| Titel: | Ueber das sogenannte Krystallinischwerden des Schmiedeeisens; von Dr. Ad. Gurlt, Berg- und Hütteningenieur. | 
| Fundstelle: | Band 160, Jahrgang 1861, Nr. XLII., S. 131 | 
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                        XLII.
                        Ueber das sogenannte Krystallinischwerden des
                           Schmiedeeisens; von Dr. Ad.
                              Gurlt, Berg- und Hütteningenieur.
                        Gurlt, über das sogenannte Krystallinischwerden des
                           Schmiedeeisens.
                        
                     
                        
                           Im Herbste vorigen Jahres machte Sir William Armstrong,
                              der Erfinder eines in England hochgeschätzen Systems schmiedeeiserner gezogener
                              Kanonen, in einem aus Elswick datirten Briefe seine Ansichten über die
                              Structurveränderungen des Schmiedeeisens bekannt, welche aus den Chemical News im polytechn. Journal Bd. CLVIII S. 416 mitgetheilt wurden. Armstrong hat seit vier Jahren die Ursachen zu ergründen
                              gesucht, welche die Structurveränderung des Schmiedeeisens und mit ihr die
                              Verminderung der Cohäsion und Festigkeit desselben veranlassen. Man suchte bisher
                              allgemein den Grund der Festigkeitsverminderung in der unter gewissen Verhältnissen
                              des Druckes und der wiederholten Erschütterungen stattfindenden Krystallisation im
                              Innern der festen Eisenmasse, und brachte diese Krystallisation und den Verlust an
                              Festigkeit in Zusammenhang. Armstrongs Bemühungen waren
                              daher darauf gerichtet, diese Krystallisation, welche um so leichter eintritt, je
                              reiner (?) das Eisen ist, zu verhindern, und er glaubt den Zweck dadurch erreicht zu
                              haben, daß er dem Eisen
                              Zusätze gibt, welche dasselbe verunreinigen. Um des Erfolges sicher zu seyn, meint
                              Armstrong, müsse man zunächst zwei Fragen
                              beantworten, nämlich: 1) gibt es eine leichte und praktische Methode die Reinheit
                              des Eisens zu untersuchen; 2) welche Substanz verhindert am sichersten die
                              Krystallisation des Eisens? Der ersten Frage legt Armstrong eine große Wichtigkeit bei, weil es nach ihrer Beantwortung
                              leicht sey, alles reine Eisen vom Gebrauch in gefährlichen Fällen auszuschließen
                              (!), während wir uns bisher immer bemüht haben, ein recht reines Eisen für alle
                              solche Fälle zu erzielen, in denen eine große Festigkeit verlangt wird. Diese Frage
                              beantwortet er nun dahin, daß es allerdings eine solche Methode gibt; es sey die
                              folgende: reines Eisen wird stark vom Magnet angezogen, verliert aber seinen
                              Magnetismus nach Entfernung des Magnets, es erlangt also keine Polarität; die
                              Gegenwart der geringsten Menge Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel, Phosphor oder
                              eines sonstigen Körpers ertheile dagegen dem Eisen die Eigenschaft, die magnetische
                              Polarität beizubehalten und dadurch von reinem Eisen unterschieden zu werden (?).
                              Nach dieser Methode hat A. das Eisen zu seinen Versuchen ausgewählt und hat sie
                              sicherer und leichter ausführbar, als jede chemische Untersuchung gefunden.
                           Wenn diese von Armstrong angegebene praktische
                              Prüfungsmethode wirklich richtig wäre, so würde sie sehr bequem seyn; leider beruht
                              sie aber, wie so viele andere sogenannten praktischen Methoden auf fehlerhaften
                              Beobachtugen und falschen Voraussetzungen. Zunächst hat er übersehen, daß jedes
                              sehnige Eisen, welches sich überhaupt schmieden läßt, wenigstens noch 1/4 Proc.
