| Titel: | Ueber die chemische Wirkung des Lichtes auf die Körper; von Prof. E. Chevreul. | 
| Fundstelle: | Band 151, Jahrgang 1859, Nr. CIX., S. 440 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        CIX.
                        Ueber die chemische Wirkung des Lichtes auf die
                           Körper; von Prof. E.
                              Chevreul.
                        Aus den Comptes rendus, December 1858, Nr.
                              25.
                        Chevreul, über die chemische Wirkung des Lichtes auf die
                           Körper.
                        
                     
                        
                           Die zahlreichen Untersuchungen welche über die Wirkung des Lichtes auf die Körper aus
                              dem chemischen Gesichtspunkt angestellt worden sind, veranlassen mich zu den letzten
                              Abhandlungen des Hrn. Niepce hiermit einen Nachtrag zu
                              veröffentlichen, um einerseits nachzuweisen was sie Neues enthalten und andererseits
                              einige der Fragen anzudeuten, welche sie anregen.
                           Vor Allem müssen wir bei der chemischen Wirkung des Lichtes zwei Umstände
                              unterscheiden: denjenigen wo es, allein wirkend, einen Körper zersetzt oder die
                              Verbindung zweier Körper bewirkt; und jenen wo es gemeinschaftlich mit einem Körper
                              auf einen aus mehreren Stoffen bestehenden Körper wirkt. Diese Unterscheidung ist
                              durch die folgenden Thatsachen vollkommen gerechtfertigt.
                           
                        
                           Erster Umstand. – Das Licht
                                 wirkt allein, entweder um einen Körper zu zersetzen oder um zwei Körper zu
                                 verbinden.
                           Erster Fall. – Das Goldoxyd, im luftleeren Raume
                              dem Licht ausgesetzt, wird in Gold und Sauerstoffgas zerlegt.
                           Zweiter Fall. – Das Berlinerblau, im luftleeren
                              Raume dem Licht ausgesetzt, verliert seine blaue Farbe, indem es Cyan verliert, aber
                              das Cyan wird dabei nicht vollständig abgeschieden, wie der Sauerstoff vom
                              Goldoxyd.Polytechn. Journal Bd. CXIV S.
                                       318. In beiden Fällen wirkt jedoch das Licht reducirend, indem es den elektronegativen Körper vom elektropositiven
                              trennt.
                           Dritter Fall. – Das Sonnenlicht bewirkt
                              augenblicklich die Vereinigung des Chlors mit dem Wasserstoff.
                           
