| Titel: | Zur Theorie der Bierbrauerei, in Bezug auf Mulder's Chemie des Bieres; von G. E. Habich. | 
| Autor: | G. E. Habich | 
| Fundstelle: | Band 151, Jahrgang 1859, Nr. LXXV., S. 296 | 
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                        LXXV.
                        Zur Theorie der Bierbrauerei, in Bezug auf Mulder's Chemie des Bieres; von G. E. Habich.
                        Habich, zur Theorie der Bierbrauerei.
                        
                     
                        
                           V.Fortsetzung von S. 230 des vorhergehenden
                                    Heftes.
                           Wegen des chemischen Processes, welchen wir im vorliegenden Falle
                           
                              
                                 Gährung
                                 
                              nennen, verweist uns Mulder auf
                                 seine „Chemie des Weines“ und
                                 will hier nur „manche Eigenthümlichkeiten, welche dort keine Stelle
                                    fanden,“ erwähnen. Sehen wir uns einmal am besagten Orte an, welche Aufschlüsse
                                 uns Mulder über diesen zur Zeit noch ziemlich
                                 verschleierten Act geben kann.
                              Wir finden dort (Seite 73) die Quintessenz der ganzen Sache in einem Satze
                                 formulirt, der hier an der Spitze stehen mag.
                              Was endlich das ganze Princip der Gährung betrifft, so hat dieß schon Stahl mit aller Klarheit und in einer Weise
                                 ausgesprochen (Zymotechnia fundamentalis. Frankof.
                                 1734 p. 304), welche vor einigen Jahren als neu
                                 verkündet und Liebig zugeschrieben worden ist. Es ist
                                 nämlich: „die Molecüle in Bewegung.“ – Stahl sagt an jener Stelle: „Ein Körper,
                                    der in Zersetzung begriffen ist, trägt diesen Zustand auf einen, der noch
                                    nicht zersetzt ist, sehr leicht über. Ja es kann ein solcher Körper, der bereits in einer innerlichen Bewegung sich
                                       befindet, einen andern noch ruhigen, aber zur Bewegung geneigten
                                    Körper sehr leicht in eine solche innerliche Bewegung
                                    hineinziehen.“
                                 
                              Nach diesen Worten Stahl's fährt Mulder fort: „Stahl gebührt
                                    demnach die Ehre, den Grundbegriff der Gährung und alles dessen, was sich
                                    daran schließt und was gegenwärtig so wohlthätig auf die richtige Ausfassung
                                    des Ganzen wirkt, zuerst und in seiner ganzen
                                    Bestimmtheit und Wahrheit ausgesprochen zu haben.“
                                 
                              Wollen wir jetzt also eine Gährung – wir halten uns natürlich an die
                                 „Gährung,“ welche bei den gegohrenen Getränken stattfindet – ins Werk setzen, so hätten
                                 wir 1) einen Körper zu allarmiren, um 2) die vorhandene schläfrige
                                 Stoffassociation zu neuem Leben zu erwecken. Die Lösung dieser Aufgabe läßt Mulder (S. 67) auf folgende Weise vor sich gehen:
                                 „Sobald Zucker mit Hefe in Berührung kommt, wirkt der eiweißartige
                                    Inhalt der Hefebläschen auf den Zucker; der erste schwitzt durch die Wände
                                    der Bläschen der Hefecellulose durch, nimmt aus der
                                       Luft Sauerstoff auf und trägt diese chemische Umsetzung direct auf
                                    den Zucker über.“
                                 