                              Kohlenstoff enthalten muß, daß also auch sein reinstes Eisen, welches den
                              Magnetismus leicht annimmt, immer noch in einem Sinne ein unreines Eisen ist, ferner
                              daß sich ungehärteter Stahl gegen den Magneten genau so verhält, wie weiches
                              sehniges Eisen, während sein Gehalt an Kohlenstoff mindestens 1 Proc. beträgt und
                              sich bis nahe an 2 Proc. erheben kann, ohne daß sich seine sonstigen physikalischen
                              Eigenschaften wesentlich änderten. Das Verhalten zum Magnet ist also bei beiden
                              gleich, trotzdem der Stahl 4–8 Mal mehr Unreinigkeiten (Kohlenstoff)
                              enthalten kann! Wenn aber nur die Unreinigkeiten dem Eisen die Eigenschaft
                              ertheilen, die magnetische Polarität beizubehalten, warum wird dasselbe welche
                              sehnige Schmiedeeisen, welches durch Streichen niemals ein Magnet wird, sofort
                              magnetisch-polarisch, sobald man es in den magnetischen Meridian einrichtet
                              und mit Hülfe von Erschütterungen durch fortgesetzte Hammerschläge durch den
                              Erdmagnetismus induciren läßt? Bei diesem Verfahren geht doch gewiß keine chemische
                              Veränderung vor sich und dennoch ist dasselbe Eisen bei gleichem Gehalte und
                              gleichen Unreinigkeiten
                              in dem einen Falle magnetisch-polarisch, in dem anderen nicht. Bekanntlich
                              nennt man die Kraft, welche den polarischen Magnetismus bedingt, Coercitivkraft und
                              kennt sie bei gehärtetem Stahl, gehärtetem grauen Roheisen und gehärtetem, d.h.
                              durch den Erdmagnetismus inducirtem Schmiedeeisen. Daß bei dem magnetisch inducirten
                              Schmiedeeisen aber wirklich eine Härtung eintritt, daß dasselbe also ebenfalls eine
                              Veränderung seines Molecularzustandes erleidet, wie der Stahl und das graue
                              Roheisen, wenn sie gehärtet werden, wird durch die interessante Beobachtung von Ruhmkorff in Paris bestätigt, daß weiches Eisen viel
                              schwieriger von der Feile im inducirten Zustande angegriffen wird, als wenn es mit
                              keinem Magnete in Berührung steht, daß es also im ersteren Falle wirklich eine
                              absolut größere Härte besitzt.Polytechn. Journal Bd. CLV S.
                                       317.
                              
                           Die Armstrong'sche Methode mit Hülfe des Magnets die
                              größere oder geringere Reinheit des weichen Eisens, seinen Gehalt an Kohlenstoff,
                              Schwefel, Phosphor, Kiesel zu erkennen, ist also nichts weiter, als eine
                              Selbsttäuschung.
                           Was die Beantwortung der zweiten Frage betrifft, durch welche Substanz die
                              Krystallisation des Eisens am besten verhindert werde, so hat Armstrong Kohlenstoff, Mangan, Kobalt, Zink, Chrom, Zinn und Nickel
                              versucht, jedoch dem letzten den entschiedensten Vorzug gegeben, weil die anderen
                              Elemente beim Puddeln verbrennen (?), und dem Eisen in keiner praktischen Weise
                              einverleibt werden können. Er hat es mit Zusäßen von 1/4–1 Proc. Nickel
                              versucht, Stäbe von 2' Länge und 1 Quadratzoll Querschnitt herzustellen, dieselben 6
                              Wochen lang anhaltenden Erschütterungen auszusetzen und glaubt bei späteren
                              Belastungsproben derselben Stäbe die Ueberzeugung gewonnen zu haben, daß das Nickel
                              die geeignetste Beimischung sey, um die Krystallisation des Eisens zu verhindern. Ob
                              aber in den Stäben überhaupt Nickel enthalten war (was wohl zu bezweifeln wäre),
                              wurde durch keine chemische Analyse festgestellt. Auf solche mangelhafte
                              Beobachtungen ist Armstrong's Theorie vom
                              Krystallinischwerden des Schmiedeeisens gegründet! Gegen die Wahrscheinlichkeit
                              derselben wurden in keiner Zeitschrift, welche sie mittheilte, Zweifel geäußert, was
                              von keinem großen Belange wäre, wenn nicht die Armstrong'sche Theorie zu Folgerungen führte, welche gemeingefährlich sind,
                              indem sie auffordert, gerade zu den Zwecken, zu welchen man bisher nur die besten
                              Eisensorten verwendete, solche zu nehmen, die durch Zusäße fremder Stoffe an
                              Festigkeit verloren haben.
