| Titel: | Bemerkungen zu dem Aufsatze des Hrn. Dr. Mohr über die Unwirksamkeit des transatlantischen elektrischen Kabels; von W. Siemens. | 
| Autor: | Dr. Karl Friedrich Mohr [GND], W. Siemens | 
| Fundstelle: | Band 151, Jahrgang 1859, Nr. LXXXIX., S. 380 | 
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                        LXXXIX.
                        Bemerkungen zu dem Aufsatze des Hrn. Dr. Mohr über die Unwirksamkeit des
                           transatlantischen elektrischen Kabels; von W. Siemens.
                        Siemens, über die Gründe der Unwirksamkeit des transatlantischen
                           elektrischen Kabels.
                        
                     
                        
                           Hr. Dr. Mohr hat in diesem
                              Journal (Bd. CL. S. 285) die Ansicht
                              ausgesprochen, „daß die Führung telegraphischer Leitungen durch große
                                 Meerestiefen mit den jetzt vorhandenen technischen Mitteln unausführbar sey,
                                 indem der große Druck des Wassers die Substanz des Isolators durchdringen und
                                 die Isolation dadurch mit der Zeit aufheben müsse.“
                              
                           Diese Ansicht ist glücklicherweise ganz unrichtig und weder theoretisch noch durch
                              die Erfahrung irgendwie begründet. Hr. Dr. Mohr zieht nicht in Betracht, daß die Gutta-percha
                              ein elastischer, nicht poröser Körper ist. – Daß mit Luft gefüllte Flaschen
                              und die mit Luft erfüllten Poren des Holzes mit Wasser angefüllt sind, nachdem sie
                              einem sehr hohen Wasserdruck ausgesetzt waren, ist sehr erklärlich, da die Luft
                              unter dem Drucke von mehreren hundert Atmosphären auf ein sehr kleines Volumen
                              comprimirt wird, das Wasser also die Luft in den Poren ersetzen muß. Da das Wasser
                              unter hohem Drucke stehende Gase viel begieriger aufsaugt als unter geringem Druck
                              stehende, so ist es auch sehr begreiflich, daß die in der umgekehrten Flasche und
                              den Poren des Holzes vor dem Eintauchen vorhandene Luft scheinbar ganz verschwindet,
                              und daß nach dem Herausziehen der Flasche oder des Holzes aus großer Tiefe gar keine
                              Luft im Innern mehr zu entdecken ist: das Wasser hat sie unter dem hohen Drucke
                              absorbirt. Ganz anders verhält es sich aber, wenn Körper, die keine Poren enthalten
                              oder auch elastische Körper, deren Poren nicht wie beim Holze in directem
                              Zusammenhange stehen, einem hohen Drucke ausgesetzt werden.
                           Eine mit Luft gefüllte Blase wird sich unter äußerem hydrostatischen Druck so weit
                              zusammenziehen, daß Gleichgewicht zwischen dem Luftdruck im Innern und dem äußern
                              Wasserdruck stattfindet, sie wird daher nicht vom Wasser durchdrungen und enthält
                              nach Aufhören des Druckes dieselbe Luftmenge wie vorher. Aehnlich verhält sich die
                              sehr elastische Gutta-percha. Sollten sich auch mit Luft gefüllte, jedenfalls
                              nicht zusammenhängende Poren im Innern derselben befinden, so würden sie unter hohem
                              Druck ihr Volumen so weit vermindern, bis die in ihnen enthaltene Luft dem äußern
                              Drucke das Gleichgewicht hält, nicht aber mit Wasser ausgefüllt werden. Daß die
                              homogene Masse der Gutta-percha selbst nicht vom Wasser durchdrungen werden kann, ist
                              unzweifelhaft und auch von Hrn. Dr. Mohr nicht in Frage gestellt. Hr. Dr. Mohr beschreibt ganz richtig das von Halske und mir im Jahre 1847 erfundene und benutzte
                              Verfahren, Drähte mit Gutta-percha zu umpressen und die schadhaften Stellen
                              durch inducirte Ströme zu entdecken. Es wird dasselbe in der That noch ganz in
                              derselben Weise bei der Anfertigung der submarinen Leitungen benutzt; indessen
                              geschieht die Reparatur der auf diese Weise entdeckten schadhaften Stellen nicht
                              durch oberflächliche Schließung der Poren, wie Hr. Dr.
