| Titel: | Ueber sogenannte feuchte Zucker; von Dr. J. Renner. | 
| Autor: | J. Renner | 
| Fundstelle: | Band 168, Jahrgang 1863, Nr. XLIV., S. 143 | 
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                        XLIV.
                        Ueber sogenannte feuchte Zucker; von Dr.
                           J. Renner.
                        Renner, über sogenannte feuchte Zucker.
                        
                     
                        
                           Ueber sogenannte feuchte Zucker – die Ergründung ihrer chemischen
                              Constitution, die Entstehung derselben oder vielmehr über die Ursachen, unter
                              welchen sie als fehlerhaftes Product der Zuckerfabrication resultiren und wie deren
                              Auftreten vermieden werden kann – ist nur höchst UnvollständigesJ. Stein, Zeitschrift des Vereins für die
                                    Rübenzucker-Industrie im Zollverein, 1860, Lieferung 76 S. 347. und willkürlich unchemisch-HypothetischesIn L. Walkhoff
                                    „der praktische Rübenzuckerfabrikant“ 1857, S. 192: die
                                    Theorien von A. Kindler. bekannt.  Es
                              finden sich nirgends, so weit ich in Erfahrung bringen konnte, genaue Untersuchungen
                              über diesen Gegenstand veröffentlicht – und die widerliche Plage so mancher
                              Fabrik kommt und geht wie eine verheerende Krankheit, ohne daß deren Wiederkehr
                              bisher mit Sicherheit verhindert werden konnte.
                           Ich habe mich bemüht, Licht über die Dunkelheit dieses Nebels in der
                              Zuckerfabrication zu verbreiten und übergebe mit Befriedigung hiermit die Resultate
                              jahrelanger Beobachtungen und Studien dem allgemeinen Besten.
                           Unter feuchten Zuckern werden solche raffinirte Zucker verstanden, welche nach
                              vollständigem Trocknen in der Trockenstube, dem Einflusse der gewöhnlichen Luft
                              ausgesetzt, mehr oder minder Feuchtigkeit aus ihr anziehen, ihre feste Constitution
                              verlieren, und – bei hohem Grade des Uebels – zu einer bröcklichen,
                              sich feucht anfühlenden Masse einzelner Krystalle zerfallen. Der nicht feuchten
                              Zuckern eigene hohe Glasklang, welchen die Brode, auf die flache Hand gestellt, beim
                              Anschlagen gegen die Spitze von sich geben, fehlt feuchten Broden fast immer; nur
                              bei sehr geringem Grade des Uebels pflegen sie sich noch einiget: Klang zu erhalten;
                              dieser wird sich aber nie bis zur Höhe desjenigen erheben, welcher durchaus
                              fehlerfreie, trockne Brode als gesunde charakterisirt.
                           Um aber nicht unnöthige Besorgnisse bei dem betreffenden Publicum zu erregen, halte
                              ich es für geboten Bekanntes zu wiederholen. Sehr gesunde, durchaus nicht feuchte
                              Brode können den hohen Glasklang ebenfalls vermissen lassen, wenn sie unvorsichtig
                              aus warmer Temperatur plötzlich kälterer Zugluft oder überhaupt niedrigerem
                              Wärmegraden ausgesetzt werden. Die Brode zerreißen, verlieren ihre Continuität und
                              dadurch beim Anschlagen die unerläßliche Bedingung für die Hervorbringung der
                              Vibrationen und der demnächstigen der Schallwellen. Solche verunglückte Brode werden
                              nicht feucht, sie vertragen selbst ein verhältnißmäßig schlechtes, kaltes und
                              feuchtes Lager ziemlich standhaft; und ziehen sie endlich bis zu einem gewissen
                              Grade Feuchtigkeit, wie jeder poröse Körper, an, dann wird ein Wechsel der
                              Localität, welche günstigere Verhältnisse, mäßige Wärme und trockene Luft bietet,
                              den Schaden recht bald ohne weitere Folgen wieder herstellen; das Brod trocknet aus
                              und ist trotzdessen gesund.
                           Anders verhält es sich mit wirklich sogenannten feuchten Zuckern; diese behalten
                              selbst unter den günstigsten Verhältnissen ihre weichere Constitution: zu Pulver
                              gerieben besitzt dieses keine staubige Beschaffenheit, es zieht bald Wasser an und
                              ballt sich zusammen; die rein weiße Farbe ändert sich nach und nach in eine gelbliche um, –
                              der Zucker erleidet, wie es scheint, eine Umänderung seiner chemischen
                              Constitution.
                           Um Gewißheit zu erlangen, ob dieß in der That der Fall sey, wurde eine Reihe zur
                              Untersuchung verfügbarer verdächtiger und entschieden feuchter Zucker der
                              sorgfältigsten Analyse unterworfen. Es stellte sich jedesmal heraus, daß weder
                              Chlorcalcium,Wenn die Gegenwart von Chlorcalcium während der Fabrication der Zucker so
                                    außerordentlich gefährlich wäre, würden die nach dem Verfahren von Michaelis erzielten Zucker ohne Zweifel immer
                                    feuchte Waare seyn müssen. Wir haben nicht gehört, daß diese Voraussetzung
                                    eine begründete sey. noch Chlornatrium u.s.w., welche man in Verdacht hat, daß sie die Ursache
                              feuchter Zucker sind, anwesend waren, sondern daß stets eine mehr oder minder
                              geringe Menge Nichtrohrzucker die Wasseranziehung veranlaßte.
                           1) Proben der Auflösung des fraglichen Zuckers reducirten:
                           
