| Titel: | Die Torfgas-Anstalt in Uetersen; von N. H. Schilling. | 
| Fundstelle: | Band 152, Jahrgang 1859, Nr. XCIII., S. 352 | 
| Download: | XML | 
                     
                        XCIII.
                        Die Torfgas-Anstalt in Uetersen; von
                           N. H.
                              Schilling.
                        Aus dem Journal für Gasbeleuchtung, Mai 1859, S.
                              130.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              VI.
                        Schilling, über die Torfgas-Anstalt in Uetersen.
                        
                     
                        
                           Durch die Güte des Hrn. Dr. L. Meyn in UetersenUetersen, ein Flecken in Holstein, mit beiläufig
                                    3500 Einwohnern. ist es mir gestattet worden, die daselbst am 17. October vorigen Jahres
                              eröffnete Torf-Gas-Anstalt in Augenschein zu nehmen und nachstehende Notizen zu
                              sammeln. Von der Erlaubniß dieselben veröffentlichen zu dürfen, mache ich um so
                              lieber Gebrauch, als die Anstalt außer derjenigen in Heide, die ihr in der
                              Einrichtung wesentlich gleicht, so viel ich weiß, bis jetzt die einzige, in wirklichem Betriebe befindliche,
                              Torfgasanstalt Deutschlands ist.
                           Die angewandten Retorten sind im Wesentlichen eiserne  Retorten von 2 Fuß
                              lichter Weite, 1 Fuß 3 Zoll Höhe und 7 Fuß 9 Zoll Länge. Die Kanten sind abgerundet
                              und der Boden ist nach außen flach gewölbt. Oben auf jeder Retorte befinden sich der
                              Länge nach drei Züge, in denen die in der Retorte entwickelten Gase und Dämpfe vor
                              ihrem Entweichen hin- und hergeführt werden, wo also die Gasification
                              vervollständigt wird. Die Skizzen Fig. 11 und 12 geben ein
                              ungefähres Bild der Retortenöfen. A ist die eigentliche
                              Retorte, und 1, 2, 3 sind die drei erwähnten Züge. Der Zug Nr. 1 communicirt vorne
                              mit der Retorte durch eine in deren oberen Wandung befindliche Oeffnung. Derselbe
                              empfängt zuerst die entwickelten Producte, leitet sie nach hinten, und läßt sie dort
                              durch eine Oeffnung in der Scheidewand in den Zug Nr. 2 übergehen. Hier werden sie
                              wieder nach vorne geführt, und gelangen in den Zug Nr. 3, an dessen hinterem Ende
                              sie endlich durch einen angegossenen röhrenförmigen Ansatz austreten. Züge und
                              Retorte bilden nebst dem röhrenförmigen Ansatz ein einziges Gußstück, an welches das
                              dazugehörige Mundstück vorne auf gewöhnliche Weise angeschroben wird. Ein größerer
                              Deckel dient zum Verschließen der eigentlichen Retorte, ein kleinerer für die etwas
                              kürzeren Züge. Im Ganzen sind drei Oefen vorhanden, von denen jeder eine Retorte
                              enthält. Die Construction der Oefen ist sehr einfach. Die Retorten sind am Boden und
                              an den Seiten durch feuerfeste Steine und Platten gegen die directe Einwirkung des
                              Feuers geschützt. Die Flamme streicht unter dem Boden entlang, zugleich durch
                              Seitenöffnungen aufwärts und umspielt den ganzen oberen Theil der Retorte; die
                              Verbrennungsproducte gelangen durch zwei im Scheitel des Gewölbes angebrachte
                              Oeffnungen, von denen die hintere jedoch fast geschlossen, zuerst in einen kleinen,
                              und von da in den größeren gemeinschaftlichen Rauchcanal, von wo sie weiter in den
                              Schornstein abgeführt werden. Gewöhnlich werden außer den producirten Torfkohks noch
                              Steinkohlenkohks als Heizmaterial gebraucht; während meiner Anwesenheit verwandte
                              man indeß ausnahmsweise Torf, wobei die Thür vor der Zugöffnung fast ganz
                              geschlossen gehalten wurde. Die Retorte befand sich zur Zeit in einer sehr dunkeln
                              Rothglühhitze, und auch so nur zum Theil; das vordere Ende bis fast gegen die Mitte hin war
                              mehr oder weniger gar nicht glühend. Man war nämlich augenblicklich in der
                              unvortheilhaften Lage, daß der Consum geringer war (etwa 4000 Kubikfuß in 24
                              Stunden), als die regelmäßige Production einer Retorte (7000 bis 8000 Kubikfuß); und
                              hatte sich bereits dadurch helfen müssen, daß man die Retorte Abends mit Sägespänen
