| Titel: | Bericht über eine im October 1857 nach Württemberg und der Schweiz unternommene technologische Reise; von Hrn. Regierungsrath Wichgraf in Potsdam. | 
| Fundstelle: | Band 150, Jahrgang 1858, Nr. XC., S. 346 | 
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                        XC.
                        Bericht über eine im October 1857 nach
                           Württemberg und der Schweiz unternommene technologische Reise; von Hrn. Regierungsrath
                           Wichgraf in
                           Potsdam.
                        Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
                                 Gewerbfleißes in Preußen, 1858 S. 112.
                        Wichgraf, über eine im October 1857 nach Württemberg und der
                           Schweiz unternommene technologische Reise.
                        
                     
                        
                           Obgleich der Hauptzweck meiner Reise darauf gerichtet war, die bedeutenderen Appretur- und Bleich-Anstalten für sogenannte
                                 weiße Waaren im Königreiche Württemberg und in der Schweiz, so wie die
                              Anfertigung solcher Waaren selbst genauer kennen zu lernen, so lagen doch auf meiner
                              Reisetour noch so viele andere großartige und interessante industrielle Anstalten,
                              und es bot sich mir auch sonst noch Manches von gewerblichem Interesse dar, daß ich
                              nicht umhin konnte, auch davon, soweit es Zeit und Gelegenheit erlaubte, nähere
                              Kenntniß zu nehmen.
                           Der Beginn meiner Reise fiel in die Zeit der großen Herbstmesse in Leipzig. Ich ging
                              deßhalb zunächst dorthin, um den Verkehr auf der Messe und die großen Waarenlager
                              des In- und Auslandes kennen zu lernen. Daselbst fand ich in dem dort
                              stationirten preußischen Stations-Controleur und Steuer-Inspector Berndes einen sehr unterrichteten und unermüdlichen
                              Führer durch das Labyrinth der enormen Waarenlager. Seiner Güte verdanke ich
                              namentlich – um nur einige Firmen aufzuführen – die Bekanntschaft mit dem Hause
                              Baumann und Comp., eines der größten Geschäfte für
                              weiße Waaren in Sachsen, in der Schweiz (St. Gallen). In diesem Geschäfte fand ich
                              den Artikel der weißen Waaren in Geweben, wie in Stickereien und confectionirten
                              Sachen, am mannichfaltigsten vertreten. Das Haus hat besonders einen sehr starken
                              Absatz aus der Schweiz nach dem Oriente und nach Südamerika, wohin namentlich die
                              feinen Batiste, Mousseline und gazeartigen Gewebe in großen Massen – letztere
                              mitunter sogleich zu fertigen Ball- und andern Kleidern verarbeitet und mit
                              Blumenbouquets, Perlen und andern Schmucksachen verziert und in besondere Cartons
                              verpackt – geschickt werden. Ferner besichtigte ich die großen Lager
                              englischer Wollenwaaren und Teppiche vom Stadtrath Gruner, englischer und französischer Stabwaaren aller Art von Heimann Welter und Comp., Lyoner Seidenwaaren von Schletter, in welchem über 90 Commis serviren, englischer
                              und sächsischer Stabwaaren in baumwollenen und anderen Stoffen von Callmann und Eisener, Reißig und Comp. und andere; sodann
                              auch die sehr interessanten Pelzwaarenlager von Lomes,
                              von Gaudig und Blume und von Oppenheim, in denen die feinsten und kostbarsten, wie die gewöhnlichsten
                              Pelze, roh und verarbeitet, zu finden waren, u.a. die theuersten Bälge von schwarzen
                              Füchsen und von Seeottern aus den Nordpolar-Ländern, zu 300 Thlrn. das Stück;
                              neben diesen ächten fand man aber auch die unächten gefärbten Pelze, welche für
                              einen Nichtkenner von den ersteren oft gar nicht zu unterscheiden waren. Mehrere
                              andere Engros-Lager von Galanterie- und Kurzwaaren, Leder (L. Cornfeld – weiße russische Juchten à
                              Centner 112 Thlr.) u.s.w. lasse ich unerwähnt und gedenke nur noch eines Besuchs
                              zweier größeren Fabriken: erstens der Fabrik in Modewaaren, Cravatten, Hemden und
                              dergleichen, von Eduard Boas, in welcher 70–80
                              Näherinnen im Hause, und etwa 300 außerhalb beschäftigt und viele Nähmaschinen im Gebrauch waren, die sich durch
                              gleichmäßige und gute Arbeit auszeichneten (von Lehmann
                              in Leipzig für 120 Thlr. das Stück). Mit Hülfe dieser Maschinen fertigt ein Mädchen
                              täglich 10 Dutzend Chemisettes mit Steppsäumen, und verdient dabei wöchentlich 1 1/2
                              Thlr. Es werden außerdem bedeutende Mengen gewebter Chemisettes verarbeitet, welche
                              der Fabrikant aus Frankreich bezieht. Die feinsten Nähereien werden aber doch mit
                              der Hand gemacht.
                           Das zweite Etablissement ist die große, auf Actien gegründete Kammgarn-Spinnerei in Pfaffendorf, nahe bei Leipzig, nach neuestem
                              Schlumberger'schen Systeme vortrefflich eingerichtet.
                              Von 2 Dampfmaschinen à 30 und 80 Pferdekraft getrieben, werden 14,000
                              Spindeln nebst den zubehörigen Hülfsmaschinen in Bewegung gesetzt. Es werden wöchentlich gegen 230
                              Centner Wolle verarbeitet und gegen 100 Centner Garn producirt, dessen Nummern
                              zwischen 30–50 variiren, ausnahmsweise auch höher. Das Waschen der Wolle
                              erfolgt durch 20 Walzen-Waschmaschinen; zum Trocknen und Reinigen dienen 12
                              andere Maschinen, deren jede von je Einem Mädchen bedient, circa 3 Centner pro Tag verarbeitet; Verdienst
                              des Mädchens ist 3 1/2 Thlr. in der Woche bei 13 Arbeitsstunden; zum Kämmen,
                              Strecken, Spulen, Grobflyer etc. sind 40 Stück Schlumberger'sche Maschinen aufgestellt, bei jeder 1 Mädchen, welches 1
                              2/3 bis 1 5/6 Thlr. pro Woche erhält. Die
                              Feinspinnmaschinen à 200 Spindeln sind von Männern bedient, die mit 5 Thlr.
                              pro Woche gelohnt werden. Im Ganzen sind
                              6–700 Arbeiter (mit der Wollsortirungs-Anstalt) beschäftigt. Unter den
                              Maschinen befinden sich auch ein Paar vortreffliche englische Kämm-Maschinen
                              nach Lister'schem Systeme, deren Leistungen man lobte.
                              Ueberhaupt erblickt man überall das Bestreben, stets die neuesten und besten
                              Einrichtungen in Anwendung zu bringen, so daß der Besuch dieser Fabrik viel des
                              Interessanten bietet.
                           Von Leipzig ging ich direct nach Stuttgart. Dort fand ich
                              an dem Ministerialrathe Pfleiderer einen eben so
                              kenntnißreichen und in den industriellen Anstalten seines Landes bewanderten, wie
                              gefälligen Führer und Informator. Wegen Mangels an Zeit mußte ich meine Excursionen
                              auf die Hauptfabriken dieser an industriellen Etablissements aller Art so reichen
                              Stadt beschränken.
                           Zuvörderst muß ich der schönen Muster-Sammlung
                              erwähnen welche von der königlichen Centralstelle für Gewerbe und Handel im Gebäude
                              der ehemaligen Legionskaserne aufgestellt ist, und sowohl von allen Zweigen der
                              inländischen Gewerbsamkeit und von allen Rohproducten, als von den wichtigsten
                              Industriezweigen des Auslandes, besonders Frankreichs und Englands, vorzüglich
                              schöne, reiche und mannichfache Muster enthält. Sie wird fortlaufend mit den
                              neuesten Erzeugnissen, Modellen, Proben und anderen versehen, und ist dem
                              gewerbtreibenden Publicum jederzeit zugänglich. Man hat namentlich die Gelegenheit
                              der großen Industrie-Ausstellungen in London, München und Paris wahrgenommen,
                              und dort Vieles von den ausgestellten Gegenständen, besonders übersichtliche und
                              systematische Zusammenstellungen verschiedener Productionszweige käuflich erstanden,
                              und war damit beschäftigt, größere und hellere Räumlichkeiten für die stark
                              anwachsende Sammlung einzurichten.
                           An diese Sammlung schließt sich eine bedeutende industrielle Bibliothek mit den
                              vorzüglichsten technischen Werken, periodischen Schriften, Journalen, Zeichnungen
                              u.a., gleichfalls zur öffentlichen Benutzung. (Dabei unter Anderem eine vollständige
                              Sammlung von Beschreibungen der in England ertheilten Patente für neue Erfindungen.) Sodann