                              α) schon in der Kälte in kurzer
                                 Zeit die alkalische weinsaure Kupferoxydauflösung (rother Niederschlag);
                              β) bei gelinder Erwärmung
                                 dieselbe sofort zu Kupferoxydul: – Reaction von
                                 Rechts-Traubenzucker und Links-Fruchtzucker.
                              
                           2) Gleiche Proben reducirten in der Wärme basisch-salpetersaures Wismuthoxyd
                              (die Böttger'sche Probe), indem sie dasselbe schwarzgrau
                              färbten = Rechts-Traubenzucker.
                           3) α.) Eine Auflösung der Zucker, mit schwacher
                              Kalkmilch gekocht, färbte sich während des Kochens bräunlichgelb =
                              Rechts-Traubenzucker und Links-Fruchtzucker;
                           
                              β) mit absolutem (also
                                 wasserfreiem) Alkohol in der Kälte erschöpfend behandelte Zucker, mit Kalkwasser
                                 gekocht, färbten die Lösung gelb = Rechts-Traubenzucker.
                              
                           4) Auflösungen der Zucker mit Bleiessig und Ammon versetzt und erwärmt, gaben eine
                              rothe Färbung (gleich sub 3 α) des NiederschlagsNach O. Schmidt: Annalen der Chemie und Pharmacie,
                                    Bd. CXIX S. 102; Fresenius' Zeitschrift für
                                    analytische Chemie, 1862 S. 96. = Rechts-Traubenzucker.
                           5) Proben der Zucker
                           
                              
                                 lösten sich zum Theil in concentrirter Schwefelsäure;der andere Theil
                                    blieb als kohlige Masse zurück.
                                 
                                    
                                    
                                 Gemisch von Rechts-Traubenzuckerund Rechts-Rohrzucker.
                                 
                              
                           6) Fragliche Zucker wurdenDr. Sheridan Muspratt's Encyklopädie der technischen Chemie, deutsch von Dr. Stohmann und
                                    Prof. Siemens: II. Anhang 1. Lieferung S. 11:
                                    „Der Links-Fruchtzucker bildet mit Kalk eine feste, der
                                       Rechts-Traubenzucker eine flüssige Verbindung; es läßt sich aus
                                       der ersteren Links-Fruchtzucker in völliger Reinheit
                                       darstellen.“
                                     mit Kalkmilch behandelt, abfiltrirt, der Rückstand mit Kalkwasser ausgewaschen, in destillirtem
                              Wasser suspendirt, mit verdünnter Schwefelsäure bis zur schwach sauren Reaction
                              versetzt, mit Kreide neutralisirt; das Ganze mit 2 Volumen starkem Alkohol
                              vermischt, nach 12 Stunden abfiltrirt, mit Alkohol ausgewaschen, abdestillirt; der
                              noch dünnflüssige Rückstand mit Alkohol aufgenommen, filtrirt, eingeengt, in Wasser
                              gelöst, wieder filtrirt und
                           
                              α) im Apparat von Mitscherlich polarisirt: Links-Torsion =
                                 Fruchtzucker;
                              β) Proben der polarisirten
                                 Flüssigkeit reducirten bei gewöhnlicher Temperatur die Trommer'sche Probeflüssigkeit: Links-Fruchtzucker.
                              