                           
                           Es ist durch Karsten's und Anderer Untersuchungen bekannt,
                              daß die Festigkeit des Schmiedeeisens schon durch geringe Mengen fremder Stoffe
                              wesentlich beeinträchtigt wird. Bei einem Gehalte von 0,37 Proc. Kiesel tritt
                              vollkommener Faulbruch, bei 0,75–0,80 Proc. Phosphor vollkommener Kalkbruch
                              ein und bei 1 Proc. derselben ist es gar nicht mehr zu gebrauchen. Kupfer
                              verursacht, gerade wie Schwefel, schon bei 0,33 Proc. Rothbruch und ist für Stahl
                              noch verderblicher, während Mangan noch bis zu 1,85 Proc. in tadellosem Eisen
                              vorkommen kann. Wenn Angesichts solcher Thatsachen ein Mann, wie Armstrong, der sich durch Erfindung seiner Kanone einen
                              in England geachteten Namen erworben hat, den Vorschlag macht, die Krystallisation
                              des Schmiedeeisens durch Zusatz verunreinigender Substanzen zu verhüten, so zeigt er
                              nur, daß er von der eigentlichen Ursache der Festigkeitsverminderung durch
                              Körnigwerden des Schmiedeeisens keine Ahnung hat.
                           Daß die Structurveränderung des sehnigen Schmiedeeisens aber kein Act der
                              Krystallisation, sondern eine Wirkung der Elasticität des Eisens sey, habe ich
                              wiederholt unter Anderem vor einem Jahr in der Februarsitzung der niederrheinischen
                              Gesellschaft für Natur und Heilkunde zu Bonn (vergl. Sitzungsberichte S. 28 und
                              Berggeist 1860 Nr. 19, 21, 22) ausgesprochen. Diese Structurveränderung kommt aber
                              nur bei Schmiedeeisen von fadiger oder sehniger Textur vor, die eben nur durch
                              gewaltsames Verzerren der Eisenkrystalle nach einer Richtung mit Hülfe von Walzen
                              oder Hämmern hervorgebracht werden kann. Ich habe gezeigt, daß diese gewaltsam
                              gedehnten Krystalle vermöge der ihnen innewohnenden Elasticität das Bestreben haben
                              müssen, sich in ihre ursprüngliche Form zurückzuziehen, und daß sie hierzu jede
                              ihnen gebotene Auflockerung der Eisenmasse benutzen. Diese Auflockerung kann
                              vorzüglich durch drei Mittel geschehen, durch welche sehniges Eisen jedesmal
                              unfehlbar körnig wird und an Festigkeit verliert, nämlich durch anhaltende
                              Erwärmung, anhaltende Stöße und einen anhaltenden galvanischen Strom.
                           Wenn nun überhaupt nur sehniges Schmiedeeisen dieser durch die Elasticität bedingten
                              Molecularveränderung unterworfen ist, welche oft gefährlich werden kann, so soll man
                              zu solchen Zwecken, bei denen durch die Festigkeitsverminderung und
                              Structurveränderung überhaupt Gefahr möglich ist, niemals fadiges oder sehniges
                              Schmiedeeisen, sondern immer körniges oder Feinkorneisen anwenden, welches ja die
                              heutige Metallurgie so vollkommen gut zu bereiten gelehrt hat, wenn nicht Stahl, der
                              diesen Veränderungen gar nicht unterworfen ist, den Vorzug verdient. Niemals aber
                              sollte man es wagen, dem Armstrong'schen Vorschlage zu
                              folgen, und wie er
                              selbst sagt: in gefährlichen Fällen alles reine Eisen ausschließen! (Aus dem
                              Berggeist.)