| Titel: | Verfahrungsarten bei der Gewinnung von Ammoniak aus Harn und aus dem Condensationswasser der Gasfabriken. | 
| Fundstelle: | Band 166, Jahrgang 1862, Nr. XLVIII., S. 201 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        XLVIII.
                        Verfahrungsarten bei der Gewinnung von Ammoniak
                           aus Harn und aus dem Condensationswasser der Gasfabriken.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              IV.
                        Verfahrungsarten bei der Gewinnung von Ammoniak aus Harn und aus
                           dem Condensationswasser der Gasfabriken.
                        
                     
                        
                           Die Bereitung von Ammoniaksalzen aus gefaultem Harn gründet sich auf die Flüchtigkeit
                              des darin enthaltenen kohlensauren Ammoniaks und auf die daraus folgende
                              Möglichkeit, dasselbe durch Destillation von der Flüssigkeit zu trennen. Der von Figuera construirte und in dessen Fabrik in Bondy bei
                              Paris angewendete Destillationsapparat verdient auch in Deutschland bekannt zu
                              werden, da seltsamer Weise selbst die neuesten Werke über chemische Producte aus
                              Thierabfällen über die Verwerthung des Harns auf Ammoniaksalze schweigen. Der Inhalt
                              der Latrinen und Cloaken von Paris wird in la Villette deponirt und von da aus
                              mittelst colossaler Pumpen in ein Leitungsrohr getrieben, welches, mit dem Quercanal
                              parallel laufend, in der Entfernung von einigen Kilometern in die großen Reservoirs
                              mündet, die in der Nähe von Bondy, mitten im Walde gleichen Namens, liegen. Nach
                              längerer oder kürzerer Zeit scheidet sich in diesen Reservoirs ein fester Rückstand
                              ab, der nach der Gährung und dem Trocknen unter dem Namen Poudrette in den Handel
                              geht. Die über diesem Absatz stehende Flüssigkeit zapft man in andere Bassins ab,
                              nachdem sie sich vollständig geklärt hat. Man nennt diese Flüssigkeit Eaux vannes; wir wollen sie Gülle nennen. So wie
                              dieselbe in die Bassins kommt, enthält sie nur kleine Mengen von Ammoniak, das aber
                              in großer Menge sich bildet, sobald die Flüssigkeit in Fäulniß tritt, was sehr bald
                              der Fall ist. Nach etwa einem Monat ist die Fäulniß beendigt und die Gülle kann zur
                              Fabrication der Ammoniaksalze verwendet werden. Das durch die Fäulniß entstandene
                              kohlensaure Ammoniak wird durch Erhitzen verflüchtigt und der Dampf in eine saure
                              Flüssigkeit geleitet. Der hierzu angewendete Apparat von Figuera besteht wesentlich aus einem Dampfkessel, dessen Dampf in zwei
                              große Blechgefäße strömt, die er erhitzt und aus welchen er das kohlensaure Ammoniak
                              austreibt, das die darin enthaltene Gülle enthält; das kohlensaure Ammoniak
                              verdichtet sich zunächst in dem bleiernen Schlangenrohr eines Kühlapparates und
                              gelangt endlich in eine saure Flüssigkeit, wodurch es in schwefelsaures Ammoniak
                              übergeführt wird. Fig. 43 zeigt die Einrichtung dieses Apparates. A ist ein großes Holzgefäß, das 250 Hektoliter Gülle faßt und mittelst des
                              Rohrs h gefüllt wird; C und
                              C'
                               sind zwei Blechgefäße
                              mit einer Capacität von je 100 Hektolitern, P und P' sind kleine ähnliche Gefäße, deren Bestimmung unten
                              gesagt werden wird. Zunächst wird der Dampfkessel W,
                              welcher 130 Hektoliter faßt, mit der (durch die vorige Destillation fast
                              erschöpften) Flüssigkeit aus C und C' gefüllt; sie enthält noch geringe Mengen von
                              Ammoniaksalzen und hat außerdem eine so hohe Temperatur, daß die Operation
                              ununterbrochen fortgehen kann. In die Gefäße C und C' füllt man die in dem Bottich A vorgewärmte Gülle. Ein von dem Boden des Bottichs A ausgehendes Rohr h' führt die Gülle nach C, und ein zweites Rohr h''
                              die Gülle von C nach C',
                              worauf A mit neuer Gülle gespeist wird. Der Dampfkessel
                              ist mit drei Röhren versehen; T ist das
                              Dampfleitungsrohr und hat den größten Durchmesser; das Rohr m geht in den Kessel bis auf einige Centimeter vom Boden herab und erhebt
                              sich bis über die Bedachung der Fabrik; u ist ein
                              Sicherheitsrohr und zeigt zugleich durch Emporsteigen von Schaum an, wenn die
                              Flüssigkeit im Dampfkessel bis zur unteren Mündung des Rohres m gefallen ist; n endlich ist ein gewöhnliches
                              mit Hahn versehenes Rohr.
