| Titel: | Die Rolle der Obergährung in der Bierbrauerei; von G. E. Habich. | 
| Autor: | G. E. Habich | 
| Fundstelle: | Band 152, Jahrgang 1859, Nr. LI., S. 211 | 
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                        LI.
                        Die Rolle der Obergährung in der Bierbrauerei;
                           von G. E.
                              Habich.
                        Habich, über die Rolle der Obergährung in der
                           Bierbrauerei.
                        
                     
                        
                           Man hat der Obergährung Unrecht gethan, als man sie bei den Bierbrauern so sehr in
                              Mißcredit brachte. Diese schiefe Stellung derselben datirt aus jener Zeit, als Liebig den verunglückten Versuch machte, Ober- und
                              Unterhefe als zwei in chemischer Beziehung sehr
                              wesentlich verschiedene Dinge zu declariren und daraus eine weitaus größere
                                 Haltbarkeit der untergährigen Biere herzuleiten.
                              Ist nun auch längst darüber entschieden, daß die Voraussetzungen Liebig's mit den Erfahrungen der Praxis schlechterdings nicht in Einklang
                              zu bringen sind, so hat doch die Obergährung den ihr angestifteten Kleks, nur unhaltbare Biere resultiren zu lassen, bis auf unsere
                              Tage behalten. Und aus dieser grundfalschen übeln Nachrede erwächst der Praxis gar
                              mancher Schaden. Ich
                              will den Versuch machen, die eingewurzelten Vorurtheile durch Thatsachen zu
                              widerlegen und dadurch auch der Praxis zur klaren Anschauung der Sache zu verhelfen.
                              Dazu aber muß ich etwas weiter ausholen; um ein vollständiges Verständniß
                              anzubahnen, müssen einige bereits anderweit erwähnte, aber noch nicht allerwärts zum
                              Bewußtseyn gelangte Sätze in Erinnerung gebracht werden.
                           1. Ueber die Natur der Hefe weiß man, daß sie zu den Pilzen gehört, – man hat diese Gattung
                              „Gährungspilz“ (Saccharomyces)
                              genannt. Es gibt mehrere Arten derselben, die durch die Verschiedenheit der Art der
                              Fortpflanzung charakterisirt sind.
                           a) Die Unterhefe bildet in
                              der Flüssigkeit freischwimmende Zellen, die sich nur beim
                              Austrocknen dicht aneinander legen kraft des Alles
                              beherrschenden Strebens zur Association. Wird eine solche zusammengetrocknete Gruppe
                              (deren Grundriß unter dem Mikroskop als eine Mosaik von dicht in einander gefugten
                              Sechsecken erscheint) mit irgend einer Flüssigkeit befeuchtet, welche der Zelle
                              adhärirt (Wasser, Bierwürze etc.), so wird die ganze Gesellschaft gesprengt und
                              jedes Mitglied derselben gibt sich wiederum dem Einzelleben hin. – Die in der
                              Mutterzelle neugebildeten Nachkommen (Tochterzellen) werden schon in frühester
                              Jugend in die weite Welt geschickt. Diese (selbst bei starker Vergrößerung nur als
                              Punkte erscheinende) junge Brut entweicht nämlich mit der exosmotischen Strömung
                              durch die Zellenwand in umgebende Würze und bildet sich dort selbst ihre
                              Pflanzstätte in der erwähnten ungebundenen Weise. Das ist die Fortpflanzung durch
                              das Entsenden von „Sporen.“
                              
