| Titel: | Ueber ein neues System von Verdampfungs- und Destillations-Apparaten mit einfacher oder mehrfacher Wirkung; von L. Keßler. | 
| Fundstelle: | Band 168, Jahrgang 1863, Nr. XXXIII., S. 119 | 
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                        XXXIII.
                        Ueber ein neues System von Verdampfungs-
                           und Destillations-Apparaten mit einfacher oder mehrfacher Wirkung; von L. Keßler.
                        Aus den Comptes rendus, t. LVI p. 94.
                        Keßler, über ein neues System von Verdampfungs- und
                           Destillations-Apparaten.
                        
                     
                        
                           Das Charakteristische dieses Systems besteht in der ausschließlichen Anwendung des
                              Deckels des die Flüssigkeit enthaltenden Gefäßes zur Condensation der Dämpfe und
                              zugleich zur Abscheidung des Destillates.
                           Man denke sich ein erstes cylindrisches Gefäß mit Wasser, welches über dem Feuer
                              angebracht und an seinem oberen Rande mit einer Rinne versehen ist, die nach außen
                              eine Abflußröhre hat. Bedeckt man dieses Gefäß mit einem conischen, in die Rinne
                              passenden und mit einem verticalen Rande versehenen Deckel, so hat man, da dieser
                              durch aufgegossene Flüssigkeit gekühlt werden kann, den einfachsten Destillirapparat
                              nach diesem System.
                           
                           Die Dämpfe des erhitzten Wassers condensiren sich in Tropfen am Deckel; diese fließen
                              an dessen innerer Fläche in die Rinne und durch das Röhrchen aus.
                           Hierbei erhitzt sich bald das Wasser auf der Deckeloberfläche, verdampft und bewirkt
                              dadurch eine solche Abkühlung, daß die Condensation der Dämpfe des ersten Gefäßes
                              fortdauert.
                           Wenn man nun den Deckelrand mit einer Rinne wie derjenigen am unteren Gefäße
                              versieht, und auf ihn einen zweiten ähnlichen Deckel setzt, so entsteht ein Apparat
                              mit mehrfacher Wirkung.
                           Der Dampf der Flüssigkeit im ersten Deckel, welchen ich Wasserbad nennen will,
                              condensirt sich am oberen Deckel, dem eigentlichen Kühler, und erzeugt abermals
                              destillirtes, nach außen abfließendes Wasser; das hierdurch erhitzte im Kühler
                              enthaltene Wasser macht nun diesen zum Wasserbad und man kann eine abermalige
                              Wirkung mit derselben ursprünglichen Wärme erzielen u.s.w. Zur Vervollständigung des
                              Apparates gehört nur noch ein Ueberlaufrohr für jeden Behälter, um sie alle von der
                              oberen Schale aus cascadenartig und ununterbrochen zu speisen.
                           Natürlich kann eine solche Einrichtung, mit den erforderlichen Abänderungen, auch zur
                              Destillation in verdünnter oder verdichteter Luft dienen.
                           Ich habe zunächst das Condensirvermögen des Deckels bei dem beschriebenen System
                              bestimmt und gefunden, daß bei dem Apparat mit einfacher Wirkung und in freier Luft,
                              wenn man das Wasser bei 35 bis 40° C. wechselt, 1 Quadratdecimeter Kupfer von
                              1 Millimeter Dicke stündlich 1 Kilogr. Dampf condensirt, und daß, wenn man das
                              Wasser von 50 bis 55° wechselt, 1 Quadratdecimeter in derselben Zeit 1 1/2
                              Kilogr. condensirt.
                           Um nun die factischen Resultate eines mehrfach wirkenden Apparates mit den
                              theoretischen Daten zu vergleichen, habe ich einen Apparat mit vier Behältern
                              mehrere Stunden lang im Gang erhalten. Die verdampfende Oberfläche eines jeden
                              betrug 1300 Quadratcentimeter. Die erhaltenen Zahlenresultate sind folgende:
                           
                           
                              
                                 Verlustder Lampen
                                 Wasserverlustdes Apparates
                                 Wasserverlust von Stunde zu Stunde
                                 Von Stundezu Stunde
                                 
                              
                                 von Stundezu Stunde.
                                 von Stundezu Stunde.
                                 der 1stenSchale
                                 der 2tenSchale
                                 der 3tenSchale
                                 der 4tenSchale
                                 zugesetztesWasser von 15°
                                 
                              
                                 Grm.
                                 Kil.
                                 Grm.
                                 Grm.
                                 Grm.
                                 Grm.
                                 Kil.
                                 