                           Nachdem die Gülle in die verschiedenen Gefäße vertheilt worden ist, wird der
                              Dampfkessel geheizt; der sich entwickelnde Dampf geht durch das Rohr T und nimmt die kleinen Mengen Ammoniak mit sich, welche
                              die Flüssigkeit im Dampfkessel noch enthielt. Der Dampf geht zunächst nach C, erhöht nach und nach die Temperatur der darin
                              befindlichen Flüssigkeit und entwickelt daraus kohlensaures Ammoniak, welches
                              vermittelst des Rohres t in das kleine Gefäß P entweicht. Die Function dieses kleinen Apparates ist
                              folgende: Der in C einströmende Dampf bewirkt ein Wallen
                              der Flüssigkeit und eine beträchtliche Schaumbildung, deren Größe von dem Grade des
                              Siedens abhängig ist. Unter normalen Verhältnissen steigt der Schaum in dem Rohr t empor und darf selbst in P
                              eine gewisse Höhe erreichen, das Gefäß aber nie anfüllen, weil sonst zu fürchten
                              wäre, daß er in das Rohr T' steigen und die Flüssigkeit
                              in C' verunreinigen würde. Um zu sehen, wie hoch der
                              Schaum in dem Gefäße P steht, nimmt der Arbeiter von
                              Zeit zu Zeit einen der drei Holzpfropfen heraus, die drei Oeffnungen in
                              verschiedener Höhe an der Seite verschließen, und beobachtet, durch welche der
                              Oeffnungen der Schaum ausfließt. Hält er den Gang der Operation für zu rasch, so
                              mäßigt er das Feuer unter dem Kessel.
                           Aus dem Gefäß P geht der Dampf, der schon viel
                              kohlensaures Ammoniak enthält, durch T'' nach C', wo er auf die nämliche Weise wirkt wie in C, entweicht durch das Rohr t', passirt durch das zweite Probegefäß P' und
                              geht von da mittelst des Rohres T'' in das Bleirohr des
                              Kühlapparates, wo er
                              durch die Gülle, die das Schlangenrohr umgibt, abgekühlt und condensirt wird. Die
                              verdichteten Producte begeben sich durch das Rohr t'' in
                              einen mit Bleiplatten bekleideten Bottich, der die zur Sättigung des Ammoniaks
                              erforderliche Menge Schwefelsäure enthält.
                           Eine Destillation erfordert 12 Stunden; nach ihrer Beendigung wird der Dampfkessel
                              durch das Rohr v ausgeleert und sofort wieder mit Gülle
                              aus C und C' angefüllt,
                              worauf die Arbeit von Neuem beginnt. Der Ammoniakgehalt der in Bondy verarbeiteten
                              Gülle ist ein wechselnder und richtet sich nach der Jahreszeit, nach dem Alter der
                              Jauche u.s.w., im Durchschnitt aber wird angenommen, daß 1 Kubikmeter (= etwa 40
                              Kubikfuß) 9 bis 12 Kilogr. schwefelsaures Ammoniak liefern. Eine jede Destillation
                              liefert ungefähr 200 Kilogr. Da die Fabrik in Bondy elf Apparate hat, so producirt
                              sie täglich etwa 2500 Kilogr. (= 50 Ctr.) schwefelsaures Ammoniak, was einem Quantum
                              von 2500 bis 3000 Hektoliter Gülle entspricht. Die Verarbeitung des gefaulten Harns
                              ist deßhalb von großer Wichtigkeit und sie würde noch weit wichtiger seyn, wenn die
                              Agricultur von den dabei erzielten Ammoniaksalzen einen ausgedehnteren Gebrauch
                              machte, deren Preis 40 Fr. für den metrischen Centner (etwas über 9 Fl. rhein. für
                              den Zollcentner) nicht viel übersteigt, und wenn man in Paris jährlich nicht über
                              800,000 Kubikmeter Harn in den Gossen und Abzugscanälen verloren gehen ließe, die
                              ungefähr 7 bis 800000 Kilogr. schwefelsaures Ammoniak (=140 – 160000 Ctr.)
                              repräsentiren.
