| Titel: | Neue Ideen über Luftschifffahrt; von Dr. P. Reis in Worms. | 
| Autor: | P. Reis | 
| Fundstelle: | Band 151, Jahrgang 1859, Nr. IV., S. 13 | 
| Download: | XML | 
                     
                        IV.
                        Neue Ideen über Luftschifffahrt; von Dr.
                           P. Reis in
                           Worms.
                        Reis, neue Ideen über Luftschifffahrt.
                        
                     
                        
                           Am 24. November 1852 sah ich in der Magnus'schen Vorlesung
                              über Experimentalphysik in Berlin folgenden Versuch: An dem Ende einer kleinen mit
                              einem Mundstück versehenen Röhre war eine dünne leichte Scheibe angebracht, die von
                              einigen Armstängelchen getragen und auf der Röhre verschiebbar, längs derselben hin- und
                              herbewegt werden konnte. Blies man nun mit einiger Gewalt in das Mundstück, so
                              bewegte sich die etwas zurückgeschobene Scheibe nach dem Ende der Röhre zu. Magnus erwähnte, daß einige Engländer und Franzosen sich
                              die Priorität der Beobachtung dieser Erscheinung streitig machten und erklärte sie
                              folgendermaßen: vor der Scheibe bildet sich, indem die rasch hervorströmende Luft
                              die umliegende mitreißt, ein luftleerer, resp. luftverdünnter Raum und die hinter
                              der Scheibe befindliche Luft drückt nun die Scheibe nach dem luftverdünnten Raume
                              hin. Einige analoge Versuche sollten dieß noch weiter erörtern. Es ist dieselbe
                              Erscheinung, die sich bei dem Ausfluß des Wassers durch conische Röhren zeigt, wobei
                              bekanntermaßen die Menge des ausfließenden Wassers vermehrt wird.Eisenlohr's Lehrbuch der Physik, §.
                                    117. Es ist ferner dieselbe Erklärung, die bei der interessanten Thatsache
                              angewendet wird, daß ein durch eine feine Oeffnung in einer Unterlagplatte
                              heraustretender Luftstrom ein auf dieser Oeffnung liegendes Kartenblatt nicht
                              wegbläst, sondern daß dieses mit Gewalt festhaftet.Buff's Experimentalphysik, §. 222. Kurze Zeit nach dieser Vorlesung erschien in Poggendorff's Annalen der Physik, Bd. LXXXVIII S. 1 eine äußerst
                              interessante Arbeit von Magnus, in welcher derselbe mit
                              Hülfe obiger Idee und einer andern von Savart gemachten
                              Beobachtung über das Aufeinanderstoßen entgegengesetzter Luftströme, die seitliche
                              Abweichung der Geschosse auf ganz neue und überraschende Weise erörterte. Ich ließ
                              mich damals, die einschlägige Arbeit Poisson's in seiner
                              Mechanik berücksichtigend, in Rechnungen ein, um aufzufinden, ob wirklich die
                              Luftverdichtung auf der einen und die Luftverdünnung auf der andern Seite der
                              Geschosse bei so rascher, der Wirkung kaum Zeit lassender Bewegung im Stande seyn
                              könne einen so schweren Körper abzulenken. Dabei kam mir natürlicher und, ich möchte
                              fast sagen, nothwendiger Weise die Idee, dasselbe Princip auf die Steuerung von
                              Luftschiffen anzuwenden, die manche Theoretiker für unmöglich erklärt haben, weil es
                              in der Luft an einem Stützpunkt fehle – ein Grund, den jeder Vogel widerlegt.
                              Gerade das Fliegen der Vögel beruht ja, wie die erwähnte Magnus'sche Ablenkungserklärung, auf Verdünnung und Verdichtung der Luft.
                              Darauf muß sich auch die Lenkung eines Luftschiffs gründen. Es ist dabei nicht von
                              Luftballonen die Rede, die nur als Rettungsmittel in seltener Gefahr oder im
                              ungünstigsten Fall als theilweiser Tragapparat des Luftschiffs eine Rolle spielen
                              sollen. Ich dachte mir ein Luftschiff in Gestalt eines sehr großen Würfels, an
                              dessen unterer Fläche ein oder mehrere Ventilatoren durch eine Dampfmaschine in
                              Bewegung gesetzt werden und Luft einsaugen. Es entsteht hier allerdings ein
                              luftverdünnter Raum, der aber bei gehörig weiten Einströmungsöffnungen ein Minimum
                              von Einfluß äußert. Die Leitungsröhren müssen nun so verzweigt und vertheilt seyn,
                              daß die eingesogene Luft auf jeder der fünf übrigen Seitenflächen in unzählig vielen
                              feinen, mit Contractionsformen versehenen Oeffnungen mit sehr großer Geschwindigkeit
                              ausfließen kann. Nehmen wir z.B. einen Ventilator, der in eine 0,2 Meter weite Röhre
                              Luft von 26 Meter Geschwindigkeit peitscht,Redtenbacher, Turbinen und Ventilatoren, S.
                                    213. so lassen sich 40,000 Röhren von 1 Millimeter Weite speisen, aus denen die
                              Luft mit jener Geschwindigkeit, oder etwa 10,000 Röhren, aus denen sie mit 104 Meter
                              Geschwindigkeit ausströmt. Man muß es durch eigene Steuervorrichtungen, wobei die
                              Geschwindigkeit- und Richtungsänderungen der rasch bewegten Luft
                              Schwierigkeiten bereiten, in der Gewalt haben, die Luft bald auf dieser, bald auf
                              jener Seite ausströmen zu lassen oder auf mehreren zugleich, so daß man jeder an
                              ausgesteckten Signalen zu erkennenden Windströmung im Voraus begegnen kann, um das
                              Schiff durch die verschiedenen Luftwogen zu leiten. Denkt man sich viele Tausende
                              solcher feinen, die Luft zerschneidenden Luftströme, so muß die auf der betreffenden
                              Seite erzeugte Luftverdünnung der Luftleere sehr nahe kommen und das Schiff nach
                              dieser Richtung gedrückt werden. Wenn man bedenkt, daß die drückende Masse hier
                              einer Wassersäule von der Größe einer Würfelseitenfläche und der Höhe von 32 Fuß
                              gleich kommt und daß die Geschwindigkeit der in einen luftleeren Raum einströmenden
                              Luft außerordentlich groß ist, so ergibt sich eine lebendige Kraft, die selbst dem
                              stärksten Sturm widerstehen kann, wie viel weniger durch die ruhige Luft das Schiff
                              vorantreiben kann, wobei nur so viel lebendige Kraft erfordert wird, als nöthig ist,
                              um die Luft bei Seite zu schieben. Selbst wenn man die Unvollkommenheit des
                              luftleeren Raumes und die Luftverdünnung bei der Einströmung abrechnet, bleibt noch
                              ein großer Fond von lebendiger Kraft.
                           Diese Idee habe ich schon vor mehreren Jahren mehreren Leuten mitgetheilt, die ich
                              leicht nennen und als Zeugen aufrufen kann. Mangel an Zeit, an Gelegenheit und
                              Mitteln zum Experimentiren, das Bestreben alle Umstände mathematisch zu fassen,
                              Aengstlichkeit in Betreff eines so vielfach verspotteten Gegenstandes und einige
                              theoretische Bedenklichkeiten hielten mich von der Veröffentlichung ab.
                           