                              Ich werde mir erlauben, an einem Beispiele zu zeigen, daß die Sache am Ende doch
                                 nicht so sehr einfach ist, um mit einem
                                 „Uebertragen der Bewegung“ abgefertigt werden zu
                                 können.
                              Man stelle ein ziemlich gut vergohrenes Bier in flachen Gefäßen an die Luft,
                                 – es bildet sich alsbald jene fettige Decke, die unter dem Namen
                                 „Kahn“ bekannt ist und aus sehr gestreckten, wurstförmigen Zellen besteht. Diese an der Oberfläche
                                 schwimmende und dieselbe alsbald dicht absperrende Zellenschicht steht also
                                 einerseits mit der atmosphärischen Luft, andererseits
                                 mit der Flüssigkeit in Rapport. Und auf diesem Wege wird aus dem Alkoholgehalte
                                 des Bieres alsbald Essigsäure. Man sieht, daß dieser
                                 Erfolg unmöglich gewesen wäre, wenn nicht eine sehr lebhafte
                                 „Bewegung der Molecüle“ der Kahn-Zellen
                                 vorherrschend gewesen wäre. Reißen wir dieselben nun mitten aus ihrer
                                 agitatorischen Praxis heraus und versuchen, ob sie im Stande sind, den
                                 Traubenzucker einer Bierwürze aufzurütteln und ihn zu gleicher Bewegung
                                 aufzustacheln: so finden wir uns in unseren Erwartungen getäuscht, – es tritt keine Gährung ein. – Warum nicht? –
                              So lange ich mir auf diese Frage die Antwort schuldig bleiben muß, kann ich mich
                                 mit den bisherigen Anschauungen über die chemischen Grundlagen des
                                 Gährungsprocesses nicht zufrieden stellen. Insbesondere muß ich hier auch der
                                 mathematischen Form des Zellenlebens einen
                                 Einfluß einräumen; die Zellen mögen denselben
                                    eiweißstoffigen Inhalt haben, – wenn die Wirkung auf die
                                 benachbarten Stoffassociationen eine andere ist, so
                                 ist das bloß Folge der eigenen socialen Constitution. – Doch verlassen
                                 wir den schlüpfrigen Boden, wo „mit Worten ein System bereitet
                                    wird,“ – wenden wir uns lieber zu dem, was über alle
                                 Zweifel erhaben ist, sehen wir zu, wie weit wir mit dem kommen, was wir wissen. Und damit wollen wir uns denn wieder
                                 zur „Chemie des Bieres“
                                 wenden.
                              Ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen Ober- und
                                    Untergährung, dem Mulder bei weitem nicht
                                 den gebührenden Werth zuerkennt, liegt in der Association der Hefezellen. Bei der Fortbildung der Oberhefe bilden sich an den
                                 vorhandenen Zellen Knospen, welche ihren Stammbaum
                                 weiter treiben, und schließlich entsteht „ein lose zusammenhängendes
                                    Netz von Kügelchen, welche mehr oder weniger
                                    Verzweigungen bilden“ (S. 337). Bei der Fortpflanzung der Unterhefe hingegen entwickeln sich die Sporen im
                                 Innern der Zelle, um durch die Wandungen derselben ohne erklecklichen
                                 Patriotismus durchzupassiren und ihr Einzelleben
                                 gerade so fortzuführen, wie sie's im elterlichen Hause gelernt hatten. Wir
                                 kommen alsbald darauf weiter zu sprechen.
                              Mulder ist nun der Ansicht (S. 330), daß eine Oberhefe eine solche sey, welche lebhafte, – die Unterhefe aber eine solche, welche langsame
                                 Gährung hervorzubringen im Stande ist. So einfach aber steht die Sache doch
                                 nicht. Für den raschern oder langsamem Verlauf der Gährung ist die Temperatur ein Hauptfactor. Man kann in einer
                                 schlecht gekühlten Würze auch durch Unterhefe eine
                                 stürmische Gährung hervorrufen, – und in
                                 Böhmen, wo die berühmtesten obergährigen Biere
                                 gebraut werden, weiß man durch eine sorgfältige Kühlung der Würze die Gährung
                                 sehr zu verzögern. Daß außerdem auch derart der Hefe ein Einfluß auf den
                                 Gährungsverlauf zugestanden werden muß, räume ich ein, – aber er steht im zweiten
                                 Gliede. Die Zellen-Genossenschaften der Oberhefe werden von den
                                 emporsteigenden Kohlensäurebläschen leichter schwebend erhalten, als die
                                 isolirten Unterhefezellen, – es ist also auch die Berührung zwischen
                                 Zellenwand und Würze umfangreicher, was (wenn die
                                 Hefe überhaupt für die Gährung nothwendig ist) gährungs beschleunigend wirken muß.
                              Wenn man sich über die Vorgänge, welche mit einer in Würze gesetzten Hefe
                                 stattfinden, eine klare Ueberzeugung verschaffen will, so kann man das nur
                                 vermittelst des Mikroskops. Dort wird man sehen, daß die
                                    Fortpflanzung der Zellen augenblicklich beginnt, – damit aber
                                 ist ja auch der Stoffwechsel in der Würze schon da, weil sie den Stoff zu den
                                 neuen Zellen lieferte. Von einer Consumtion der Hefe beim
                                    Beginn der Gährung ist nichts zu bemerken. Daß die physikalischen
                                 Erscheinungen im Gährbottich zu Anfang der Gährung und im weitern Verlauf
                                 derselben so sehr wechseln, ist richtig, – und das hat eben irre geführt.
                                 Man spricht von einem Beginn der Gährung, wenn „die Würze
                                    rahmt;“ – aber man übersieht, daß dieser Schaum erst
                                 entstehen kann, nachdem die Würze mit Kohlensäuregas gesättigt war, – daß also die Gährung längst begonnen hat, wenn sie sich durch das Erscheinen des
                                 Schaums auch dem Auge kenntlich macht. Man untersuche doch eine Würze gleich
                                 nach dem Stellen und dann jede halbe Stunde auf den Kohlensäuregehalt und man
                                 wird ihn vom ersten Versuche an steigend finden, – in gleichem Maaße
                                 nehmen die Saccharometergrade ab.
                              Sehr schätzbare Thatsachen theilt uns Mulder (S. 335)
                                 über die chemische Zusammensetzung des eiweißartigen Inhalts der Hefezellen mit.
                                 Wir haben schon früher gesehen, daß die Umänderung der Eiweißstoffe in die
                                 lösliche Form mit einer Aufnahme von O₃ verbunden ist. Soll dieser
                                 Eiweißstoff nun zum löslichen Inhalt der Hefezellen werden, so müssen abermals
                                 O₂ hinzutreten. Hiernach reihen sich diese Gruppen folgendermaßen
                                 aneinander:
                              
                                 
                                    die organische Gruppe des Eiweißes
                                    = C₃₆ H₂₅ N₄
                                       O₁₀
                                    
                                 
                                      „          „            
                                       „      des in der Würze
                                       gelösten Eiweißes
                                    = C₃₆ H₂₅ N₄
                                       O₁₃
                                    
                                 
                                    die org. Gruppe des Hefeauszuges
                                    = C₃₆ H₂₅ N₄
                                       O₁₅
                                    