                              liegen stets reichhaltige Pariser Musterbücher der neuesten Wollen-,
                              Seiden-, Baumwollen- und anderer Stoffe aus, welche den
                              Gewerbtreibenden dergestalt zur Benutzung preisgegeben werden, daß dieselben sich
                              von den einzelnen in Büchern eingeklebten Proben Stückchen abschneiden dürfen; von
                              dieser Erlaubniß wird ein so starker Gebrauch gemacht, daß von vielen Proben nur das
                              Stückchen mit der darauf geklebten Nummer übrig geblieben ist. Jedenfalls werden auf
                              diese Weise die Musterbücher für die Industriellen allgemeiner und besser nutzbar
                              gemacht, als wenn – wie dieß anderswo geschieht – bloß eine einfache
                              Ansicht der Bücher gestattet wird. Die meisten der gedachten Muster sind ja nur
                              ephemerisch, für die nächste Saison bestimmt, und ihre längere Conservirung ist
                              daher weniger von Nöthen, als ihre augenblickliche Anwendung. Durch diese
                              Mustersammlung soll nicht nur auf die Ausbildung des Gewerbstandes hingewirkt,
                              sondern es soll auch dem in- und ausländischen Handelsstande Gelegenheit
                              gegeben werden, sich von den vorzüglichern Gewerbe-Erzeugnissen des Landes
                              Kenntniß zu verschaffen, um somit den letzteren zu Absatzwegen zu verhelfen.
                           Die Zahl der Besucher dieses Musterlagers, welche gewerbliche Zwecke verfolgen,
                              beträgt jährlich mehrere Tausende, und eben so werden jährlich Tausende von
                              Musterstücken aus der Sammlung an Gewerbtreibende des Landes ausgeliehen. Dieß
                              beweist am besten, daß die Einrichtung praktisch und ein Bedürfniß des Gewerbstandes
                              ist.
                           In demselben Gebäude befindet sich auch eine Musterwerkstätte
                                 für Weberei, welche von der Regierung nach belgischem Muster eingerichtet,
                              jedoch erst im Entstehen begriffen ist. Die Hebung des Webereibetriebes durch
                              Unterricht läßt sich die Centralstelle sehr angelegen seyn; sie legt nicht nur
                              dergleichen Musterwertstätten nach belgischem Muster an verschiedenen Orten im Lande
                              an (die Zahl der darin aufgestellten Stühle beträgt schon über 100), sondern sie
                              vertheilt auch in- und ausländische Webestühle in großer Zahl, und sendet auf
                              Verlangen der Fabrikanten Webelehrer im Lande umher, um die Weber an Ort und Stelle
                              zu unterrichten. Eben so hat man Lehrerinnen aus der Schweiz kommen lassen, um
                              Unterricht im Sticken zu geben, und hat zu dem Ende Contracte mit inländischen
                              Fabrikanten geschlossen, welche für die Beschäftigung der Weber und der Stickerinnen
                              zu sorgen haben und dazu eine Beihülfe von der Regierung erhalten. So ist z.B. das
                              Haus Carl Faber in Stuttgart engagirt, um Weber für
                              Damaste und andere Jacquard-Webereien auszubilden, zu welchem Zwecke ihm auch
                              die Beschäftigung und Ausbildung der Arbeiter in der vorerwähnten Musterwerkstätte
                              übertragen ist; diese
                              Arbeiter treten demnächst in die von mir auch besuchte größere Fabrik dieses Hauses
                              ein. Ferner ist das Haus C. Ostertag u. Comp. in gleicher
                              Weise für Stickereien engagirt, welche auf dem Lande, in Dörfern unter Aufsicht von
                              Schweizer Lehrerinnen gefertigt werden; die Stickerinnen erhalten 24 bis 30 Kreuzer
                              Tagelohn; im Winter sollen sich sogar häufig Männer mit Sticken beschäftigen. Die
                              württembergische Regierung sucht diese Stickerei-Industrie sehr zu fördern,
                              und hat an vielen Orten davon schon recht günstige Erfolge erzielt, namentlich zur
                              Beseitigung des Nothstandes in armen Landgemeinden.
                           Ein eigenthümlicher und bedeutender Gewerbzweig ist für Württemberg die Spielwaaren-Fabrication geworden, besonders in
                              Holz- und Metallspielsachen. Der bedeutendste Fabrikant dafür ist Carl Groß. Dieser läßt die Sachen an verschiedenen Orten im
                              ganzen Lande, hauptsächlich in den Gebirgsgegenden, nach seinen Angaben fertigen,
                              und hält in Stuttgart ein bedeutendes, sehr sehenswerthes Musterlager. Wie dieß
                              schon bei der Münchener Industrie-Ausstellung rühmend anerkannt wurde, findet
                              man bei seinen Spielsachen insbesondere auch vielfach das Nützliche mit dem
                              Unterhaltenden zweckmäßig verbunden, um dadurch auf Erweiterung des Wissens der
                              Kinder hinzuwirken; so bemerkte ich mehrere hübsche Spielereien, welche auf
                              Anwendung physikalischer Gesetze und selbst chemischer Processe beruhten, wie die
                              kleinen Luftballons aus Collodium, welche mit Wasserstoffgas gefüllt werden, wozu
                              gleich der Apparat beigefügt ist. Groß versendet seine
                              Sachen nach allen Weltgegenden.
                           Eins der renommirtesten und auch im Auslande sehr gerühmten Etablissements Stuttgarts
                              ist die Fabrik von Pianofortes und Harmoniums von J. L.
                                 Schiedmayer u. Söhne, im großartigsten Maaßstabe angelegt und stets in der
                              Erweiterung begriffen. Die Firma hat jetzt für die Anfertigung der Harmoniums ein
                              besonderes Fabriklocal erbaut, so daß diese von der Fabrication der Fortepianos
                              getrennt betrieben wird. Die Fabrik ist mit den vortrefflichsten Einrichtungen
                              versehen, unter Anwendung der Dampfkraft und der besten und neuesten Maschinen,
                              wobei das Princip der Arbeitstheilung in der Beschäftigung wie in der Benutzung der
                              Localitäten durch beide 4 bis 5 etagige Fabrikgebäude streng durchgeführt ist.
                              – Die Söhne des Fabrikbesitzers, musikalisch und technisch durchgebildet und
                              durch viele Reisen mit den Bedürfnissen des In- und Auslandes vertraut,
                              leiten den Betrieb der Fabrik unmittelbar. Es soll täglich wenigstens ein Fortepiano
                              fertig, und jährlich sollen gegen 200 Harmoniums gemacht werden. Dabei waren nur
                              wenig fertige Instrumente in den geräumigen Probesälen aufgestellt, woraus man auf
                              den großen Absatz schließen kann, der besonders durch verhältnißmäßig billige Preise, bei schöner
                              Ausstattung der Instrumente, sehr gefördert wird. Die Harmoniums sollen
                              hauptsächlich nach Amerika versandt werden, und besonders eine ganz kleine Art von
                              etwa drei Octaven, zum Abnehmen des Fußes Behufs bequemer Verpackung in einen Kasten
                              (nicht größer als ein etwas großer Violinkasten); diese sollen die
                              Plantagen-Besitzer gern auf der Reise mit sich führen. Den größeren
                              Harmoniums ist durch die sogenannte Percussions-Mechanik ein so leicht
                              angebender, schön ansprechender und voller Ton gegeben, daß sie den Orgeln wenig
                              nachstehen. Diese Fabrik führt zwar die Firma J. P. Schiedmayer, zum Unterschiede von der alten Fortepiano-Fabrik J. L.
                              Schiedmayer, es ist aber
                              dieselbe Familie. Ein näheres Eingehen auf den so interessanten technischen Betrieb
                              der Fabrik, auf die sinnreichen Maschinen, und auf die vielen verschiedenen
                              Arbeiten, wovon mich der ältere Sohn in sehr entgegenkommender Weise ohne Rückhalt
                              Kenntniß nehmen ließ, würde hier zu weit führen. Ich bemerke nur noch von den
                              Fortepianos, daß auch diese sich durch das elegante Aeußere, wie durch Ton und
                              Spielart sehr auszeichnen, und deßhalb und namentlich auch wegen der billigen Preise
                              (große Polisander-Concertflügel zu 550 fl., gewöhnliche Salonflügel zu 500
                              fl.) sehr empfehlungswerth sind.
                           Sodann hatten noch zwei Fabriken meine besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen,
                              nämlich
                           1) die Fabrik gewebter Damen-Corsets ohne Naht von C. d'Ambly und Comp. und
                           2) die Brodfabrik von Voelker,
                           worüber einiges anzuführen mir gestattet seyn möge.
                           Die Corsetfabrik, welche jetzt eine