                           b) Die Oberhefe dagegen führt
                              ein enggeschlossenes Familienleben. Die Tochterzellen, welche sich in der
                              Mutterzelle bilden, erreichen dort erst eine ansehnlichere Größe als bei der
                              Unterhefe, und treten alsdann in Form von Knospen aus der
                              Mutterzelle hervor. Dieser junge Zweig treibt nun sofort seine Ausläufer weiter und
                              so würde dann bald eine tausendköpfige Familie sich unseren Augen präsentiren. Dem
                              wird aber dadurch entgegengewirkt, daß unter der Hand die eine oder andere Knospe
                              sich durch „Abscheuerung“ von dem elterlichen Hause trennt und
                              sich den eigenen Herd gründet. Da würden wir dann eben solchen vereinzelten Zellen begegnen wie bei der Unterhefe. Indessen kann man sie
                              unter dem Mikroskop gar nicht verwechseln, indem die Oberhefenzelle im Innern stets
                              eine bereits mehr entwickelte Brut zeigt, die auch alsbald zur Knospe ausschießt, während die Unterhefe
                              stets frei bleibt von solchen Auswüchsen.
                           Im praktischen Leben kommen beide Hefenarten rein jede für
                                 sich und mehr oder minder gemengt (also in
                              Gesellschaft) vor. Wir werden weiter unten sehen, welche wichtige praktische Folgerungen
                              sich daran knüpfen.Ich benutze diese Gelegenheit, um auf eine von mir entdeckte dritte Art des Gährungspilzes aufmerksam zu
                                    machen, – er bildet sich bei der sogenannten
                                    „Selbstgährung“ bei Gegenwart reichlicher Mengen
                                    von Milchsäure. Die junge Brut wächst in der Mutterzelle heran: es kommt
                                    aber nicht zur Knospenbildung, sondern die Geburt kostet der Mutter das
                                    Leben, – die Zelle zerplatzt und der
                                    Inhalt derselben fährt alsbald zu Einzelnzellen
                                    auseinander.
                              
                           2. Der Verkehr zwischen der zur Gährung gestellten Flüssigkeit einerseits und dem
                              Inhalt der Hefenzellen anderseits geschieht durch die Zellenwand, – bei der
                              Gelegenheit wird dann jener Conflict, den man „geistige
                                 Gährung“ nennt, in Scene gesetzt. Der Conflict
                                 gewinnt an Umfang, wenn die Landstraße breiter wird und Platz bietet für
                              eine größere Anzahl von Combattanten, – d.h. wenn man
                                 die Menge der Stellhefe vergrößert.
                           3. Die Schnelligkeit des Marsches beider Flüssigkeiten
                              gegen einander ist abhängig von der Größe der Differenz ihrer
                                 specifischen Gewichte. Ist das specifische Gewicht einer Bierwürze = dem
                              specifischen Gewichte des Zelleninhalts, so findet keinerlei Bewegung statt,
                              – eine solche Würze kommt nicht in Gährung. Ist eine Bierwürze dünner, so
                              verläuft die Gährung rascher. Und da auch mit dem Beginn der Gährung die Würze nach
                              und nach dünner (d.h. zu „Bier“) wird, so müßte der Verlauf der
                              Gährung in steter Zunahme begriffen seyn, wenn nicht mit der Verdünnung der
                              Flüssigkeit auch weniger Nahrung für die Fortführung der Gährung hinterbliebe,
                              mithin auch die Menge der entwickelten Kohlensäure geringer seyn wird und damit auch
                              dem agitatorischen Treiben der Kohlensäure Schranken gezogen werden. Denn
                           4. die Kohlensäure ist ein Hauptfactor für die Beschleunigung und Erlahmung der
                              Gährung. Und das hängt zusammen mit der mechanischen
                              Anordnung der Hefenzellen und deren Verhalten in einem Kohlensäurestrome. Die
                              gesammte Hefenzelle ist schwerer als die sie umgebende Bierwürze und sinkt also in
                              derselben zu Boden. Mit dem Beginn der Kohlensäure-Entwickelung aber hängt
                              sich diese in Bläschen an die Hefenzellen und reißt sie mit empor. Trennt sich
                              unterwegs die Hefenzelle von ihrem Luftballon, so sinkt sie wieder zu Boden, wenn
                              sie nicht inzwischen einer neuen Kohlensäureblase in die Arme fällt und dadurch
                              mindestens schwebend erhalten wird.
                           Es leuchtet ein, daß das Verhalten der Kohlensäure-Gasblasen zu den
                              Hefenzellen verschieden seyn muß, je nachdem diese vereinzelt (Unterhefe), oder in
                              dichten Gruppen (Oberhefe) auftreten. Die vereinzelten
                              Zellen werden sich dabei
                              leichter des Umgangs mit der Kohlensäure entschlagen können, während eine
                              Zellengruppe, einem lebhaftem Kohlensäurestrom exponirt, sich des Einnistens der
                              Gasbläschen nicht wohl erwehren kann und deßhalb an die Oberfläche getrieben wird.
                              Da angelangt, hält sie so lange Stand, als ihr Träger (die Kohlensäure), welcher
                              nach und nach entweicht, durch neuen Zuzug in ungeschwächter Kraft erhalten wird.
                              Ist die Vorrathskammer erschöpft, so senkt sich auch die Oberhefe wieder zu
                              Boden.
                           Mit diesen Thatsachen wollen wir nun an die Betrachtung einiger praktischen
                              Ergebnisse herantreten, welche durch dieselben ins hellste Licht gesetzt werden.
                           Ich beginne mit
                           
