| Titel: | Ueber die Diffusion von Flüssigkeiten und ihre Anwendung zur Analyse; von Thomas Graham. | 
| Fundstelle: | Band 162, Jahrgang 1861, Nr. LXVII., S. 224 | 
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                        LXVII.
                        Ueber die Diffusion von Flüssigkeiten und ihre
                           Anwendung zur Analyse; von Thomas
                              Graham.
                        Aus den Comptes rendus, August 1861, t. LIII p.
                              275.
                        Graham, über die Diffusion von Flüssigkeiten und ihre Anwendung zur
                           Analyse.
                        
                     
                        
                           Die ungleiche Diffusibilität der verschiedenen Substanzen in Wasser scheint die
                              Möglichkeit zu bieten, darauf ähnliche Trennungsmethoden zu gründen, wie schon längst auf
                              die ungleiche Flüchtigkeit. Auch bei der Diffusion gibt es nämlich eine Classe flüchtiger und eine solche nicht
                                 flüchtiger Substanzen, und diese Verschiedenheiten beruhen offenbar auf
                              fundamentalen Unterschieden in der Molecularconstitution der Körper. Es ist ein
                              schätzbarer Charakter der Diffusion, daß sie Mittel liefert, die unterscheidenden
                              Eigenschaften zweier anscheinend großen Abtheilungen chemischer Substanzen klar
                              festzusetzen und einem numerischen Ausdruck zu unterwerfen.
                           Die erste Classe, die der diffusiven Substanzen, ist
                              charakterisirt durch ihre Neigung zum Krystallisiren, sey es für sich oder in
                              Verbindung mit Wasser. Sind diese Substanzen in Wasser gelöst, so werden sie mit
                              einer gewissen Kraft vom Lösungsmittel zurückgehalten, und üben durch ihre Gegenwart
                              einen Einfluß auf die Flüchtigkeit des Wassers aus. Die Lösung ist im Allgemeinen
                              nicht schleimig und hat immer Geschmack. Diese Substanzen zeichnen sich durch ihre
                              kräftigen und raschen Reactionen aus. Dieß ist die Classe der Krystalloïde.
                           Die andere Classe, von schwacher Diffusibilität, kann man die der Colloïde nennen; als ihr Typus ist die thierische
                              Gallerte zu betrachten. Diese Substanzen haben keine oder nur eine schwache Neigung
                              zum Krystallisiren und ihre Structur ist glasartig. Die harten und spröden
                              Krystallflächen sind bei den Colloïden durch abgerundete Umrisse mit mehr
                              oder weniger weicher und zäher Textur ersetzt. Das Krystallwasser ist bei ihnen
                              durch Gelatinirungswasser ersetzt. Die Colloïde werden nur durch eine
                              schwache Kraft in Lösung erhalten; sie haben nur einen geringen Einfluß auf die
                              Flüchtigkeit des Lösungsmittels. Aus ihren Lösungen werden sie durch Zusatz von
                              Krystalloiden gefällt. Im concentrirten Zustande haben die Lösungen der
                              Colloïde stets einen gewissen Grad von gummiger Schleimigkeit. Dieselben sind
                              geschmacklos, wenn sie nicht im Gaumen eine Zersetzung erleiden und schmeckende
                              Krystalloïde erzeugen. Ihre starren Hydrate sind gallertartige Körper. Ihre
                              Verwandtschaft zum Wasser ist gering, und dieß gilt auch für die Verbindungen von
                              einem Colloïd mit einem Krystalloïd, selbst wenn letzteres ein
                              kräftiges Agens in seiner eigenen Classe ist, z.B. eine Base. Bei chemischen
                              Reactionen erscheint das Krystalloïd als die thätige (wirksame) und das
                              Colloïd als die leidende (träge) Form der Materie. Das Aequivalent des
                              Colloïds scheint immer hoch zu seyn; es hat ein schweres Molecul. Zu den
                              Colloïden gehören das Kieselsäurehydrat und eine Anzahl bis jetzt wenig
                              bekannter löslicher Hyperoxydhydrate der Metalle, ferner Stärkmehl, die pflanzlichen
                              Gummiarten, Dextrin, Caramel, Gerbstoff, Eiweiß, thierische und pflanzliche
                              Extractivstoffe. In Folge ihrer eigenthümlichen Structur und ihrer chemischen
                              Indifferenz scheinen sie sich dem thierischen Organismus leicht anzupassen, dessen
                              plastische Elemente sie bilden.