                              Mohr voraussetzt, sondern durch Erweichung der ganzen
                              Gutta-percha-Hülle. Ferner begnügt man sich bei Unterseeleitungen
                              nicht mit einem einfachen Ueberzuge, sondern es wird der einmal mit einem völlig
                              isolirenden Ueberzuge bedeckte Draht noch ein- oder zweimal mit einer Schicht
                              Gutta-percha umpreßt; von Poren, welche zusammenhängend von der Oberfläche
                              bis zum Drahte führen, kann daher wohl nie die Rede seyn, wenn keine gewaltsame
                              Beschädigung vorliegt. Uebrigens werden auch alle Drähte vor ihrer Umspinnung mit
                              Hanf und Eisen unter einem so hohen Drucke probirt, als hydraulische Pressen ihn
                              geben können, wobei sich aber bisher nur in sehr seltenen Fällen eine
                              Verschlechterung der Isolation herausgestellt hat.
                           Die von Hrn. Dr. Mohr
                              aufgestellten Ansichten über die schnelle Fortpflanzung des elektrischen Stromes,
                              bei denen er die gar nicht zutreffenden Wheatstone'schen
                              Versuche zu Grunde legt, übergehe ich, da sie längst als unrichtig nachgewiesen
                              sind; durch Lesung meines Aufsatzes über die elektrostatische Induction
                              (Poggendorff's Annalen Bd. CII S. 66) würde derselbe seine Ansichten leicht
                              berichtigen können.
                           Was nun die Gründe betrifft, warum das transatlantische Kabel nicht nach Wunsch
                              functionirt, so liegen dieselben:
                           1) in der unvollkommenen Isolirungsfähigkeit der
                              Gutta-percha selbst;
                           2) in der großen Spannung, welcher der Draht beim Niederlegen
                              ausgesetzt werden mußte;
                           3) in dem geringen Querschnitt, also der geringen Leitungsfähigkeit
                              des isolirten Kupferdrahtbündels und
                           4) in der unvortheilhaften Benutzung des gelegten Kabels.
                           Vollkommene Isolatoren gibt es überhaupt nicht, wie es scheint und wie auch ganz
                              wahrscheinlich ist. Die Gutta-percha leitet bei geringer Temperatur die
                              Elektricität zwar sehr wenig; bei der großen Länge des Drahtes und seiner
                              verhältnißmäßig sehr geringen Leitungsfähigkeit konnte aber trotzdem, selbst bei der
                              als wahrscheinlich anzunehmenden geringen Temperatur des Meerbodens von nur circa 3 bis 4° C., kaum 1/4 des abgehenden
                              Stromes am anderen Ende der Leitung auftreten, auch wenn die Gutta-percha
                              vollkommen homogen und bestmöglich isolirend war. Hiermit hätte sich aber immerhin
                              noch gut telegraphiren lassen. Nun mußte aber das Kabel beim Niederlassen zum
                              Meeresgrunde mit einer Kraft zurückgehalten werden, welche dem Gewichte eines
                              senkrecht im Wasser bis zum Meeresgrunde hinabhängenden Kabelstückes das
                              Gleichgewicht hielt, da dasselbe andernfalls auf der durch das Wasser selbst
                              gebildeten geneigten Ebene schnell in die Tiefe hinabgeglitten seyn würde. Diese
                              Belastung übersteigt aber bei der gewählten Art der Umspinnung mit Litzen aus
                              Eisendrähten schon bei 10,000 Fuß die Elasticitätsgränze des Kabels. Es mußte daher
                              bei der Legung eine beträchtliche bleibende Dehnung des Kabels eintreten, wodurch
                              alle in der Gutta-percha vorhandenen Luftbläschen erweitert, die innige
                              Verbindung der verschiedenen Ueberzüge gelockert, also in jedem Falle bisher
                              unschädliche Fehler der Continuität der Gutta-percha-Ueberzüge