                              Actien-Gesellschaft käuflich erworben hat, war die erste in Deutschland,
                              welche Corsets ohne Nath nach französischer Erfindung anfertigte. Jetzt existiren
                              dergleichen schon mehrere in Württemberg, die aber doch gegen diese Fabrik nicht in
                              Betracht kommen. In derselben sind 300 Webestühle im Gange; auf einem Stuhle werden
                              täglich 4 bis 5, in 14 Tagen etwa 10,000 Corsets gefertigt, das ist im Jahre etwa
                              260,000 Stück. Der Weber verdient wöchentlich 5 bis 10 fl. Mit der Fabrik ist
                              zugleich Bleiche und Appretur verbunden, wobei zuletzt die Corsets auf kupfernen,
                              dem menschlichen Körper nachgebildeten Formen getrocknet, und in die richtige
                              Façon gebracht werden. Dergleichen Formen gibt es verschiedene nach
                              bestimmten, den verschiedenen Körpergrößen entsprechenden Normalmaaßen, deren bis
                              jetzt nach Josselin sieben angenommen sind. Mit dem
                              Zurichten, Nähen, Einfassen, Bügeln u.s.w. sind 5–600 Mädchen in der Fabrik
                              beschäftigt, welche abtheilungsweise unter Aufseherinnen arbeiten. Um Einiges über die, noch wenig
                              bekannte und dabei ziemlich einfache Weberei zu sagen, bemerke ich, daß die
                              Webestühle gewöhnliche, ziemlich schmale Trittstühle sind (etwa 1 Meter breit). Das
                              Weben des Corsets erfolgt nicht der Breite, sondern der Länge nach, so daß am Corset
                              die Kettfäden von der einen Schnürseite zur andern, die Schußfäden quer von oben
                              nach unten laufen. Der Kettenbaum liegt, ähnlich wie bei dem Bandwebestuhle, am
                              hintern Ende des Stuhles oben senkrecht über einem Streichbaume; die Kettfäden
                              hängen erst zettelweise vom Kettbaume frei herunter, umfassen bewegliche, durch
                              Zettelgewichte beschwerte Rollen, gehen dann wieder nach oben zurück über einen
                              zweiten Baum, darauf nach unten über den Streichbaum horizontal durch die Schäfte
                              und durch einen starken eisernen Spannstock nach dem Brustbaum. Die Zahl der
                              Kettfäden beläuft sich bis auf 3000 und diese tragen bis 3 Ctr. Spanngewichte. Der
                              Arbeiter webt die geraden Stellen des Corsets wie gewöhnlich, sobald er aber an die
                              Stellen kommt, wo für die Wölbungen der Hüften oder des Busens das Gewebe sich
                              allmählich von der Mitte nach den Seiten kugelförmig erweitern muß, schießt er den
                              Schützen nur partien – (zettel-)weise durch die Kettfäden, z.B. also
                              von rechts anfangend erst durch 30 Faden, die er vielleicht 5mal bindet, dann durch
                              40 Fäden, die er 4mal, durch 50, die er 3mal (nach der Mitte immer weniger) bindet,
                              u.s.w. bis zur Mitte, wobei die einzelnen Abtheilungen der Zettelfäden, je nach der
                              Größe der Wölbung, allmählich immer mehr von der Hand des Arbeiters durch den sie
                              einklemmenden Spannstock gegen den Brustbaum zu herausgezogen werden. Es ist leicht
                              ersichtlich, daß die weiter herausgezogenen Stellen auch länger werden müssen, als
                              die nebenliegenden, und daß sich auf diese Weise eine Höhlung bilden muß; hat diese
                              den höchsten Punkt erreicht, so erfolgt das Weben umgekehrt von der Mitte nach dem
                              Rande zu in abnehmender Progression. Durch starkes Anschlagen mit der Lade
                              verschwinden die Uebergänge der Abtheilungen so, daß sie im fertigen Gewebe gar
                              nicht zu bemerken sind. Die Preise der Corsets stellen sich in weiß: Nr. 0. = 2 fl.
                              42 kr., Nr. 2ª = 2 fl. 15 kr., Nr. 2b 1 fl.
                              54 kr., Nr. 3 = 1 fl. 45 kr.; in farbig (grau) Nr. 4 = 2 fl. 15 kr., Nr. 5 u. 6 = 1
                              fl. 45 kr. – In Berlin hat die Agentur des Hauses Jul. Bernhard und Comp. (Louisen- und Marienstr. Ecke.)
                           Die Brodfabrik der Gebrüder Voelker ist gleichfalls die erste Fabrik in
                              Deutschland gewesen, welche den Brodteig, statt mit der Hand, mit Maschinen kneten
                              läßt und die Bäckerei fabrikmäßig im Großen betreibt. Der Unternehmer hat mit vielen
                              Hindernissen zu kämpfen gehabt. Wegen der in Stuttgart noch bestehenden
                              Zunfteinrichtungen hat die Fabrik, auf Widerspruch der Bäcker, nicht in der Stadt,
                              sondern vor dem Thore angelegt und auch nur dort der Verkauf des Brodes bewirkt
                              werden dürfen. – Sodann hat es in der ersten Zeit nicht gelingen wollen,
                              einen zweckmäßigen Ofen zum Backen so großer Quantitäten von Brod, als mit Hülfe der
                              Knetmaschine hergestellt werden können, zu construiren. Diese Aufgabe will der
                              Unternehmer durch Herstellung seines jetzigen Ofens gelöst und damit die
                              Maschinenbäckerei zu einer solchen Vollendung gebracht haben, die nichts mehr zu
                              wünschen übrig lassen soll. (?) Nach den Mittheilungen der vorzüglichsten
                              technischen Zeitschriften muß dieß indeß noch bezweifelt werden, und gehört die
                              Construction zweckmäßiger Maschinenbacköfen, trotz der damit gemachten vielen neuen
                              Erfindungen, immer noch zu den offenen Tagesfragen, deren Lösung auch erst das
                              vollständige Gelingen der Brodfabriken ermöglichen dürfte.
                           Die Völker'sche Fabrik erzeugt nur weißes Brod in Laiben
                              zu 1 1/2 – 3 Pfd. (von dem im Süden Deutschlands gebräuchlichen Spelt), und
                              zwar, wie ich mich überzeugt habe, von ganz vorzüglicher Güte. Sie kann täglich
                              4–5000 Pfd. herstellen und bedarf nur 4 Mann zu den Hülfsleistungen, zum
                              Drehen der Knetmaschine (wenn solche nicht durch eine Dampfmaschine getrieben wird),
                              Formen der Brode, Einschieben in den Ofen u.s.w. – Mit der Fabrik ist
                              zugleich eine Maschinenbau-Anstalt für die Knetmaschinen und die sonst
                              erforderlichen Vorrichtungen, Armaturen der Oefen u.a. verbunden. – Zum
                              Betriebe der Bäckerei dient eine Knetmaschine Rolland'scher Art und zwei Doppelbacköfen nach eigener Construction. Erstere
                              steht mitten in der Backstube, wird durch 1–2 Mann in Bewegung gesetzt und
                              macht in 15–20 Minuten etwa 3 1/2 Cntr. Teig fertig. Dieser wird in einen
                              danebenstehenden, mit Rollen versehenen und auf eisernen Schienen laufenden Backtrog
                              geworfen, mittelst desselben nach den an der Fensterseite stehenden Backtischen
                              geschoben, dort in Brode geformt und dann in gleicher Weise nach den
                              gegenüberstehenden Oefen gefahren. Dieses sind Etagenöfen von Backsteinen mit 2
                              flachen Backgewölben über einander, deren jedes zwischen 2 Feuergewölben liegt,
                              durch welche die Flammen circuliren, so daß der Ofen im Ganzen aus 6 Gewölben
                              besteht. Durch die Trennung der Feuerung vom Backraume bleibt dieser stets reinlich,
                              und dabei kann mit geringen Unterbrechungen immerfort gebacken werden. Ein Gewölbe
                              faßt etwa 600 Pfd. Brod in Laiben zu 1 1/2 – 3 Pfd. Die Oefen sollen
                              bedeutendes Ersparniß an Brennmaterial gewähren.Man vergleiche die Notiz der HHrn. Gebrüder Völker
                                    „über die Leistungen der Backöfen gewöhnlicher Construction und
                                       die Mittel zu deren Verbesserung“ im polytechnischen Journal
                                    Bd. CXLVIII S. 351.A. d. Red. Der Fabrikant baut auch dergleichen Oefen mit 3 Backgewölben, wovon ich einen bei einem anderen
                              Bäcker sah; dieser war sehr damit zufrieden und fand diesen Ofen besser, als einen
                              vorher benutzten sehr kostbaren Rolland'schen mit
                              drehbarem Backherde, den er ganz eingehen lassen wollte.
                           Einen Ofen zu 2 Backgewölben baut Völker für 400 Thlr.
                              excl. Ziegelsteine, deren 5–6000 erforderlich seyn sollen. Von den
                              Knetmaschinen ist der Preis für eine kleine zu 3–4 Cntr. Teig 300 Thlr., für
                              eine große zu 5–6 Cntr. 400 Thlr. Die Herstellungskosten von 100 Pfund Brod
                              belaufen sich, nach Angabe des Hrn. Völker, wenn eine tägliche Consumtion von etwa 4500 Pfd.
                              vorausgesetzt wird, auf etwa 14 1/2 kr., nämlich:
                           
