| Titel: | Zur Theorie und Praxis der Weinbereitung; von G. E. Habich. | 
| Autor: | G. E. Habich | 
| Fundstelle: | Band 153, Jahrgang 1859, Nr. LXII., S. 216 | 
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                        LXII.
                        Zur Theorie und Praxis der Weinbereitung; von
                           G. E. Habich.
                        Habich, zur Theorie und Praxis der Weinbereitung.
                        
                     
                        
                           I.
                           Wie jedes andere chemische Gewerbe, so bedarf namentlich auch die Bereitung
                              gegohrener Getränke einer wissenschaftlichen Begründung, die den Compaß abgeben muß,
                              wenn das schaukelnde Schifflein der Empirie ungefährdet zwischen mancherlei Klippen
                              hindurchsegeln soll. Sehen wir uns nach solchen leitenden Grundsätzen bei der
                              Weinbereitung um, so stoßen wir hier und da auf Widersprüche, welche erst gelöst
                              werden müssen, ehe denn an ein endgültiges Urtheil zu denken ist. Dazu sind vergleichende Versuche nöthig, die ohne Vorurtheil und
                              mit der nöthigen Umsicht ausgeführt werden müssen, und
                              zwar in größerm Maaßstabe. Zu solchen Versuchen möchte ich nun gar gern anregen
                              durch Besprechung einiger chemischen Vorgänge in der Weinbereitung, welche zu praktisch wichtigen
                              Folgerungen führen können. Dießmal wollen wir Einiges aus der Praxis der Gährung besprechen.
                           Was man aber zur Anstellung solcher Versuche sehr nochwendig bedarf, und was man in
                              den weinbauenden Ländern schmerzlich vermißt, das ist das Saccharometer. Nur durch die Anwendung dieses Instruments ist man im
                              Stande, den Verlauf der Gährung, die fortschreitende Zuckerzersetzung zu überwachen
                              und daraus Schlüsse zu ziehen über die Zukunft des Weins. Mögen Alle, welche sich
                              solchen Versuchen unterziehen und deren Resultate der Oeffentlichkeit übergeben
                              wollen, beherzigen daß die darauf verwendete Mühe nur dann einigen Werth hat, wenn
                              sie auf folgenden Voraussetzungen basirt.
                           1) Die Gährgefäße müssen möglichst gleiche Größe und gleichen Inhalt haben, –
                              auch sollen sie in demselben Local, also unter gleichen äußeren Einflüssen stehen. Ausnahmen von dieser
                              Regel machen nur die Versuche über die Einwirkung einer höheren Temperatur auf den
                              Gährungsverlauf.
                           2) Die Anwendung des Saccharometers (wobei die nöthige
                              Correction wegen der Temperatur nicht unterbleiben darf) beginnt mit der Prüfung des
                              ganz frischen filtrirten Mostes und mag von 12 zu 12 Stunden stattfinden. Die Proben
                              müssen jedesmal so lange geschüttelt werden, bis alle Kohlensäure verjagt ist,
                              worauf sie ebenfalls durch Leinwand filtrirt werden. Das Saccharometer muß 1/10
                              Grade angeben – man liest die Grade da ab, wo die am Stengel des Instruments
                              emporsteigende Flüssigkeit am höchsten steht.
                           3) Gleichzeitig mit den Saccharometerbeobachtungen muß auch die Temperatur der gährenden Flüssigkeit und des Gährlocals genau festgestellt
                              werden.
                           4) Die Beobachtungen werden so lange fortgesetzt, bis sich keine fernere Verminderung
                              der Saccharometergrade zeigt.
                           5) Alle Umstände, welche auf den Verlauf der Gährung influiren können – als:
                              Umrühren des Maisches, Schwefeln des Mostes u.s.w. – müssen genau notirt
                              werden, damit man sie in Berücksichtigung nehmen kann.
                           Ueber die Wahl des zu diesen Beobachtungen nothwendigen Saccharometers will ich noch
                              bemerken, daß die gewöhnlichen für die Zwecke der Bierbrauerei construirten
                              Instrumente nicht ausreichen; die Scala derselben muß eine größere Ausdehnung
                              erhalten, und zwar von etwa 3 Graden unter Null (weil manche fertig vergohrene Weine
                              leichter sind als Wasser) bis zu 25 Graden über Null (bei starken Mosten für
                              Liqueurweine sogar bis zu 30 Graden).
