| Titel: | Ueber die Stahlfabrication nach dem Bessemer'schen Verfahren; vom Bergingenieur und Professor Delvaux de Fenffe in Lüttich. | 
| Fundstelle: | Band 152, Jahrgang 1859, Nr. LXX., S. 292 | 
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                        LXX.
                        Ueber die Stahlfabrication nach dem Bessemer'schen Verfahren; vom
                           Bergingenieur und Professor Delvaux de Fenffe in Lüttich.
                        Aus der Revue universelle des mines, April- und
                              Maiheft 1859, durch Hartmann's allgemeine berg- und hüttenmännische
                                 Zeitung, Nr. 19.
                        Delvaux de Fenffe, über die Stahlfabrication nach dem
                           Bessemer'schen Verfahren.
                        
                     
                        
                           Das Charakteristische des Bessemer'schen Processes besteht
                              bekanntlich darin, daß unter dem Einfluß eines sehr gepreßten Windes das einzige
                              dabei angewendete Brennmaterial der Kohlenstoff des Roheisens und eine mehr oder
                              weniger bedeutende Menge des Eisens selbst bildet. Die Arbeitslöhne dabei sind sehr
                              gering, indem die einzige Beschäftigung des Arbeiters zuvörderst darin besteht, das
                              aus dem Hoh- oder Cupolofen ausfließende Roheisen in den Bessemer'schen Apparat zu gießen und aus diesem den Stahl
                              abzustechen, sobald das Roheisen hinreichend entkohlt ist. Was die Kosten für das
                              Gebläse betrifft, so scheinen sie sehr gering zu seyn, da eine bedeutende
                              Roheisenmasse auf einmal behandelt werden kann.
                           In dem Princip hat dieß Verfahren viele Ungläubige und Gegner gefunden; zahlreiche
                              Versuche wurden angestellt und mißglückten, so daß man im Allgemeinen der Meinung
                              war, man könne dabei gar keine praktischen Resultate erlangen. Hr. Bessemer hat sich aber dadurch nicht
                              entmuthigen und nicht abhalten lassen, seine Versuche mit Ausdauer fortzusetzen.
                              Jetzt sind in England und in Schweden alle praktischen Schwierigkeiten überwunden
                              und das neue Verfahren dürfte sehr bald die Basis eines sehr wichtigen
                              Gewerbszweiges werden, der mit den alten Stahlhütten in eine bedeutende Concurrenz
                              treten wird.
                           Das Bessemer'sche Verfahren ist offenbar weit weniger
                              zweckmäßig für die Eisen- als für die Stahlbereitung, indem der Stahl, in
                              Beziehung auf seinen Kohlenstoffgehalt, ein Zwischenproduct zwischen dem Roheisen
                              und dem Stabeisen ist. Da dem Stahl eine gewisse Kohlenstoffmenge gelassen werden
                              muß, so ist hier der Proceß minder lang und gibt einen geringern Abgang, während,
                              wenn dem Roheisen aller oder fast aller Kohlenstoff entzogen werden soll, um
                              Stabeisen zu erlangen, die Arbeit länger dauert und der Verlust ein bedeutenderer
                              ist.
                           Ein anderer Grund, der zum Vortheil der Stahlproduction spricht, besteht darin, daß
                              der Stahl einen weit größern Werth als das Eisen hat, so daß man besseres Roheisen
                              dazu ankaufen oder produciren kann, während bei der Stabeisenfabrication der Kostenpunkt dieß,
                              wenigstens bei den gewöhnlichen Sorten, nicht gestattet.
                           Einer von denjenigen bekannten Eisenhüttenleuten, welcher der Zukunft des Bessemer'schen Verfahrens das Wort redete, war Director
                              Tunner zu Leoben, indem er
                              im VI Bande des von ihm redigirten „berg- und hüttenmännischen
                                 Jahrbuchs“ (1856), in einer Arbeit „über Reformen im
                                 chemischen Theil des Eisenhüttenwesens,“ S. 256, sagt, daß, obgleich
                              die praktische Durchführung vor der Hand scheitern möchte, was übrigens nicht zu
                              befürchten wäre, doch eine völlig neue Thatsache constatirt worden sey, nämlich daß
                              der Kohlenstoff im Eisen selbst als Brennmaterial dienen kann. Obgleich diese Sache
                              so neu sey, daß der Fachmann im ersten Augenblick stutzen und sich fragen müsse, ob
                              es wirklich möglich sey, so müsse doch, nach sorgfältiger Prüfung aller darauf Bezug
                              habenden Erscheinungen in den bisherigen Hüttenprocessen mindestens die Möglichkeit
                              zugestanden werden, so daß die aus England gemeldeten Thatsachen um so weniger
                              bezweifelt werden dürften.
                           Ueber die Stahlfabrication in England nach dem neuen Verfahren und im Großen haben
                              wir keine Nachrichten; gewiß ist aber, daß Bessemer eine
                              großartige Stahlhütte zu Sheffield angelegt hat. Ich sah kürzlich Proben von dem
                              daselbst fabricirten Stahl auf der Espérance-Hütte zu Seraing, bei dem
                              Besitzer des Patentes für Belgien, dem Capitän Margesson.
                              Die unter dem Hammer zu verschiedenen Formen ausgereckten Stäbe zeigten die Textur
                              eines guten Gußstahls. Einige davon waren aus englischem Roheisen allein
                              dargestellt, andere aus einem Gemenge von englischem und schwedischem Roheisen, und
                              noch andere aus schwedischem Roheisen allein, welches direct aus dem Hohofen in den
                              Bessemer'schen Apparat abgestochen und nicht erst
                              umgeschmolzen worden war.
                           In Schweden hat der Proceß bei den Hüttenleuten gerechtes Aufsehen gemacht. Bereits
                              im Jahr 1857 reiste Hr. G. F.
                                 Görassan nach England, und wohnte zu Baxterhouse den Versuchen
                              Bessemer's bei. Ueberzeugt
                              von der Richtigkeit des Princips bestellte er ein Gebläse von 25 Pferdekräften nebst
                              Dampfmaschine und dem übrigen Apparate. Nachdem er dieselben auf seiner Hütte zu
                              Edsken in Schweden hat aufstellen lassen, machte er im November 1857 die ersten
                              Versuche.
                           Da der Betrieb den Arbeitern gänzlich unbekannt war, so hatte der Unternehmer eine
                              Reihe von Unfällen und mußte viele unfruchtbare Versuche machen, während hin und
                              wieder günstige Resultate erfolgten; dennnoch setzte er die Versuche langsam, aber
                              im großen Maaßstabe mit sehr lobenswerther Ausdauer fort.
                           
