmtliche aufgelöste Substanz in den Samen dringen lassen will.
                           Nach dem Vorstehenden habe ich, um Weizensamen mit 125 Grm. Kupfervitriol per Hektoliter zu beizen, 1,25 Grm. des Salzes in 160
                              									Kubik-Centim. Wasser aufgelöst, dann die Auflösung auf 1 Liter Weizen
                              									geschüttet; nachdem die Flüssigkeit verschluckt war, wurde der Same an der Luft
                              									getrocknet; die Samenhaut besaß nun eine äußerst schwache grünliche Färbung. Auf
                              									feuchten Sand gelegt, keimte der Weizen eben so rasch, als wenn er nicht mit
                              									Kupfervitriol behandelt worden wäre.
                           Von diesem Weizen wurde einer Maus gegeben, die sich unter einer großen Glasglocke
                              									befand, welche oben und an zwei Seiten mit einer Tubulatur versehen war, damit die
                              									Luft sich leicht erneuern konnte. Die Glocke stand aus einer Porzellanplatte, auf
                              									welche Fließpapier als Streu gelegt wurde. Als Getränke wurden stets sehr
                              									wasserreiche Wurzeln eingelegt. Die Maus fraß während dreier Tage von dem mit
                              									Kupfervitriol vorbereiteten Weizen, ohne davon die geringste üble Wirkung zu
                              									verspüren, was ich dem Umstand zuschrieb, daß die Maus das Korn, welches sie frißt,
                              									immer schält, und da das Kupfersalz hauptsächlich in der Samenhaut fixirt zu seyn
                              									scheint, so entgeht das Thier der verderblichen Wirkung dieses Salzes.
                           3. Versuch. – Ich erhöhte das Verhältniß des
                              									Kupfervitriols auf 500 Gramme per Hektoliter Getreide,
                              									indem ich 1 Deciliter Saatkorn 16 Kubik-Centim. einer Auflösung welche 0,5
                              									Grm. Vitriol enthielt, absorbiren ließ. Nach dem Trocknen hatte die Samenhaut eine
                              									auffallende grüne Farbe. Der bei meinen Versuchen angewandte Weizen enthielt im
                              									Deciliter 2071 Körner; der krystallisirte Kupfervitriol enthält in 100 Thln. 64
                              									Thle. wasserfreies Salz; es nahm daher jedes Korn 0,24 Milligramme krystallisirten,
                              									oder 0,154 Milligr. wasserfreien Kupfervitriols auf.
                           
                           Eine unter die Glocke gebrachte Maus fraß 70 Weizenkörner, welche sie schälte, ohne,
                              									wie es schien, dadurch zu leiden; wenigstens gelang es ihr zu entschlüpfen und sie
                              									verkroch sich sehr rasch.
                           4. Versuch. – Einer andern, unter die Glocke
                              									gebrachten Maus, gab man von demselben Saatkorn, und, als Getränk, 1
                              									Kubik-Centim. Steckrübe, welcher beiläufig 1 Grm. Wasser entspricht. Die Maus
                              									fraß mit Appetit und knaupelte von Zeit zu Zeit an dem Rübenstück. In drei Tagen
                              									verzehrte sie 500 Weizenkörner, worin 77 Milligr. wasserfreien Kupfervitriols
                              									enthalten seyn mußten; dessenungeachtet hatte sie ihre ganze Lebhaftigkeit behalten.
                              									Die von ihr zurückgelassene Kleie bestand aus Häutchen, welche wahrscheinlich den
                              									größten Theil des Kupfersalzes enthielten.
                           5. Versuch. – Offenbar waren die Mäuse der Wirkung
                              									des Giftes dadurch entgangen, daß sie instictmäßig die Getreidekörner schälen.
                              									Diesen Instinct haben die Feldmäuse nicht, und es war daher zu vermuthen, daß sie
                              									die Kost der Maus im vorhergehenden Versuche nicht vertragen würden.
                           Eine Feldmaus wurde mit 1 Kubik-Centim. Steckrübe unter die Glocke gebracht.