                              
                                 300
                                 2,609
                                 835
                                 680
                                 610
                                 475
                                 1
                                 
                              
                                 240
                                 2,380
                                 720
                                 680
                                 480
                                 500
                                 2
                                 
                              
                                 210
                                 2,140
                                 740
                                 550
                                 410
                                 440
                                    1,5
                                 
                              
                                 ––––––––
                                 
                                 ––––––
                                 ––––––
                                 ––––––
                                 ––––––
                                 –––––––––––
                                 
                              
                                 750
                                 
                                   2,295
                                  1,910
                                  1,580
                                  1,415
                                    4,5
                                 
                              
                           
                              
                                 Fügt man
                                 0,455 Kil.
                                 für die Wassermenge hinzu, welche durch die Wärme verdampftworden,
                                    die zum Erhitzen des Wassers von 15° auf 80°, die
                                    mittlereTemperatur des Apparates, erforderlich war, so repräsentirt
                                    die
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 Summe
                                 
                              
                                 
                                 7,575 Kil.
                                 die Menge des verdampften Wassers.
                                 
                              
                           Die Wärmequelle bildeten auf einer Waage stehende Lampen mit einer Mischung von
                              Weingeist und Terpenthinöl. Den Verdunstungsverlust der Schalen ergab das Gewicht
                              des an den entsprechenden Rinnen gesammelten Wassers. Der ganze Apparat war an der
                              einen Seite einer Waage aufgehängt und ergab durch Differenz den Verlust der oberen
                              Schale. Das zugesetzte Wasser hatte 15° und war vorher gewogen.
                           Nimmt man nun an, daß die Arbeit des unteren Gefäßes dieselbe bleibt, man mag die
                              Operation an freier Luft oder anders vornehmen, so verhielt sich nach diesem
                              Ergebnisse die Verdampfung des ersten Gefäßes zu derjenigen des ganzen Apparates wie
                              2,295 : 7,575, also wie 1 : 3,29. Die Rechnung ergibt statt letzterer Zahl 3,35; die
                              Differenz rührt wahrscheinlich von dem Wärmeverlust durch die Wandungen her.
                           Obige Annahme ist leicht zu rechtfertigen. Ein Versuch mit dem unteren Gefäße allein
                              ergab nämlich für einen Verlust der Lampe von 180 Grm. einen solchen des Apparates
                              (ohne Zufluß) von 660; beide Zahlen stehen im Verhältniß von 1 : 3,66, was von der
                              Zahl 3,57 wenig abweicht, die sich aus dem Vergleich obiger Zahlen für das untere
                              Gefäß allein ergibt. Der Unterschied rührt davon her, daß sich letzteres um so mehr
                              erhitzt, je mehr Schalen aufgesetzt werden, wodurch die übertragene Wärme um ebenso
                              viel vermindert wird.
                           Wenn man bei diesem Systeme die Doppelböden oder die besonderen Leitungen für den Abzug der
                              Condensationswasser wegläßt, so gewinnt man für die mehrfache Wirkung nicht allein
                              die latente Wärme in dem beim Sieden gebildeten, sondern auch in dem beim einfachen
                              Verdunsten entstehenden Dampf, und außerdem die durch Strahlung, sowie größtentheils
                              die durch Berührung der Wandungen mit der äußeren Luft verloren gehende Wärme.
                           