                           7) Eine größere Menge sehr feuchten Zuckers wurde mit absolutem Alkohol bei
                              gewöhnlicher Temperatur behandelt, das Filtrat bis zur starken Syrupsdicke im
                              Wasserbade abdestillirt, der Rückstand in Wasser gelöst, filtrirt und
                           
                              α) der Polarisation unterworfen;
                                 Links-Torsion = Links-Fruchtzucker;
                              β) eine Probe reducirt die Trommer'sche Probeflüssigkeit sofort:
                                 Links-Fruchtzucker;
                              
                                 γ)
                                 
                                    
                                    Textabbildung Bd. 168, S. 146
                                    γ) eine eingeengte
                                       Probe der Lösung wurde über Schwefelsäurehydrat ausgetrocknet; es
                                       resultirte nach Monaten eine dicke, sehr zähe, intensiv süße Masse,
                                       durchsäet mit sehr kleinen rhombischen Tafeln von
                                       Traubenzucker-Krystallen; Invertzucker;
                                       Rechts-Traubenzucker und Links-Fruchtzucker
                                    
                                 
                              
                           8) Sehr feuchter, schmieriger Zucker wurde mit alkalischer, weinsaurer
                              Kupferoxydauflösung quantitativ unter den von v. Fehling
                              angegebenen VorsichtsmaßregelnAnnalen der
                                    Chemie und Pharmacie, April 1858, S. 75; polytechn. Journal Bd. CXLVIII S. 454.
                              untersucht und nach Mulder der Invertzuckergehalt
                              berechnet. 100 Theile des Zuckers zeigten sich demnach zusammengesetzt aus:
                           
                              
                                 Rohrzucker
                                 53,42
                                 
                              
                                 Invertzucker
                                 41,58
                                 
                              
                                 
                                 –––––
                                 
                              
                                 
                                 100,00
                                 
                              
                           9) α.) Auflösungen gewogener Mengen raffinirten
                              Zuckers wurden mit der Trommer'schen Probeflüssigkeit in
                              der Kälte behandelt – nach 24 Stunden sehr schwache Reduction des Kupferoxyds
                              = Umsetzung von Rohrzucker in Invertzucker.
                           
                           
                              β) Gleiche Mengen derselben
                                 Zucker wurden mit schwacher Kalkmilch aufgekocht, filtrirt und mit Trommer'scher Probeflüssigkeit versetzt; die Anfangs
                                 durch den Kalkgehalt entstandene Trübung hob sich wieder auf; durch 9 Tage
                                 Fällung von kohlensaurem Kalk durch die Kohlensäure der Luft, darauf, also erst
                                 nach 9 Tagen, beginnende und fortschreitende Reduction des Kupferoxyds, d. i.
                                 innerhalb 9 Tagen keine Umsetzung des Rohrzuckers in Invertzucker. Andere Proben
                                 zeigten innerhalb Wochen noch keine Veränderung:
                                 „Aetzkalk schützt den Rohrzucker vor Umsetzung.“
                                 