                           Zu meiner Freude, sowie zum Beweis, daß verschiedene Köpfe in dazu gereifter Zeit
                              gewisse Ideen gleichzeitig fassen, las ich unlängst in der Mainzer Zeitung eine
                              Notiz, wornach in einer technischen Zeitschrift der Vorschlag gemacht wurde,Von Prof. H. Emsmann in Poggendorff's Annalen Bd.
                                    CIV S. 658; daraus im polytechn. Journal Bd. CL S. 75.A. d. Red. ein Luftschiff durch einen von fester Kohlensäure ausgehenden Strom
                              gasförmiger Kohlensäure zu leiten, wobei auf die Thatsache hingewiesen war, daß eine
                              Rakete einen Stab nach sich ziehe. Wie man einen so großen Vorrath dieses furchtbar
                              erkältenden Stoffes ohne die größte Gefahr darstellen und mitführen kann, ist mir
                              räthselhaft; auch verdampft feste Kohlensäure nicht mit explodirend raschen Strömen,
                              wie dieß die flüssige thut, welche deßhalb mit unsäglicher Gewalt aus der Oeffnung
                              einer Flasche des Natterer'schen Apparates strömt, aber
                              dabei gefriert und die Oeffnung verstopft. Meine Idee hat diese Schwierigkeiten
                              nicht. Darum halte ich sie fest und übergebe sie hiemit der Oeffentlichkeit, damit
                              ich doch mein Theil an der Priorität habe.
                           Man erschrecke nicht über eine Dampfmaschine in der Luft, über die eisernen Apparate
                              und ihr Gewicht; die Luft trägt eine Wassersäule von 32 Fuß, also auch einige
                              Stangen und Cylinder, die uns vielleicht das Aluminium leichter liefert. Doch soll
                              ja das Schiff auch Taufende von Passagieren und Güter tragen und können noch einige
                              Ballone zu Hülfe genommen werden als Tragapparate. Gibt man ja Millionen für
                              Eisenbahnen aus, so mag auch ein Luftschiff nicht wohlfeil seyn.