| Titel: | Untersuchungen über die Zusammensetzung des Roheisens und des Stahls; von E. Fremy. | 
| Fundstelle: | Band 160, Jahrgang 1861, Nr. XLI., S. 123 | 
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                        XLI.
                        Untersuchungen über die Zusammensetzung des
                           Roheisens und des Stahls; von E.
                              Fremy.
                        Aus den Comptes rendus, März 1861, t. LII p.
                              415.
                        Fremy, Untersuchungen über die Zusammensetzung des Roheisens und
                           des Stahls.
                        
                     
                        
                           Dritte Abhandlung.
                           Die Anwendung des Stahls hat sich in der neuesten Zeit durch seine Benutzung im
                              Maschinenbau und zur Anfertigung der Feuerwaffen sehr ausgedehnt, daher es höchst
                              wünschenswerth ist, denselben unbeschadet seiner Güte auf ökonomische Weise erzeugen
                              zu können. Um dieses Problem zu lösen, welches in so hohem Grade die metallurgische
                              Industrie interessirt, und um die Stahlfabrication auf sichere wissenschaftliche
                              Principien begründen zu können, ist nach meiner Ansicht die Chemie jetzt
                              verpflichtet, sämmtliche
                              auf die Stahlbildung bezügliche theoretische Fragen einem neuen Studium zu
                              unterziehen.
                           Die bisher aufgestellten Theorien um die Stahlbildung zu erklären, sind offenbar kein
                              genügender Führer für den Metallurgen, welcher Stahl, sey es durch Cementiren des
                              Stabeisens mit Kohle oder durch Entkohlen des Roheisens mittelst des Stahlpuddelns,
                              erzeugen will. So läßt sich der Einfluß des Mangans und derjenige des Wolframs bei
                              der Stahlbildung nicht leicht erklären; der Nutzen der stickstoffhaltigen
                              organischen Substanzen und gewisser Salze beim Cementiren wird von erfahrenen
                              Metallurgen geläugnet: die Einen glauben, daß der beste Cementstahl durch Einwirkung
                              des Kohlenstoffs auf das reine Eisen entsteht; Andere nehmen an, daß die Cementation
                              nur unter dem Einfluß des Stickstoffs der Luft erfolgen kann. Jedenfalls sagt uns
                              die Theorie nicht, warum gewisse Stabeisensorten immer Stahl bester Qualität geben,
                              während andere, welche eben so rein zu seyn scheinen, immer nur einen wenig
                              geschätzten Stahl liefern werden. Bekanntlich bietet auch die Fabrication des
                              Puddelstahls Schwierigkeiten dar, welche oft die geschicktesten Techniker entmuthigt
                              haben.
                           Dieselbe Unsicherheit wie in den Methoden der Stahlerzeugung, findet sich in den
                              Theorien welche aufgestellt wurden um die Stahlbildung zu erklären.
                           Einige Chemiker nehmen an, daß der feste Kohlenstoff direct auf das Stabeisen wirken,
                              das Metall durchdringen, in seiner Masse circuliren und es in Stahl verwandeln
                              kann.
                           Andere, darunter insbesondere Leplay und Laurent, nehmen an daß der Cementstahl immer durch die
                              Einwirkung einer gasförmigen kohlenstoffhaltigen Verbindung auf das welche Eisen
                              entsteht. Laurent behauptet sogar, daß in den
                              Cementirkästen der Kohlenstoff sich verflüchtigt und sein Dampf den Stahl
                              erzeugt.
                           Die Wirkung der Cyanüre auf das Stabeisen hat in der letzten Zeit der Theorie der
                              Cementation eine neue Ausdehnung gegeben: die Praxis hat einen Versuch benutzt,
                              welcher seit langer Zeit in den Vorlesungen über Chemie gemacht wurde, und darin
                              bestand das Stabeisen durch Erhitzen mit einem Alkalicyanür oder einem Ferrocyanür
                              zu verstählen; überdieß hat unlängst Caron nachgewiesen,
                              daß das Cyanammonium, welches sich in den Cementirkästen bilden kann, auf das
                              Stabeisen wie die Alkalicyanüre wirkt und es rasch in Stahl verwandelt.