                              lud und während der Nacht nur so viel heizte, als durchaus nothwendig war, um sie
                              nicht völlig außer Betrieb kommen zu lassen. Die Sägespäne ergeben, wenn man sie
                              ruhig liegen läßt, eine sehr langsame Gasentwickelung, indem bei der von Außen nach
                              Innen fortschreitenden Destillation sehr bald eine so dichte äußere Kohkskruste
                              entsteht, daß die Hitze auf die innere Masse wenig oder gar nicht mehr einwirkt. Auf
                              diese Weise war die Hitze im Ofen zur Zeit geringer, als sie bei einer regelmäßigen
                              Production zu seyn pflegt, und ist dieß auch wohl der Grund, weßhalb die während
                              meiner Anwesenheit (10 1/4 bis 11 3/4 Uhr Morgens) beobachtete Gasausbeute etwas
                              geringer ausfiel, als sie nach Ausweis des Fabricationsbuches sonst ist. Die zur
                              Zeit in der Retorte befindliche Torfladung bestand aus 80 Pfund hamb. oder 116 Soden
                              (Stücken), und lag gänzlich in ihrem Hinteren glühenden Theil. Man brachte sie
                              mittelst eines schaufelartigen Eisenblechs ein, welches die ganze vorher abgewogene
                              Quantität auf einmal faßte und in das Mundstück der Retorte eingeschoben wurde. Um
                              den Torf aus der Schaufel zu bringen, drehte man diese nicht, wie bei den
                              Steinkohlengasretorten, um, sondern ein Arbeiter setzte eine Krücke, welche in den
                              Querschnitt der Schaufel paßt, vor die Ladung, und schob diese damit nach hinten,
                              während ein zweiter Arbeiter gleichzeitig die Schaufel zurückzog. Seit kurzer Zeit
                              hatte man angefangen, die Hälfte der jedesmaligen Torfkokhs in der Retorte zu lassen
                              und die Ladung darauf zu bringen. Hr. Dr. Meyn glaubte auf dieses Verfahren sehr großes Gewicht
                              legen zu müssen, indem nach seiner Meinung die glühende Kohksmasse durch
                              Vergrößerung der Berührungsfläche die Destillation der darauf gebrachten Füllung
                              wesentlich befördert. Es wurde auch beabsichtigt, unter dem Vorderende der
                              Blechschaufel ein kleines Rad anzubringen, damit beim Einbringen der Ladung die
                              glühenden Kohks nicht auf einen Haufen nach hinten zusammengeschoben werden, sondern
                              gleichmäßig vertheilt liegen bleiben. Die zweite Hälfte der producirten Kohks nahm
                              man jedesmal heraus, und brachte sie in untergestellte Dämpfkasten, um sie –
                              ohne sie vorher abzulöschen – sogleich zur Feuerung wieder mit zu benutzen.
                              Der Dämpfkasten besteht aus einem viereckigen Behälter von Eisenblech, der auf vier
                              Rädern läuft und sich auf einer kleinen Eisenbahn vor den Oefen hin und her schieben
                              läßt. Sein Deckel ist dicht zu verschließen, und in der einen Seitenwand ist eine Thür
                              angebracht, durch welche man das Material mittelst einer Schaufel herausnehmen
                              kann.
                           Der zur Zeit zur Gasbereitung verwandte Torf war ein leichter, gelblich brauner
                              Rasentorf von moosartiger Structur, hauptsächlich aus Sphagnum und Wurzeln von Erica
                              bestehend, die sich deutlich erkennen ließen. Er war vor seiner Benutzung getrocknet
                              und verlor dabei, wie mir gesagt wurde, etwa 8 Procent Wasser. Die Trockenräume sind
                              zwei, zwischen den Retortenöfen zu diesem Zweck freigelassene Räume, deren jeder circa 4500 Soden oder den Bedarf für etwa 40 Ladungen
                              faßt. Man hat verschiedene Torfsorten versucht, und nach Hrn. Dr. Meyn's Angabe
                              das Resultat erhalten daß ein Volumen leichten Torfes nahezu ebensoviel Gas
                              lieferte, als ein gleich großes Volumen schweren Torfes.
                           Während meiner Anwesenheit wurde der Ertrag einer Ladung des vorhin bezeichneten
                              leichten Torfes von 80 Pfund beobachtet, und gefunden daß dieselbe in 1 1/2 Stunden
                              406 Kubikfuß hamb. gereinigtes Gas lieferte. Das ergibt für einen Centner dieses
                              Torfes 507,5 Kubikfuß hamb. Ueber die seitherige Production erhielt ich aus dem
                              Fabricationsbuch folgende Angaben:
                           Es lieferten:
                           
