| Titel: | Ueber das Flavin, ein Surrogat der Quercitronrinde. | 
| Fundstelle: | Band 145, Jahrgang 1857, Nr. XXXIV., S. 135 | 
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                        XXXIV.
                        Ueber das Flavin, ein Surrogat der
                           Quercitronrinde.
                        Aus der schweizerischen polytechnischen Zeitschrift, 1857,
                              Bd. II S. 51.
                        Ueber das Flavin.
                        
                     
                        
                           Nachfolgende Untersuchung hat der Unterzeichnete in Gemeinschaft mit Hrn. Brunner aus Liverpool, Schüler des schweiz.
                              Polytechnikums, vorgenommen.
                           Die erste Kunde über das seit einigen Jahren aus Nordamerika nach Europa, zuerst
                              wahrscheinlich nach England, gebrachte Product scheint sich in J. Napier's Manual of the Art of
                                 dyeing, Glasgow 1853 zu finden.Daraus im polytechn. Journal Bd. CXI. S.
                                       297. Es wird da die Meinung ausgesprochen, der Körper sey ein Extract der Quercitronrinde, eine Meinung, die Muspratt in seinem Handbuch der technischen Chemie, ohne
                              neue Unterstützungsgründe für dieselbe vorzubringen, viel stärker betont. Was dieß
                              Urtheil veranlaßt haben mag, ist wohl zunächst nur die Bezugsquelle, die für
                              Quercitron und Flavin Nordamerika ist, und einige allgemeine, keineswegs aber
                              hinlänglich charakteristische Reactionen, sowie die Aussage der Färber, daß es sich
                              in vielen Fällen mit Vortheil anstatt der Quercitronrinde gebrauchen lasse; eines
                              sichern Bodens entbehrte aber dieser Ausspruch ganz.
                           Die Färbekraft des Flavin soll 16mal so groß seyn als die der Quercitronrinde. Das
                              Flavin ist ein lockeres braungelbes amorphes Pulver, das in Wasser sich nicht
                              vollständig lösen läßt; eine mit heißem Wasser gemachte Lösung setzt bald ein
                              bräunliches Pulver ab, das ebenfalls nichts Krystallinisches erkennen läßt. Die
                              Lösung reducirt das Kupferoxyd aus der alkalischen weinsauren Lösung zu Oxydul,
                              fällt Leim stockig und Eisenoxydsalze mit grünbrauner Farbe. Der in Wasser
                              ausziehbare Theil betrug 42 Proc. vom Gewicht des Ganzen. An rohen Aether gibt das
                              Flavin ziemlich reichlich Farbstoff ab; nach Abdunsten des Aethers zeigt sich der
                              Rückstand fast ganz in Alkohol löslich; die alkoholische Lösung in einer Flächen
                              Schale, unter allmählichem Zusatz von Wasser verdunstet, hinterläßt ein braungelbes
                              Pulver, an dem unter dem Mikroskop wenig Krystallinisches erkannt werden kann. Durch
                              Wiederaufnahme desselben in Alkohol und Ausscheidung mit Wasser schien es mehr
                              krystallinisches Gefüge erhalten zu haben, die Farbe desselben war aber immer noch
                              trübgelb. Durch Wiederlösen in Weingeist und Versetzen der Lösung mit einer
                              weingeistigen Bleizuckerlösung wurde ein schön rothbrauner Niederschlag
                              hervorgebracht. Die Lösung blieb blaß, wenig gelb. Der Niederschlag wurde mit etwas
                              Weingeist abgewaschen, noch feucht in Wasser vertheilt und ein Strom
                              Schwefelwasserstoff hindurch geleitet. Nach vollkommen erreichter Sättigung wurde
                              mit verdünnter Essigsäure versetzt, gekocht und filtrirt. Das Filtrat war wenig gelb
                              und aus demselben schied sich nach dem Erkalten ein gelbliches amorphes, an dem
                              Licht allmählich grün werdendes Pulver ab, während die Hauptmasse des Farbstoffes
                              noch an dem Schwefelblei hing. Durch Behandeln mit heißem Alkohol wurde eine tief
                              malagabraune Lösung erhalten, die unter allmählichem Wasserzusatz verdunstet,
                              reichlich einen blaßgelben Körper fallen ließ, der aus den deutlichsten Krystallen
                              bestand. Dieser krystallinische Körper zeigte sich in heißem Wasser etwas, in kaltem
                              Wasser und Aether fast unlöslich, leicht löslich in Weingeist, in Aetzammoniak und
                              alkalischen Lösungen. In heißer Essigsäure löste sich derselbe ebenfalls, beim
                              Erkalten schieden sich aber amorphe Flocken aus der Lösung ab. Aus weingeistiger,
                              wie aus ammoniakalischer Lösung desselben wird durch Bleizucker ein feurig
                              orangerother Niederschlag erzeugt.
                           Die Krystallform, der eigenthümliche Glanz des Krystallpulvers, sein Verhalten zu
                              Aether, Essigsäure, und das der alkoholischen Lösung zu Bleizuckerlösung sind sehr
                              charakteristisch, und überzeugend für jeden, der mit Quercetin (dem von Rigaud entdeckten Spaltungsproduct des Quercitrin) zu
                              thun hatte, daß die fragliche Substanz mit letzterem Präparat identisch sey Die
                              Elementaranalyse bekräftigte diese Ansicht vollständig, indem 0,1235 Gr. Substanz
                              durch Verbrennung mit Kupferoxyd und im Sauerstoffstrom 0,0454 Wasser und 0,2567
                              Kohlensäure lieferten, was 
                              