                              
                           ––––––––––
                           Nachdem wir gesehen haben, daß nicht oben benannte hygroskopische noch andere Salze
                              die Ursache des Feuchtwerdens der Zucker sind – obschon es nicht in Frage
                              gestellt werden darf, daß, wenn sie in den Zuckern gegenwärtig wären, sie nicht
                              ebenfalls eine feuchte Beschaffenheit derselben herbeiführen würden – ist es
                              von Interesse zu erforschen, ob alle raffinirten Zucker Invertzucker enthalten, und
                              ist dieß der Fall, welche Quantitäten desselben in den raffinirten Waaren dann
                              beachtenswerthe sind, um die ganze Aufmerksamkeit des Fabrikdirigenten und seine
                              energische Thätigkeit zur Vermeidung weiterer Folgen wach zu rufen.
                           Bei der Beantwortung dieser Fragen handelte es sich, wie vorauszusehen war, um die
                              Feststellung sehr geringer Quantitäten von Invertzucker, weßhalb Abstand genommen
                              wurde, dieselben quantitativ durch Polarisation zu bestimmen; es wurde vielmehr eine
                              sorgfältig bereitete v. Fehling'sche weinsaure
                              Kupferoxyd-Kalilösung zu seiner Ermittelung verwendet und nur da, wo es sich
                              um die Feststellung schon bedeutenderer Mengen dieser Zuckerart handelte, das
                              Polarisationsinstrument mit befragt.
                           Vorausgeschickt, daß Auflösungen von Rohr- und Traubenzucker (Invertzucker),
                              zu welchen Kupferoxydauflösungen und Kalihydrat hinzugefügt worden sind, sich
                              dadurch unterscheiden, daß in letzteren schon in der
                                 Kälte der ganze Kupfergehalt als Oxydul ausgeschieden wird, während dieß
                              bei den Rohrzuckerauflösungen nicht geschieht,Heinrich Rose: Ausführliches Handbuch der
                                    analytischen Chemie, Bd. I S. 164. wurde eine große Zahl unbezweifelt gesunder, raffinirter Zucker in der Kälte
                              mit der Fehling'schen Probeflüssigkeit untersucht, wobei
                              sich herausstellte, daß diese Zucker, je nachdem sie hochfeine Waare oder sehr
                              geringe waren, innerhalb
                              2 bis 24 und 48 Stunden, ja mehreren Tagen keine Spur einer Fällung von Kupferoxydul
                              erkennen ließen; erst nach diesen Zeiten trübte sich die Auflösung durch
                              ausgeschiedenes Kupferoxydulhydrat schwach gelblich,Es darf dieß nicht befremden, denn schon in der Kälte findet nach Maumené eine successive Umwandlung des
                                    Rohrzuckers in Invertzucker durch Wasser statt (Comptes rendus, t. XXXIX p. 914;
                                    polytechn. Journal Bd. CXXXV S. 59).
                                    Eine Temperatur über 45° R. zerstört schneller mehr und mehr den
                                    Zucker. – Die Beschaffenheit des Wassers ist dabei von nicht geringem
                                    Einfluß; denn Zucker mit Brunnenwasser im luftleeren Raume bei 45°
                                    abgedampft, gab nach Versuchen mehr Melasse, als eine mit destillirtem
                                    Wasser bereitete Zuckerauflösung. während gleiche Proben von feuchten Zuckern schon nach einer halben Stunde
                              einen entschieden rothen Niederschlag veranlaßten, also Kupferoxydul präcipitirten;
                              „die untersuchten Zucker waren frei von Invertzucker, oder enthielten
                                 nur Spuren desselben.“
                              
                           Besitzen wir also in der bekannten alkalischen weinsauren Kupferoxydauflösung und in
                              dem Verhalten des Invertzuckers zu Kalk, welcher die Auflösungen desselben beim
                              Erhitzen bräunt, Mittel, die Anwesenheit dieser Zuckerart in der raffinirten Waare
                              sicher zu entdecken, so bietet außerdem, wie schon oben bemerkt, das physikalische
                              Verhalten feuchter Zucker, mit jenen vereint, nicht
                              minder einen Anhaltspunkt, welcher in seinen Rückschlüssen wohl untrüglich ist; es
                              ist dieß der Klang des Zuckerbrodes. Dieser steht im umgekehrten Verhältnisse zum
                              Procentgehalt von anwesendem Invertzucker; je mehr von diesem dem Rohrzucker
                              beigesellt ist, desto klangloser erscheint das Brod.
                           Es wurden Proben der betreffenden Zucker unter möglichst gleichen Verhältnissen mit
                              der alkalischen Kupferoxydauflösung quantitativ untersucht, das gefällte und
                              ausgewaschene Kupferoxydul mit einigen Tropfen Salpetersäure benetzt, geglüht und
                              aus dem erhaltenen Kupferoxyd der Gehalt des Fruchtzuckers (nach Mulder) berechnet:
                           