                        
                           der Verschiedenheit der Attenuations-Verhältnisse
                                 beider Gährverfahren.
                           Vergleichen wir (mit Balling) die scheinbare Attenuation einer Würze (d.h. die Differenz der
                              Saccharometer-Anzeigen vor und nach der Gährung) = p
                              – m mit dem ursprünglichen Extractgehalt der
                              Würze = p: so kommen wir zu dem Begriff der
                              stattgefundenen Vergährung und messen die scheinbare Größe derselben = V, indem wir die Proportion setzen p : p – m – 1
                              : V, woraus denn V = (p – m)/p.
                           Diese Größe V aber ist, wenn wir das Stadium der Hauptgährung in Betracht ziehen, größer bei der Untergährung und kleiner bei der
                                 Obergährung. Als Belege mögen einige Betrachtungen Balling's (s. dessen Bierbrauerei Bd. II. S.
                              226, 350 u.s.f.) hier stehen.
                           
                              
                                 Material,aus dem die Biere gebraut
                                 
                                    Größe von V
                                    
                                 
                              
                                 
                                 bei Obergährung
                                 bei Untergährung.
                                 
                              
                                 Gerstenmalz
                                 0,539 bis 0,653
                                 0,818
                                 
                              
                                 Malz und Kartoffelstärkmehl
                                 0 523 bis 0,530
                                 0,769 bis 0,775
                                 
                              
                                 Gerstenmalz und Weizen
                                 0,06
                                 0,81
                                 
                              
                                      deßgl.    
                                    und Gerste
                                 0,59
                                 –
                                 
                              
                                      deßgl.    
                                    und Himalaya-Gerste
                                 0,55
                                 –
                                 
                              
                                      deßgl.    
                                    und gedarrte Gerste
                                 0,60
                                 –
                                 
                              
                                      deßgl.    
                                    und geweichte und gedarrteGerste
                                 0,59
                                 0,807
                                 
                              
                                      deßgl.    
                                    und Mais
                                 0,57
                                 0,64
                                 
                              
                                      deßgl.    
                                    und Reis
                                 0,64
                                 0,66
                                 
                              
                           