                                 
                              Diese letztere sauerstoffreichere Substanz nun, welche man durch Behandlung von
                                 Hefe mit kochendem oder kaltem Wasser erhält, nennt Mulder, „ein erstes Product der Hefezersetzung, welche
                                    letztere die Ursache der ganzen Gährungserscheinung ist.“ (S.
                                 335). Da muß man aber doch mit Recht fragen: ob denn bei besagter Extraction und bei der Anwendung der Hefe als Gährungserreger die obwaltenden Umstände ganz
                                 dieselben waren. Wir wollen bei der Gelegenheit hervorheben, daß Mulder (S. 349) die Zusammensetzung des Hefeeiweißstoffs, des Eiweißstoffs aus Weizen und des Pflanzeleims aus Weizen als ganz
                                    übereinstimmend angibt. Es ist also klar, daß die Extraction eines
                                 sauerstoffreichern Körpers nur auf Kosten eines andern, der dadurch sauerstoffärmer werden würde, stattfinden konnte. Ueber diesen
                                 restirenden Körper aber wissen wir zur Zeit noch
                                 nichts, – und doch ist dessen Kenntniß für das Studium des
                                 Gährungsprocesses von großer Wichtigkeit.
                              Ich bemerke ausdrücklich, daß an einen Zutritt des atmosphärischen Sauerstoffs
                                 – um den Gährungsproceß flott zu machen – nicht zu denken ist und
                                 setze noch ein paar dahin einschlagende Versuche hierher.
                              Es wurden in drei Kolben mit abgesperrten Gährröhren zuckerige Flüssigkeiten mit
                                 dem so leicht reducirbaren Indigocarmin blau gefärbt
                                 und dann wie folgt behandelt: 1) Zuckerwasser mit (durch ammoniakalisches Wasser
                                 gereinigter) Hefe versetzt, – 2) Bierwürze (vom Kühlschiff) mit Hefe,
                                 – und 3) dieselbe Würze ohne Hefe. Alle drei
                                 Kolben standen unter gleichen Temperatur-Verhältnissen. Es fand dabei keine Entfärbung der Flüssigkeiten
                                    statt!
                              Doch kehren wir zur speciellen Betrachtung der Formen der sporenbildenden
                                 Unterhefe und der knospenbildenden Oberhefe zurück.
                              In diesen beiden Formen begegnen wir zwar der Hefe bei unseren
                                 Gährungsoperationen, – doch treten sie nicht immer ganz rein auf. Die Unterhefe enthält stets nur isolirte Zellen mit Sporenbildung, – bei der
                                 Oberhefe aber laufen immer neben der großen Masse der knospenden Zellen auch
                                 einzelne Unterhefezellen zwischen durch. Diese Thatsache hat Mulder, bei Vernachlässigung der mikroskopischen
                                 Controle zu mehreren Irrthümern verleitet, die ich hier gleich
                                 zusammenstelle.
                              Da steht voran die Umwandlung der Oberhefe in
                                    Unterhefe (S. 350): „Es bietet keine Schwierigkeit Oberhefe
                                    in Unterhefe zu verwandeln. Nicht so leicht geht das Umgekehrte von statten.
                                    Versetzt man eine Würze, welche bis zu der Temperatur, wobei Untergährung
                                    einzutreten pflegt, abgekühlt ist, mit Oberhefe, so findet trotzdem stets
                                    eine theilweise Untergährung statt. Gibt man die hierbei gebildete Hefe aufs
                                    Neue zu einer Würze von niedriger Temperatur, so nimmt die eintretende
                                    Gährung mehr und mehr den Charakter der Untergährung an, so daß es nach
                                    mehrmaliger Wiederholung dieser Operation gelingt, aus Oberhefe eine
                                    wirkliche Unterhefe zu bereiten.“
                                 
                              
                              Um dieses Experiment in ein helleres Licht zu setzen, müssen wir uns
                                 vergegenwärtigen, daß die Obergährungen meistens bei einer höheren, die
                                 Untergährungen aber stets bei einer möglichst niedrigen Temperatur hergeführt
                                 werden, – daß bei einer höheren Temperatur die Zuckerzersetzung rascher
                                 von statten geht und also in gleichen Zeiträumen die
                                 Kohlensäure-Entwickelung massenhafter ist, als bei der Untergährung,
                                 – und daß dadurch auch einzelne Unterhefezellen mit an die Oberfläche
                                 getrieben werden und sich der Oberhefe, welche wegen des Zusammenhangs der
                                 Zellen sich dem Emportreiben gar nicht entziehen kann, beimengen, während die
                                 meisten Unterhefezellen zu Boden sinken. (Bodenhefe
                                 der Obergährung.) Bringt man eine solche Oberhefe bei einer niedrigern Temperatur mit Würze zusammen, so gewinnen
                                 die derselben beigemengten Unterhefezellen und deren
                                    Nachkommen – eben wegen der minder
                                 lebhaften Kohlensäure-Entwickelung – Zeit, sich am Boden
                                 abzulagern. Wird diese Bodenhefe nun zu einer neuen Gährung benutzt, so hat man
                                 schon eine reine Untergährung; – zumal wenn man dafür sorgte, daß von der
                                 Oberhefe nichts an den Boden sinken konnte, was am Schluß der Gährung leicht
                                 geschieht. Diese vermeintliche Umwandlung der Oberhefe in Unterhefe reducirt
                                 sich also darauf, daß man in der Hefenplantage die Unterhefezellen cultivirte, während man die Oberhefe durch Abnehmen von der Decke so zu sagen ausjätete
                                 und sich auf diesem Wege reines Feld verschaffte.
                              Unterhefe aber in Oberhefe zu verwandeln, soll nicht so leicht von Statten gehen
                                 (S. 350). Mag wohl seyn, – mir ist's bisher niemals gelungen, eine sporentreibende Zelle in eine knospentreibende
                                 zu verwandeln.
                              Wenn die Schiedam'sche Hefe (S. 350 Anm.) im etwas getrockneten Zustande Untergährung, – im
                                 frischen Zustande aber Obergährung hervorrufen soll, so steht das mit allen
                                 anderen Erfahrungen im Widerspruch und verdiente eine abermalige Untersuchung
                                 mit dem Mikroskope.
                              Der (S. 351. Anm.) bezeichnete Unterschied zwischen der am Spund ausgestoßenen
                                 Hefe und der zu Boden gesunkenen, läßt sich eben so leicht mikroskopisch
                                 nachweisen. „Sie unterscheiden sich schon im Aeußern; – die zu
                                    Boden gesunkene Hefe bildet keine zusammenhängende Masse, – die
                                    welche als Schaum weggeführt wird, ist zähe.“ Natürlich muß der
                                 Umstand, daß im einen Falle Einzelnzellen, im andern aber zusammengewachsene
                                 Zellengruppen vorhanden sind, auf die Cohärenzverhältnisse der Hefe
                                 influiren.
                              