                              
                                 Brodzucker mit
                                 
                                 0,041 Proc.
                                 Invertzucker
                                 besitzt hohen Klang,
                                 
                              
                                 
                                 0,11 –
                                 0,20     „
                                 „
                                     „   Klang,
                                 
                              
                                 
                                 0,22 –
                                 0,24     „
                                 „
                                     „   noch zieml.
                                    Klang,
                                 
                              
                                 
                                 0,25 –
                                 0,29     „
                                 „
                                     „   noch
                                    Klang,
                                 
                              
                                 
                                 0,31
                                             „
                                 „
                                     „   dumpfen
                                    Klang,
                                 
                              
                                 
                                 0,32 –
                                 0,33     „
                                 „
                                     „   sehr dumpfen
                                    Klang,
                                 
                              
                                 
                                 0,34 –
                                 0,35     „
                                 „
                                     „   ganz dumpfen
                                    Klang,
                                 
                              
                                 
                                 0,40
                                             „
                                 „
                                    ist  ganz klanglos.
                                 
                              
                           ––––––––––
                           Ich war bemüht festzustellen, welchem Körper der feuchte Zucker seine fehlerhaften
                              Eigenschaften verdanke; dieß genügt aber nicht, es war ferner zu ermitteln, unter welchen
                              Verhältnissen, also Ursachen, solche fehlerhafte Producte resultiren.
                           Ehe wir auf die Beantwortung dieser Frage vom Standpunkte des Zuckerfabrikanten
                              speciell eingehen, ist es nothwendig diesen auf längst Bekanntes, aber nicht
                              hinreichend Beachtetes, in der Chemie hinzuweisen.
                           In Wasser aufgelöster Rohrzucker (=
                              C¹²H¹¹O¹¹ + x
                                 aq.), welcher die Polarisationsebene nach rechts ablenkt, geht, wie bemerkt
                              wurde, langsam in der Kälte unter dem Einflusse des Wassers, schneller unter dem von
                              verdünnten Säuren, besonders beim Erwärmen über 45° R., indem er ein
                              Aequivalent Wasser in seine chemische Konstitution aufnimmt, in rechtspolarisirenden
                              Traubenzucker (= C¹²H¹²O¹²) und in
                              linkspolarisirenden Fruchtzucker (=
                              C¹²H¹²O¹²) über. Aus 2
                              C¹²H¹¹O¹¹ + 2 HO =
                              C¹²H¹²O¹² +
                              C¹²H¹²O¹². Diese beiden Zuckerarten
                              vereinigt, sind unter dem Namen von „verändertem Zucker,“
                              sucre interverti, bekannt.
                           Im Gegensatze zu diesen, die chemische Konstitution des Rohrzuckers verändernden
                              Agentien, nämlich Wasser, Säuren und Wärme, verleiht unter Anderen: Aetzkalk, der
                              sich mit Rohrzucker zu in Wasser löslichem, farblosen