                           Wollen wir uns über den Grund dieser auf den ersten Blick befremdlichen Erscheinung
                              aufzuklären suchen, so haben wir uns das Verhalten der Hefenzelle zur Kohlensäure
                              ins Gedächtniß zurückzurufen.
                           Nehmen wir eine starke Kohlensäure-Entwickelung aus
                              einer bei höherer Temperatur gährenden Würze an, so
                              werden bei Unterhefe zwar eine große Menge der Zellen an
                              die Oberfläche getrieben, wo sie anfangs nur wenig und
                              später gar nichts mehr für die Gährung wirken
                              können.Denn das Hefenabseihbier hat stets den vorgeschrittensten
                                    Vergährungsgrad. Von da fallen sie aber zum großen Theil in die gährende Flüssigkeit zurück
                              und unterhalten daselbst die Bewegung. – Eine solche Gährung aber durch Oberhefe hervorgebracht, wird einen andern
                              Verlauf nehmen, indem die reinen Oberhefe-Gruppen
                              nicht wieder herniedersinken können, – sie werden
                              beständig an der Decke schwebend erhalten. Nur die ihr beigemengte Unterhefe sinkt
                              zum Theil in die gährende Flüssigkeit zurück und führt dort die Untergährung (die man wegen der da droben faullenzenden,
                              aber zu Tage liegenden Oberhefe fälschlich
                              „Obergährung“ nennt) weiter. Der Erfolg einer solchen Gährung
                              ist dann derselbe, wie bei einer mit äußerst wenig
                              Stellhefe veranlaßten Untergährung. Je weniger Unterhefe einer
                                 Oberhefe beigemengt ist, um so geringer ist auch
                              die angestrebte Attenuation. Es kommt sogar der Fall vor, daß die Zuckerzersetzung
                              in Mitten der Würze vollständig ins Stocken geräth, – weil die angewendete
                              Oberhefe sehr rein (frei von Unterhefe) war, –
                              weil die heftige Gährung alle Hefe an die Oberfläche
                              getrieben hat, wo sie mit der Zersetzung der wenigen aufgesogenen Würze nur kurze
                              Zeit zu thun hatte und auf die darunter liegende Würze nicht früher wieder einwirken
                              kann, bis fast alle Kohlensäure entwichen ist und die Hefendecke wieder in die
                              Flüssigkeit darnieder geht. Dann erst hört das „Rasten“ auf,
                              – Umrühren der Flüssigkeit und wiederholtes Untertauchen der Decke ist der
                              gewöhnliche Weg der Abhülfe. Es kann nun zwar auch noch andere Veranlassungen zum
                              Rasten der Gährung geben (ich verweise deßhalb auf meine „Chemie des
                                 Bieres“ §§. 77 und 78), – aber das eben erwähnte
                              Verhalten scheint doch vorherrschend zu seyn, wenn man bei Obergährungen vom „Rasten“ spricht. – Für die
                              Praxis der Obergährung – wenn solche bei höherer
                              Temperatur bewerkstelligt wird – ist es ein wahres Glück, daß der meisten
                              Oberhefe hinreichende Portionen von Unterhefe beigemengt sind, welche die Gährung
                              flüssig erhält: im andern Falle würde das Rasten häufiger vorkommen.
                           