                           Die bisher über die Stahlbildung erschienenen Abhandlungen haben ohne allen Zweifel
                              die Wissenschaft mit neuen und für die Technik wichtigen Thatsachen bereichert; sie
                              haben hauptsächlich die Umstände festgesetzt, welche die Stahlbildung am leichtesten veranlassen, aber
                              sie haben kein neues Licht auf die theoretischen Fragen bezüglich der chemischen
                              Constitution des Stahls geworfen; man nimmt noch an, daß der Stahl eine Verbindung
                              des Eisens mit Kohlenstoff ist, welche nach ihrer Zusammensetzung zwischen das
                              Stabeisen und das Roheisen zu stehen kommt.
                           Meine Ansichten über die Zusammensetzung des Stahls sind ganz verschieden von den
                              bisher aufgestellten; ich glaube beweisen zu können, daß der Stahl nicht eine
                              Verbindung von Eisen und Kohlenstoff ist, und daß es eine Reihe von Stahlarten gibt,
                              welche durch Verbindung des Eisens mit Metalloiden, Metallen und sogar Cyanüren
                              entstehen.
                           Ich kenne keinen einzigen Versuch, welcher streng beweist, daß der Stahl eine
                              Verbindung von reinem Kohlenstoff mit Eisen ist. Kleine Antheile fremdartiger
                              Körper, welche die Analyse nicht immer nachweist, können die Eigenschaften des
                              Eisens modificiren, und wenn man die Wirkung des reinen Kohlenstoffs auf das Eisen
                              zu ermitteln beabsichtigte, so brachte man nothwendig noch andere Körper hinzu, als
                              diejenigen deren gegenseitige Einwirkung man bestimmen wollte; abgesehen von den
                              Verunreinigungen welche der Tiegel liefern mußte, hat man sowohl den Einfluß der in
                              die Apparate dringenden Feuergase, als die Einwirkung der Bestandtheile der Luft,
                              welche die Holzkohle nicht absorbirt, endlich die Gegenwart der verschiedenen in der
                              Holzkohle selbst enthaltenen Substanzen unberücksichtigt gelassen.
                           Ich erinnere hier an die in meiner ersten AbhandlungPolytechn. Journal Bd. CLVIII S.
                                       209. mitgetheilte Thatsache, daß der Stahl beim Auflösen in den Säuren einen
                              Rückstand hinterläßt, welcher mit reinem Kohlenstoff gar keine Aehnlichkeit hat,
                              sondern durch seine Eigenschaften und seine Zusammensetzung sich den Derivaten des
                              Cyans sehr nähert; es sind also die synthetischen und analytischen Versuche weit
                              entfernt zu beweisen, daß der Stahl bloß Kohlenstoff und Eisen enthält.
                           Um die wirkliche Constitution des Stahls zu bestimmen und zu ermitteln ob es nicht
                              eine Reihe von Stahlarten gibt, welche unter sich hinsichtlich der Zusammensetzung
                              verschieden seyn können (wie der Wolframstahl und Holzkohlenstahl), aber durch
                              gewisse gemeinschaftliche Eigenschaften sich einander nähern, nahm ich mit vor, das
                              Eisen der Einwirkung aller Körper auszusetzen, welche bei der Stahlbildung eine
                              Rolle spielen können.
                           In dieser Hinsicht habe ich vorerst mit dem Stickstoff Versuche angestellt und
                              dieselben in meiner zweiten AbhandlungS. 43 im vorhergehenden Heft. mitgetheilt. Wie man aus derselben ersieht, war ich bemüht, das Stickstoffeisen ohne überschüssiges
                              Metall zu erhalten und so gut als möglich eine bestimmte Verbindung zu erzielen.