                        
                           Zweiter Umstand. – Das Licht
                                 wirkt gemeinschaftlich mit einem Körper auf einen aus mehreren Stoffen
                                 bestehenden Körper.
                           Wollte man, auf die vorhergehenden Thatsachen gestützt, die allgemein verbreitete
                              Meinung annehmen, daß das Licht genüge, um eine große Anzahl gefärbter Substanzen zu
                              zersetzen, namentlich solche die man zum Färben der Stoffe anwendet, so würde man sich sehr irren;
                              denn die Untersuchungen, welche mich mehr als zehn Jahre beschäftigten und deren
                              Resultate in den Mémoires de l'Académie des
                                 Sciences t. XVI p. 53 niedergelegt sind,
                              beweisen unbestreitbar, daß der größte Theil jener Zersetzungen nicht bloß von der
                              Wirkung des Lichtes herrührt, sondern von der gleichzeitigen Wirkung des Lichtes,
                              des Sauerstoffs und des atmosphärischen Wassers, daher die gefärbten Stoffe, welche
                              an der Luft unter dem Einflüsse der Sonne gebleicht werden, sich nicht in gleicher
                              Zeit zersetzen, wenn man sie einerseits in der Luft im Dunkeln und andererseits im
                              besonnten luftleeren Raume aufbewahrt. Ich erinnere an folgende Thatsachen:
                           Erster Fall. – a) Die
                              Orseille, der Safflor, der Orleans etc. widerstehen dem Licht im luftleeren
                              Raum;
                           b) sie widerstehen der Luft im Dunkeln;
                           c) sie werden aber gebleicht, wenn sie der Luft und
                              zugleich dem Licht ausgesetzt sind.
                           Zweiter Fall. – Gewisse ungefärbte organische
                              Substanzen widerstehen unter den Umständen wo gefärbte organische Substanzen
                              gebleicht werden, der Zersetzung ebenfalls nicht. So habe ich schon im J. 1834
                              angegeben, daß die Leimung des Papiers mit Thierleim durch die Einwirkung des Lichts
                              zerstört wirdPolytechn. Journal Bd. LIV S.
                                       469., und Hr. Niepce bemerkt in seiner vierten
                              Abhandlung bei Erwähnung derselben Thatsache, daß die Leimung des Papiers mit Stärke
                              durch das Belichten noch viel schneller zerstört wird.
                           Ich habe gefunden, daß unter dem Einfluß des Lichts die Baumwolle, wenn sie sich in
                              Luft befindet, die mit Barytwasser (welches die Baumwolle nicht berührt) abgesperrt
                              ist, sich zersetzt (schwächt), indem sie Kohlensäure erzeugt.
                           Das beim Bleichen angewendete Chlorwasser greift die ungefärbten Substanzen eben so
                              gut an wie die gefärbten Substanzen, und in dieser Hinsicht habe ich das Bleichen
                              anders angesehen als es vor mir geschah.Mémoires de l'Academie des Sciences, t.
                                    XVI p. 105.
                              
                           Dritter Fall. – Ich habe gezeigtMémoires de l'Académie des Sciences,
                                       t. XVI p. 94. Polytechnisches Journal
                                    Bd. LXV S. 64., welchen Einfluß der Zeug auf die Beständigkeit der verschiedenen auf ihm
                              befestigten Farbstoffe äußert.
                           Der Orleans ist auf Baumwolle und Seide beständiger als auf Wolle.
                           Die Orseille ist auf Seide beständiger als auf Wolle und Baumwolle.
                           
                           Die Indigblau-Schwefelsäure ist auf Seide beständiger als auf Wolle und
                              Baumwolle.
                           In trockener Luft ist hingegen das Indigoküpenblau auf Wolle beständiger als auf
                              Seide.
                           Vierter Fall. – Ich erwies, daß ein Schirm den
                              Einfluß des Lichts auf veränderliche Körper, die sich an freier Luft befinden,
                              verhindern kann. Ich zeigte, daß ein Glas die Wirkung des Lichts auf gefärbte
                              Gegenstände schwächt, indem letztere das Licht nicht unmittelbar, sondern durch das
                              Glas empfangen.
                           Als Beweis theilte ich folgenden Versuch mit: man befestige eine Bordüre mit weißem
                              Muster und indigblauem Grunde auf einem Vorhange von derselben Farbe, so wird das
                              durch das weiße Muster dringende Licht mit Hülfe des Sauerstoffs der Luft den Indigo
                              des Vorhangs entfärben, während der blaue Grund der Bordüre, welcher das weiße Licht
                              von dem Vorhange abhält, die unter ihm befindliche Farbe conservirt.
                           Ich erwähne dieses Beispiel, weil das Ergebniß dieses Versuchs der Akademie am 2.
                              Januar 1837 vorgezeigt wurde, also vor jener Mittheilung, welche Daguerre durch Arago über das
                              photographische Verfahren in seinem und des Nicephor
                                 Niepce Namen machte – Ein ähnliches Beispiel verdanke ich Hrn. Herlemont zu Gentilly. Eine auf weißem Papier in
                              schwarzbrauner Farbe gedruckte Urkunde wurde dem Licht ausgesetzt, während ein
                              rosenrothes Papier von leicht zersetzbarer Farbe darunter angebracht war. Was bei
                              dem Versuch mit der Bordüre an dem Vorhange eintrat, war auch hier ganz scharf zu
                              sehen. Offenbar ist bei letzterm Versuche die Rolle welche die gedruckte Urkunde
                              spielt, mit einem Negativ zu vergleichen, wie solches heutzutage in der Photographie
                              angewendet wird.
                           Der am 2. Januar 1837 veröffentlichte Versuch hat mich veranlaßt zu zeigen, daß bei
                              dem Verfahren des Nicephor Niepce, wo eine Metallplatte
                              bedeckt mit einer Schichte Judenpech in der camera
                                 obscura den Einfluß des Lichtes erleidet, das erzeugte Bild das Resultat
                              einer Einwirkung ist, die der Sauerstoff der Luft unter dem Einflüsse des Lichtes
                              auf das Pech ausübtPolytechn. Journal Bd. CXXXIV S.
                                       299. in Folge dieser Wirkung ist das belichtete Pech unlöslich geworden, und man
                              kann mittelst Lösungsmitteln, wie Naphtha, Lavendelöl etc. von der Platte das
                              unbelichtete Pech wegbringen und so das Bild in unlöslichem Pech gezeichnet
                              erhalten.
                           