                           Denken wir uns jetzt eine bei niedriger Temperatur und mit
                              wenig Stellhefe eingeleitete Gährung, welche uns also
                              auch nur einen schwachen Kohlensäurestrom zur Disposition
                              stellt, so werden diejenigen Unterhefezellen, welche am
                              meisten entwickelt sind, rasch zu Boden sinken und die leichter empor zu tragende, junge Brut wird sich hauptsächlich an der
                              Zersetzung in der Masse der Flüssigkeit betheiligen. Da nun aber die zersetzte Würze
                              leichter wird, so entsteht eine Strömung in der
                              gesammten Flüssigkeit, kraft deren die zuckerreichste und schwerste Würze zu Boden sinkt und dort mit der kampfbereiten Hefenschicht
                              in Conflict geräth, dann, nachdem sie einigermaßen attenuirt ist, der Oberfläche
                              zuwandert und zuckerreicherer Würze Platz macht. Von den Zellen selbst wird bei
                              hinreichend niedriger Temperatur nur weniges an die Oberfläche getrieben.
                           Arbeiten wir unter gleichen Verhältnissen mit Oberhefe, so
                              macht sich wiederum das Gewicht einer Beimengung von Unterhefe geltend. War die
                              Oberhefe ganz rein, so ist die Hauptgährung rasch beendigt; ist nämlich das Bier mit Kohlensäure
                              gesättigt und sind die erforderlichen Locomotiven von Gasblasen vorgespannt, so
                              tritt alle Oberhefe an die Oberfläche und die Hauptgährung ist scheinbar zu Ende.
                              Alle Anstrengung, durch Unterrühren der Hefendecke die Gährung wieder in Gang zu
                              bringen, ist vergeblich; – es gibt nur ein Mittel,
                              wodurch man dem Biere zu einer größeren Attenuation verhelfen kann, – es ist
                              der Zusatz von etwas Unterhefe. Aber das hätte man ja gleich beim Stellen haben
                              können, wenn man sich an eine weniger reine Hefe gehalten
                              hätte, – kamen dann die Zellengruppen an die
                              Oberfläche, so schöpfte man diese vortrefflichste aller Oberhefen ab, und wenn die
                              Kohlensäure nichts mehr an die Oberfläche trieb, so ließ man die nun fast reine Untergährung ihren
                              Lauf fortgehen. Gegen das Ende derselben rührt man dann die Bodenhefe nochmals auf,
                              dabei wird die Kohlensäure-Entwickelung heftiger
                              und treibt die Reste von Oberhefe nebst etwas Unterhefe an die Decke, – man
                              nimmt sie sorgfältig ab und benutzt sie demnächst als
                              „Stellhefe.“ – Wollte man vielleicht weniger accurat
                              verfahren bei der Säuberung der Oberfläche, so würden die restirenden
                              Oberhefen-Gruppen dem Klarwerden des Bieres lange Zeit Abbruch thun, –
                              diese Gruppen nämlich werden durch die geringste Gasentwickelung in der Schwebe
                              erhalten. Um sie zu beseitigen, pflegt man durch Wälzen (Kugeln) der Fässer eine
                              starke Gasentwickelung herbeizuführen, die Bodenhefe aufzurühren und dann die
                              emporgetriebene Oberhefe ausstoßen zu lassen, bis die
                              sogen. Blüthe (d.h. ein ganz hefenfreier Schaum)