                           
                           Mit dem erforderlichen Apparat versehen, wolle nun Jeder, dem sich hiezu Gelegenheit
                              bietet, die nachfolgenden Mittheilungen im nächsten Herbst einer Prüfung
                              unterziehen.
                           Die Zeit der alten Weine ist vorüber, man liebt heutzutage
                              mehr die gut entwickelten, hefefreien und noch etwas zuckerhaltigen jüngeren Gewächse. Daher das Streben der Weinproducenten,
                              die Gährung des Mostes so zu leiten, daß der Wein recht bald
                              „fertig“, d.h. klar und flaschenreif, also zur Marktwaare wird.
                              Es gibt Trauben, deren Weine mehrere Jahre zur vollständigen Klärung und Abscheidung
                              aller bei fernerer Alkoholzunahme abscheidbaren Substanzen verlangen, – dahin
                              gehört z.B. der Wein der Orleanstraube, welche deßhalb auch immer mehr aus den
                              Weinbergen des Rheingaues verdrängt wird. In den übrigen Weinen die Klärung zu beschleunigen, sobald die Vergährung bis auf
                              den beliebten Grad fortgeschritten ist, das ist die Aufgabe, zu deren Lösung man
                              bereits verschiedene Wege eingeschlagen hat.
                           Betrachtet man den von der Kelter abfließenden Most genauer, so findet man in
                              demselben eine Fülle von Markzellen, die der Quetschung entgangen sind, schwebend.
                              Sie sind kleiner als die den zuckerreichen Saft
                              enthaltenden Zellen und würden bei fernerer Reife, d.h. beim Uebergang der in ihnen
                              enthaltenen Säuren in Zucker, ebenfalls ein größeres Volumen eingenommen haben und
                              dadurch zersprengbarer geworden seyn. Diese kleineren
                              Markzellen enthalten also einen säurereichern Saft, daher
                              die Erscheinung beim Keltern, daß der zuerst abfließende Saft wenig Säure und viel
                              Zucker enthält; erst beim stärkern Druck fließt eine mehr saure Brühe ab.
                           Außer diesen kleinen Zellen beobachtet man noch andere höchst kleine Zellen, welche
                              wahrscheinlich den Ausgangspunkt der Hefezellenbildung abgeben. Sie bieten, eben
                              wegen ihrer Kleinheit, die verhältnißmäßig größte Oberfläche zum Inhalte der Zellen
                              und gestatten deßhalb den für die Zuckerzersetzung wesentlichen diasmotischen
                              Strömungen den größten Umfang. Ihre Umwandlung in die einfache plattrunde Zelle des
                              gewöhnlichen Gährungspilzes (der Hefe) scheint mit nicht wunderbarer, als die
                              Umwandlung der Zellen des letzteren in die wurstförmig gestreckten Zellen des
                              Essigpilzes (des Kahns).
                           Gelingt es nun die beiden Zellenarten vor der Gährung zu beseitigen, so wird der Most
                              etwas weniger Säure enthalten und die Gährung wird – ebenso wie bei der
                              Anwendung geringerer Mengen von Stellhefe in der Bierbrauerei – einen langsamern Verlauf nehmen. Dabei werden die im Most
                              enthaltenen Eiweißstoffe zur Production neuer Hefezellen verwendet und am Boden
                              abgeschieden; die in der Flüssigkeit vagabundirenden kleinen Zellen finden also immer
                              weniger Eiweißstoffe zur Nahrung vor, ihr Wachsthum findet mit geschmälertem Erfolge
                              statt. Und da dieses Wachsthum mit der Gährung Hand in Hand geht, so kommt solche
                              bald auf einem Punkte an, wo die Kohlensäure-Entwicklung so sehr erlahmt ist,
                              daß auch die noch suspendirten Hefenzellen, dem Gesetz der Schwere folgend, am Boden
                              anlangen.
                           Der einfachste, aber nur in seltenen Fällen mögliche Weg zur Erreichung dieses Zieles
                              ist die Anwendung der Kälte. In einem hinreichend kühlen
                              Keller wird die beim Beginn der Zuckerzersetzung ausgeschiedene Kohlensäure von der
                              Flüssigkeit zurückgehalten; die Gasblasen, als emporstrebende Locomotiven für die
                              Zellen und andere trübenden Theile fehlen, und so gewinnen letztere Zeit, sich an
                              den Boden zu begeben und eine nur geringe Thätigkeit zu entwickeln. Ist der Most
                              klar genug geworden, so zapft man ihn ab und läßt ihn in etwas wärmeren Localen zur
                              regelmäßigen Gährung kommen.