                           Obwohl die besprochenen beiden Classen von Substanzen durch ihre Eigenschaften scharf
                              geschieden sind, scheint doch ein vollkommener Parallelismus zwischen ihnen zu
                              bestehen. Ihr Daseyn in der Natur scheint eine entsprechende Eintheilung der Chemie
                              in eine krystalloïde und eine colloïde zu erfordern.
                           Obwohl die Colloïde in gewöhnlichem Sinne chemisch unwirksam sind, besitzen
                              sie doch eine ihnen eigene verhältnißmäßige Thätigkeit, welche aus ihren
                              physikalischen Eigenschaften entspringt. Während die Starrheit der krystallinischen
                              Structur äußere Eindrücke ausschließt, nähert sich die Weichheit der gallertartigen
                              Colloïde der Fluidität, und ein Colloïd wird dadurch fähig ein Medium
                              für flüssige Diffusion zu werden, wie Wasser selbst. In denjenigen Colloïden,
                              welche bei hoher Temperatur noch bestehen können, erreicht diese Durchdringlichkeit
                              die Form einer Cementirbarkeit. Aus diesem Grunde sind die Colloïde so sehr
                              empfindlich für äußere Agentien. Eine andere charakteristische Eigenschaft der
                              Colloïde ist ihre Veränderlichkeit. Ihr Daseyn ist eine beständige Metastase.
                              In dieser Hinsicht läßt sich ein Colloïd mit Wasser im Zustand der
                              Flüssigkeit unterhalb seines gewöhnlichen Gefrierpunktes oder mit einer
                              übersättigten Salzlösung vergleichen. So kann man z.B. eine Lösung von
                              Kieselsäurehydrat leicht im Zustande der Reinheit erhalten, aber nicht aufbewahren;
                              in einer zugeschmolzenen Glasröhre kann sie tage- oder wochenlang flüssig bleiben,
                              aber sicher gelatinirt sie zuletzt. Die Veränderung derselben bleibt nicht einmal
                              dabei stehen, denn die aus Wasser abgelagerten mineralischen Formen der Kieselsäure,
                              wie Feuerstein, scheinen während der geologischen Perioden ihres Daseyns aus dem
                              glasigen oder colloïdalen Zustande in den krystallinischen übergegangen zu
                              seyn (H. Rose). Der colloïdale Zustand der Materie
                              ist in der That ein dynamischer, der krystalloïdische dagegen ein statischer.
                              Das Colloïd besitzt Kraft oder Wirksamkeit (energia); es läßt sich betrachten als die wahrscheinliche primitive Quelle
                              der Kraft, welche sich in den Lebenserscheinungen äußert, als lebende Materie ohne Form. Auf die allmählich eintretenden Veränderungen
                              der Colloïde (denn sie erfordern dazu stets Zeit) kann die chemische Natur
                              und Periodität der Lebenserscheinungen schließlich bezogen werden.
                           Zur gegenseitigen Trennung ungleich diffusiver Krystalloïde hat man die
                              Diffusion in cylindrischen Glasgefäßen benutzt. Die gemischte Lösung wurde mittelst
                              einer Pipette auf den Boden einer Wassersäule gebracht, die in einer cylindrischen
                              Glasflasche enthalten war. Es tritt eine Art Cohobation ein, indem eine Portion der diffusivsten
                              Substanz aufsteigt und sich von der weniger diffusiven trennt.
                           Ein Krystalloïd trennt man von einem Colloïd am besten, indem man die
                              Diffusion mit der Wirkung einer Scheidewand verbindet, welche aus einer unlöslichen
                              colloïdalen Substanz besteht. Man kann hierzu thierische Membran,
                              Gallertehydrat, Eiweiß oder thierischen Schleim anwenden; die wirksamste Scheidewand
                              ist aber das durch Schwefelsäure metamorphisirte Papier, das sogenannte Pergamentpapier. Ich machte aus Gutta-percha einen
                              flachen Reif von 8 bis 10 Zoll Durchmesser und 3 Zoll Höhe, und überzog denselben an
                              einer Seite mit Pergamentpapier, so daß ein siebartiges Gefäß gebildet wurde. Auf
                              diese Scheidewand goß ich eine gemischte Lösung, z.B. von Gummi und Zucker, bis zur Höhe eines haben
                              Zolles, und ließ dann das Instrument auf einer beträchtlichen Menge Wassers
                              schwimmen, die in einem Becken enthalten war. Innerhalb 24 Stunden diffundirten drei
                              Viertel des Zuckers, und so frei von Gummi, daß er von Bleiessig kaum getrübt ward
                              und bei Verdunstung des (außerhalb des Instruments befindlichen) Wassers auf einem
                              Sandbade krystallisirte.