                           Der Stickstoff verbindet sich aber, wie der Kohlenstoff, mit dem Eisen in
                              verschiedenen Graden; bevor das Stabeisen unter dem Einfluß des Stickstoffs Schuppen
                              bildet, welche sich ablösen und nach meinen Analysen 9,5 Proc. Stickstoff enthalten,
                              erleidet es in seinen allgemeinen Eigenschaften eine große Veränderung; es behält
                              nämlich eine gewisse Hämmerbarkeit, wird aber körnig und weiß; in diesem Zustande
                              ist das Eisen noch metallisch und doch schon tief hinein mit Stickstoff verbunden.
                              Mit solchem Stickstoffeisen wurden die unten folgenden
                              Versuche über Stahlbildung angestellt.
                           Da ich die aufeinanderfolgende oder gleichzeitige Wirkung des Stickstoffs und des
                              Kohlenstoffs auf das Eisen studiren wollte, so mußte ich vorerst eine Methode
                              auffinden, welche dasselbe leicht und in beliebigem Grade mit Kohlenstoff zu
                              verbinden gestattet. Dazu liefert das Leuchtgas das Mittel. Ich fand nämlich, daß
                              wenn man zwei Stunden lang bei der Rothglühhitze getrocknetes Leuchtgas über
                              Stabeisen leitet, eine sehr regelmäßige Kohlung erzielt und das Metall in ein
                              graues, graphithaltiges Roheisen verwandelt wird, welches sehr hämmerbar ist und in
                              jeder Hinsicht dem besten Holzkohlen-Roheisen gleicht.
                           Ich hatte also in der Anwendung des Ammoniaks und des Leuchtgases zwei leicht
                              regulirbare Verfahrungsarten, welche mit gestatteten die Wirkung des Stickstoffs und
                              des Kohlenstoffs auf das Eisen, jedes für sich oder beider zugleich, zu
                              studiren.
                           Aus meinen Versuchen ging hervor, daß man durch Einwirkung des Leuchtgases auf das
                              Stabeisen nur Roheisen erhält; wenn man aber hierzu ein Eisen anwendet, welches
                              vorher mit Stickstoff verbunden worden ist, so bekommt das Product die Eigenschaften
                              des Stahls. Dabei zeigt sich die merkwürdige Thatsache, daß die Eigenschaften des
                              Stahls gewissermaßen von der Stickstoffmenge abhängen, welche vorher dem Eisen
                              mitgetheilt wurde. Wenn nämlich das Stabeisen nicht genügend mit Stickstoff
                              verbunden worden ist, so liefert es bei der Einwirkung des Leuchtgases einen Körper,
                              welcher ungefähr die Mitte zwischen Roheisen und Stahl hält; war hingegen das Metall
                              hinreichend mit Stickstoff verbunden, so erzeugt das Leuchtgas einen Stahl von
                              vortrefflichem Korn.
                           Wenn man, anstatt nacheinander den Stickstoff und den Kohlenstoff auf das Metall
                              einwirken zu lassen, über das zum Rothglühen erhitzte Stabeisen ein Gemisch von
                              Ammoniak und Leuchtgas leitet, so erfolgt unmittelbar die Stahlbildung in einem den
                              relativen Verhältnissen beider Gase entsprechenden Grade.
                           
                           Bei den so eben beschriebenen Versuchen ist es mit zum erstenmal gelungen, Stahl
                              mittelst der aufeinander folgenden Wirkung zweier Gase auf das Stabeisen zu
                              erzeugen, von denen das eine, das Ammoniakgas, den Stickstoff liefert, das andere
                              aber, das Leuchtgas, den Kohlenstoff zubringt; bei dem auf diese Weise erhaltenen
                              Stahl wird also die Cementation nicht mehr mit Holzkohle, sondern mit einem aus der
                              Steinkohle gewonnenen Gase bewerkstelligt. Diese Versuche, welche mit in
                              theoretischer Hinsicht den Cementirproceß aufzuklären scheinen, dürften sich wohl in
                              der Praxis benutzen lassen.
                           Aus allen diesen Thatsachen geht schon unzweifelhaft hervor, daß der Stickstoff bei
                              der Stahlbildung eine wichtige Rolle spielt; es fragte sich nun noch, ob der
                              Stickstoff im Cementstahl zurückbleibt, oder ob er, wie vermuthet wurde, nur dazu
                              dient, dem Eisen den Kohlenstoff in einem zur chemischen Vereinigung geeigneten
                              Zustande darzubieten.