                              									Vorerst wurde ihr ein Dutzend Körner ungebeizten Getreides vorgeworfen, welche sie
                              									mit ihrer gewohnten Gefräßigkeit gänzlich verzehrte ohne das geringste Stückchen
                              									Kleie zu hinterlassen. Hierauf wurde ihr mit Kupfervitriol gebeiztes Getreide
                              									vorgelegt, und zu meinem großen Erstaunen entfernte sie, gegen ihre Gewohnheiten,
                              									beim Fressen die Häutchen nach Art der Mäuse; sie konnte daher in drei Tagen 300
                              									gebeizte Getreidekörner, welche 46 Milligr. wasserfreien Kupfervitriols enthielten,
                              									ohne Nachtheil verzehren.
                           6. Versuch. – Eine andere Feldmaus, welcher man 320
                              									Körner des mit Kupfervitriol gebeizten Weizens gegeben hatte, löste jeden Kern aus
                              									und zerdrückte ihn, die Hautstückchen wegwerfend, sobald sie dieselben gekostet
                              									hatte. Die Feldmaus starb am dritten Tag; es ist aber schwer zu sagen, ob sie dem
                              									Gifte oder dem Mangel an Nahrung erlag; denn der größte Theil des Futters war unter
                              									der Glocke geblieben.
                           Aus diesen Versuchen geht klar hervor, daß das Beizen mit Kupfervitriol die Ernten
                              									gegen die Zerstörung durch schädliche Thiere nicht im geringsten zu Schützen vermag.
                              									Wendet man dieses Salz nämlich in sehr geringer Menge an, so fressen die Mäuse und
                              									Feldmäuse das gebeizte Saatkorn, ohne üble Folgen zu verspüren. Wird hingegen der
                              									Vitriol in größerem Verhältniß zugesetzt, so entgehen die Thiere, da er nicht über
                              									die Samenhaut hinaus einzudringen scheint, indem sie die Getreidekörner schälen, wieder der Wirkung des
                              									Kupfersalzes. Angenommen aber auch, was sehr zu bezweifeln ist, daß die Feldmaus
                              									durch das Gift getödtet wurde, so wäre dieses Beizen ohne allen Nutzen, weil das
                              									Getreide, mit 500 Grm. Kupfervitriol per Hektoliter
                              									versetzt, nicht mehr gehörig keimt.
                           7. Versuch. – Ich hatte mehrmals Gelegenheit mich
                              									zu überzeugen, daß eine Feldmaus welche 12–14 Grm. wiegt, die Entziehung der
                              									Nahrung kaum über 30 Stunden erträgt; ich wollte nun auch ermitteln, wie viel
                              									Getreide sie in einem Tag verzehrt.
                           Einer unter eine Glocke gebrachten Feldmaus wurden nach und nach und in der Art, daß
                              									es ihr nie an Nahrung fehlte, 940 Weizenkörner und 3 Kubik-Centim. Steckrübe
                              									als Getränke gegeben. Nach Verlauf von fünf Tagen wurden 300 Weizenkörner
                              									vorgefunden; die Feldmaus hatte also 640 Körner verzehrt, ohne von denselben die
                              									Haut abzulösen; dieß macht in 24 Stunden 128 Körner. Da 1 Liter Weizensamen 20710
                              									Körner enthält, so könnte dieser Liter 162 Feldmäuse einen Tag lang ernähren; 1000
                              									Feldmäuse würden, wenn sie keine andere Nahrung zu sich nehmen, 6,2 Liter Weizen in
                              									einem Tage verzehren. Da nun bei einem Einfall derselben, wie er im Jahr 1854 statt
                              									fand, manche Felder von mehr als einer Million Feldmäuse per Hektare heimgesucht wurden, so läßt sich bemessen, wie hoch der
                              									Schaden sich belaufen kann, wozu noch kommt, daß die Feldmaus das Korn nicht bloß
                              									verzehrt, sondern auch große Vorräthe für den Winter anzulegen pflegt.
                           8. Versuch. – Da gegen Erwarten das mit
                              									Kupfervitriol gebeizte Getreide auf Mäuse und Feldmäuse nicht giftig wirkt, so mußte
                              									ich untersuchen, ob sich dieser Zweck mittelst des Arseniks erreichen läßt.