                           Endlich gelang es ihm, alle Schwierigkeiten zu überwinden und gänzlich Herr des
                              Processes zu werden. Jetzt wird ohne Unfall und Hindernisse Gußstahl erzeugt, den
                              man nach Belieben hart, weich oder Halbbart darstellen kann. Er läßt sich unter dem
                              Hammer ohne Kantenrisse strecken und ist vollkommen schweißbar.
                           Hr. Görassan findet, daß man
                              bei dem Verfahren viel an Zeit, Brennmaterial und Arbeitslöhnen ersparen könne. Die
                              Zeit von dem Eingießen des flüssigen Roheisens in den Ofen bis zur Darstellung des
                              Gußstahls beträgt nicht mehr als 12 Minuten und der Gewichtsverlust 12 bis 15 Proc.
                              Dieselben Resultate in Beziehung auf Zeit und Abgang des Roheisens hat man auch in
                              der Espérancehütte in Belgien erlangt. Es ist dieß demnach die Hälfte des
                              Abganges, wie er bei dem schwedischen Herdfrischproceß stattfindet. Hr. Görassan ist der Meinung, daß man
                              jährlich mehr als 1000 Tonnen Gußstahl bereiten könne, ohne mehr Brennmaterial zu
                              verbrauchen, als jetzt zur Production von 500 Tonnen Stabeisen erforderlich ist. Die
                              Kosten für Arbeitslöhne und Gebläse sind, wie wir bereits gesehen haben, nur
                              gering.
                           Man hat seitdem im Gefle große Mengen von Stahl von vorzüglicher Beschaffenheit
                              dargestellt, und 40 Versuche im Großen haben jeden Zweifel über das vollkommene
                              Gelingen des Processes gehoben.Näheres über die schwedischen Versuche enthält der Bericht des Hrn. Tunner in Nr. 13 der
                                    österreichischen Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen, daraus S. 118
                                    in diesem Band des polytechn. Journals.
                              
                           Was nun die Zukunft des Bessemer'schen Processes in
                              Belgien betrifft, so bietet sich hier natürlich eine Frage dar, ob man in diesem
                              Lande Roheisen von hinlänglich guter Beschaffenheit produciren kann, um es zu dieser
                              Arbeit mit Vortheil benutzen zu können?
                           Bekanntlich sind die Haupteigenschaften des dazu erforderlichen Roheisens, daß es
                              gänzlich frei von Schwefel und Phosphor ist, indem man dieselben bei dem Processe
                              nicht fortschaffen kann, wie es die Versuche von Bessemer
                              bewiesen haben. Er verschlackte nämlich bei einem derselben den größten Theil des in
                              seinem Ofen enthaltenen Eisens, und er fand Schwefel und Phosphor gänzlich in dem
                              zurückgebliebenen Metall concentrirt.
                           Belgien hat freilich keine Lagerstätten so reiner Eisenerze, wie Schweden, Spanien,
                              Siegen, Steiermark, Ungarn etc., welche zu der Stahlfabrication durch den Chenot'schen ProceßEine Beschreibung des Chenot'schen Verfahrens, wie
                                    es in Belgien angewendet wird, werden wir demnächst mittheilen. A. d.
                                    Red. benutzt werden können.
                           