                              
                                 Anlage-Capital etwa 10,000 fl., Zins davon
                                    à 5 Proc. in 1 Tag
                                   1 fl.
                                 24   kr.
                                 
                              
                                 Arbeitslöhne für 4 Bäcker à 1 fl.
                                 
                                   4 fl.
                                  –    kr.
                                 
                              
                                 Holz, Beleuchtung und kleine Ausgaben etwa
                                 
                                   5 fl.
                                  –    kr.
                                 
                              
                                 5 Proc. Abnutzung der Utensilien (Werth etwa
                                 2500 fl.), Reparaturen
                                   – fl.
                                 30   kr.
                                 
                              
                                 
                                         –––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 
                                 4500 Pfd Brod etwa
                                 10 fl.
                                 54   kr.
                                 
                              
                                 
                                   100  „      „      „
                                   – fl.
                                 14 ½ „
                                 
                              
                           Die Selbstkosten von 100 Pfd. Brod sind folgende:
                           
                              
                                 Angenommen
                                 100 Pfd. Mehl kosten 7 fl.
                                 
                              
                                 
                                 100  
                                    „      „    geben
                                    145 Pfd. Brod
                                 
                              
                           
                              
                                        145 Pfd.
                                    Brod
                                 =    420  kr. + (1,45 ×
                                    14 1/2)
                                 
                              
                                       
                                        1    „      
                                    „
                                 = 461/445 „ + 3,1 kr.
                                 