                              
                                 vom 15. Oct. bis zum 1. März
                                 213500 Pfd. hamb. Torf
                                 1,075,999 Kubikf. h. Gas,
                                 
                              
                                   „      1.
                                    März
                                    „    „  12.  
                                    „
                                   14410  
                                    „      
                                    „       „
                                      82,679    
                                    „      
                                    „   „
                                 
                              
                                   „    12.    „    „    „  13.  
                                    „
                                       610  
                                    „   (1045 Soden)    
                                       
                                    3,475    
                                    „      
                                    „   „
                                 
                              
                                   „    13.    „    „    „  14.  
                                    „
                                       560  
                                    „  
                                    (  966    
                                    „    )
                                       
                                    3,428    
                                    „      
                                    „   „
                                 
                              
                                   „    14.    „    „    „  15.  
                                    „
                                       700  
                                    „   (1257    
                                    „    )
                                       
                                    4,225    
                                    „      
                                    „   „
                                 
                              
                                   „    15.    „    „    „  16.  
                                    „
                                       770  
                                    „   (1376    
                                    „    )
                                       
                                    4,915    
                                    „      
                                    „   „
                                 
                              
                                   „    16.    „    „    „  17.  
                                    „
                                       770  
                                    „   (1360    
                                    „    )
                                       
                                    4,651    
                                    „      
                                    „   „
                                 
                              
                           Dieß ergibt einen Ertrag pro Centner
                           
                              
                                 vom 15. Octbr. bis zum 1. März
                                 = 504 Kubikf. hamb.
                                 
                              
                                   „      1.
                                    März    „    „  
                                    12.   „
                                 = 567    
                                    „        „
                                 
                              
                                   „    12.    „        „    „  
                                    13.   „
                                 = 570    
                                    „        „
                                 
                              
                                   „    13.    „        „    „  
                                    14.   „
                                 = 612    
                                    „        „
                                 
                              
                                   „    14.    „        „    „  
                                    15.   „
                                 = 604    
                                    „        „
                                 
                              
                                   „    15.    „        „    „  
                                    16.   „
                                 = 638    
                                    „        „
                                 
                              
                                   „    16.    „        „    „  
                                    17.   „
                                 = 604    
                                    „        „
                                 