                           Der entgegengesetzte Weg – durch eine Klärung nach
                                 Oben – ist folgender. Man überliefert den Most einem offenen
                              Gährbottich, wo dann die Zuckerzersetzung alsbald beginnt. Die Kohlensäurebläschen
                              schwärmen empor und reißen die schwebenden Zellen und sonstige trübende Theile mit
                              sich fort an die Oberfläche, wo sie eine dichte Decke bilden. Wird diese Decke nun stets sorgfältig abgenommen (vermittelst eines
                              Schaumlöffels), bis die Oberfläche endlich jeder Unlauterkeit baar und ledig ist, so
                              kann der geklärte Most in die Gährfässer gebracht werden, wenn man es nicht etwa
                              versuchen will, ihn in dem offenen Bottich seine Gährung vollenden zu lassen. Da die
                              abgenommene Schleimdecke eine Menge Säure enthält, so kann sie mit Zuckerwasser zur
                              Gährung gebracht und so allmählich bis auf den Zellenstoff ausgenutzt werden.
                           Ein dritter Weg für die Klärung des Mostes ist, den frischen Most auf sehr stark
                              eingeschwefelte Fässer zu legen. Die Gegenwart der schwefligen Säure wirkt
                              bekanntlich dem Eintritt der Gährung entgegen, – der Most bleibt ruhig und
                              kann durch Absetzen der trübenden Theile zur Klärung gelangen. Dieser Methode
                              bedienten sich besonders die Champagner-Fabrikanten und erlangen dadurch
                              einen höchst klaren Most, wenn man die Klärung sich vollenden läßt – für
                              gewöhnliche Zwecke der Weinbereitung genügt eine etwa dreitägige Ruhe. Die auf diese
                              Welse (man nennt's das Entschleimen) geklärten Moste
                              gerathen sehr langsam in Gährung; die immer noch zum Theil zurückgehaltene
                              schweflige Säure läßt die Gährung in kühlen Kellern gar
                              nicht zu Ende kommen, – die jungen Weine bleiben sehr süß, fangen aber im
                              Sommer bei gesteigerter Kellertemperatur wieder an zu arbeiten. Es ist deßhalb
                              nothwendig – wenn man durch die erste Gährung gleich „fertigen“
                              Wein bekommen will – gegen das Ende derselben die Temperatur des Gährlocals
                              durch Einheizen zu steigern, was auch noch andere Vortheile im Gefolge hat.
                           Die Urtheile der Praktiker über diese letzten beiden Methoden (denn die Anwendung der
                              Kälte kann ja nur in Ausnahmefällen stattfinden) gehen sehr auseinander. Das
                              Entschleimen gestattet eine weit durchgreifendere Klärung als das Abschöpfen der
                              Gährdecke. Die Champagnerfabrikanten arbeiten deßhalb am liebsten nach der erstem
                              Methode, während den Weinhändlern solche entschleimten Weine, die „zur
                                 Zeit der Traubenblüthe“ wieder in Gährung gerathen, höchst unlieb
                              waren. Die Abschöpfmethode reicht für gewöhnliche Zwecke vollkommen aus und liefert
                              einen normalen Gährungsverlauf, aber sie genügt den Champagnerfabrikanten wiederum
                              nicht.
                           Ueber die Einwirkung des Entschleimens auf die Entwicklung des Bouquets ist man der
                              Ansicht, daß dasselbe bei den entschleimten Weinen mehr hervortrete. Wahrscheinlich
                              aber hat man dabei die jungen zuckerreichen Weine im Auge gehabt, welche demnächst
                              – wenn sie die Nachgährung bestanden haben – noch viel Bouquet
                              einbüßen. Diese Frage muß deßhalb durch neue Versuche beantwortet werden, wobei der
                              Grad der Vergährung in Betracht zu ziehen ist.
                           Hieran schließe ich nun als vierten Weg einen Vorschlag, den ich für nächsten Herbst
                              der Prüfung der Weinproducenten empfohlen haben will. Dieser Weg soll nämlich die
                              Vorzüge beider Methoden vereinigen, ohne deren Nachtheile herbeizuführen. Er soll
                              vollständige Klärung bei normalem Verlauf der Gährung
                              ermöglichen; er soll ferner (um den Zwecken der Champagnerfabrication zu dienen) die
                              Entfernung der Eiweißstoffe auf die Spitze treiben.