                              Die Rolle, welche die als Luftballons wirkenden Kohlensäurebläschen spielen, ist
                                 in noch anderer Beziehung wichtig, – die Kohlensäure wirkt als Klärmittel. Obergährige Biere, welche mit recht reiner Oberhefe gestellt waren, klären sich auf dem
                                 Fasse sehr rasch, weil die trübenden
                                 Hefepartikeln durch das Spundloch herausgedrängt werden durch die hier
                                 entweichende Kohlensäure. Ein noch auffallenderes Beispiel für diese Mission der
                                 Kohlensäure bietet das obergährige Ale der
                                 Nordamerikaner. Es wird unmittelbar von der Gährbütte auf die Transportfässer
                                 gebracht und gespundet. Wird nun ein solches Faß nach
                                 mehreren Tagen, wo die Spannung der Kohlensäure schon enorm angeschwollen ist in
                                 Zapf genommen, so ergießt sich der schäumende Inhalt mit Vehemenz in die
                                 Schenkgläser, in denen sich unter der ungeheuren Schaumhaube etwa 1/5 eines klaren Bieres ansammelt, weil – – die
                                 Oberhefezellen mit in den Schaum emporgewirbelt wurden. Bleibt ein solches Bier
                                 im Glase stehen, bis die Kohlensäure entwichen ist, so sinkt die Hefe ins Bier
                                 zurück und es wird dadurch stark getrübt. –
                                 Mulder hält diese Trübung für neu gebildete Hefe (S. 356): „Man schenke
                                    das holländische Jungbier aus einem Kruge aus. Anfangs ist dasselbe hell,
                                    schäumt, trübt sich aber, je länger es ruhig im Glase stehen bleibt. Diese
                                    Trübung rührt von neu gebildeter Hefe her. Untergähriges Bier zeigt dieses
                                    Verhalten nicht. Es schäumt nicht und trübt sich auch nicht an der Luft.
                                    Eben so wenig ist dieß beim holländischen obergährigen Lagerbier der
                                    Fall.“ – Wenn Mulder nun den
                                 Versuch mit dem Jungbier in der Weise wiederholen will, daß der Schaum rasch bis
                                 auf die Decke des klaren Bieres entfernt und separat aufgefangen wird, so wird
                                 er bemerken, daß sich das Bier nunmehr nicht trübt,
                                 – daß aber die Flüssigkeit, welche sich aus dem zergangenen Schaume bildet, einen wahren Segen von Hefezellen
                                 birgt.
                              Aus seinem oben mitgetheilten Versuche zieht nun Mulder den Schluß, daß diese neugebildete
                                 Hefe das Product der noch im Bier befindlichen Eiweißstoffe sey, – daß
                                 diese Eiweißstoffe selbst die Flüssigkeit trüben würden, wenn sie nicht durch
                                 Milchsäure in Lösung gehalten wären, – daß endlich untergähriges Bier
                                 reicher an Milchsäure sey und deßhalb diese trübenden Stoffe aufgelöst behalte.
                                 Als beweisendes Experiment läßt er (S. 356) Traubenzuckerlösung mit Hefe in
                                 stürmische Gährung kommen, theilt darauf die gut umgeschüttelte Flüssigkeit in
                                 zwei Theile und versetzt den einen mit Milchsäure, wodurch die Flüssigkeit hell
                                 wird, weil die Milchsäure auflösend auf die unauflöslichen Eiweißstoffe der Hefe
                                 wirkt.
                              Dagegen muß nun aber eingewendet werden, daß die Gährung einer
                                 Traubenzuckerlösung (wobei Hefe consumirt wird) mit
                                 der Gährung einer
                                 Würze (wobei Hefe producirt wird) nicht direct in
                                 Parallele gestellt werden darf, – daß insbesondere eine stürmische Gährung zum Zersprengen einzelner
                                 Hefezellen führt, was Trübung der Flüssigkeit durch den im Wasser aufquellenden,
                                 aber nicht löslichen Hefezellen-InhaltDurch Behandlung der Hefe mit Wasser wird derselben nur ein kleiner Theil
                                       – jener „Hefeauszug“
                                       Mulder's (S. 335) – entzogen, die