                              bedeutend verschlimmert wurden. In der Mehrheit der Fälle wird der große äußere
                              Druck gerade vortheilhaft eingewirkt und solche hervortretende Diskontinuitäten
                              wieder geschlossen haben. Es erschien daher schon im Voraus höchst wahrscheinlich,
                              daß in vielen Fällen die so günstige Gegenwirkung des vermehrten äußern Druckes
                              nicht ausreichen und die Isolation sich beim Legen wesentlich verschlechtern würde,
                              wie es in der That der Fall gewesen ist. Daß auch ohne diese bleibende Verlängerung
                              die Isolation nach dem Legen etwas schlechter als vorher seyn würde, ließ sich mit
                              Gewißheit annehmen, da durch den großen Druck die Gutta-percha verdichtet,
                              die Dicke der isolirenden Schicht also vermindert wird, und da der getheerte Hanf,
                              der, so lange er trocken ist, etwas zur bessern Isolation beiträgt, nach und nach
                              vom Wasser durchdrungen und die in ihm enthaltene Luft von demselben absorbirt
                              wird.
                           Hätte man das gelegte Kabel anfänglich mit großer Vorsicht behandelt, so wären alle
                              diese Gründe dennoch wahrscheinlich nicht im Stande gewesen das Kabel ganz
                              unbrauchbar zu machen. Anstatt aber den Draht längere Zeit mit dem positiven Pole
                              kräftiger Batterien in leitende Verbindung zu setzen und dadurch die
                              Leitungsfähigkeit der Gutta-percha auf ein Minimum zu reduciren, sowie auch
                              kleine vorhandene Poren mit Kupferoxyd auszufüllen – ein Verfahren, welches
                              wir bei den früheren unterirdischen Leitungen häufig mit großem Erfolge benutzt
                              haben, und welches für Unterwasserleitung von Hrn. Hipp
                              sehr erfolgreich bei der Bodenseeleitung, von uns bei der Mittelmeerleitung in
                              Anwendung gebracht wurde – begann man sofort starke inducirte Ströme von sehr
                              hoher Spannung und wechselnder Richtung durch das Kabel zu schicken und erweiterte
                              dadurch kleine Poren zu großen, unheilbaren Isolationsfehlern.
                           
                           Es ist übrigens das Kabel auch unmittelbar nach der Legung keinen Augenblick in
                              brauchbarem Zustande gewesen. Man hat zwar mit Spiegelgalvanometern von sehr großer
                              Empfindlichkeit schwache Ströme erkennen können, die die Leitung durchlaufen hatten,
                              ja man war sogar im Stande aus solchen, dem unbewaffneten Auge kaum sichtbaren
                              Ablenkungen des Spiegels nach rechts oder links einige sehr langsam gegebene Worte
                              zu entziffern; aber keinen Augenblick ist man im Stande gewesen, mit regelrechten
                              telegraphischen Instrumenten unzweifelhafte Zeichen zu empfangen. Auch die erwähnte
                              höchst unvollkommene Methode der Mittheilung hörte bald, in Folge der eingetretenen
                              Verschlechterung der Leitung, auf. Sehr schwache Ströme sollen noch jetzt das Kabel
                              durchlaufen; sie sind aber nicht benutzbar, da sie von den ohne äußere Veranlassung
                              im Kabel vorhandenen Strömen von veränderlicher Kraft und Richtung –
                              wahrscheinlich hervorgerufen durch Schwankungen der Intensität des Erdmagnetismus
                              – bedeutend an Stärke übertroffen werden. Derartige Ströme habe ich oft bei
                              unterirdischen Leitungen, die von Ost nach West gehen, wahrgenommen und namentlich
                              in sehr hohem Grade, während ein Nordlicht am Himmel stand, in welcher Zeit
                              Intensität und Richtung des Erdmagnetismus bekanntlich sehr schnellen und starken
                              Schwankungen unterworfen sind.