                           Das eigentliche Kalken, wobei der Kalk allein als Beizmittel angewendet wird, um den
                              									Keimkörnern der Kryptogamen die Lebenskraft zu benehmen und dadurch deren
                              									Entwickelung zu verhindern, bewerkstelligt man, indem man das Getreide so
                              									befeuchtet, daß der Kalk, mit welchem es dann bestreut wird, daran hängen bleibt. 11
                              									bis 12 Liter Wasser reichen hin, um 1 Hektoliter Weizen gehörig zu befeuchten, auf
                              									welchem dann 2 Kilogr. frischgelöschter Kalk verbreitet werden. So zubereitet,
                              									liefert die Saat eine Ernte, welche in der Regel von brandigen Aehren frei ist, die
                              									aber dessen ungeachtet schwach seyn kann, wenn nämlich ein Theil des eingesäeten
                              									Getreides vom Ungeziefer des Bodens verzehrt worden ist.
                           Wenn man dem Kalk, oder der Holzasche, oder der Düngerjauche Arsenik beigibt, so wird
                              									das Vermögen dieser Substanzen, den Brand zu bekämpfen, ohne Zweifel nur in sehr
                              									geringem Grade erhöht; aber gewiß wird ihnen dadurch die Eigenschaft ertheilt, das Saatkorn
                              									auch gegen die Gefräßigkeit der schädlichen Thiere zu Schützen.
                           Ein Liter Weizen wurde mit 4 Deciliter Wasser befeuchtet und dann bestreut mit
                           
                              
                                 Kalk    
                                 20 Grm.
                                 
                              
                                 arseniger
                                    											Säure    
                                   2   „
                                 
                              
                           Die arsenige Säure war dem gelöschten Kalk beigemischt worden.
                              									Der so gebeizte, dann an der Luft getrocknete Weizen keimte sehr schön.
                           Eine Maus wurde um 1 Uhr unter die Glocke gebracht, mit 1 Kubik-Centim. Möhren
                              									und 16 Körnern gebeizten Weizens, welche sie fraß, indem sie dieselben nach Art der
                              									Eichhörnchen auskernte; sie hob die Nahrung nämlich mit den beiden Pfötchen auf,
                              									welche sie, nachdem sie gefressen, gegeneinander rieb und häufig ableckte. Nach und
                              									nach wurden 100 Weizenkörner unter die Glocke gebracht. Um 5 Uhr schien die Maus an
                              									ihrer Lebhaftigkeit verloren zu haben. Am andern Tag, um 8 Uhr Morgens, fand man sie
                              									schläfrig; sie fing aber bald zu fressen an und that von Zeit zu Zeit einen Biß in
                              									die Möhre welche ihr als Getränk gegeben war; von 11 Uhr an nahm sie keine Nahrung
                              									mehr zu sich; um 4 Uhr konnte sie sich kaum mehr auf den Füßen erhalten und um 5 Uhr
                              									starb sie. Sie hatte 56 Körner verzehrt; 44 waren übriggeblieben. Da 1 Liter Weizen
                              									20710 Körner enthält, so waren die dem Kalk zugesetzten 2 Grm. Arsenik so vertheilt,
                              									daß jedes Korn nahezu 0,1 Milligr. davon enthielt. Die 56 verzehrten Körner mußten
                              									also 5,6 Milligr. Arsenik enthalten; bedenkt man aber, daß dieses Gift nur an der
                              									Oberfläche des Weizens hing, so wird man folgern, daß die Maus, indem sie das Korn
                              									schälte, von dem Arsenik viel weniger einnahm. Dieser Versuch beweist nur, daß 56
                              									Weizenkörner, mit Arsenik in besagter Weise gebeizt, eine Maus tödteten.
                           9. Versuch. – Der vorhergehende Versuch wurde mit
                              									einer Feldmaus wiederholt, welche, da sie den Weizen fraß ohne ihn auszukernen,
                              									durch eine geringere Zahl Körner vergiftet werden mußte.
                           Um 12 Uhr fraß eine Feldmaus, welche unter die Glocke gebracht wurde, wo sich 1
                              									Kubik-Centimeter Steckrübe und 40 Körner gebeizten Weizens befanden, mit
                              									Begierde und, nach ihrer Gewohnheit, ohne die Samenhaut des gebeizten Getreides
                              									abzusondern. Um 5 Uhr verspürte das Thier die Wirkungen des Giftes und in der Nacht
                              									starb es. Es waren 5 Weizenkörner übrig geblieben; 35 Körner, welche 3,5 Milligr.