                           Nach dem Vorhergehenden werden also zwei Classen von Erscheinungen durch das Licht
                              allein oder mit seiner Beihülfe bei sogenannten chemischen Wirkungen
                              hervorgebracht:
                           1) Das Licht wirkt allein und bewirkt im luftleeren Raume entweder eine gänzliche
                              Zersetzung, z.B. beim Goldoxyd, oder eine theilweise, z.B. beim Berlinerblau, oder
                              eine Verbindung, wie die des Chlors und Wasserstoffs.
                           2) Es wirkt auf einen oder mehrere Körper mit Beihülfe eines Gases, z.B. mit dem
                              Sauerstoffgase auf trockene oder feuchte gefärbte Substanzen.
                           ES fragt sich nun, ob der Sauerstoff vom Lichte in analoger Weise modificirt wird wie
                              es beim ozonisirten Sauerstoff der Fall ist; oder ob das
                              Licht gleichzeitig auf den Sauerstoff und auf die Körper welche mit ihm in Berührung
                              sind, wirkt. Die erstere Annahme wäre gerechtfertigt, wenn Sauerstoff, der Wirkung
                              des Lichtes ausgesetzt, dann im Dunkeln mit gefärbten Körpern in Berührung gebracht,
                              diese entfärben würde. Im entgegengesetzten Falle müßte der Effect der
                              gleichzeitigen Einwirkung des Lichtes, des Sauerstoffs und manchmal der Feuchtigkeit
                              zugeschrieben werden, ohne daß man einen Ozon-Sauerstoff anzunehmen braucht;
                              dieß ist die von Hrn. Cloez unterstützte Ansicht.
                           Die in der letzten Abhandlung des Hrn. Niepce
                              mitgetheilten Thatsachen sind wichtig, nicht nur hinsichtlich der chemischen
                              Erscheinungen, welche durch die bloße Wirkung des Lichtes oder mit dessen Beihülfe
                              hervorgebracht werden, sondern auch insofern, und darin besteht hauptsächlich das
                              Neue derselben, als sie seine Wirkung selbst, seine dynamische
                                 Kraft betreffen.
                           Eine Hauptentdeckung bildet die Thatsache, daß ein belichteter Körper, z.B. ein
                              Cylinder von weißer Pappe, im Dunkeln in Entfernung auf gewisse Körper wie das
                              directe Sonnenlicht wirkt. Hr. Niepce hat gezeigt, daß
                              die belichtete Pappe, im Dunkeln in einem Cylinder von Weißblech aufbewahrt, noch
                              sechs Monate nach ihrer Belichtung wirksam ist.
                           Diese Entdeckung führt zu den Fragen, ob bei dem merkwürdigen Versuche wo Niepce auf die Bruchfläche eines Porzellantellers eine
                              Lösung von salpetersaurem Silber oder von Kochsalz bringt, die er hernach belichtet,
                              und welche, nach der Belichtung in die Dunkelheit versetzt, auf Zusatz von Kochsalz
                              oder von salpetersaurem Silber, violettes Chlorsilber erzeugt, – das
                              belichtete Porzellan, trocken oder feucht, die erste Ursache der Erscheinung ist,
                              oder ob die Belichtung statt des Porzellans das salpetersaure Silber oder das
                              Kochsalz oder endlich die beiden der Sonne ausgesetzten Körper trifft. Bei der
                              ersteren Annahme würde die Belichtung des trockenen oder feuchten Tellers für sich allein