                           Um aus den Condensationswässern der Gasfabriken das Ammoniak zu gewinnen, wendet man
                              in Paris in mehreren Gasanstalten einen Apparat von Mallet an, welchem seiner Zweckmäßigkeit wegen die größte Verbreitung zu
                              wünschen ist. Er ist dem Apparat von Figuera sehr
                              ähnlich, nur von weit kleineren Dimensionen, weil das Condensationswasser viel
                              reicher an Ammoniak ist als die Gülle. Letztere liefert, wie oben gesagt, 9 bis 12
                              Kilogr. Sulfat per Kubikmeter, während das
                              Condensationswasser mindestens 50 Kilogr. ausgibt, so daß zur Herstellung von 100
                              Kilogr. dieses Salzes 20 Hektoliter Condensationswasser hinreichen, während von der
                              Gülle 100 Hektoliter (also das Fünffache) erforderlich sind. Fig. 44 zeigt den
                              Apparat. Er besteht aus drei staffelförmig übereinander stehenden gußeisernen
                              Kesseln C, C' und C''. C
                              steht direct über der Feuerung F und ist mit einem
                              Bleirohre T versehen, das vom Deckel des Kessels ausgeht
                              und in die Flüssigkeit des zweiten (eingemauerten) Kessels C' taucht, welche nach und nach erwärmt wird. Von C' geht ein Bleirohr T' nach dem dritten
                              Kessel C''. Jeder Kessel ist mit einem Mannloch und
                              einem Rührapparat A, A' und A'' versehen. Der dritte Kessel C'' steht vermittelst des Rohres T'' mit dem Schlangenrohr S
                              des Kühlapparates in Verbindung, in welchem kaltes Condensationswasser zum Kühlen
                              benutzt wird, das aus dem Reservoir B zuläuft und bei
                              M wieder abfließt. Aus dem Schlangenrohr S gehen die verdichteten und nicht verdichteten Producte
                              durch N in ein zweites Kühlrohr S', das ebenfalls durch Condensationswasser abgekühlt wird, von da in ein
                              Bleigefäß P, das mit einem Sicherheitsrohr versehen ist,
                              und endlich in ein flaches, mit Blei ausgefüttertes Gefäß, welches Schwefelsäure
                              enthält. Jeder der Kessel C und C' hat eine Capacität von 8 Hektolitern.
                           Stellen wir uns vor, der Apparat sey im Betrieb und das in C befindliche Condensationswasser habe bereits alles Ammoniak verloren, so
                              wird durch einen am unteren Theile des Kessels C
                              befindlichen Hahn die Flüssigkeit abgelassen und durch (zum Theil erschöpfte) aus
                              C' ersetzt; letzterer Kessel wird durch die
                              Flüssigkeit des dritten Kessels C'' gefüllt und in C'' Wasser aus den Kühlapparaten, welches dort bereits
                              vorgewärmt wurde, gepumpt. In diesen dritten Kessel kommt zugleich durch das
                              Mannloch eine gewisse Menge gelöschter und gesiebter Kalk, die dem sehr wechselnden
                              Gehalte des Condensationswassers an Ammoniakverbindungen entsprechen muß; die nach
                              C' und nach C herab
                              fließenden Wasser enthalten daher stets Kalk. Die Flüssigkeit in C wird durch das darunter befindliche Feuer bis zum
                              Sieden erhitzt; der Kalk zersetzt die letzten Antheile von kohlensaurem Ammoniak und
                              Schwefelammonium und bewirkt eine schwache Entwickelung von Ammoniakgas, welches mit
                              den sich entwickelnden Dämpfen in den Kessel C' gelangt;
                              von Zeit zu Zeit setzt ein Arbeiter den Rührapparat in Bewegung, um den Kalk
                              aufzurühren und dessen Ansetzen an den Boden des Kessels zu verhindern. Die
                              Flüssigkeit des zweiten Kessels C', sowohl durch die
                              Verbrennungsgase der Feuerung F, als auch durch die aus
                              C kommenden Dämpfe erhitzt, verhält sich ganz
                              ähnlich und sendet durch das Rohr T'' nach C'' ein Gemisch von Ammoniak mit Wasserdampf. In dem
                              dritten Kessel C'' findet derselbe Vorgang statt; die
                              flüchtigen Producte gelangen zunächst, wie oben gesagt, in die beiden Kühlapparate,
                              dann in das Bleigefäß P, welches man von Zeit zu Zeit
                              mit etwas Kalk versieht, um die letzten Spuren der Ammoniaksalze, welche sich der
                              Zersetzung in den Kesseln entzogen haben, zu zersetzen. Endlich gelangt das fast
                              reine Ammoniakgas in das Sättigungsgefäß R, dessen
                              Flüssigkeit nach geschehener Neutralisation zum Krystallisiren abgedampft wird. (Aus
                              dem Dictionnaire de Chimie industrielle von Barreswil und Girard, durch
                              Wagner's Jahresbericht für chemische Technologie,
                              Jahrg. 1861.)
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