                              									Arsenik enthielten, hatten also zur Vergiftung hingereicht.
                           
                           10. Versuch. Es mußte nun das Getreide giftiger gemacht
                              									werden, indem man die arsenige Säure tiefer in das Innere des Korns eindringen ließ.
                              									Wegen der geringen Auflöslichkeit dieser Säure entschloß ich mich arsenigsaures
                              									Natron anzuwenden, ein sehr auflösliches Salz, welches leicht in Form einer
                              									titrirten Flüssigkeit darzustellen ist, mittelst deren die in das Getreide zu
                              									bringende Quantität Arsenik sehr rasch bestimmt werden kann.
                           100 Grm. sehr fein gepulverte arsenige Säure wurden mit Wasser welches Aetznatron
                              									enthielt, in der Wärme behandelt. Nach dem Erkalten wurde filtrirt und die Säure,
                              									welche sich in der alkalischen Flüssigkeit nicht aufgelöst hatte, gewogen. Sie
                              									betrug 42,6 Grm.; folglich hatten sich 57,4 Grm. aufgelöst. Nun wurde der Auflösung
                              									so viel destillirtes Wasser zugesetzt, daß man 1 Liter Flüssigkeit erhielt, von
                              									welcher folglich 1 Kubik-Centim. 0,057 Grm. arseniger Säure enthielt. Man
                              									ließ nun 1 Deciliter Getreide 12 Kubik-Centim. Wasser verschlucken, welches
                              									mit 3,5 Kubik-Centim. der titrirten arsenikalischen Flüssigkeit, also mit 0,2
                              									Grm. arseniger Säure versetzt worden war; da 1 Deciliter 2071 Weizenkörner enthält,
                              									so kamen in jedes Korn 0,1 Milligr. Arsenik in Form von arsenigsaurem Natron.
                           Eine Feldmaus wurde um 5 Uhr Abends mit 1 Kubik-Centim. Möhre und 30 Körnern
                              									des gebeizten Weizens unter die Glocke gebracht; sie fraß sogleich 10 Körner und biß
                              									nachher in die Rübe. Hierauf fraß sie nichts mehr, behielt jedoch ihre Lebhaftigkeit
                              									bis 7 Uhr Abends, wo sich die Vergiftungssymptome einstellten. Das Thier starb in
                              									der Nacht, und hinterließ 20 Körner unangetastet. 10 Körner, welche 1 Milligr.
                              									arseniger Säure enthalten mußten, veranlaßten somit den Tod.
                           11. Versuch. – Um 8 Uhr Morgens wurde der Versuch
                              									mit einer Feldmaus begonnen, welcher man 1 Kubik-Centim. Steckrübe und 40
                              									Körner des für den vorhergehenden Versuch angewendeten gebeizten Weizens vorsetzte.
                              									Nachdem sie 8 Körner und die Hälfte der als Getränk gegebenen Rübe verzehrt hatte,
                              									rührte sie die Nahrungsmittel nicht mehr an. Um 8 Uhr Abends war sie todt. In den
                              									acht verzehrten Körnern waren 0,8 Milligr. arseniger Säure enthalten.
                           Nach dem 10ten und Uten Versuch scheint es, daß die mit Natron verbundene arsenige
                              									Säure giftiger wirkt, als im freien Zustand. So waren z.B. im Versuch Nr. 9, bei
                              									einem Getreide welches mit einem Gemenge von gelöschtem Kalk und Arsenik vorbereitet
                              									war, 3,5 Milligr. arseniger Säure die 35 Saatkörnern anhingen, erforderlich um eine
                              									Feldmaus zu tödten, während, wie wir eben sahen, ungefähr das Viertel dieser Quantität hinreichte, um
                              									dieselbe Wirkung hervorzubringen, wenn die arsenige Säure in Form von arsenigsaurem
                              									Natron gegeben wurde. Man muß jedoch den Umstand berücksichtigen, daß beim Beizen
                              									mit einem Gemenge von Kalkhydrat und arseniger Säure sich arsenigsaurer Kalk bilden
                              									muß der ein unauflösliches Salz ist und deßhalb wahrscheinlich auch minder giftig
                              									wirkt, als das sehr auflösliche arsenigsaure Natron.