                        
                           Hauptanwendungen dieses
                                 Systems.
                           1) In Laboratorien. – Ein einfachwirkender Apparat
                              auf freiem Feuer und mit abkühlendem Deckel ist die einfachste Destillirvorrichtung,
                              deren sämmtliche Theile leicht zugänglich und zu reinigen sind. Schaltet man mehrere
                              Wasserbäder ein, so kann man damit auf billige Weise destillirtes Wasser durch
                              Verdunstung in großer Menge erhalten, welches frei von den beim Kochen mitgerissenen
                              Theilen ist. Aehnliches gilt für andere Flüssigkeiten.
                           Dieser Verdampfungsapparat functionirt auch wie die analogen unter dem Siedepunkt;
                              während seines Erkaltens kann er dazu dienen, bei niedriger Temperatur die in der
                              Hitze sich verändernden Lösungen, wie solche von Atropin u.s.w., abzudampfen.
                           Ein porzellanener Apparat kann zum Eindampfen und Destilliren (unter Abhaltung des
                              Staubes und mit oder ohne Sieden) aller salzigen, sauren oder alkalischen Lösungen
                              dienen, ohne daß die Silicate angegriffen würden. Man kann damit über einer
                              Gasflamme continuirliche Krystallisationen bei bestimmten Temperaturen ausführen und
                              so neue Krystallformen und manchmal neue Verbindungen erhalten. So z.B.
                              krystallisirt das Kochsalz in der theilweise mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre
                              des Apparates nicht mehr in Pyramiden und an der Oberfläche, sondern am Boden und in
                              durchsichtigen Würfeln. Die Verdampfung einer Sodalösung gibt eine neue schön
                              krystallisirte Verbindung, deren Zusammensetzung der Formel NaO, CO² + HO
                              sehr nahe entspricht. Aehnlich werden sich noch viele andere Salze verhalten.
                           2) In der Industrie. – Die
                              Schwefelsäure-Fabrikanten mache ich aufmerksam, daß die Annahme dieses
                              Systems die Hälfte der Platin-Oberfläche erspart; nur die Blase braucht aus
                              Platin zu bestehen, den durch Wasser stets abgekühlten Helm kann man aus Blei
                              anfertigen.
                           Da ferner der Apparat die Verdampfung mit mehrfacher Wirkung beim atmosphärischen
                              Druck gestattet, so kann man denselben jederzeit öffnen und die abgedampften
                              Producte entleeren, also auch die Eindampfung der Salzsoole damit ausführen. Der
                              Verbrauch an Brennmaterial reducirt sich dabei, unter Anwendung dreier Schalen, auf
                              die Hälfte. Vier Schalen geben im unteren Gefäße kubisches Salz.
                           Sodafabriken werden mit Vortheil das oben erwähnte Salz mit 1 Aequivalent Wasser
                              gewinnen können. Dasselbe enthält bei gleichem Gewichte doppelt so viel Natron wie
                              die gewöhnliche krystallisirte Soda und ist sicherer von der erforderlichen Reinheit
                              zu erhalten. Man erkennt diese außer an seiner Krystallform daran, daß es weder die
                              Berührung mit feuchter Luft, noch diejenige mit etwa betrügerisch zugesetzten Salzen
                              (schwefelsaures Natron und gewöhnliche krystallisirte Soda), ohne trübe zu werden,
                              verträgt. Für den Verbrauch hat dieses Salz den Vortheil, trocken zu seyn und beim
                              Herausnehmen aus der Mutterlauge verpackt werden zu können; außerdem erfordert seine
                              Herstellung vermittelst des mehrfach wirkenden Apparates weniger Brennmaterial.
                           Kurz, diese Apparate mit abkühlenden und ableitenden Deckeln füllen eine Lücke in der
                              Reihe der bisher bekannten Abdampfapparate aus, deren keiner, bei einfacher Wirkung, einen Kühler entbehren, bei
                                 mehrfacher Wirkung aber keiner in freier Luft functioniren konnte, ohne die
                              Beigabe von Sicherheitsventilen, hermetischen Verschlüssen und complicirten
                              Einrichtungen, und wovon keiner eine continuirliche Krystallisation unter leichter
                              Entfernung der Producte ausführbar machte.