                           Die ungleiche Wirkung der Scheidewand, welche diese Trennung hervorbrachte, scheint
                              auf Folgendem zu beruhen. Der krystalloïdische Zucker vermag aus der
                              wasserhaltigen colloïdalen Scheidewand Wasser auszuziehen und erhält somit
                              ein Medium für die Diffusion; das colloïdale Gummi hingegen vermag das Wasser
                              derselben Scheidewand wenig oder gar nicht abzusondern, und öffnet daher nicht die
                              Thür zu seiner Entweichung durch Diffusion, wie es der Zucker thut. Diese trennende
                              Wirkung der colloïdalen Scheidewand kann man mit dem Namen Dialyse bezeichnen.
                           Ich habe die Dialyse zur Darstellung verschiedener Colloïde angewandt. Ich
                              brachte z.B. die gemischte Lösung, welche man durch Eingießen von kieselsaurem
                              Natron in mit Salzsäure angesäuertes Wasser erhält, auf die oben erwähnte
                              Scheidewand von Pergamentpapier, und ließ sie in Wasser diffundiren, welches
                              mehrmals erneuert wurde. Nach Verlauf von fünf Tagen fanden sich sieben Achtel der
                              angewandten Kieselsäure im flüssigen Zustand auf der Scheidewand, und so frei von
                              Salzsäure und Chlornatrium, daß sie keinen Niederschlag mit saurem salpetersaurem
                              Silber gaben. Gewöhnliches Thonerdehydrat und die von Crum entdeckte Modification desselben (Al² O³, 2HO), wurden
                              durch dialysirende Lösungen dieser Oxyde in dem Chlorid und dem Acetat desselben
                              Metalles löslich erhalten. – Die Varietäten des Berlinerblaus wurden durch Dialysirung ihrer Lösung in kleesaurem Ammoniak im löslichen Zustande erhalten, wobei das letztere Salz
                              fortdiffundirte.
                           Eine Lösung von arabischem Gummi (gummisaurem Kalk), nach Zusatz von Salzsäure
                              diffundirt, gab sofort die reine Fremy'sche Gummisäure.
                              Eiweiß erhielt ich löslich im Zustande der Reinheit, indem ich es mit einem Zusatz
                              von Essigsäure diffundirte.
                           Caramel von Zucker, durch wiederholte Fällung mit Alkohol und nachherige Dialyse
                              gereinigt, enthält mehr Kohlenstoff als irgend einer der von Gélis untersuchten caramelartigen Körper; er bildet im
                              concentrirten Zustande eine zitternde Gallerte und erscheint entschieden
                              colloïdal. Der Caramel hat, wie alle Colloïde, eine lösliche und eine
                              unlösliche Modification. Die letztere wird wieder löslich durch successive Wirkung
                              von Alkali und Essigsäure, und nachherige Dialyse.
                           Die Dialyse erweist sich höchst nützlich zur Abscheidung der
                                 arsenigen Säure und anderer Metallgifte von organischen Flüssigkeiten.
                              Entfasertes Blut, Milch und andere organische Flüssigkeiten, mit einigen
                              Milligrammen arseniger Säure versetzt und auf die Scheidewand von Pergamentpapier
                              gebracht, theilten den größeren Theil der arsenigen Säure im Verlauf von 24 Stunden
                              dem Wasser außerhalb des Siebes mit. Das Diffusat war so frei von organischer
                              Substanz, daß man die arsenige Säure daraus leicht durch Schwefelwasserstoff fällen
                              und quantitativ bestimmen konnte.
                           Das Eis scheint bei seinem Schmelzpunkt oder in der Nähe desselben eine
                              colloïdale Substanz zu seyn, und zeigt einige Aehnlichkeit mit fester
                              Gallerte hinsichtlich der Elasticität und der Neigung zu spalten und beim Contact
                              sich wieder zu vereinigen.
                           Die Betrachtung der Eigenschaften gelatinöser Colloïde scheint zu zeigen, daß
                              die Osmose im Wesentlichen eine Dehydration der gelatinösen Scheidewand unter
                              Einflüssen von katalytischem Charakter ist, und daß das Phänomen nicht auf Diffusion
                              beruht. Die colloïdale Scheidewand vermag sich beim Contact mit reinem Wasser
                              stärker zu hydratiren als beim Contact mit alkalischer Lösung. Colloïdale
                              Scheidewände, die in Folge des Contactes mit verdünnter Säure oder verdünntem Alkali
                              angeschwollen sind, scheinen durch ihren ungewöhnlich hohen Grad von Hydratirung
                              eine größere Empfindlichkeit für die Osmose zu erlangen.