                              erscheint.
                           Das ist der Verlauf der Biergährungen und so stellen sich ihre 
                              Unterschiede wesentlich heraus. – Man sieht
                              daraus, welch ein wichtiges Hülfsmittel die Oberhefe
                              abgeben kann, wenn es sich um die Herstellung eines Bieres von geringem Vergährungsgrade, also eines Lagerbiers handelt!
                           Ich weiß sehr wohl, daß ich bei Aufstellung dieses Satzes mit den Glaubensartikeln
                              der praktischen Bierbrauer in die Haare gerathe, – denn das geht ja
                              schnurstracks gegen alle gute Sitte. Dennoch bitte ich, nicht vor der Zeit zu
                              verdammen. Man hat gesagt, das obergährige Bier sey nicht haltbar. Dagegen spricht nun, daß man in England
                              sehr haltbaren Porter durch Obergährung erzeugt, daß
                              die obergährigen englischen Ales gute Haltbarkeit
                              bewähren und daß auch die vortrefflichen böhmischen obergährigen Biere sich zu Lagerbieren
                              qualifiziren, – wogegen man doch in Jahren, wo das Frühlingswetter zu rasch
                              ins Land brach und die nöthige Abkühlung für Lagerbiere nicht mehr ins Werk zu
                              setzen war, während des ganzen Sommers untergährige Biere
                              von erklecklichem Säure gehalt allerwärts in Menge
                              findet. Wo solche Thatsachen reden, da muß freilich der
                              Zopf des Vorurtheils die Segel streichen, und dem Satze, daß die Haltbarkeit eines
                              Bieres nicht durch die Art der
                              Hefe, mit der es erzeugt ist, bedingt werde, zustimmen.
                           Aber wovon – frage ich – hängt denn die Haltbarkeit eines Bieres überhaupt ab? – Doch von nichts Anderm als
                              1) dem Umfang des Zuckervorraths, welcher noch im Biere
                              vorhanden ist und das Material zur Nachgährung liefern soll, und 2) von den
                              „Umständen,“ welche beim Lagern die Zersetzung dieses Zuckerrestes (nach dessen Beseitigung die Sündfluth der
                              Essigbildung unaufhaltsam hereinbricht) möglichst zu verschleppen im Stande sind.
                           Was den ersten Punkt anlangt, so muß nun alles Streben
                              eines Gährungskünstlers dahin gerichtet seyn, die Attenuation bei der Hauptgährung so wenig als möglich vorschreiten zu lassen. Je kleiner die
                              Größe V, desto mehr Zucker und also desto mehr Aussicht
                              ist vorhanden das Bier auf dem Lager lange zu erhalten, wenn allen dazu erforderlichen „Umständen“ Rechnung
                              getragen wird.
                           Das ist der zweite Punkt, und das ist gerade die Seite,
                              auf der fast alle die Unterlassungssünden verzeichnet stehen, welche bisher dem obergährigen Biere zur Last gelegt wurden.
                           Die Vorsichtsmaßregeln bei 1) concentriren sich auf
                           a) Verarbeitung stärkerer
                              Würzen, weil solche auch bei gleichem Vergährungsgrad
                              (d.h. wenn bei verschiedenen Bieren V = derselben Zahl ist) mehr
                              unzersetzten Zucker ins Bier liefern, als schwächere Würzen, –
                           