                           Die Hypothese des Hrn. Dr. Mohr, daß die Verschlechterung der Isolation des atlantischen Kabels eine
                              nothwendige Folge des großen Druckes sey – eine Behauptung, die, wenn sie
                              richtig wäre, die ganze unterseeische Telegraphie in Frage stellen würde –
                              ist glücklicherweise weder richtig noch zur Erklärung des Mißlingens des
                              atlantischen Kabels nöthig: die unzweckmäßige Construction desselben und seine fast
                              noch unzweckmäßigere Benutzung erklären dieß gänzliche Mißlingen vollkommen.
                           Gerade die Mittelmeerkabel, welche Hr. Dr. Mohr für seine Ansicht anführt, beweisen das Gegentheil.
                              Die Linie von Cagliari nach Malta und Corfu, welche durch nicht viel geringere
                              Meerestiefen führt als das atlantische Kabel, war nach mehr als einem Jahre noch
                              ganz eben so gut isolirt wie kurz nach der Legung, und nur ganz unwesentlich
                              schlechter als vor dieser, obschon bei diesen Linien ebenfalls inducirte Ströme zum
                              Telegraphiren benutzt wurden. Die erste gelungene Tiefwasserlinie, die Linie
                              zwischen Cagliari und der afrikanischen Küste, besteht aus vier sehr dünnen mit
                              Gutta-percha überzogenen Drähten, welche von einer gemeinsamen Eisenhülle
                              umschlossen werden. Dieses schwere Kabel unterlag ebenfalls einem, seine
                              Elasticitätsgränze überschreitenden Zuge, in Folge dessen sämmtliche 4 Leitungen
                              beschädigt wurden; es gelang uns jedoch, durch positive Polarisation alle 4 in
                              brauchbaren Zustand zu versetzen. Die eine dieser Leitungen ward in regelmäßigen Betrieb mit
                              positiven Strömen genommen und es ergab sich nach einem halben Jahr, daß die
                              Isolationsfehler vollständig verschwunden waren. Die 3 anderen unbenutzt gebliebenen
                              Drähte sind dagegen noch im anfänglichen Zustande, d. i. nur unter Anwendung
                              positiver Ströme brauchbar. Wie es scheint, sind Umstände, deren Ursachen nicht im
                              Gebiete der Technik liegen, der ausschließlichen Anwendung positiver Ströme dort
                              hindernd in den Weg getreten.
                           Die Natur der Sache bringt es mit sich, daß die Unterseeleitungen, sowohl bei der
                              Anlage wie bei der Erhaltung, wohl stets mit einer bedeutenden Unsicherheit behaftet
                              bleiben werden. Bei Berechnung der Rentabilität solcher Anlagen ist außerdem als
                              wichtiger Factor die langsame Fortpflanzung der Elektricität durch lange Leitungen
                              zu berücksichtigen, in Folge deren die Beförderung der Depeschen ebenfalls eine
                              langsame wird; indessen beweisen die bisherigen Erfahrungen zur Genüge, daß auch
                              Linien von der Länge des transatlantischen Kabels technisch ausführbar sind und eine
                              langdauernde ungestörte Wirksamkeit haben können. Da die Verzögerung des
                              elektrischen Stromes zwar mit den Quadraten der Längen zunimmt, sich dagegen mit den
                              Quadraten des Durchmessers des Leitungsdrahtes vermindert, so läßt sich auch die
                              Sprachfähigkeit langer Leitungen durch Mehraufwand von Kupfer und
                              Gutta-percha beliebig erhöhen. Auch die Schwierigkeit des Legens durch sehr
                              große Tiefen läßt sich durch eine zweckmäßige Construction des Kabels und der
                              Auslegevorrichtungen überwinden.
                           Hoffentlich wird die jetzt im Bau befindliche Unterseelinie von Suez nach Calcutta,
                              welche beinahe die doppelte Länge der verunglückten atlantischen Linie hat, den
                              praktischen Beweis liefern, daß große Meerestiefen und Entfernungen nicht technisch
                              unüberwindlich sind!