                           Um diese interessante Frage zu lösen, ließ ich auf den mittelst Ammoniak und
                              Leuchtgas erhaltenen Stahl das reine und trockene Wasserstoffgas einwirken, welches
                              die Gegenwart des Stickstoffs im Stahl mit der größten Sicherheit nachzuweisen
                              gestattet. Beim Erhitzen des durch Einwirkung von Ammoniak und Leuchtgas auf
                              Stabeisen erhaltenen Stahls in Wasserstoffgas, ergab sich sofort, daß er Stickstoff
                              enthält, denn während der ganzen Dauer des Versuchs entwickelte er Ammoniak in
                              beträchtlichen Mengen.
                           Es war interessant, diesen Versuch auch mit den im Handel vorkommenden Stahlsorten
                              anzustellen, um zu erfahren ob dieselben ebenfalls stickstoffhaltig sind. Ich habe
                              dazu den französischen Stahl von Jackson, den englischen
                              Stahl von Huntsman und den deutschen Stahl von Krupp gewählt. Diese Stahlsorten wurden in sehr feines
                              Feilicht verwandelt, dasselbe von aller fremdartigen Beimengung befreit und dann in
                              der Rothglühhitze der Einwirkung trockenen Wasserstoffgases unterzogen. Bei diesen
                              drei Proben entwickelte das Feilicht ebenfalls während der ganzen Dauer des Versuchs
                              beträchtliche Quantitäten von Ammoniak.
                           Dieser Versuch beweist unzweifelhaft, daß der Stickstoff, im Gegensatz mit den
                              bisherigen Ansichten, einen wesentlichen Bestandtheil des Stahls bildet.
                           Im Stahl ist also das Eisen nicht bloß mit Kohlenstoff
                                 verbunden, sondern derselbe ist ein Kohlenstickstoff-Eisen.
                           Wenn ich mich über die Tragweite meiner Untersuchungen nicht täusche, so müssen
                              dieselben einen gewissen Einfluß auf die Stahlfabrication ausüben. So wird man beim
                              Cementiren des Stabeisens in der Folge alle Bedingungen realisiren müssen, wodurch
                              dem Metall nicht bloß der Kohlenstoff, sondern auch der Stickstoff geliefert werden kann: es ist
                              wahrscheinlich, daß die verschiedenen Stahlqualitäten nicht nur von der Dauer der
                              Cementation abhängen, sondern auch von den relativen Verhältnissen der zwei
                              Elemente, welche sich mit dem Eisen verbinden können.
                           Für die Puddelstahl-Fabrication wird es wichtig seyn zu bestimmen, welche
                              Roheisensorten den zur Stahlbildung geeigneten Stickstoffgehalt haben und welche
                              wegen unzureichenden Stickstoffgehalts im Moment der Stahlbildung Stickstoff
                              empfangen müssen.
                           Es ist aber wahrscheinlich, daß die Körper welche einige Analogie, sey es mit dem
                              Kohlenstoff oder mit dem Stickstoff haben, ebenfalls Stahl erzeugen können; so
                              erhält man bekanntlich das Feinkorneisen, welches härter als das gewöhnliche
                              Stabeisen ist und sich gewissermaßen dem Stahl nähert, hauptsächlich beim Ausbringen
                              der Phosphorhaltigen Eisenerze. Die Verbindung des Eisens mit dem Kohlenstoff und
                              Stickstoff ist als der Typus des Stahls zu betrachten, und es fragt sich nun welche
                              Modificationen der Stahl erleidet, wenn man den Kohlenstoff oder Stickstoff durch
                              andere einfache Körper ersetzt; dieser interessante Punkt bildet den Gegenstand
                              meiner nächsten Abhandlung, worin ich zeigen werde, daß die zahlreichen Stahlarten
                              zusammen eine Familie von Verbindungen bilden, welche nacheinander untersucht werden
                              müssen.