                              Rohrzuckerkalk verbindet, dem Rohrzucker eine große BeständigkeitSiehe die Versuche von Michaelis: polytechn.
                                    Journal Bd. CXXIV S. 358–375
                                    und 298–306. in seiner elementaren Zusammensetzung, so zwar, daß der Aetzkalk in der
                              Zuckerfabrication mit Recht als ein bis jetzt von keinem andern Körper übertroffenes
                              Schutzmittel des Rohrzuckers, während letzterer sich in wässeriger Lösung in den
                              verschiedenen Stadien zu seiner Reindarstellung unter dem Einflusse von Wärme und
                              mächtig wirkenden chemischen Körpern (Knochenkohle) befindet, angesehen werden
                              muß.
                           Wenn demnach, in Anwendung dieser chemischen Thatsachen, im Allgemeinen alle
                              Verhältnisse möglichst vermieden werden müssen, unter welchen sich im Verlaufe des
                              Processes der ganzen Zuckerfabrication bis zum verkäuflichen Gute hin, aus
                              Rohrzucker Invertzucker bildet: so wird der Fabrikant zu allererst mit Sorgfalt
                              darauf zu sehen haben, daß nur alkalische,Die interessanten Versuche von C. Stammer
                                    (polytechn. Journal Bd. CLXI S. 131)
                                    in seiner Kritik über das von Maumené in
                                    Vorschlag gebrachte Verfahren der Rübenzuckerfabrication zeigen: daß
                                    innerhalb weniger Stunden der selbst mit übergroßen Mengen Aetzkalk (5
                                    Proc.) versehene Rübensaft keine, oder wenn doch (was nicht erwiesen ist),
                                    nur eine sehr geringe Veränderung seines Zuckergehaltes erleidet; während es
                                    bekannt ist, daß der Zucker im Rübensafte, ohne Gegenwart von Aetzkalk, sich
                                    in sehr kurzer Zeit mehr oder weniger in andere Zuckerarten u.s.w.
                                    umsetzt.Die in Wasser unlösliche Verbindung, welche Stammer im Sedimente bei seinen Versuchen am a. O. im J. 1861
                                    erhielt, scheint mit derselben chemischen Verbindung in Beziehung zu stehen
                                    oder gar sie selbst zu seyn, welche der angeführte, im Forschen unermüdliche
                                    Autor in seiner neuesten Arbeit (polytechn. Journal Bd. CLXVII S. 136 und 207) erwähnt. Diese Verbindungen
                                    (vielleicht die von 1 Aequiv. Zucker+ 6 CaO) erzeugen sich jedoch, wie wir
                                    sehen können, nicht unter den bei der Rübenzuckerfabrication und bei der
                                    Raffination der Zucker gewohnten Verhältnissen; sie dürfen also Besorgten
                                    keine Bedenken hervorrufen. nie saure Rohrzuckerlösungen dem mächtigen Einflusse guter Knochenkohle ausgesetzt werden.
                              Es ist dieß nicht genug! Es muß auch außerdem, wie ich wiederholt empfahl,Ich kann die im polytechn. Journal Bd. CLII
                                       S. 145 von mir ausgesprochenen Ansichten über graue Zucker etc.,
                                    durch die Erfahrungen seit dem verflossenen Jahre bestätigt, in ihrem ganzen
                                    Umfange nur als richtige wiederholen. darauf gehalten werden, daß die Filtrate die Filter noch immer kalkalkalisch
                              verlassen; dann, aber auch nur dann, wird bei gutem, d.h. schnellem Kochen eine
                              Füllmasse erzielt werden, welche in Beziehung zu unserem Thema nichts zu wünschen
                              übrig läßt.
                           Nicht ohne Absicht bemerkte ich so eben, daß zur Erreichung eines solchen Zieles gute
                              Knochenkohlen anzuwenden seyen. Unter diesen sind aber sorgfältig durch Gährung
                              u.s.w. gereinigte und geglühte FilterkohlenSiehe polytechn. Journal Bd. CLXVI S.
                                       291 in den Versuchen über die Anwendung des caustischen Natrons
                                    bei der Wiederbelebung der Knochenkohle. zu verstehen.