                              
                           Schließlich erwähne ich aus Stuttgart noch des Fabrikanten Conrad Merz, welcher weiße, baumwollene und leinene Waaren, Stickereien
                              und Spitzen, und namentlich auch gewebte Chemisettes (in derselben Weise wie in
                              Nowawes nach französischer Art), fertigen läßt. Von ihm glaubte ich wegen der
                              Appretur der letzteren, welche in Nowawes noch nicht gelungen, etwas Näheres zu
                              erfahren. Indeß läßt er sie auch nur mit der Hand bügeln, und es kommen deßhalb die
                              Preise dadurch hoch zu stehen (pro Dutzend auf 1 Thlr.
                              22 Sgr. – 2 und 3 Thlr.); bei ihm webt ein Weber täglich 5 Dutzend und
                              verdient 20 bis 30 kr. Obschon die Waare hinter der französischen sehr zurück und
                              viel höher im Preise steht, so soll doch der Absatz nicht unbedeutend seyn. Die
                              französische Appretur ist leider auch in Württemberg wie in der Schweiz
                              unbekannt.
                           Bevor ich von der, an industriellen Anlagen wie an sonstigen Sehenswürdigkeiten so
                              reichen württembergischen Residenz scheide, kann ich nicht umhin, noch der großen
                              Fürsorge zu gedenken, welche die Regierung und besonders die dazu bestimmte
                              Centralstelle für Gewerbe und Handel (ein begutachtendes und die ihm besonders
                              übertragenen Maßregeln ausführendes Organ des Ministeriums des Innern) der inländischen
                              Industrie zuwendet, und wie sie namentlich bemüht ist, die Gewerbsamkeit in den
                              ärmeren Districten des Landes zu heben und zu fördern. – Wie schon oben
                              bemerkt, sind es namentlich Weberei und Stickerei, deren Verbreitung mit großem
                              Erfolge zu dem angegebenen Zwecke befördert wird. Durch Verbindungen mit dem
                              Auslande, insbesondere auch durch Reisen von Technikern erhält sich die Regierung
                              stets in Kenntniß der dortigen neuesten Erfindungen; auch unterstützt sie junge
                              Männer, um sich durch Reisen für verschiedene Industriebranchen als Musterzeichner
                              auszubilden. – Demnächst ist durch Industrie-Arbeitsschulen für arme
                              Kinder und durch gewerbliche Fortbildungs-Anstalten (Sonntags- und
                              Abendschulen an Werktagen) für die Ausbildung der industriellen Jugend gesorgt.
                              Diese Schulen sind Gemeinde-Anstalten (mit Staatsbeiträgen) und stehen unter
                              Aufsicht der Ortsschulbehörde. Außer Zeichnen und Modelliren wird ein
                              wissenschaftlicher Unterricht in 3 Abtheilungen in einem sogenannten Lehrlingscursus
                              (Rechnen, Geometrie, Geschäftsaufsätze, französisch und englisch), einem
                              Gesellencursus (Mathematik und darstellende Geometrie, Physik und Chemie, Mechanik,
                              Buchführung), und einem Handelscursus (kaufmännischer Aufsatz, deßgleichen Rechnen,
                              französische und englische Correspondenz) ertheilt. Der Anlegung von
                              Musterwerkstätten für Leinen- und Baumwoll-Webereien habe ich schon
                              oben gedacht. Es sind außerdem auch noch Strohflechtschulen in ausgedehntem Umfange,
                              deßgleichen Schulen für Weiß- und Wollstickerei und für Spitzenklöppeln
                              angelegt, die sehr guten Fortgang haben sollen. Endlich ist die Centralstelle auch
                              im Gebiete der Gewerbe – und Handelsstatistik durch Bearbeitung eines
                              vollständigen Handels- und Adreßbuches, und durch specielle statistische
                              Erhebungen (Enquêten) über einzelne Industriezweige sehr thätig. Dieses
                              Collegium ist zusammengesetzt aus 1 Director, 2 Räthen (1 Techniker) und 12
                              gewählten Vertretern des Gewerbestandes, nämlich 4 Handwerkern, 3 Fabrikanten, 3
                              Kaufleuten und 2 Gewerbeschullehrern. Bei wichtigen Angelegenheiten kann die Zahl
                              dieser Vertreter verdoppelt werden, was aber dann immer in allen Classen geschehen
                              muß. –
                           Von Stuttgart wandte ich mich nach Ravensburg, in dessen Nähe in dem herrlichen,
                              schon zum Gebiete des Bodensees gehörigen, an Wasser und Wiesen reichen
                              Schussen-Thale die berühmte königl. Seng-,
                                 Bleich- und Appretur-Anstalt
                                 Weißenau belegen ist. Bei der Besichtigung dieser Anstalt erfreute ich mich
                              des bereitwilligsten Entgegenkommens Seitens des Dirigenten, Cameralverwalters Breunlin, dessen Name in der Technik einen guten Klang
                              hat. Da ich eine besondere Beschreibung dieser Anstalt nach den mir gemachten
                              Mittheilungen nachfolgen lasse, so erlaube ich mir hier nur Folgendes im Allgemeinen anzuführen. In dem
                              Berichte über die Industrie-Ausstellung in München sagt der Referent, der
                              königl. sächsische Geheime Rath und Director im Ministerium des Innern Dr. Weinlig, nachdem näher
                              hervorgehoben, wie sehr Deutschland im Fache der Appretur, besonders der Weißwaaren,
                              gegen das Ausland zurückstehe, und wie es zu den Lebensfragen der deutschen Weberei
                              gehöre, in dieser wichtigen Beziehung energischer, selbständiger und productiver
                              aufzutreten, daß in dieser Entwickelung Südwest-Deutschland voranstehe.
                              „Zeigen auch,“ heißt es dann weiter, „die
                                 sächsischen und österreichischen Häuser (welche ausgestellt hatten) zum großen
                                 Theile sehr sorgfältige Bleiche und Appretur, mehren sich auch in Sachsen die
                                 besonderen, mit Intelligenz, aber immer in kleinerem Umfange betriebenen
                                 Bleich- und Appreturanstalten für baumwollene Waaren, so stehen doch die
                                 Anstalten von Martini u. Comp. in Augsburg etc. und
                                 die königl. Appreturanstalt von Weißenau in Bezug auf
                                 Umfang, Mannichfaltigkeit und Vorzüglichkeit der Leistungen allen anderen
                                 voran.“ Diese letztere Anstalt hat einen solchen Ruf, daß sie nicht
                              nur für alle württembergischen, sondern auch für sehr viele ausländische Fabrikanten
                              in Bayern, Baden und selbst in Sachsen, deren Fabricate in weißen baumwollenen und
                              leinenen Waaren aller Art, Kattune, Cambrics, Shirtings, Piqués, Mulls,
                              Jaconnets, Mousseline und allerlei gazeartige Gewebe, Stickereien, Tülle u.a.m.
                              Garne und Leinwand bleicht, appretirt und zurichtet. Mit den vorzüglichsten
                              Einrichtungen für Sengerei, Bleiche und Appretur versehen, kann die Anstalt täglich
                              bis 16,000 Ellen zurichten.
                           In den hellen und weiten Räumen der ehemaligen Prämonstratenser-Abtei
                              Weißenau, welche die königl. Regierung dazu hergab, ist die Anstalt in den Jahren
                              1839 und 1840 von den Schweizer Appreteuren, den Gebrüdern Erpf in St. Gallen, ganz nach Schweizer Art eingerichtet. Mit
                              hinreichenden Gebäulichkeiten, Wiesen und Wasserkräften versehen, ist sie im Stande,
                              allen, an eine solche Anstalt zu stellenden billigen Anforderungen auf das Beste zu
                              entsprechen. Wie die Gründer, so waren auch die Arbeiter, besonders die Werkmeister,
                              ursprünglich meistens Schweizer; an deren Stelle sind jedoch im Laufe der Zeit
                              ausgelernte Inländer getreten. Die Zahl der täglich beschäftigten Arbeiter beträgt
                              durchschnittlich 120 incl. 20 Kinder (64 männlichen, 56 weiblichen Geschlechts). Der
                              Arbeitslohn beträgt für Kinder 12 bis 15 Kreuzer bei 12 Arbeitsstunden, für Frauen
                              20 bis 24 kr. und für Männer 36 kr. bis 1 fl. – Die Anstalt besitzt eine
                              eigene mechanische Werkstätte, nicht bloß zur Ausführung von Reparaturen, sondern
                              auch selbst zur Anfertigung neuer Maschinen. – Die Sengerei wird durch einen
                              nach der neuesten Construction eingerichteten Gas-Sengapparat mit 3200 Flammen betrieben; das Gas
                              wird durch Buchenholz hergestellt. Die Bleiche ist für baumwollene Stoffe die
                              gewöhnliche Kunstbleiche unter Anwendung von Soda, Chlorkalk und Schwefelsäure; für
                              Leinwand in der Regel, und wenn es nicht anders verlangt wird, Rasenbleiche.
                           Zur Unterstützung der Arbeiter ist, wie bei allen württembergischen Staatsanstalten,
                              eine Kranken-Unterstützungscasse eingerichtet. – Die Anstalt soll
                              einen guten Reinertrag abwerfen, der auf 10 Proc. des ursprünglichen Anlagecapitals
                              berechnet wird.
                           Mein letztes Reiseziel war St. Gallen, von wo aus ich die
                              Hauptörter für feine Stickereien und Gewebe in den beiden
                              Kantonen St. Gallen und Appenzell bereiste, und auch in den Bergen viele einzelne
                              Weber in ihren Weberstuben oder vielmehr in den Kellern besuchte. Man zieht nämlich