                              hinreichen, damit in der Dunkelheit auf demselben erzeugtes Chlorsilber gefärbt
                              wird.
                           Die Beobachtung mit salpetersaurem Uran und Kupfer, deren Lösung auf Papier gebracht,
                              im Dunkeln eine fast farblose Spur zurückläßt, die im Lichte braun wird, im Dunkeln
                              sich aber wieder entfärbt, und zwar abwechselnd mehreremale, ist gewiß auch sehr
                              wichtig.
                           Wir verdanken Hrn. Niepce die Kenntniß einer großen Anzahl
                              von Körpern, welche durch die Belichtung die dem Licht eigene Wirksamkeit oder
                              Thätigkeit erlangen können. In dieser Hinsicht fragt es sich, ob man nicht zu
                              unterscheiden hat:
                           1) eine Wirksamkeit die einem fixen unorganischen Körper eigen ist, auf welchen das
                              Licht nicht chemisch reagirte und der seine durch dasselbe erlangte Wirksamkeit im
                              Dunkeln behält; ein solcher wäre das von organischer Materie absolut befreite
                              Porzellan, welches, feucht oder trocken, durch den bloßen Einfluß der Sonne wirksam
                              gemacht und seine Wirksamkeit im Dunkeln sowohl bei Berührung als auf Entfernung
                              äußern würde;
                           2) eine Wirksamkeit welche das Resultat einer langsamen chemischen Wirkung ist, die
                              das Licht in belichteten Körpern veranlaßt, worin sie sich befinden, sey es nun, daß
                              das Licht auf die Elemente solcher Körper wirkt, wenn sie nämlich zusammengesetzt
                              sind, oder daß es nur mit Beihülfe des Mediums wirkt, worin sich diese Körper
                              befinden.
                           Endlich sind die Beobachtungen durch welche Hr. Niepce
                              zeigte, daß eine unter dem Einstufte des Lichtes begonnene Wirkung sich im Dunkeln
                              fortsetzt, sehr interessant in Bezug auf zwei Beobachtungen die früher über lebende
                              Pflanzen gemacht wurden.
                           Die erste dieser Beobachtungen machte ich schon 1810 mit Hrn. Mirbel, als wir die Versuche von Hales über das
                              Aufsteigen des Saftes in einer Weinrebe wiederholten. Ich theilte sie mit folgenden
                              Worten im Journal des Savants von 1822, S. 312 mit:
                              „Haben einmal äußere Ursachen die Bewegung der Säfte in den Bäumen
                                 veranlaßt, so bewegen sich dieselben trotzdem daß die Temperatur der Atmosphäre
                                 sinkt, eine Zeit lang fort, worauf, wenn die äußeren Einflüsse ungünstig
                                 bleiben, die Bewegung eine zunehmend langsamere wird, hernach aber eine
                                 schnellere, sobald die äußeren Einflüsse wieder günstig geworden
                                 sind.“
                              
                           Die zweite dieser Beobachtungen machten die HHrn. Cloez
                              und Gratiolet; sie fanden, daß gewisse Wasserpflanzen,
                              wenn man sie in ein an der Luft gestandenes, also Kohlensäure enthaltendes Wasser
                              getaucht dem Licht aussetzt, erst bei 15° C. Sauerstoffgas zu entwickeln
                              beginnen, dieß dann aber fortdauert, wenn auch die Temperatur bis auf 10° C.
                              sinkt.