                           Kommen nicht solche, also schlechte, wenig poröse, verstopfte Kohlen zur Anwendung,
                              dann werden die filtrirenden Zuckerlösungen aus den Kohlen eine Menge von Salzen und
                              selbst organische (Ferment-) Stoffe auslaugen, mit diesen beladen und an und
                              für sich unvollständig geläutert, eine Füllmasse erhalten lassen, welche bei der
                              späteren Bodenarbeit in den warmen Räumen leicht eine theilweise Umsetzung in
                              Invertzucker erleidet.
                           Aber dieß ist nicht der alleinige Nachtheil, welcher schlecht filtrirte
                              Zuckerlösungen begleitet. Der Zucker wird selbst mächtig – es sey mir erlaubt
                              mich pathologisch auszudrücken – in seiner Organisation gelitten haben; er
                              wird nicht nur matt, er wird krank geworden seyn!
                           Bekannt ist es, daß ungenügend filtrirte, also fremdartige Substanzen enthaltende
                              Zuckerlösungen, wie Säfte mit sehr großem, also zu großem Kalkgehalte, unter Bildung
                              von parapectinsaurem Kalk schlecht und langsam kochen (das sogen. Fettkochen). Ist
                              nun die unerläßliche Anwendung einer bestimmten, weit über 45° R. liegenden
                              Temperatur beim Versieden des Zuckers im Vacuum an und für sich ein nicht zu
                              umgehender Uebelstand, dessen Nachtheile (Syrupbildung) der beabsichtigten größeren
                              Vortheile wegen in den Kauf genommen werden müssen, dann werden folgerichtig obige
                              Nachtheile durch ungewöhnlich lang andauerndes Kochen in hohem Grade gesteigert. Der
                              Zucker wird in seiner Totalität matt, d. i. seine Atome disponiren sich anders zu gruppiren, in
                              sich die Bestandtheile von Wasser aufzunehmen, um mit diesem Invertzucker u.s.w. zu
                              constituiren.
                           Der bei raschem und leichtem Kochen dagegen quantitativ wenig veränderte Zucker hat
                              auch im großen Ganzen an seiner Krystallisationsfähigkeit kaum, oder so gut wie
                              nicht gelitten; seine Atome, wie sie sich zu Rohrzucker verbunden haben, bleiben in
                              ungeschwächter Kraft bei einander und widerstehen mit Erfolg späteren, nicht zu
                              ungünstigen Einflüssen.
                           Aus der Füllstube begleiten wir die Brode nach den Bodenräumen, dort unterliegen sie
                              unter der Hand des Bodenmeisters einer unerbittlichen Kritik.
                           Waren die Rohzuckerlösungen nicht genügend mit Kalk geklärt und schlecht filtrirt,
                              dann wird auch der zwischen den durch langes Kochen an sich matt erhaltenen
                              Zuckerkrystallen der Brode lagernde (sogenannte „grüne“) Syrup
                              dunkel, grünlich, schmierig und zäh, nicht kurz seyn. Die Brode werden sich schwer
                              und ebenso unvollständig ausdecken, als wenn sie zu stramm gekocht oder in der
                              Füllstube erkältet worden wären. Sogenannte „harte Spitzen“ der
                              Brode, ein steinhartes Conglomerat sehr kleiner Zuckerkrystalle, durch unachtsames
                              Abkühlen (Zugluft etc.) der Füllmasse in der Füllstube an der Spitze der Brode
                              erzeugt, werden durch Capillarattraction verhindern, daß die betreffenden
                              Zuckerbrode schnell vom grünen Syrup und durch den Saugapparat vollständig von der
                              Deckkläre befreit werden können. Damit ist eine neue Ursache gegeben, welche feuchte
                              Brode erzeugen kann: „ein unverhältnißmäßig langer Aufenthalt der nicht
                                 trockenen Brode auf den Böden bei einer zum Ablaufen der Syrupe nothwendigen
                                 hohen Temperatur von circa 25 und mehr Graden
                                 Reaumur.“
                              