                              die letztere Localität für die Weberei weißer Waaren vor, weil bei etwas kühler und
                              feuchter Atmosphäre die Schlichte nicht so schnell trocknet und weniger Bruch in den
                              Kettfäden vorkommt. Die Weberei wie die Stickerei wird meistens nur auf dem Land in
                              den Dörfern oder in einzelnen Bergwohnungen der Landleute theils als Haupt-,
                              theils als Nebengeschäft (im Winter) betrieben. Beim Beginn des Frühlings und zur
                              Zeit der Ernte wandern Tausende aus den Kellern auf das Land, bestellen das Feld und
                              sammeln für den Winter. Größere Fabriketablissements gibt es wenige, und selbst wo
                              solche angelegt sind, wie u.a. in Flawyl, dessen ich später noch näher erwähnen
                              werde, kommt man davon zurück und gibt der Beschäftigung der Weber in ihren Häusern
                              (Hausweberei) den Vorzug.
                           Es sey hierbei gleich über die Art und Weise des Verkehrs bemerkt daß die Weber und
                              die Stickerinnen ihre Arbeitsaufträge, nebst dem Muster und Rohmaterial, von
                              kleineren oder größeren Fabrikanten entweder direct oder, was das gewöhnlichere ist,
                              durch Mittelspersonen, sogenannte Ferger oder Fertger – eine Art Werkmeister
                              – erhalten. – Die Fabrikanten wohnen gewöhnlich selbst mitten unter
                              den Webern in den Dörfern, wo sie stattliche Besitzungen haben, die sich durch
                              Großartigkeit und Eleganz in den, von schönen Gartenanlagen umgebenen Gebäuden vor
                              allen andern auszeichnen. Die großen Fabrikanten lassen die von ihren Webern oder
                              Stickerinnen abgelieferten rohen Waaren selbst bleichen, appretiren und zurichten,
                              und sorgen demnächst auch selbst für den Absatz. Die kleineren Fabrikanten –
                              und dieß ist die Mehrzahl – setzen ihre Waaren an die Großhändler in den
                              Städten roh ab, und diese lassen dieselben dann in den Bleich- und
                              Appreturanstalten zurichten. Die Kaufleute treiben den Handel nur en gros, und zwar bis in das fernste Ausland. Sie
                              versenden ihre kostbaren Artikel des feinsten Luxus wie des allgemeinen Gebrauchs
                              nach Südamerika wie nach dem Orient, häufig schon, wie oben bemerkt, nach der
                              neuesten Pariser Mode zu stattlichen Roben confectionirt und in Cartons verpackt.
                              Der Absatz ist so bedeutend daß man fast nirgends große Vorräthe auf dem Lager
                              findet. Vielen Waaren sieht man schon an ihrem Aeußern, namentlich an der
                              Farbenzusammenstellung, an den Verzierungen wie an der ganzen Aufmachung und
                              Verpackung an, daß sie nur für die Türkei oder für Syrien, Aegypten oder ein anderes
                              Land ausschließlich gefertigt sind. Den Haupt- und wohl einen Weltmarkt
                              bildet St. Gallen, wo die ersten Handlungshäuser ihren Sitz haben und wöchentlich
                              zwei Märkte (Mittwoch und Sonnabend) abgehalten werden. An diesen strömen die
                              kleinen Fabrikanten vom Lande und aus den Bergen in kleinen einspännigen Wägelchen
                              zusammen und bieten ihre Waaren in besonders dazu gemietheten Localen oder frei auf
                              der Straße aus, oder tragen sie zu den Kaufleuten herum. Dieser Marktverkehr bietet
                              in der massenhaften Waarenzufuhr und in der zahllosen Menge der Verkäufer und
                              Käufer, worunter man Männer aller Nationen, oft in den malerischen Landestrachten
                              des Orients, erblickt, ein lebhaftes Bild von der immensen Production des Landes,
                              von der Mannichfaltigkeit der Waaren und von dem enormen Absatz. Man berechnet
                              diesen allein für die Stickereien der beiden Kantone St. Gallen und Appenzell auf
                              500 Millionen Francs.
                           Von Webern beschäftigen einzelne Fabrikanten oft mehr als 700; in den 3 Orten Neßlau,
                              Ebnat und Kappel in der Landschaft Toggenburg sind allein gegen 30 Fabrikanten,
                              welche 3–4000 Weber beschäftigen. Es fällt schwer, einzelne Orte besonders
                              hervorzuheben, fast jedes Haus hat seinen Webstuhl und seine Stickerinnen; ich müßte
                              sie alle nennen, da sie in der Industrie mit einander wetteifern und nur in der Zahl
                              der Weber und Arbeitgeber, sowie in der Gattung der Gewebe und Stickereien sich
                              unterscheiden; denn jeder Ort beschränkt sich in der Regel nur auf einzelne
                              bestimmte Gattungen der Arbeit. Stickereien werden vorzugsweise in der Umgegend von
                              St. Gallen und im Kanton Appenzell (Außer-Rhoden) gefertigt (Trogen,
                              Speicher, Teufen, Heiden), Webereien in der Landschaft Toggenburg, Herisau und
                              Umgegend; außer den schon genannten drei Orten ist besonders auch noch Wattwyl mit
                              wenigstens 6 größeren Häusern, und Flawyl mit Ober-Utzwyl – das St.
                              Gallische Tarare – hervorzuheben. Um einen Begriff von der Großartigkeit
                              jener Geschäfte zu geben, führe ich nach einer mir vorliegenden statistischen Notiz aus dem
                              Jahre 1851J. M. Hungerbühler, Industriegeschichtliches über
                                    die Landschaft Toggenburg. St. Gallen, bei Huber.
                                    1852. an, daß der Garnconsum von einem einzigen Hause in Wattwyl jährlich zwischen
                              4–5000 Centner beträgt, daß dieses Haus an Färber, Bleicher und Appreteure
                              etwa 80–100,000 fl., an unmittelbar oder mittelbar mittelst Fertger von Haus
                              zu Haus beschäftigte Weber 90–120,000 fl., an Spullöhnen für Zettelgarn unter
                              300–320 Familien etwa 12 bis 13,000 fl., für Francaturen, Zölle, Frachten,
                              Assecuranzen etwa 60,000 fl. ausbezahlt.
                           Flawyl mit einem Theile von Ober-Utzwyl ist um deßhalb mit Recht das St.
                              Gallische Tarare genannt worden, weil es die herrlichen französchen Articles de Tarare mit fast gleicher Vollendung
                              arbeitet. Dergleichen Artikel sind namentlich: geblümte Jaconnets und Mousselinroben
                              mit und ohne Jacquard, brochirt, mit lancirten Bouquets, feine Gazestoffe aller Art,
                              gefärbt und weiß, mit Plattstich, Vorhänge, feine Ginghams, Shawls, Mouchoirs und
                              viele andere weiße Artikel der Mode von Lyon und Paris für den Bedarf der Levante,
                              Aegyptens, Ostindiens und Südamerikas. Die Zahl der Jacquard- und
                              Handwebstühle im Toggenburgischen (etwa 1/3 des Kantons St. Gallen) schätzt man über
                              10,000, womit als Nebengewerbe in Verbindung stehen: etwa 140 Blattmacher und
                              Geschirrarbeiter, 300 Garnsieder und Zettler, 3500 Spulerinnen, 425
                              Spinnerei-Arbeiter; außerdem gewinnen dabei noch viele andere Personen ihren
                              Unterhalt, wie z.B. viele Kinder und schwächliche Leute durch Ausschneiden
                              brochirter Artikel und dergleichen mehr.
                           Die Arbeitslöhne sind im Allgemeinen in der Schweiz niedriger als im Zollverein, wohl
                              um 10–15 Proc. (wöchentlicher Weberlohn 2 1/2 bis 4 Thlr.); die Arbeitszeit
                              ist aber wohl um 2 Stunden länger, indem der schweizer Weber fleißiger, genügsamer
                              und sparsamer ist, als der deutsche, weßhalb er es auch leichter zu kleinem Vermögen
                              bringt, das er gern im Grund und Boden anlegt. Mit dieser emsigen Production
                              verbindet sich eine außerordentliche Handelsthätigkeit der Schweizer. Nach allen
                              Weltgegenden ziehen sie auf Unternehmungen aus, entsenden ihre Angehörigen oder
                              Agenten nach den entferntesten Seehäfen und Handelsplätzen, um den Waarenabsatz zu
                              vermitteln, sich nach den Bedürfnissen und Moden zu erkundigen, Rohstoffe zu kaufen
                              etc. Vielfach kam ich mit Familien in Berührung, deren Söhne in Indien oder in
                              Südamerika etablirt waren, oder dort lange gelebt hatten, oder im Begriff waren,
                              dorthin abzureisen. Wie die Töchter in der französischen Schweiz als Bonnen und Erzieherinnen, so
                              durchziehen die Söhne der östlichen Schweiz die Welt als Handlungsreisende und
                              Agenten. Bei diesem rastlosen Handelsgeiste, bei jenen günstigen
                              Arbeitsverhältnissen, unterstützt von ergiebigen Naturquellen, billiger Wasserkraft
                              etc. und bei ungehemmter Handelsfreiheit ist es nicht zu verwundern, daß die
                              Hauptindustrien der Schweiz sich zu der höchsten Blüthe und zu der bedeutenden
                              Stellung emporgeschwungen haben, welche dieses Land auf dem Weltmarkte in erster
                              Reihe neben den größten Handelsmächten würdevoll behauptet, und wofür seinen
                              Industriellen auf den großen Welt-Industrie-Ausstellungen stets die
                              ersten Ehrenpreise zuerkannt worden sind.