                           Zu dem Ende wird der junge Most mit einem kleinen Ueberschuß von Gerbsäure versetzt; die ausgeschiedenen gerbsauren
                              Eiweißstoffe umhüllen die übrigen trübenden Bestandtheile des Mostes und klären die
                              Flüssigkeit, nachdem sie entfernt sind, vollständiger als
                              außerdem. Zur Entfernung der stockigen Beimengung kann man nun entweder in der Kälte
                              ablagern lassen oder nach eingetretener Gährung die Oberfläche der Flüssigkeit
                              säubern oder (wenn der Wein zur Champagnerfabrication süß bleiben soll) die
                              Ablagerung auf geschwefelten Fässern abwarten. Ist die Gährung zu Ende, so handelt
                              es sich um die Beseitigung der überschüssigen Gerbsäure; eine kräftige Schönung mit
                              Hausenblase leistet hierbei Abhülfe.
                           Man fürchte nicht, dem Moste auf diese Weise zuviel
                              Eiweißstoffe zu entziehen, so daß es am Ende zu der Hefebildung daran mangeln könnte. Die gerbsauren
                              Eiweißstoffe sind in den Säuren des Weines löslich und
                              aus dieser Verbindung scheiden sich die zur Zellenbildung erforderlichen
                              Eiweißstoffe während der Gährung aus. Am Schlusse der Gährung tritt dann –
                              wenn man den Wein auf den ausgeschiedenen Hefen liegen läßt – die Gerbsäure
                              wieder zu dem Zelleninhalt, verbindet sich mit den Eiweißstoffen desselben und macht
                              auf diese Weise die Hefezellen todt (wie im Faßgeläger
                              des Rothweins). Es ist möglich, daß bei längerm Lagern die Eiweißstoffe der Hefe
                              hinreichen, um die Gerbsäure des Weines (mit der sie in Verbindung gewesen sind)
                              vollständig auszuscheiden. Aber eine Schönung bewirkt das rascher.
                           Die energische Wirkung der Hefe, um einen Wein vom Gerbsäuregehalt zu befreien, hatte
                              ich Gelegenheit in Algesheim am Rhein kennen zu lernen. Dort hatte man aus einer
                              schwarzen Bouquettraube (Trollinger- oder Fleischtraube) Rothwein gemacht und denselben nachher auf die Drusen
                              (Hefen) von weißem Weine (etwa 1 Drusen auf 7 Wein) gelegt, – der Wein war
                              vollständig entfärbt und frei von Gerbsäure.
                           Ueber die Umstände, unter denen die Weingährung am zweckmäßigsten erfolgt, sind die
                              Ansichten der Praktiker noch sehr getheilt. Die Frage über die Zulässigkeit und den
                              Nutzen offener Gährbottiche – wie solche Liebig vor fast 20 Jahren nachdrücklich empfahl –
                              ist von der Praxis nicht günstig entschieden worden. Doch lassen die Versuche,
                              welche als gegen dieses Gährverfahren sprechend
                              veröffentlicht wurden, viel zu wünschen übrig und man kann die Acten über diese
                              Angelegenheit noch nicht für geschlossen halten.
                           Daß der Zutritt der atmosphärischen Luft nothwendig sey
                              für einen gesunden Gährungsverlauf – wie Liebig
                              annahm – das wird durch die am Rheine fast durchgängig übliche Methode der
                              Gährung unter Wassersperre (mit aufgesetzten Gährröhren, wobei die Kohlensäure das
                              Sperrwasser durchbrechen muß) gründlich widerlegt; denn der Verlauf einer solchen
                              Gährung läßt nichts zu wünschen übrig. Aber die Anwendung offener Gährgefäße würde
                              doch mancherlei Bequemlichkeiten im Gefolge haben. Und deßhalb ist die Wiederholung
                              der Versuche wünschenswerth. Dabei kommen dann folgende Punkte in Betracht.