                              
                           Den größeren Ertrag in der letzteren Zeit (wobei freilich das von den Sägespänen
                              gelieferte Gas unberücksichtigt geblieben scheint) schreibt Hr. Dr. Meyn dem bereits
                              hervorgehobenen Umstande zu, daß die Hälfte der Kohks in der Retorte gelassen
                              wird.
                           Zum Heizen der im Gebrauch befindlichen einen Retorte wurden nach Ausweis des
                              Fabricationsbuches in der Zeit vom 1. März bis 13. incl.
                              außer den producirten Torfkohks 27 Tonnen Steinkohlenkohks verbraucht. Rechnet man
                              die Tonne Steinkohlenkohks zu 175 Pfd., und nimmt an, daß die Torfkohks nur 25 Proc.
                              vom Gewichte des vergasten Torfes betragen haben, so sind zur Production von 86,154
                              Kubikfuß Gas 8480 Pfd. Heizmaterial verwandt worden. Dieser Verbrauch ist übrigens
                              insofern nicht maaßgebend, als keine vollkommen regelmäßige Gasproduction
                              stattfand.
                           Von der Retorte aus gelangt das Gas durch eine abwärts geneigte 5zöllige Röhre in die
                              Vorlage B, die sich außerhalb des Retortenhauses unter
                              einer freien Bedachung auf dem Hofe befindet. Sie liegt in einem gemauerten, mit
                              Wasser gefüllten Trog, und ist wegen der verhältnißmäßig rascheren Gasentwickelung
                              größer, als bei der Steinkohlengasfabrication. Wo man es haben kann, sollte man die
                              Vorlage in fließendes Wasser legen. Beim Betrieb einer einzigen Retorte fand ich das
                              stehende Wasser so warm, daß es an der Luft sichtbar verdampfte.
                           Die in der Vorlage sich sammelnden flüssigen Producte werden in die Theercisterne
                              geführt, während das Gas in das Reinigungshaus, und dort zunächst in den Condensator
                              gelangt. Dieser besteht aus zwölf Stück 10 Fuß langen und 5 Zoll weiten Röhren.
                           Auf den Condensator folgt ein Scrubber, der aber nicht mit Kohks, sondern mit
                              Holzspänen gefüllt ist, und von Oben feucht gehalten wird.
                           Hinter dem Scrubber passirt das Gas noch einen Waschapparat, und gelangt alsdann in
                              zwei Kalkreiniger, von denen jeder 8 Fuß lang und 4 Fuß breit ist, und vier aus
                              Weiden geflochtene Hürden hat. Zur Füllung eines Reinigers ist eine Tonne
                              gewöhnlicher Steinkalk erforderlich. Seit einiger Zeit bedient man sich statt des
                              Steinkalkes des aus Muschelschalen gebrannten sogenannten Muschelkalkes, der
                              bedeutend billiger ist (1 Mark Courant pro Tonne) und
                              von dem 2 Tonnen (im gelöschten Zustand verkauft) zur Füllung eines Reinigers nöthig
                              sind. Die Tonne (ungelöschter) Steinkalk von 7 Kubikfuß Inhalt wiegt etwa 300 Pfd.
                              hamb. und reicht hin zur Reinigung von 4500 Kubikf. Gas. An Muschelkalk waren vom 1.
                              bis 13. März inclus. bei einer Production von 86,154
                              Kubikf. Gas 42 Tonnen gebraucht worden; das ergibt 2051 Kubikf. auf 1 Tonne, oder
                              die Kosten der Reinigung zu 8 Schilling Cour. (6 Sgr. oder 21 kr.) pro 1000 Kubikf. Gas. Der Kalkbedarf ist offenbar ein
                              sehr großer. Aber ist derselbe nur local so groß, oder ist er durch die Natur des
                              Torfgases in solchem Umfange bedingt?
                           Leider fehlen bei den bis jetzt in die Oeffentlichkeit gelangten Versuchen alle
                              genaueren Angaben über die Reinigung. Nur Hr. Dr. Reissig führt an:Polytechn. Journal Bd. CLI S.
                                       128.
                              „Die Menge der Kohlensäure ist der des ungereinigten Holzgases gleich, und selbst größer.
                                 Zur Reinigung des Torfgases ist Kalk in etwas größerer Quantität, als bei
                                 Holzgas erforderlich.“ Nach einer Notiz in den
                              „Mittheilungen des Gewerbe-Vereins für das Königreich Hannover
                                 1854“, Heft 3, wurden in der Holzgas-Anstalt zu Bayreuth im
                              Monat November 1853 zur Production von 276,000 Kubikfuß bayer. Gas (= 291,500
                              Kubikf. hamb.) 10,285 Pfd. bayer. (= 11,890 Pfd. hamb.) Kalt gebraucht, d. i. für
                              1000 Kubikf. hamb. Gas 41 Kubikf. hamb. oder für 7300 Kubikf. circa 1 Tonne. Hienach würde sich der Materialbedarf für die Reinigung
                              stellen wie 73 (bei Torf) zu 41 (bei Holz).
                           In der nahe bei Uetersen belegenen kleinen Steinkohlengas-Anstalt in Elmshorn
                              sind im Betriebsjahr 1858 für die Reinigung von 1,956,500 verkauften Kubikfuß Gas 49
                              Thlr. 65 Schil. Reichsmünze verausgabt worden. Das ergibt die Reinigungskosten für
                              1000 Kubikf. dieses Gases zu 3/4 Schilling Cour. (9/16 Sgr. oder 2 kr.)
                           Das gereinigte Gas gelangt durch eine Stationsuhr in den Gasometer, und von diesem
                              durch einen Regulator auf bekannte Weise in die Röhren zur Benutzung.
                           Die Leuchtkraft des Gases konnte leider nicht gemessen werden, da kein
                              photometrischer Apparat zur Hand war. Augenscheinlich war die Flamme eben so hell
                              und schön, wie man sie mit gewöhnlichem Steinkohlengas herzustellen im Stande
                              ist.
                           Was die Nebenproducte anlangt, so wurde mir die ganze Masse des seit Eröffnung des
                              Betriebes (15. October v. J.) gewonnenen Theers annähernd zu 54 Ctr. angegeben; dieß
                              betrüge 2,335 Proc. des verbrauchten Torfes. Die Masse des producirten Gaswassers,
                              in welchem sich ein wesentlicher Ammoniakgehalt deutlich zu erkennen gab, konnte ich
                              nicht erfahren.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