                           Es würde zu weit führen, wollte ich über alle interessanten Anlagen,
                              Fabrikeinrichtungen, Maschinen, Arbeitsmethoden, Erzeugnisse u.s.w., welche ich auf
                              meiner Wanderung durch die beiden Kantone in der mannichfaltigsten Weise kennen zu
                              lernen so reiche Gelegenheit hatte, Näheres berichten; ich fand dabei fast überall
                              das bereitwilligste Entgegenkommen, das ich hauptsächlich der einflußreichen
                              Empfehlung des Hrn. Barschall
                              (des St. Gallischen Chefs der oben genannten Handelsfirma Baumann und Comp.) verdanke; ich beschränke mich auf die Hervorhebung des
                              Wichtigsten.
                           In der Weberei war mir in den vielen größeren und kleinen
                              Werkstätten die ich besuchte, wenig Neues und Eigenthümliches aufgestoßen. Die
                              Stühle sind im Allgemeinen die gewöhnlichen mit Tritten, Contremarsch und
                              Jacquard-Maschinen; zu den feinen gazeartigen und façonnirten und mit
                              Broderien verzierten Geweben bedient man sich der Regulatoren, des gewöhnlichen
                              Stichstabes und der Brochirladen. Stichstab und Brochirvorrichtung sind an der Lade,
                              ersterer unter dem Gewebe, letztere über demselben dergestalt angebracht und mit der
                              Jacquard-Maschine und den Tritten so verbunden, daß sie von selbst in die
                              Kette eintreten, wodurch viel Zeit erspart wird. Zu den Blättern bedient man sich
                              durchweg messingener, nicht wie bei uns stählerner Riete. Die Rietblätter sind
                              bisweilen nach der Art des Gewebes eigenthümlich gestaltet, so sah ich z.B., um
                              schlangenartige Windungen der Kettfaden im Muster zu erzeugen, Blätter mit
                              theilweise beweglichen Rieten, worin sich diese vermöge einer kleinen an der Lade
                              angebrachten excentrischen Scheibe, abwechselnd nach Rechts und Links bewegten, und
                              dadurch den zwischen ihnen befindlichen Kettfäden die schlangenförmige Richtung
                              gaben.
                           Von den feinen Mousselinen webt ein Arbeiter in 14 Tagen 6 Stück (zu 16 Stab; 1 Stab
                              = 43 französische Zoll oder circa 1 1/2 Meter), von
                              Jaconnet 5 Stück (zu 19 Stab), Mull 6 Stück (zu 16 Stab), und verdient dafür 4 bis 5
                              bis 6 fl. Es arbeiteten häufig Knaben von 12 bis 14 Jahren und auch Frauen an den Stühlen, da die
                              Webereien weniger Kraft als Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit, und wegen der
                              Feinheit der Garne (80ger bis 100ter Kette) zarte Hände erfordern.
                           Von besonderer Schönheit fand ich die Arbeiten in der renommirten Fabrik von Wiget und Egli in Flawyl. Dieser Firma verdankt die
                              Schweiz hauptsächlich die Einführung der Jacquard-Weberei. Sie erbaute 1837
                              ein größeres Fabrikgebäude, stellte darin 110 Jacquardstühle nach den besten Lyoner
                              Modellen mit Lyoner Maschinen, Regulatoren, Brochirladen u.s.w. versehen, auf, und
                              ließ darauf die schönsten Modeartikel in Mousselin, Jaconnets, Mull u.a.m. zu Roben,
                              Shawls, Schärpen u.s.w. weben (sämmtlich Articles de
                                 Tarare). Im Laufe der Zeit, besonders durch trübe Erfahrungen des Jahres
                              1848 wegen höherer Lohnforderungen u.s.w. belehrt, hat die Firma die Zahl der
                              Webestühle in dem schönen Fabrikgebäude von 4 Etagen auf 30 und einige in dem
                              unteren Stockwerke eingeschränkt, und findet es ihrem Interesse entsprechender die
                              oberen Räume leer stehen zu lassen und die Weber in ihren Wohnungen zu beschäftigen,
                              wo Verabredungen unter den Arbeitern nicht so leicht vorkommen können, auch die
                              Arbeiter fleißiger seyn sollen. – An den Stühlen waren die Vorrichtungen zur
                              Bewegung des Stichstabes und der Brochirlade die allgemein üblichen; statt der
                              letzteren dienten bei Blumenmustern kleinere Kästchen mit der Spule, wie solche bei
                              den Bandwebestühlen gebräuchlich. Bei fast allen Stühlen waren Wechselladen für 2, 3
                              und mehr Schützen im Gebrauch, welche vermöge des Jacquards gehoben und gesenkt
                              wurden. Der Lohn der Weber beläuft sich auf 2 bis 4 Francs täglich.
                           In der Industrie der Stickereien ist die Schweiz noch von keiner Nation übertroffen.
                              Den Hauptsitz derselben bilden jene beiden mehrgenannten Kantone, in denen die Zahl
                              der Stickerinnen sich auf circa 50,000 belaufen soll, deren wöchentlichen
                              Arbeitslohn man über 1 Million Francs berechnet. Es sollen daneben noch sehr viele
                              Stickerinnen in den Nachbarländern, Baden, Württemberg, besonders in den
                              Hohenzollernschen Landen, und in dem österreichischen Vorarlberg von Schweizer
                              Fabrikanten beschäftigt werden. Es möge über diese interessante Industrie einiges
                              Geschichtliche, was meines Wissens noch wenig bekannt, hier Platz finden.
                           Die Stickerei soll erst in den Jahren 1758 – 60 in St. Gallen begonnen haben.
                              Bekanntlich ward sie in älterer Zeit, wie überhaupt die feinen weiblichen
                              Handarbeiten, nur in den Frauenklöstern gefertigt und gelehrt. So hatte auch eine
                              Schwester des berühmten Predigers Zollikoffer in Leipzig,
                              verehel. Joh. Schlatter in St. Gallen, die Stickarbeit
                              zuerst in einem
                              schwäbischen Kloster kennen gelernt und lehrte demnächst solche in ihrer Stadt
                              weiter. Das Handlungshaus Gonzenbach beförderte dann
                              diese Industrie vorzugsweise.S. 44 in der benannten Schrift von Hungerbühler. Viel später erst kam dieselbe nach Deutschland, wo sie im sächsischen
                              Voigtlande Wurzel schlug. Dort soll im Anfange dieses Jahrhunderts namentlich ein
                              Kaufmann Krause in Plauen die französische Lang-
                              und Plattstickerei eingeführt haben. Jetzt schätzt man die Zahl der dort
                              beschäftigten Stickerinnen auf 20,000, und daneben sollen noch im Erzgebirge und in
                              Bayern viele Personen für Plauen arbeiten.
                           Die Zeuge der Grundstoffe, worauf gestickt wird, sind die gewöhnlichen glatten
                              Weißwaaren, Cambrics, Jaconnets u.s.w., ferner Mull, Tüll, und namentlich die
                              feinsten Batiste, letztere beiden Stoffe in der Regel englischen Fabricats. Die
                              Arten der Stickereien sind nach den Grundstoffen verschieden und in den Points sehr
                              mannichfaltig, hauptsächlich Kettenstich in Verbindung mit Langblatt- und
                              Hohlstich, wodurch so viele Nüancirungen gebildet werden können, daß man über 70
                              Points zählt. (Eine ganz neue Arbeit war die sogenannte Relief-Stickerei mit
                              plastisch aufliegenden Blumen und Verzierungen.) Die Mustertücher der Stickerinnen
                              gewähren darüber einen interessanten Ueberblick. Die Geschicklichkeit der letzteren
                              vermag durch Anwendung der mannichfaltigen Points mit Zwirn und Nadel wahre
                              Kunstwerke auf den Grundstoff zu zaubern, – anders kann man es nicht
                              bezeichnen, wenn man unter den Händen der Arbeiterin auf dem über den Rahmen
                              gespannten Batisttuche die schönsten Tableaux, u.a. reiche Landschaften mit Bäumen,
                              Wasser, Geflügel und sonstiger Staffage entstehen sieht – denn die Arbeit
                              geht schnell von der Hand. Und doch wie mühsam ist diese Arbeit! Die
                              Weltausstellungen haben uns Kunstwerke, große Vorhänge, Decken u.a. vorgeführt,
                              woran Monate, ja Jahre lang gearbeitet ist; z.B. hing in dem Palais de l'exposition in Paris ein Rideau aus, die Apotheose Napoleons I. darstellend, an dem 8 Stickerinnen 10 Monate
                              gearbeitet hatten; dessen Preis betrug aber auch nicht weniger als 10,000 Fr.
                           Der Stickapparat ist ein einfacher runder auf Einem Fuß stehender Holzrahmen, auf den
                              der Stoff mittelst eines Riemens und einer Schnalle um den Rand festgespannt wird.
                              Zur Entwerfung der Muster werden geschickte Dessinateurs gehalten. Das Muster wird
                              vermittelst der bekannten Stüpfelmaschine durchstochen und demnächst auf den
                              Grundstoff mittelst durchgestäubten und durch Plätteisenhitze oder Dampf fixirten
                              Harzpulvers übertragen.
                              Der Arbeitslohn ist nach der Art der Arbeit und der Geschicklichkeit der Stickerin
                              sehr verschieden, 40 bis 80 Centimes (4 bis 6 Sgr.) bis zu mehreren Francs
                              täglich.
                           Nicht unbedeutende Concurrenz macht jetzt die mechanische
                              Stickerei mit der Heilmann'schen Stickmaschine, welche
                              zwar schon vor etwa 26 Jahren erfunden aber erst in der neuesten Zeit, freilich