                           Das arsenigsaure Natron besitzt eine alkalische Reaction; schon deßhalb ist dieses
                              									Salz höchst wahrscheinlich ein kräftiges Mittel gegen die Entwickelung des Brandes,
                              									und da es in sehr hohem Grade giftig ist, so können durch dasselbe beide Zwecke des
                              									Beizens erreicht werden: die Ernte gegen Kryptogamen und das Saatkorn gegen die
                              									schädlichen Thiere zu Schützen. Die Anwendung einer titrirten Auflösung von
                              									arsenigsaurem Natron würde übrigens gestatten die Beizoperation mit einer
                              									Genauigkeit auszuführen, die sie gegenwärtig bei weitem nicht besitzt, welche
                              									Substanz man auch benutzen mag; denn nachdem man einmal durch einen vorläufigen
                              									Versuch die Quantität Wasser bestimmt hat, welche das Saatkorn verschluckt ohne jedoch zu feucht zu werden, braucht man nur die geeignete
                              									Menge arsenigsauren Natrons in dieses Wasser zu bringen. Um z.B. in der Art zu
                              									beizen, daß 200 Gramme Arsenik in 1 Hektoliter des zu diesen Versuchen benutzten
                              									Weizens dringen, müßte man bei Anwendung einer arsenikalischen Flüssigkeit, welche
                              									auf oben angegebene Weise dargestellt wurde, folgendermaßen verfahren. Da ich weiß,
                              									daß 1 Hektoliter dieses Weizens in einer Stunde 16 Liter Wasser verschluckt, und daß
                              									1 Liter der titrirten arsenikalischen Flüssigkeit 57,4 Grm. arsenige Säure (Arsenik)
                              									enthält, so setze ich eine Flüssigkeit zusammen mit:
                           
                              
                                 arsenikalischer
                                    											Flüssigkeit    
                                   3,5 Liter
                                 
                              
                                 Wasser    
                                 12,5   „
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––
                                 
                              
                                 
                                 16,0 Liter.
                                 
                              
                           Nachdem man das Getreide in einen Zuber gebracht, gießt man die 16 Liter Wassers nach
                              									und nach, unter beständigem Umrühren des Getreides, zu. Eine Stunde nachher breitet
                              									man es zum Trocknen aus. Dieses Beizen wäre ein stark arsenikalisches, da per Hektoliter Weizen das Aequivalent von 200 Grammen
                              									Arsenik als arsenikalische Flüssigkeit zugesetzt wird; wenn man es aber für
                              									hinlänglich erachtet, so kann man bloß 100 Gram. oder noch weniger Arsenik zusetzen,
                              									was stets leicht ist, weil man den Arsenikgehalt der Flüssigkeit in 1 Liter
                              									kennt.
                           Man hat behauptet, um das Saatkorn gegen den Angriff der Thiere zu sichern, genüge
                              									es, demselben eine starke Bitterkeit zu ertheilen, indem man es einige Zeit in
                              									gewissen Pflanzendecocten, z.B. der Coloquinte, der weißen Nießwurz, des Wermuths einweicht, und noch
                              									besser in Absüde von zugleich bitterm Geschmack und giftiger Beschaffenheit, z.B.
                              									der Brechnuß etc. Nach meiner Meinung wird durch diese Mittel der Hauptzweck
                              									verfehlt, ja sogar der einzige beabsichtigte Zweck, die Zerstörung des dem Saatkorn
                              									schädlichen Ungeziefers; denn es ist mehr als zweifelhaft, daß diese bittern
                              									Substanzen die Ernte gegen den Brand zu Schützen vermögen; ohne Zweifel werden die
                              									Erdmäuse, die Mäuse, die Feldraßen das mit solchen Substanzen getränkte Saatkorn des
                              									Weizens und des Türkischkorns nicht berühren; aber die Saat wird gegen ihre Angriffe
                              									nur einige Tage lang geschützt bleiben, weil bald die Keimung eintritt und die
                              									Würzelchen und Stengelchen, in welche der giftige Stoff gewiß nicht gelangt, den
                              									Nagern zur Nahrung dienen. Nach meiner Ansicht muß das Saatkorn gefressen werden
                              									können und dann tödten; es muß zugleich Lockspeise und Gift seyn.