                           Die im Vorstehenden mitgetheilten neuen Thatsachen scheinen mit zu folgenden
                              Schlüssen zu führen:
                           1) Um die aufeinanderfolgende oder gleichzeitige Wirkung des Stickstoffs und des
                              Kohlenstoffs auf das Stabeisen zu ermitteln, kann man mit Vortheil das Ammoniakgas
                              anwenden, welches den Stickstoff liefert, und das Leuchtgas, welches den Kohlenstoff
                              gibt. Die so durch Gase hervorgebrachten chemischen Reactionen geben reine
                              Verbindungen, und können leicht verfolgt und regulirt werden.
                           2) Wenn das Stabeisen nicht lange genug der Einwirkung des Ammoniakgases ausgesetzt
                              wurde, so entstehen keine Schuppen von Stickstoffeisen, es ist dann bloß azotirt,
                              wurde weiß wie Zink, behielt zum Theil seine Hämmerbarkeit und gleicht einer
                              wirklichen Legirung.
                           3) Das in einem Strom von Leuchtgas erhitzte Stabeisen kohlt sich sofort und
                              verwandelt sich in graues, graphithaltiges, sehr weiches Roheisen, welches sehr
                              leichtflüssig und daher zu den zartesten Güssen geeignet ist; bei dieser Reaction
                              des Leuchtgases auf das Stabeisen entsteht niemals Stahl.
                           4) Die Stahlbildung erfolgt, wenn man auf das Stabeisen den Kohlenstoff und den
                              Stickstoff einwirken läßt.
                           5) Das reine Stabeisen, welches sich unter dem Einflusse des Leuchtgases in leichtschmelzbares Roheisen
                              verwandelt, wird, nachdem es vorher azotirt (mit Stickstoff vereinigt) worden ist,
                              durch Einwirkung des Leuchtgases unschmelzbar gemacht und in Stahl verwandelt.
                              Stücke desselben Stabeisens wurden eine sehr verschiedene Zeit lang azotirt und
                              hernach der Einwirkung des Leuchtgases unterzogen: diejenigen welche eine geringe
                              Menge Stickstoff zurückhielten, verwandelten sich nur sehr unvollständig in Stahl;
                              diejenigen hingegen, welche stark azotirt wurden, lieferten einen vortrefflichen
                              Stahl: der Stickstoffgehalt eines Stabeisens bestimmt also im Moment seiner Kohlung
                              gewissermaßen den Grad seiner Umwandlung in Stahl.
                           6) Man kann nicht mehr annehmen, daß die Cementation ausschließlich durch einen
                              flüchtigen kohlenstoffhaltigen Körper bewirkt wird, weil das Leuchtgas, wenn es bei
                              der Rothglühhitze auf das Stabeisen einwirkt, nur Roheisen bildet, während, wenn das
                              Stabeisen vorher Stickstoff enthielt, sofort Stahl erzeugt wird.
                           7) Wenn das Stabeisen sich in Stahl umwandelt, so scheidet der Kohlenstoff den
                              Stickstoff nicht aus, denn ich habe gefunden daß der im Handel vorkommende Stahl
                              stickstoffhaltig ist und reichlich Ammoniak entwickelt, wenn man trockenes
                              Wasserstoffgas auf ihn einwirken läßt.
                           8) Alle diese Thatsachen führen daher zu dem Schluß, daß der Stahl nicht, wie man
                              bisher glaubte, ein mit Kohlenstoff verbundenes Eisen ist, sondern ein
                              Kohlenstickstoff-Eisen.
                           Um die Zusammensetzung des Stahls auszudrücken, habe ich die Bezeichnung
                              Kohlenstickstoff-Eisen (fer
                                 azoto-carburé) angenommen, weil sie meine Ansicht über die
                              Konstitution dieses Körpers, worin sehr geringe Antheile von Metalloid in so hohem
                              Grade die Eigenschaften des Stabeisens modificiren, gut ausdrückt.
                           ––––––––––
                           Nach dem Vortrage vorstehender Abhandlung in der Akademie der Wissenschaften bemerkte
                              Dumas, daß die Theorie der Stahlerzeugung jetzt
                              festgestellt zu seyn scheint und zu großen praktischen Konsequenzen führen dürfte.