                              wesentlich verbessert, praktisch in Anwendung gekommen ist. Eine englische Maschine
                              dieser Art für Seiden- und Tuchstickerei war auf der Pariser Ausstellung zu
                              sehen. Auf Weißwaaren hat man sie meines Wissen erst in St. Gallen angewendet, und
                              zwar mit wesentlichen Verbesserungen und Vereinfachung des Mechanismus. Es sind in
                              St. Gallen und Umgegend schon gegen 200 solcher Maschinen im Gange (sie werden sehr
                              geheim gehalten). Der Güte des Fabrikanten Giger im Dorfe
                              Degersheim, unweit Herisau, verdanke ich deren nähere Kenntniß, indem er mich
                              bereitwilligst in seine Fabrik führte, in der bereits 20 und einige dieser Maschinen
                              im Gange waren.Eine ausführliche Beschreibung der älteren Heilmann'schen Stickmaschine befindet sich im polytechn. Journal,
                                    1836, Bd. LIX S. 5.A. d. Red. Die wesentlichsten Theile sind der senkrecht stehende, mittelst Pantographen
                              zu bewegende Zeugrahmen, die beiden dagegen fahrenden Wagen mit den Doppelnadeln
                              (das Oehr in der Längenmitte) und das seitwärts angebrachte Muster. – Eine
                              erwachsene Person bewegt die Wagen durch eine Kurbel mit der rechten, und leitet die
                              Spitze des Storchschnabels am Muster mit der linken Hand, zwei Kinder helfen die
                              Fäden einziehen und die etwa krumm gewordenen Nadeln gerade biegen. Die von mir
                              gesehenen Maschinen waren etwa 20 Fuß breit; die Wagen trugen 2 Reihen Nadeln über
                              einander (um dasselbe Muster gleich doppelt – oben und unten – zu
                              sticken) jede mit 106, also beide mit 212 Nadeln. (Es soll deren mit 4 Reihen Nadeln
                              und mit solchem Mechanismus geben, daß ein Arbeiter mit 2 Maschinen zugleich
                              arbeiten kann.) Rechnet man täglich nur 2000 Ein- und Ausgänge der Wagen,
                              wobei die Maschine jedesmal 212 Stiche macht, so ergibt dieß 424,000 Stiche. Nimmt
                              man an daß eine fleißige Stickerin 30 Stiche in der Minute, d. i. 1800 in der
                              Stunde, oder bei 12 Arbeitsstunden 21,600 pro Tag machen
                              kann, so würde jene Maschine nach diesem Verhältniß etwa 20 Arbeiterinnen ersetzen.
                              Der Preis der Waare stellt sich um circa 20 Proc.
                              billiger als bei der Handstickerei. Bis jetzt kann man nur in geraden Linien, in der
                              Plattstich-Manier, auf nicht sehr festen Stoffen sticken. Indeß ist doch die
                              Anwendung der Maschine schon sehr mannichfaltig und wird von den Schweizer
                              Fabrikanten mit dem lebhaftesten Interesse verfolgt. Ein einziger Fabrikant in St.
                              Gallen soll schon 100 solcher Maschinen im Betrieb haben. Dieselben werden bei St.
                              Gallen gebaut und sollen schon im Preise von 600 Thlrn. an zu haben seyn; die oben
                              erwähnten Maschinen mit 212 Nadeln haben 4000 Francs das Stück gekostet.
                           Von den vielen Anstalten für Sengerei, Bleiche und Appretur, welche in 3 Branchen in der Schweiz meistens
                              getrennt, jede für sich von besondern Unternehmern betrieben werden, und von denen
                              ich die vorzüglichsten besucht, habe ich nach Beschreibung der Weißenauer Anstalt
                              nur Weniges hervorzuheben. Bei der enormen Production von Weißwaaren sind diese
                              Anstalten natürlich von viel größerem Umfange als die Weißenauer. Die größte und
                              ausgezeichnetste ist die von Tribbelhorn (Firma N. Meßmann) in St. Gallen, worin sich Bleiche, Appretur,
                              Druckerei und Färberei vereinigt finden. Dazu gehören über 40 Gebäude (in
                              verschiedenen Stadttheilen) und gegen 1100 Arbeiter sollen darin beschäftigt seyn.
                              Die Zahl der Trockenrahmen soll circa 375 betragen. Eine
                              eigenthümliche Einrichtung war in der Bleiche die Art und Weise der continuirlichen
                              Fortbewegung der zu bleichenden Stoffe aus den Chlor- und Säuregefäßen in die
                              Waschbäder, durch die Walkhämmer u.s.w., zu welchem Ende die einzelnen Stücke Zeug
                              an einander geheftet waren und durch große an der Decke befestigte Porzellanringe
                              über Rollen liefen, die durch Wasserkraft getrieben, das Zeug aus einem Raum in den
                              andern und aus einem Apparat in den andern continuirlich nach Erfordern
                              fortbewegten. Leider sah ich das Werk nicht im Gange.
                           Eine andere neue Einrichtung war eine eigenthümliche Dampf-Trockenmethode für
                              Shirting-Appretur. Dazu dient gewöhnlich ein Apparat mit liegenden
                              Kupfercylindern. In der Anstalt war ein besonderes Zimmer dazu eingerichtet; längs
                              zweier Wände liefen die Dampfleitungsröhren parallel mit Fußboden und Decke in etwa
                              4 bis 5füßiger Distanz von einander; dazwischen waren die 19 kupfernen
                              Trockencylinder (etwa 1 Fuß Durchmesser) senkrecht aufgestellt, bequem zum
                              Herausnehmen und Wiedereinsetzen eingerichtet, und mit geeigneten
                              Dampfabschluß- und Zuleitungshähnen versehen. In der Mitte des Zimmers befand
                              sich ein gewöhnlicher Apparat zum Ab- und Aufrollen des Shirtings auf den
                              Cylinder. So wird jedes Stück für sich getrocknet und kann jeder Cylinder, sobald er
                              bezogen ist, leicht zwischen die Dampfröhren gebracht und eben so leicht wieder
                              abgenommen werden, sobald der Shirting den gehörigen Trockengrad erreicht hat. Neben
                              der bequemeren Handthierung soll ein Hauptvortheil darin liegen, daß das Gewebe sich
                              besonders in der Breite verdichtet, während es bei dem bisher gebräuchlichen Apparat mit liegenden
                              Cylindern (wovon auch einer mit 10 Cylindern vorhanden war) aus einander gezogen
                              wird. Unter den Trockenrahmen befanden sich auch viele nach englischer Art mit
                              Ventilation; man wollte aber die älteren vorziehen.
                           Noch erwähne ich einer von mir besuchten besondern Anstalt, welche dazu bestimmt ist,
                              die flott liegenden Figurschußfäden auf der Rückseite der brochirten Gardinen und
                              anderer derartigen Zeuge auszuschneiden (Firma: Graf und
                              Mühlhaupt). Die Ausschneidemaschinen sind nach Art
                              der Tuchschermaschinen construirt, mit schneckenförmig um eine Stahlwalze gewundenen
                              Messern, über welche das Zeug mit großer Schnelligkeit läuft; es gehen immer 16
                              Stück zu 38 Ellen (19 Stab) 3mal durch und jedesmal wird die Walze etwas enger
                              gestellt. Dergleichen Maschinen fand ich auch schon in Sachsen (in Plauen) im
                              Gebrauch.
                           Auf meiner Rückreise nahm ich meinen Weg durch das sächsische Voigtland und
                              besichtigte in Plauen – dem Hauptort der sächsischen Stickerei und Appretur
                              für Weißwaaren – die größeren Anstalten dieser Art, namentlich von J. L. Böhler u. Sohn und F. A. Hempel. Beide Etablissements sind zwar an sich von bedeutendem Umfang und
                              leisten Vortreffliches, wie es ihnen auch nicht an neuen und zweckmäßigen
                              Einrichtungen fehlt, die ich besonders in der Appreturanstalt von Hempel bemerkte; sie stehen aber doch den Schweizer
                              Anstalten im Umfange und besonders auch in der Kunst des Appretirens nach. Auch fand
                              ich manche Behandlungsweisen der Stoffe anders und, wie es mir schien, nicht so
                              zweckmäßig als in der Schweiz. Dieß zeigte sich namentlich in der Bildung der
                              Apprets, nämlich der zum Stärken angewendeten Stoffe und deren Zusammensetzung,
                              – eine Hauptaufgabe der Appreteurs, – worin die Schweizer sehr weit
                              sind, weßhalb sie damit aber auch sehr geheim halten.
                           Möchten diese Mittheilungen etwas dazu beitragen, der Appretur wie überhaupt der
                              Fabrication der Weißwaaren die Aufmerksamkeit der hohen Behörden zuzuwenden und dem
                              Lande einen Industriezweig zu gewinnen, der bei uns so gut wie ganz darniederliegt.
                              Und doch ist der Bedarf an Weißwaaren, den unsere Kaufleute aus dem Ausland beziehen
                              müssen, trotz der hohen Eingangssteuer so außerordentlich groß! Unseren so oft wegen
                              mangelnder Arbeit darbenden armen Webern würde damit eine dauernde Arbeitsquelle
                              geschaffen; ist auch der Arbeitslohn, da die Stoffe meistens leicht und billig sind,
                              nicht so hoch, als der von theuren halb- oder ganzwollenen oder schwereren
                              baumwollenen Waaren, so können doch die Weißwaaren schneller und massenhafter
                              angefertigt werden, und bringen dadurch wieder ein was am Lohn abgeht. Ueberdem gibt es überall Weber,
                              welche für schwere Tritt- oder Jacquard-Webereien zu schwächlich sind,
                              denen daher jene leichtere Waare stets sehr willkommen seyn wird.