                                       Hauptmasse der Eiweißstoffe bleibt zurück und bildet den Träger der
                                       Endosmose. zur Folge hat, die allerdings durch Milchsäure gehoben werden kann,
                                 – daß der Milchsäure-Gehalt der Biere abhängig ist von der
                                 Sorgfalt beim Maischen und Kühlen (s. S. 305 u. 321), nicht aber vom
                                 Gährverfahren, daß endlich, in Folge der für diese Operationen günstigeren
                                 Bedingungen, unter denen man untergährige Biere
                                 braut, diese in der Regel ärmer an Milchsäure sind,
                                 als die obergährigen.
                              Daß die sogenannte „Selbstgährung“ der Belgier keinen
                                 Anspruch auf eine Anerkennung Seitens der Wissenschaft hat, habe ich bereits bei
                                 Besprechung des „Abkühlens der Würze“ erwähnt. Sie entsteht
                                 durch die im Faß oder den Ritzen anklebenden und antrocknenden Hefezellen,
                                 – und weil deren Menge so gering ist, treten die physikalischen
                                 Gährungserscheinungen erst spät auf. Weil nun diese
                                 im Fasse restirenden Hefemengen der Hauptsache nach nur Unterhefe seyn können, so wird auch die
                                 nachfolgende Gährung wiederum eine Untergährung seyn. – Mulder erzählt uns (S. 358): „Manchmal
                                    bleibt die Gährung aus. Um dieselbe alsdann hervorzurufen, setzt man keine
                                    Hefe, sondern ungehopfte Würze in die Fässer, worauf alsdann die Gährung
                                    beginnt.“ Es ist möglich, daß die
                                 Gährung auch nach Zusatz von ungehopfter Würze endlich einmal in Fluß kommt,
                                 – ist ja doch wieder so und so viel Zeit
                                    verflossen. Aber wenn sie trotz alledem in ganz
                                    neuen Gährgeschirren nicht ankommen will, nun – so setzt man Hefe zu. Und das ist die mir bekannte Praxis.
                              Ich verwahre mich übrigens ausdrücklich dagegen, als wollte ich das Entstehen von Hefezellen ohne Mutterzellen etwa
                                 läugnen. Im Gegentheil mag das wohl öfter vorkommen, als man gewöhnlich
                                 vermuthet. Aber wer wird sich denn beim Betrieb eines chemischen Gewerbes dem
                                 Zufall in die Arme werfen?
                              Zur näheren Orientirung über den Gährungsproceß theilt uns Mulder auch (S. 367) die Gährungsversuche von Berthelot mit, welcher ohne Hefe –
                                 und statt deren durch Casein – Rohrzucker, Glucose, Stärkmehl und
                                 arabisches Gummi zersetzte. Aber – offen gestanden – welche praktische Consequenzen soll man aus diesen an sich ganz interessanten
                                 Experimenten ziehen? Wir zersetzen unsern Fruchtzucker durch Hefe und
                                 destilliren aus dem Gährungsproducte mehr als 50 Proc. Alkohol, – wir
                                 operiren mit Casein und erhalten aus Rohrzucker bei 40° C. und nach sechs
                                 Wochen 12 Proc. Alkohol (bei 0° C. nur 6 Proc. Alkohol) u.s.w.!
                              Nicht besser ist's mit den Gährungsversuchen von Mannit, Glycerin und Dulcin,
                                 welche durch Hefe zwar gespalten werden, aber neben der Kohlensäure auch
                                 Wasserstoffgas entwickeln. Sie haben vorläufig keine Bedeutung. Und wie stimmt
                                 mit denselben die Angabe von Pasteur, welcher
                                 Glycerin im fertig gegohrenen Getränke fand?
                                 –
                              Ob die (S. 360) mitgetheilte Anleitung zur Bereitung einer künstlichen Hefe (nach
                                 Fownes) irgend welchen Werth für die Bierbrauerei hat, will ich dahingestellt seyn lassen.
                                 Ich hab's nicht versucht, – auch Mulder theilt
                                 uns bloß das Recept mit, ohne ein Urtheil aus eigener Erfahrung darüber fällen
                                 zu können. Einiger Zweifel am Gelingen habe ich mich nicht erwehren können.
                              Um das Bier während der
                              