                              Wenn es sich z.B. darum handelt, bloß die Oberfläche oder die Schneide gewisser
                              Instrumente oder Werkzeuge aus Schmiedeeisen zu Härten, so wird man sie, nachdem sie
                              im Zustande von Stabeisen durch Schmieden und Feilen in die erforderliche Gestalt
                              gebracht worden sind, in einem Strom von Ammoniakgas und von kohlenstoffhaltigem
                              Gase (Leuchtgas) mehr oder weniger tief verstöhlen. Die Tiefe der Stahlschicht läßt
                              sich durch die Dauer dieses Cementirens in Gasen mit
                              einer Sicherheit reguliren, welche man durch Anwendung des Cementirpulvers oder des
                              Horns und der
                              thierischen Stoffe beim sogenannten Einsetzen niemals erzielen kann. Wir müssen es
                              jedoch Hrn. Fremy überlassen, die Vortheile
                              auseinanderzusetzen und zu verfolgen, welche sich aus dem neuen Verfahren zur
                              methodischen und regulirbaren Stahlerzeugung ziehen lassen.
                           
                        
                           Bemerkungen von Chevreul.
                           Nachdem einige Mitglieder der Akademie die Ansicht geäußert hatten, daß das Roheisen
                              eine von derjenigen des Stahls verschiedene Zusammensetzung haben könne, theilte Chevreul zwei Bemerkungen mit, wovon die eine das graue
                              Roheisen, die andere die Zusammensetzung des Stahls betrifft.
                           Ueber das graue Roheisen. – Am Ende des letzten Jahrhunderts (1799)
                              beobachtete Proust, daß wenn man das graue Roheisen mit
                              schwacher Schwefelsäure behandelt, eine ölige Substanz gebildet wird, wovon ein
                              Theil durch das Wasserstoffgas mitgerissen wird und die Röhren des Apparats fettig
                              macht, während der andere Theil dem schwarzen Rückstand beigemengt bleibt, aus
                              welchem man ihn mittelst Alkohol ausziehen kann. Ich habe bei mehreren Gelegenheiten
                              diese Beobachtung als Beispiel citirt, daß es möglich ist durch die chemischen
                              Kräfte Verbindungen hervorzubringen, welche denjenigen der organischen Natur analog
                              sind. Da ich längst durch angestellte Versuche wußte, daß der Wasserdampf bei seiner
                              Einwirkung auf die Holzkohle außer der Kohlensäure oder dem Kohlenoxyd nur
                              Wasserstoff gibt, und nicht Kohlenwasserstoff, wie man glaubteMan s. meine Leçons de Chimie appliquée
                                       à la teinture, p. 23 et 24., so konnte ich nicht wohl annehmen, daß sich der Kohlenstoff des Roheisens
                              mit dem Wasserstoff in dessen Entbindungsmoment vereinigen kann; ich vermuthete
                              daher, daß bei dem Versuche von Proust außer dem
                              Kohlenstoff und Wasserstoff gleichzeitig Wasser bei der Erzeugung der öligen
                              Substanz eine Rolle spielt. Nun scheinen mit Fremy's
                              Beobachtungen über den Stahl diesen Gegenstand aufzuklären, indem daraus hervorgeht,
                              daß nicht Kohlenstoff, wie wir uns denselben bisher dachten, die Bildung der fetten
                              Substanz veranlaßt.
                           Zusammensetzung des Stahls. – Früher schrieb man
                              den Unterschied zwischen Stahl und Stabeisen der Gegenwart einiger Tausendtheile
                              Kohlenstoff im Stahl zu; später lernte man den Einfluß kennen, welchen verschiedene
                              Körper auf die Eigenschaften des Stahls haben, besonders durch die Versuche von Verthier mit Chrom, und durch diejenigen von Faraday und Stodart mit
                              Aluminium, Platin und den anderen Metallen des Platinerzes; als sehr wichtig erschien mit aber immer die
                              Thatsache, daß Faraday und Stodart durch Schmelzen des Stabeisens mit einigen Procenten Iridium und
                              Osmium einen Stahl erhielten, worin sie bei der Analyse keine Spur von Kohlenstoff
                              fanden.