                           b) Vergährung bei möglichst niedriger Temperatur, wobei sowohl die Differenz der spec. Gewichte der
                              Würze und des Zelleninhalts (und also auch die diasmotische Strömung und deßhalb
                              auch die Zuckerzersetzung) geringer ist, als auch die
                              Kohlensäure weniger stürmisch entweicht und deßhalb bei der Untergährung die Hefe zum Theil außer Thätigkeit setzt; – bei der
                              Obergährung ist diese Vorsichtsmaßregel weniger
                              nöthig, weil ein stärkerer Gasstrom die Oberhefe an die Decke treibt und unschädlich
                              macht, während nur die beigemengte Unterhefe die Attenuation weiter führt;
                              –
                           c) Anwendung von wenig
                                 Stellhefe, wodurch der Umfang der Zuckerzersetzung in engern Gränzen gehalten wird. Diese Vorschrift ist eigentlich wieder der
                              Untergährung entsprossen, – bei der
                              Obergährung ist sie weniger stritt zu handhaben, weil, wenn die Gährung und mit ihr
                              die Kohlensäure-Entwickelung zu stark aufbrauset, immer so viel Oberhefe aus
                              dem Felde geschlagen wird, daß die restirende Unterhefe alsbald zu einer Erlahmung
                              der Gährung führt; –
                           d) künstliche rasche Abkühlung der gährenden Flüssigkeit, wenn deren Attenuation zu weit
                              fortzuschreiten droht, was aber wiederum nur für Untergährung paßt (wobei die
                              Kohlensäure von der kühlern Flüssigkeit besser absorbirt wird und die
                              Unterhefenzellen an den Boden sinken können), – bei der Obergährung nimmt man
                              die Hefendecke rein ab und greift nur dann zur Anwendung der Kühlröhren, wenn die
                              Oberhefe viel Unterhefe beigemengt enthielt; durch Reduction der Menge der Stellhefe
                              hätte man dann wieder denselben Zweck erreicht.
                           Diese Verhaltungs-Maßregeln auf die „unhaltbaren“ obergährigen Biere angewendet, muß es
                              Jedermann bekannt seyn, daß man die zu denselben verwendeten Würzen immer nur auf
                              einen ziemlich geringen Extractgehalt stellt, –
                              und daß man die Gährung in Deutschland überall (außer in Böhmen) bei zu hoher Temperatur durchführt, wobei denn die der
                              Oberhefe beigemengte Unterhefe ihr schädliches Treiben entwickeln und bis zur
                              Herbeiführung eines hohen Vergährungsgrades ausdehnen
                              kann.
                           Beim Lagern des Bieres bis zur Zeit seiner Consumtion sind
                              wiederum die zum Schutz dienlichen „Umstände“ aufs
                              allerpünktlichste zu wahren. Dahin gehören:
                           e) ein kühler Keller –
                              aus denselben Gründen wie oben bei b) erwähnt,
                              –
                           f) das Bier soll möglichst hefenfrei gefaßt werden – aus Gründen wie bei c, – und
                           g) die Lagerfässer müssen höchst sauber, frei von
                              angetrockneter Hefe und
                              von Säure seyn, was nur bei Anwendung von Pechfässern mit Sicherheit zu erreichen
                              ist.
                           Wiederum wird sich Jedermann erinnern, daß die „unhaltbaren“
                              obergährigen Biere, wie man sie an vielen Orten Deutschlands unter dem Druck
                              besonderer Verhältnisse verzapft, weder im kühlen Keller gebettet werden (häufig
                              liegen sie im obererdigen Locale nahe dem Schenkzimmer
                              unter dem Zapf), noch sehr lauter gefaßt sind (weil man durch die Menge der
                              beigemengten Hefe ein lebhaftes Schäumen hervorrufen und dadurch Liebhaber für die
                              „vergängliche“ Waare
                              herbeiködern will), – noch endlich auf Pechfässer, sondern vielmehr in irgend
                              beliebige, nur oberflächlich gereinigte und deßhalb in der Regel mit Säure
                              imprägnirte und im günstigsten Falle einmal ausgeschwefelte Fässer gelegt
                              werden.
                           Das sind die Gründe, weßhalb die derzeitigen obergährigen
                                 Biere allerdings nicht haltbar sind, – Gründe, die mit der chemischen Zusammensetzung der Oberhefe nichts gemein haben, noch weniger aber die Sage von einem
                              ganz absonderlichen chemischen Proceß der Obergährung
                              länger dulden dürfen.
                           Zudem hat das obergährige Bier (weil es bei höherer Temperatur gebraut schnell
                              trinkbar wurde) auch noch die Handhabe abgeben müssen, an der sich alle die das
                              Braugewerbe corrumpirenden Gebräuche des Reihebrauens, sowie Zwang- und
                              Bannrechte bis in die neuere Zeit fortgeschleppt haben – ein Umstand, der
                              auch nicht wenig dazu beigetragen hat, die Erkenntniß des wahren Sachverhalts der
                              Obergährung nicht aufkommen zu lassen.
                           Ich glaube den Beweis geliefert zu haben, daß man in Sachen der Obergährung bisher
                              stark auf Abwegen herumstolperte, und daß es leicht ist, ein vollkommen haltbares
                              Lagerbier auf dem Wege der Obergährung zu erzeugen.
                              Allein ich habe noch einen andern Wunsch auf dem Herzen, dem ich hier Luft machen
                              werde.
                           Unsere Lagerbiere werden durch den Aufwand einer größern Schüttung, eines größern
                              Hopfenzusatzes, die Benutzung der Lagerräume und Fässer, größern Zinsaufwand vom
                              Betriebscapital etc. erheblich vertheuert. Und es ist ein
                              großer Mißstand, daß die Volksclassen, welche in warmen
                                 Tagen und bei der sauersten Arbeit das Bedürfniß eines Labetrunks am meisten fühlen, durch den hohen Preis des
                              Lagerbiers mehr und mehr mit dem Branntwein befreundet werden. Wollten doch die
                              Regierungen sich das eben erwähnte und höchst dringende Bedürfniß klar machen und
                              die Einleitungen treffen, durch welche demselben recht bald abgeholfen wird. Es gibt
                              nur einen Weg, welcher zu diesem Ziele führt, –
                              das Ausschreiben einer Prämie, welche sich der Bierbrauer
                                 erwirbt, der den
                                 Nachweis liefert, daß er während eines Sommers beständig obergährige Biere von
                                 untadelhafter Beschaffenheit und zu einem billigen Preise fabricirt und verkauft
                                 hat. Das würde sicher helfen!