                           
                              
                                 Nachgährung
                                 
                              rascher zur Consumtion bringen zu können, hat man die üble
                                 Praxis der nachträglichen Klärmittel erdacht. Unter
                                 diesen stellt Mulder das „Filtriren durch
                                    Hobelspäne von Buchenholz“ oben an (S. 371). Die Wirksamkeit
                                 dieser sogenannten Spanfässer läßt sich mit dem Filtriren nicht im Geringsten
                                 vergleichen. Die Späne wirken bloß durch Flächenanziehung und überkleiden sich sehr bald mit einer Schicht von
                                 Hefe etc. Nun sind aber diese Späne nach der Entleerung des Fasses schwierig zu reinigen und verleihen, wenn die
                                 Säuberung nicht vollkommen gelungen ist, dem darauf gelegten Biere einen
                                 fremdartigen Geschmack. So ist denn auch dieses unschädlichste aller Klärmittel
                                 nicht zu empfehlen.
                              Die Wirkung der Hausenblase faßt Mulder (S. 371) nicht
                                 ganz so auf, wie sie praktisch durchgeführt wird, – es ist sicher, daß
                                 die Anwendung nach Mulder's Angabe auch nur eine
                                 höchst unvollkommene Klärung im Gefolge haben kann. Die Hausenblase muß zunächst
                                 in eine Verbindung gebracht werden, welche im Wasser löslich oder wenigstens zur
                                 schleimigen Flüssigkeit vertheilbar ist, das geschieht in der Praxis durch
                                 Zusatz von Weinsäure (wie beim Berliner Weißbier)
                                 oder durch die Essigsäure eines sauer gewordenen Bieres (wie in den Londoner Brauereien); –
                                 diese Verbindung aber ist durch Verdünnung mit viel Wasser zersetzbar, der Leim scheidet sich galatinös aus, gerinnt und klärt auf diese
                                 Weise ebenso wie das Eiweiß beim Sieden. Daß die
                                 betreffende Säure dabei ins Bier übergeht und im letztern Falle höchst schädliche Folgen für die
                                 Haltbarkeit desselben nach sich ziehen muß, versteht sich von selbst. Drum, fort
                                 mit allen solchen Klärmitteln! – ein gesundes und mit Sorgfalt
                                 gearbeitetes Bier klärt sich von selbst.
                              S. 375 zählt Mulder die Factoren auf, welche die Haltbarkeit des Bieres auf dem Lager bedingen, und
                                 bezeichnet als solche: 1) starkes Brauen, weil bei
                                 Anwendung von wenig Wasser und viel Getreide auch viel Alkohol gebildet werden
                                 könne, der dann der chemischen Umsetzung entgegenwirke; 2) die Anwendung von
                                 stark gedarrtem Malz, wobei Spuren von brenzlichen
                                 Oelen (Kreosot u.s.w.) gleichfalls der chemischen Zersetzung entgegenwirken; und
                                 3) starkes Hopfen, wobei das Bier, in Folge des
                                 Hopfenbitters und des Gehalts an ätherischem Oel des Hopfens wiederum die
                                 Fähigkeit erhält, der chemischen Veränderung besser zu widerstehen.
                              Den einzig wahren Factor welcher hier in Frage kommt, hat Mulder ganz in den Hintergrund gestellt, – es ist die niedrige Temperatur. Nur im Vorbeigehen sagt er
                                 (S. 377): „je niedriger die Temperatur ist, desto länger hält es
                                    sich.“ Jeder Brauer aber weiß, daß wenn die Temperatur beim
                                 Lagern nicht niedrig genug gehalten wird, alle drei
                                 obigen Mittel nichts mehr für die Haltbarkeit wirken.
                                 Und zudem ist ja der Fall 1) nur für stärkere Biere
                                 denkbar (wie soll man also ein dünneres Bier auf dem
                                 Lager conserviren?). Daß übrigens dabei der gebildete Alkohol der Gährung
                                 entgegenwirken soll, ist ein Auskunftsmittel, welches der gewöhnlichen Meinung
                                 entstammt, als sey der Alkohol als solcher, d.h. im freien Zustande und mit
                                 allen den den „Alkohol“ charakterisirenden Eigenschaften in
                                 den gegohrenen Getränken enthalten, wogegen Mancherlei einzuwenden ist. Wäre die
                                 Ansicht richtig, daß der gebildete „Alkohol“ der Gährung
                                 entgegenwirkt, so müßte mit dem Beginn einer Gährung solche successiv abnehmen. Ich verweise beispielshalber auf die
                                 Tabelle S. 393 im CXLVIII Bd. dieses Journals. Dort hatte eine Würze von 9,3
                                 Saccharometerprocenten – wenn wir die Differenzen der
                                 Saccharometerprocente mit den zugehörigen Alkoholfactoren Balling's multipliciren – der Reihe nach folgende Alkoholmengen
                                 durch die Gährung producirt:
                              
                                 
                                    
                                    Differenz.Saccharometerprocente.
                                    EntsprechenderAlkoholgehalt.
                                    GesammterAlkoholgehalt.
                                    
                                 
                                    2ter Tag
                                    0,8
                                    0,33 Proc.
                                    0,33 Proc.
                                    
                                 
                                    3ter   „
                                    1,6
                                    0,66    „    
                                    0,99    „    
                                    
                                 
                                    4ter   „
                                    1,2
                                    0,50    „    
                                    1,49    „    
                                    
                                 
                                    5ter   „
                                    1,0
                                    0,41    „    
                                    1,90    „    
                                    
                                 
                              u.s.w.
                              