                           Indem ich die Frage bei Seite ließ, ob der Stahl eine unbestimmte Verbindung von
                              Eisen mit einem oder mehreren einfachen Körpern ist, die in der ganzen Stahlmasse
                              vertheilt ist, oder eine bestimmte Verbindung von Eisen mit einem oder mehreren
                              einfachen Körpern, welche in unbestimmtem Verhältniß in dem überschüssig vorhandenen
                              Eisen vertheilt ist, schloß ich aus den vorher erwähnten Thatsachen, daß man in
                              einem Handbuch der Chemie den Stahl im Allgemeinen nicht als einen durch die Natur
                              seiner wesentlichen Bestandtheile bestimmten Körper betrachten sollte, sondern als
                              einen besondern Zustand des Eisens, welcher durch die
                                 Vereinigung dieses Metalls mit Körpern von verschiedenartiger Natur
                                 hervorgebracht wird. Nachdem ich, abgesehen von aller wissenschaftlichen
                              Betrachtung, den Stahl als Eisen, welches sich durch Ablöschen
                                 in Wasser Härten läßt, definirt hatte, unterschied ich, jener Ansicht
                              entsprechend, in meinen im I. 1829 gedruckten Leçons
                                 de Chimie appliquée à la teinture, p. 29 folgende Arten von
                              Stahl:
                           1) Stahl gebildet aus Eisen und Kohlenstoff;
                           2) Stahl gebildet aus Eisen, Kohlenstoff und einem dritten Körper;
                           3) Stahl gebildet aus Eisen und einem andern Körper, welcher nicht Kohlenstoff ist,
                              oder Stahl ohne Kohlenstoff.
                           Die Resultate von Fremy's interessanten Versuchen über den
                              Stahl lassen sich an unser bisheriges Wissen leichter anknüpfen, wenn man sich auf
                              meinen eben auseinandergesetzten Gesichtspunkt stellt, anstatt sie aus dem
                              gewöhnlichen Gesichtspunkt zu betrachten.
                           Es ist nun von Wichtigkeit zu erfahren 1) ob es wahr ist, wie Guyton behauptete, daß man das Stabeisen mit Diamantpulver in Stahl
                              verwandeln kann, und 2) ob in diesem Falle die Stahlbildung ohne Dazwischenkunft des
                              Stickstoffs stattfindet.
                           
                        
                           Erwiederung von Fremy.
                           Ich wollte mich in vorstehender Abhandlung auf die Frage beschränken, welchen Einfluß
                              der Stickstoff und der Kohlenstoff auf die Eigenschaften des Stabeisens ausüben,
                              aber alle Fragen welche für die Fabrication des Stahls und des Roheisens von
                              Wichtigkeit sind, werden seit langer Zeit in meinem Laboratorium einem vollständigen
                              Studium unterzogen, daher ich der Akademie nach einander Mittheilungen über folgende Punkte machen
                              werde:
                           1) relative Verhältnisse von Stickstoff und Kohlenstoff, welche man mit dem Stabeisen
                              vereinigen muß, um einen guten Stahl zu erzeugen;
                           2) Umstände welche sich der Stahlbildung widersetzen oder die Güte eines schon
                              gebildeten Stahls vermindern;
                           3) Eindringungsweise des Kohlenstoffs in die Metallmasse;
                           4) Erklärung des Einflusses der so geringen Mengen von Kohlenstoff und Stickstoff,
                              welche das Stabeisen in Roheisen oder in Stahl umwandeln;
                           5) Studium der Stahlarten, welche Metalle enthalten, wie Mangan, Chrom, Wolfram,
                              Aluminium etc.;
                           6) Classification der Roheisensorten; Untersuchung der Rolle welche darin das
                              Silicium, der Phosphor, Arsenik und Schwefel spielen; Studium des Roheisens, welches
                              sich am besten zur Puddelstahl-Fabrication eignet.