                             4,08 Proc. Wasserstoff und
                           58,70 Proc. Kohlenstoff entspricht,
                           während Rigaud im Mittel 59,23
                              Kohlenstoff und 4,13 Wasserstoff fand.
                           Auf andere, aber weniger förderliche Weise wurde eine krystallinische Substanz
                              ausgeschieden, die etwas trüber gelb war, am Licht sich bald grünte und aus minder
                              deutlichen Krystallen bestand, die in der Elementaranalyse 57,01 Proc. Kohlenstoff
                              und 3,73 Proc. Wasserstoff ergab. Man war zur Darstellung derselben vom wässerigen
                              Extract ausgegangen, machte aus diesem ein weingeistiges und daraus eines mit rohem
                              Aether, und unterließ es, den gewonnenen festen gelben Rückstand durch Herstellung
                              der Bleiverbindung und Wiederzerlegen derselben zu reinigen. Reines Quercetin wird
                              aus Quercitronride oder dem daraus zuerst abgeschiedenen Quercitrin weit leichter
                              und sicherer dargestellt werden als aus Flavin, in welchem sich vielleicht der
                              größte Theil des Quercetin verändert, oder in Begleitung von andern Körpern findet,
                              die dessen Abscheidung mit allen der reinen Substanz zukommenden Eigenschaften
                              hindern. Rigaud beobachtete, daß das Quercetin eine
                              trübere, braunere Farbe annehme, wenn es mit Stärken Säuren zusammenkomme. Bei
                              Bereitung des Flavin mögen wohl ähnliche Einwirkungen auf den reinen Farbstoff
                              vorkommen.
                           Es geht aus der Untersuchung hervor, daß das Flavin zwar unzweifelhaft aus der Quercitronrinde
                              dargestellt wird, daß es aber keineswegs, wie man nach
                              den oben genannten Berichterstattern anzunehmen hätte, ein einfaches Extract der Quercitronrinde, ähnlich dem Blauholzextract,
                              Fernambukextract etc., ist. Die Bildung von Quercetin,
                              das sich fertig gebildet in dem Flavin findet, läßt mit
                              der größten Wahrscheinlichkeit auf eine Behandlung der Quercitronrinde mit Säuren,
                              oder da Holzfaser in dem Flavin nicht enthalten, die Farbstoffe aber in verdünnten
                              Säuren nicht leicht löslich sind, auf eine Ausziehung durch Alkali und nachfolgende
                              Behandlung der Lösung mit Säuren schließen. Die Beobachtung, daß der Farbstoff des
                              Flavin Quercetin, oder in größter Menge Quercetin sey, widerspricht der
                              Zweckmäßigkeit des Vorschlags von Leeshing, das Flavin,
                              ähnlich wie es nach seinem Patent mit der Quercitronrinde geschehen soll, mit
                              Schwefelsäure zu behandeln. Die Gegenwart von Gerbsäure läßt auf unvollkommene
                              Zerlegung schließen, die des Zuckers bestärkt aber die ausgesprochene Ansicht.
                           Wir hoffen demnächst einige Erfahrungen mittheilen zu können über die Frage, welches
                              wohl der passendste Weg zur Darstellung des Flavin oder eines noch etwas reinern
                              Farbstoffextractes aus der Quercitronrinde seyn mag.
                           Prof. Dr. P. Volley.