                              Erwägt man nun, daß der Zusatz von einem Procent
                                 Alkohol ausreicht, um die Gährung zu stören, so
                                 erscheint die fortdauernde Alkoholbildung am 4ten u.
                                 5ten etc. Tage auffallend. Man sollte deßhalb über die Ansicht Fabroni's, welche durch die Gegenversuche noch nicht
                                 entkräftet ist, nicht so ohne Weiteres den Stab brechen, wie es u.a. auch Mulder thut. – Doch kehren wir zurück zu den
                                 Bedingungen für die Haltbarkeit des Bieres.
                              Die Anwendung eines stark gedarrten Malzes kann die
                                 Menge der Eiweißstoffe in der Würze (dasselbe
                                 Maischverfahren vorausgesetzt) vermehren, also dem Extracte eine andere
                                 Zusammensetzung verleihen und, wenn man den Verlauf der Gährung durch die
                                 Attenuation der Flüssigkeit controlirt, zu der Annahme verleiten, daß noch
                                 gährungsfähiger Extract vorhanden sey, während der Zucker schon vollständig
                                 zersetzt ist. Solche Biere machen dann dem Brauer oft viel Sorge, weil sie zu
                                 Grunde gehen, da man sie noch ganz lebenskräftig glaubt. An eine Wirkung des
                                 Kreosots ist nur bei Rauchdarren zu denken, –
                                 und da haben die Consumenten darüber zu entscheiden,
                                 ob sie den Kreosotgeschmack dulden wollen. Auf jeder anderen Darre steigt die
                                 Temperatur nie so hoch, daß es zur Kreosotbildung
                                 (oder überhaupt zur Entstehung von brenzlichen Oelen) kommt.
                              Daß starkes Hopfen das Bier haltbarer machen soll,
                                 indem das Hopfenbitter und Hopfenöl dem Verderben entgegen wirken, ist –
                                 was das erstere anbelangt – zur Zeit bloße Muthmaßung, weil darüber gar
                                 keine Erfahrungen vorliegen; in Betreff des ätherischen Oels aber ist zu
                                 bemerken, daß dasselbe so ziemlich das Terrain geräumt hat, wenn die Haltbarkeit
                                 beim Lagern in Frage steht. Dem Hopfenharze aber will
                                 ich gern eine Schutzwächterschaft für das Lagerbier zuerkennen, – indem
                                 es sich bei der Gährung ausscheidet und an die Oberfläche der Hefezellen legt,
                                 wodurch diese für die osmotischen Verhältnisse verdorben werden und damit der
                                 weitere Verlauf der Gährung schleppender wird.
                              Am Schlusse dieses Capitels gibt uns Mulder einen Weg
                                 an, um Bier, welches etwas essigsauer geworden ist, wieder zugänglich für die
                                 Consumenten zu machen. Dieser Weg ist aber nicht empfehlenswerth, –
                                 warum? soll eben gezeigt werden. Es wird nämlich (S. 378) der Zusatz von
                                 Fruchtzucker empfohlen. „Dieser erfüllt dabei einen doppelten Zweck.
                                    Zuerst entfernt er auf unschädliche Weise die bereits gebildete Essigsäure;
                                    weiter aber befähigt derselbe das vorhandene Ferment, wieder als Hefe zu
                                    wirken, – es entsteht also eine neue Gährung.“ Die Gefahr
                                 für die Praxis liegt nun in dem Irrthum, daß der Fruchtzucker die Essigsäure beseitige, – diese bleibt vielmehr nach wie
                                 vor im Biere und
                                 wird nach Verlauf der neu begonnenen Gährung ihre corrumpirende Mission ebenso
                                 zur Geltung bringen, wie vorher. Die richtige Praxis besteht darin, das Bier auf
                                 dem Lager zu überwachen, ob noch immer etwas Zucker in demselben enthalten ist,
                                 der die stille Nachgährung unterhält und zugleich eine schirmende
                                 Kohlensäuredecke auf die Oberfläche treibt. Geht dieser Zuckervorrath zur Neige,
                                 dann ist's Zeit, zum Zusatz von Fruchtzucker oder
                                 Rohrzucker zu greifen, – später ist's zu spät.
                                 – Ist aber das Bier wirklich schon etwas sauer und kann man's nicht sonst
                                 wie verarbeiten, so ist der Zusatz von etwas doppelt-kohlensaurem Natron
                                 nicht so zu verachten, wie es von Mulder (S. 379)
                                 geschieht. Was ist denn auch am Ende dabei, wenn man etwas mehr Natron in das
                                 Bier bringt, als es von Haus aus enthielt? – Es wird ja dadurch ein
                                 Nahrungsmittel, ein „Knorpelbilder“ herbeigeholt und dem
                                 Biere eine von den Tugenden unserer Mineralwasser aufgeprägt. –
                                 Jedenfalls aber muß solches reconvalescentes Bier sofort verzapft werden, oder
                                 es muß einen Zusatz von Zucker erhalten, der ihm wieder zum lebendigern Leben
                                 verhilft.
                              Das höchst eigenthümliche Capitel
                              
                           
                              