                           Wir dürfen dabei den Hauptwerth auf die Temperatur legen. Gährungen, die bei höherer Temperatur in offenen Bottichen vorgenommen
                              werden, entbehren der schützenden Decke der Kohlensäure, weil diese mit zu hoher
                              Temperatur aus der Flüssigkeit aufsteigt und den Spiegel derselben verläßt; bei
                              niedriger Temperatur dagegen schichtet sich die Kohlensäure über der Oberfläche der
                              Flüssigkeit und hält den Zutritt der atmosphärischen Luft ab. Dabei drängt sich nun
                              zunächst die Frage auf:
                              ist der Zutritt der atmosphärischen Luft während der
                                 Gährung vielleicht nachtheilig? Nur das Experiment kann darüber
                              entscheiden. Aber wir dürfen uns wohl der Analogie bedienen um mit hoher
                              Wahrscheinlichkeit schon jetzt anzunehmen, daß solch ein Luftzutritt dem Weine
                              Schaden zufügen kann. Wir brauchen nur das Verhalten des Bieres auf dem Lager (wo es
                              noch immer in gelinder Gährung begriffen ist) zu betrachten; jeder Zutritt von Luft führt es der Essiggährung in die Arme. Die gelungenen Versuche mit offenen Gährbottichen sind
                              sämmtlich bei niedriger Temperatur durchgeführt.
                           Dann entsteht aber wieder die Frage: welchen Einfluß hat die
                                 hohe oder niedrige Temperatur bei der Gährung auf die Qualität des Weines?
                              Versuche zur Beantwortung dieser Frage können natürlich
                              nur bei geschlossener Gährung gemacht werden. Die
                              Erfahrungen, welche mit darüber zur Verfügung stehen, besagen folgendes. Sehr niedrige Temperatur schließt die Gährung, ehe der größte
                              Theil des Zuckers zersetzt ist, die Weine werden krystallhell, sind scheinbar fertig, enthalten aber noch so viel Zucker, daß
                              sie später wieder in eine starke Gährung kommen, wobei die Rießlingweine viel
                              Bouquet verlieren. Tritt bei mittlerer Temperatur zu früh
                              ein Stillstand in der Gährung ein, so ist es rathsam, durch Heizen wieder alles in
                              den Gang zu bringen, – die Weine behalten dabei mehr Bouquet, als wenn sie
                              später eine Nachgährung erleiden. Ich habe Weine kennen gelernt, denen man zur
                              Unterstützung der Schlußgährung 20° R. geboten hatte, es waren vortreffliche
                              Gewächse; der dabei stattfindende Verlust durch Verdunstung stellt sich ungefähr
                              eben so hoch heraus, wie beim Lagern bis zu gleichem
                              Grade der Reife.
                           Daß man dabei zu individualisiren verstehen muß, ist begreiflich, und man würde ein
                              zuckerarmes unschuldiges Gewächs sicherlich ruiniren. Solchem Most sucht man durch eine Führung der
                              Gährung bei niedriger Temperatur eine ziemliche Portion des Zuckers zu erhalten,
                              wenn man nicht vorzieht ihm durch Zuckerzusatz die fehlende Portion zuzuführen.
                           Ob ein Wein bei der Gährung „fertig“ geworden ist, ergibt sich
                              bei Anwendung von Sperrwasser durch das Aufhören der Kohlensäure-Entwicklung,
                              im andern Fall durch die stationär geworbene Saccharometer-Anzeige. Es ist
                              dann Zeit, ihn in ein kühleres Local zu bringen.
                           Bei der Anwendung des Saccharometers wird man die interessante Beobachtung machen,
                              daß der Most mancher Traubensorten viel Grade (Saccharometerprocente) besitzt, aber
                              dennoch zuckerarm ist, indem am Schluß der Gährung der Wein noch reichliche Grade anzeigt.
                              Das rührt von einem Pectingehalt des Mostes her, der sich nach der Gährung
                              ausscheidet. Solche Weine klären sich schwer und bleiben lange schleimig (zumal wenn's leichte „kleine“ Gewächse
                              sind). Mir sind bis jetzt zwei Traubensorten bekannt, welche diese Untugend
                              besitzen: die eine ist die schon oben erwähnte Orleanstraube, die andere ist die am
                              Rhein unter dem Namen „Oesterreicher“ bekannte Rebsorte. Beiden
                              wird man wohl nur dadurch helfen können, daß man den geistigen Gehalt des Mostes
                              erhöht, wodurch das Pectin rascher und vollständiger ausgeschieden wird, also
                              Zuckerzusatz bis zum normalen Gehalt.
                           Manche haben geglaubt, daß der Zusatz von Gerbsäure das Pectin ausfällen könne. Das
                              ist aber ein – besonders für Champagnerfabrikanten gefährlicher –
                              Irrthum. Gerbsäure scheidet nur Eiweißstoffe aus und läßt das Pectin gelöst, welches
                              dann erst bei der Nachgährung auf den Flaschen seine unangenehme Gegenwart
                              bemerklich macht.