                           Welcher praktische Zuckerfabrikant hätte nicht beobachtet, daß bei einzelnen,
                              schlecht ziehenden Broden, solchen bei welchen der Syrup zu langsam abläuft, und bei
                              welchen der Zufall die Oeffnung der Formen durch ein nicht sogleich bemerktes
                              Hinderniß (Zuckerkrystalle u.s.w.) verstopfte, also den Syrup im Ablaufen
                              verhinderte, wodurch sogenannte „verstopfte“ Brode entstehen
                              – die aufgegebene, nicht in die Zuckermasse sofort einziehende Deckkläre
                              leicht in Gährung übergeht, und, wird sie nicht rechtzeitig entfernt, den Boden des
                              Brodes erweicht? – Die Bildung von Invertzucker hat unter solchen
                              Erscheinungen jedenfalls stattgefunden.
                           Feuchte Brode können aber auch auf den Böden ohne alle vorher aufgezählten Ursachen,
                              also bei normalen (grünen) Broden entstehen, wenn die zum Decken verwandten Zuckerlösungen an sich eine
                              leichte Umsetzung ermöglichen. Dieses wird vorzüglich der Fall seyn, wenn nur mit
                              sogenannten Wasserdecken-einer gesättigten Lösung von raffinirten Zuckern in
                              kaltem, filtrirten Wasser – die Brode, wie man sagt,
                              „nett“ gedeckt worden. Es wird nicht ausbleiben, daß im
                              Verlaufe von Monaten bei der sorgsamsten Aufmerksamkeit sich ganz allmählich eine
                              Neigung zur Invertzuckerbildung der von Tour zu Tour theilweise immer und immer
                              wieder gebrauchten Deckzucker unter den vorhandenen, dafür günstigen Bedingungen:
                              Wärme und Feuchtigkeit, einstellt, die bei der geringsten Veranlassung eclatant zum
                              Durchbruche und zur Geltung gelangt.
                           Es gibt kein anderes Mittel, diesem allmählichen Umschlagen der raffinirten Zucker zu
                              begegnen, als stricte den Consequenzen gemäß zu verfahren, welche sich aus den
                              Gesetzen der oben erwähnten chemischen Thatsachen logisch entwickeln.
                           Die Gefahren, feuchten Zucker zu erhalten, sind mit der Vermeidung der so eben
                              angeführten Uebelstände noch nicht beseitigt. Die Trockenstube selbst, in welche die
                              Brode nunmehr gelangen, vermag ihr anvertraute, ganz gesunde Zucker unter Umständen
                              zu alteriren.
                           Wird nämlich hochraffinirte Waare, welche gewöhnlich recht feines und scharfes Korn
                              zu ihrer Constitution verlangt, also schwieriger vollständig von der angewendeten
                              Deckkläre befreit werden kann, bei sehr beschleunigter Arbeit in noch ziemlich
                              feuchtem Zustande sofort einer hohen Temperatur (über 42° R.) zum
                              beabsichtigten recht schnellen Trocknen ausgesetzt, dann findet durch die angewandte
                              hohe Wärme und die Feuchtigkeit des Brodes eine Art Schmelzungsproceß des Zuckers an
                              dessen Peripherie statt; es bildet sich durch Austrocknen der letzteren eine glasige
                              Rinde rings um die ganze Zuckermasse, welche mit Hartnäckigkeit während Wochen das
                              vollständige Austrocknen der inneren Zuckerpartien verhindert.
                           Damit sind zugleich alle Bedingungen gegeben, bei Unachtsamkeit das furchtbare Uebel
                              feuchter Zucker zu erzeugen. Aber trotzdessen können noch Theile des Brodes, welche
                              ungeachtet der ungünstigen Verhältnisse binnen kurzer Zeit dennoch austrockneten,
                              tadellose blendendweiße Waare seyn; während andere, lädirte Partien, gelblich, ja
                              oft tiefgelb erscheinen werden. Von hartem Bruche der Zucker, wie ihn gesunde
                              zeigen, ist nicht mehr die Rede; teigig und intensiver süß, saugen sie nun begierig
                              Feuchtigkeit aus der Luft an und ziehen allen Rohrzucker der benachbarten Theile in
                              den Kreis der Umwandlung.
                           Sollte es noch nöthig seyn, um das Bild der Ursachen zu dem besprochenen Uebel zu vervollständigen, noch
                              auf ein sehr warmes und sehr feuchtes Lager für fertige
                              Waare hinzuwerfen, welches an sich tadellose Zucker in besprochener Art verderben
                              kann?
                           Mit der schließlichen Andeutung dieses letzten Punktes hoffe ich den rationellen
                              Fabrikanten auf eine Reihe von Thatsachen und Erscheinungen in der Zuckerfabrication
                              aufmerksam gemacht zu haben, welche in ihrer Bedeutung theils unterschätzt, theils
                              leicht ganz übersehen werden können.
                           Vor nichts aber ist mehr zu warnen, als das Uebel, wenn es in der Fabrik bemerkt
                              wird, leichthin zu betrachten. Wer sich nicht fest in seinen Anschauungen über das
                              Wesen der besprochenen Umwandlung des Rohrzuckers fühlt, diese nicht mit dem sichern
                              und klaren Verstande des das Uebel durchaus kennenden Arztes beurtheilt und ihm in
                              der Kenntniß der Heilmittel zu begegnen vermag, der verliere keine Zeit mit
                              quacksalbernden Hausmitteln; er rufe, ehe ihn empfindliche Verluste zuletzt dennoch
                              dazu treiben, bei Zeiten hülfesuchend zur Praxis die sie regelnde und in ihr groß
                              gezogene Wissenschaft.
                           Hamburg, den 28. Januar 1863.