                           Bessemer aber benutzt nicht allein schwedisches, sondern
                              auch, wie wir schon weiter oben sahen, englisches Roheisen.
                           Warum sollte man nun in Belgien nicht eben so gutes Roheisen wie in England
                              fabriciren können? Hat man nicht vor allen Dingen die trefflichen, mit Holzkohlen
                              erblasenen Roheisensorten zwischen Sambre und Maas? Zu dem mit Kohks erzeugten kann
                              man mittelst sorgfältiger Auswahl und AufbereitungDie Aufbereitung oder das Waschen der Steinkohlen wird in Belgien auf
                                    mehrfache Weise bewirkt: in Schlammgräben oder in Kolben-Setzfassern,
                                    oder auch mit vollkommnern Maschinen, wie die von Mehnier, welche von der Gesellschaft Cockerill zu Seraing angewendet werden, oder wie der verbesserte
                                    Apparat von Bérard, der jetzt auf der
                                    Espérance aufgestellt wird. Dieser letztere Apparat (beschrieben im
                                    polytechn. Journal Bd. CLI S. 19)
                                    hat eine sehr bedeutende Leistung und liefert ein sehr reines Product; außer
                                    einer bessern Separation des Schiefers etc. gewährt diese Maschine gegen die
                                    alten Processe mit Setzfaß und Schlämmgraben eine Ersparung an Arbeitslöhnen
                                    von wenigstens 50 Proc. H. sehr reine Steinkohlen wählen, die vollkommen oder doch fast gänzlich frei
                              von Kiesen sind. Die Eisensteinlager der Durthe und der Provinz Namur geben
                              vortreffliche Erze, bei denen man mit größ Sorgfalt alle Stücke ausscheiden müßte,
                              welche den geringsten Zweifel in Beziehung auf ihre Reinheit lassen könnten. In dem
                              vorliegenden Fall ist die ökonomische Frage ganz und gar Nebensache. Man muß
                              gewissermaßen unbedingt ein gänzlich von Schwefel und Phosphor freies Roheisen
                              produciren oder auf ein völliges Gelingen der Stahlfabrication nach der Bessemer'schen Methode mit belgischem Roheisen Verzicht
                              leisten.
                           Hr. Margesson hat auf der
                              Espérance-Hütte eine Reihe von Versuchen mit dem neuen Verfahren
                              angestellt, aber dabei bis jetzt nur fremdes Roheisen angewendet. Mit diesem hat er
                              einen Stahl erlangt, der dieselben Kennzeichen wie Gußstahl darbietet. Diese
                              Versuche gewähren ein großes Interesse für die belgischen Hüttenleute, von denen
                              mehrere das Verfahren mit aller der Aufmerksamkeit verfolgt haben, die es
                              verdient.
                           Die Erfahrung und die Analyse müssen nun jetzt zeigen, ob in Belgien Roheisensorten
                              producirt werden, die rein genug sind, um den Erfolg der neuen Methode zu sichern.
                              Im entgegengesetzten Fall bliebe noch nachzuweisen, ob es möglich ist, durch einen
                              geeigneten Hohofenbetrieb mit ausgesuchten Brennmaterialien und Erzen ein
                              zweckmäßiges Roheisen darzustellen.
                           ––––––––––
                           Das Vorhergehende war schon an die Druckerei abgegeben, als es zur Kenntniß des Verf.
                              kam, Hr. Margesson habe sehr
                              genügende Resultate mit
                              dem Kohksroheisen der Espérancehütte erlangt. Er hat aus dem guten Roheisen
                              derselben Gußstahl dargestellt. Der aus dem Umschmelzen der Stahlkörner erlangte
                              Gußstab oder Zain wurde gewärmt und dann unter einem Stempelhammer der Gesellschaft
                              Cockerill ausgereckt. Es wurden dabei Stahlstäbe
                              erlangt, die Härte und einen gleichartigen feinkörnigen Bruch zeigten. Man hat aus
                              diesem Stahl unmitbar einen Meißel geschmiedet.
                           Auf diese Weise ist die wichtige Frage, ob gewisse belgische
                              Kohks-Roheisensorten die zweckmäßigen Eigenschaften besitzen, direct Stahl zu
                              geben, wenn sie im flüssigen Zustande der Einwirkung eines sehr stark gepreßten
                              Windstromes ausgesetzt werden, praktisch gelöst.