                           Wir wollen nun untersuchen, was man an Saatkorn verliert, um die Feldmäuse auf einem
                              									von ihnen heimgesuchten Felde zu vertilgen. Nehmen wir hierzu an, das Beizen des
                              									Weizens sey per Hektoliter mit 209 Grm. arseniger Säure
                              									in Form von arsenigsaurem Natron vorgenommen worden. Aus dem 10ten und 11ten
                              									Versuche geht hervor, daß 10 Körner dieses Weizens eine Feldmaus tödten; da 1 Liter
                              									20710 Körner enthält, so würde dieser Liter hinreichen, um 2071 dieser Thiere zu
                              									vergiften.
                           Die Zweckmäßigkeit der Anwendung einer giftigen Substanz zum Beizen des Saatkorns
                              									einmal angenommen, kann man mm fragen, in welcher Lage sich zur Saatzeit ein
                              									Landwirth befände, der gebeizt hat um die schädlichen Thiere zu vertilgen, der aber
                              									von Nachbarn umgeben wäre, welche diese Vorsicht nicht gebraucht haben. Nach meiner
                              									Meinung wäre er nicht im Nachtheil, und zwar aus folgenden Gründen. Das Vergiften
                              									der schädlichen Thiere hat den Hauptzweck, die Ernte zu Schützen; nebenbei aber wird
                              									ein anderer Zweck erreicht, welcher nicht zu verschmähen ist, daß nämlich ein Thier,
                              									so schädlich es lebend ist, nach seinem Tod höchst nützlich wird, indem es als
                              									Dünger wirkt. Was würde dieser Dünger kosten? Dieß ist leicht zu berechnen; wir
                              									wissen, daß 1 Liter mit Arsenik gebeizten Weizens 2071 Feldmäuse tödten kann; nun
                              									wiegt, wie ich mich überzeugt habe, 1 Feldmaus ungefähr 15 Grm.; man hat folglich
                              									für den Preis eines Liters Weizen, 20 bis 25 Cent., 31 Kilogr. todter Thiere; für 65
                              									bis 80 Centimes erhält man also einen metrischen Centner solcher Thiere, der
                              									wenigstens 25 Kilogr. Fleisch, Blut und Knochen in trockenem Zustand repräsentirt;
                              									dieser Dünger ist noch dazu schon an Ort und Stelle geschafft und auf dem Felde verbreitet. Um diesen
                              									Preis würde ich recht gerne die Feldmäuse meiner Nachbarn auf meinen Feldern sterben
                              									sehen, und im Herbst 1854 hätte ich gerne 1 Liter Weizen demjenigen gegeben, welcher
                              									mir dagegen 31 Kil. todter Feldmäuse gebracht hätte, denn in diesen 31 Kil. wären an
                              									Stickstoff und phosphorsaurem Salz die Elemente von ungefähr 30 Litern Weizen
                              									gewesen.
                           Die Anwendung des Arseniks zum Beizen des Saatkorns ist allerdings mit viel Gefahr
                              									verbunden, indem man ein so starkes Gift in vieler Leute Hände bringt. Die
                              									Gesetzgebung hat auch dem Handel mit dieser Substanz gewisse Beschränkungen
                              									auferlegt. Vorzüglich durch seine Aehnlichkeit mit dem Zucker, dem Mehl, dem
                              									Stärkmehl, dem Salz, ist der gepulverte Arsenik gefährlich. Man hat vorgeschlagen,
                              									dem für die Landwirthschaft bestimmten Arsenik einige Procente eines Gemenges von
                              									Eisenvitriol und gelbem Blutlaugensalz zuzusetzen; durch dieses Mittel könnte vielen
                              									Unglücksfällen vorgebeugt werden; denn wenn Arsenik mit diesen Zuthaten der Suppe,
                              									der Milch, überhaupt einem flüssigen Nahrungsmittel zugesetzt wird, so ertheilt er
                              									denselben eine mehr oder weniger schmutzige, blaue Farbe, welche stets auffallend
                              									genug ist, um die Aufmerksamkeit sogleich zu erregen.