                                 von der dritten Gährung
                                 
                              bespricht nun die Veränderungen, welche im Biere zu
                                 allerletzt, wenn es z.B. auf Flaschen gezapft lagert, vorgehen. Mulder verweiset dabei auf die Versuche von Berthelot, welcher (s. S. 363) auch Mannit, Glycerin
                                 und Dulcin durch Hefe zersetzte. Da diese Substanzen
                                 mehr Wasserstoff enthalten als die Kohlenhydrate, so wurde der Wasserstoff
                                 (welcher in keine andere Verbindung übertrat) neben der Kohlensäure als Gas
                                 entwickelt. Das ist einer der chemischen Processe bei
                                 der dritten Gährung, daß das Glycerin, welches nach
                                 Pasteur in allen gegohrenen Getränken vorkommt,
                                 zersetzt wird, – das Vorkommen von Mannit und Dulcin im Biere ist
                                 problematisch. Damit also würde das entweichende Gas eines Flaschenbieres ein
                                 Gemenge von Kohlensäure- und Wasserstoffgas seyn. Darüber muß also das
                                 Experiment entschieden. Mulder gibt in der weitern
                                 Zergliederung dieser dritten Gährung leider keine Aufschlüsse über diesen Punkt.
                                 Und da er auch die praktischen Operationen während dieser dritten Gährung ganz
                                 ohne Beziehung auf diese Erfahrungen Berthelot's bespricht, so darf man wohl die Frage
                                 nach der chemischen Zusammensetzung der Flaschenbier-Gase vorläufig als
                                 eine offene betrachten.
                              In Bezug auf das Abzapfen eines Bieres vom Fasse ist
                                 Mulder ängstlicher als nöthig, – so rasch geschieht die Essigsäure-Bildung
                                 nicht. Und was die
                                 (S. 382) proponirte Anfüllung des leeren Faßraums durch die Kohlensäure des
                                 Bieres (bei geschlossenem Spunde) anlangt, so stößt solche auf unüberwindliche
                                 Hindernisse, – der Krahn läuft alsbald gar nicht mehr oder es dringt,
                                 wenn er weit genug ist, äußere Luft ein und treibt eine Portion Bier heraus, wie
                                 bei einer intermittirenden Quelle.
                              Beim Lagern eines ganz klaren Bieres auf Flaschen soll
                                 sich nun stets Milchsäure bilden und es wird da (S.
                                 383) Bezug genommen auf andere Versuche von Berthelot, welcher fand, daß Zuckerlösung mit Caseïn (ohne Hefe) nach längerer Zeit Alkohol und Milchsäure (ohne
                                    Hefebildung) in der Flüssigkeit ergab. Dieselbe Zersetzung nimmt nun
                                 Mulder auch zwischen dem Zucker und den
                                 Eiweißstoffen des Flaschenbiers an. Das könnte ja allerdings möglich seyn. Aber vorläufig sind mir folgende
                                 Bedenken aufgestiegen: 1) auch das klarste Bier zeigt unter dem Mikroskope noch
                                 Hefezellen, die sich bei dem unter der Hand vorkommenden Stoffwechsel nicht
                                 theilnahmlos gehalten haben können, weil 2) sich am Schlusse der Zersetzung des
                                 Zuckervorraths stets neue Hefe gebildet hat, die
                                 freilich häufig nicht bemerkt wird, weil sich die Zellen nach längerer Zeit so
                                 fest untereinander verbunden haben und an der Glasfläche anliegen, daß man das
                                 Bier klar abgießen kann. Bei der Milchsäurebildung auf der Basis Berthelot's müßte die Flüssigkeit, ganz klar bleiben!
                              Beim Capitel vom
                              
                           
                              
                                 Verderben des Bieres
                                 
                              wird das „Langwerden“ aufgeführt und
                                 der Grund dieser Krankheit in einer Umsetzung des im Biere vorhandenen Dextrins
                                 und noch darin übrigen Zuckers in Pflanzenschleim
                                 gesucht. Ich habe mich bei sehr alten und erfahrenen Brauern nach den Umständen
                                 erkundigt, unter denen dieses „Langwerden“ vorzukommen
                                 pflegt, – aber vergebens; Keinem war je etwas der Art zu Gesicht
                                 gekommen. Mulder erzählt uns nun (S. 388) von dem
                                 Lambiek einer Brauerei in Utrecht: „es läßt sich in einem
                                    drahtförmigen Strahle ausgießen, ist sehr dick und enthält trotzdem nicht
                                    mehr als 3,5 Proc. Extract.“ Die Vermuthung (denn der
                                 experimentelle Beweis fehlt), daß sich hiebei das Dextrin in Pflanzenschleim
                                 verwandelt hat, stützt Mulder auf einen Versuch von
                                 Desfosses, welcher Bierhefe mit Wasser kochte,
                                 diese Flüssigkeit mit Zucker versetzte und das Ganze einige Zeit bei
                                 30–40° C. stehen ließ, wobei sich die Flüssigkeit durch gebildeten
                                 Pflanzenschleim verdickte. Das sind nun aber freilich Verhältnisse, welche mit
                                 denen in den Lagerbierfässern nicht die entfernteste Aehnlichkeit haben,
                                 – es fehlt der Hefeextract im Bier, die hohe Temperatur, selbst der
                                 Zucker ist bis auf ein Minimum verschwunden, und ob das Dextrin gleicher
                                 Umwandlung fähig ist, müßte doch wohl erst durch einen Versuch entschieden
                                 werden. Auch das Langwerden des Weines hat Mulder auf gleiche Weise zu erklären versucht (s.
                                 seine Chemie des Weines, S. 133) und führt dort eine Analyse von Maclayan und Tilley an,
                                 welche den „Stoff, welcher beim Langwerden des Ingwerbieres erzeugt
                                    wird, und der von demjenigen nicht verschieden seyn kann, welcher im Weine
                                    entsteht, einer Analyse unterworfen haben. Sie fanden darin 2 Aequivalente
                                    Wasser mehr als im Pflanzenschleim. Der Stoff war in kaltem Wasser
                                    unlöslich, schwoll aber darin zu einer Schleimmasse auf.“ Ich
                                 habe mir diese Analysen nicht verschaffen können, um eine bessere Ueberzeugung
                                 zu gewinnen, als im Augenblick noch bei mir vorherrscht. Beim Biere kenne ich,
                                 wie schon erwähnt, diese Krankheit nicht, – beim Wein ist sie keine
                                 Seltenheit. Im letztern Falle aber ist's Glutin,
                                 welches durch irgend einen Umstand seines sauren Lösungsmittels beraubt ist (mag
                                 es nun bei der Gährung zu Cellulose geworden seyn oder zur Bouquetbildung
                                 beigetragen haben), – durch etwas Gerbsäure bringt man den Störenfried
                                 leicht bei Seite, was nicht angehen würde, wenn's Pflanzenschleim wäre. Man hat Grund anzunehmen, daß das
                                 Schleimigwerden des Bieres auf gleicher Ursache beruht.