| Titel: | Einige Bemerkungen zu den Bekanntmachungen und Apparaten des Zuckertechnikers Zabel in Königsaue, verschiedene Untersuchungen in Zuckerfabriken betreffend; von Dr. C. Stammer. | 
| Fundstelle: | Band 168, Jahrgang 1863, Nr. LXXXV., S. 288 | 
| Download: | XML | 
                     
                        LXXXV.
                        Einige Bemerkungen zu den Bekanntmachungen und
                           Apparaten des Zuckertechnikers Zabel in Königsaue,
                           verschiedene Untersuchungen in Zuckerfabriken betreffend; von Dr. C. Stammer.
                        Stammer, über Zabel's Untersuchungsmethoden für
                           Zuckerfabriken.
                        
                     
                        
                           Die Veranlassung zu diesen Bemerkungen bilden die Aufsätze des Hrn. Zabel, welche u.a. in der Zeitschrift des Vereins für
                                    Rübenzuckerfabrication (Bd. X S. 425 und Bd. XI S. 461) abgedruckt waren, und die
                              Empfehlung einer Anzahl von Methoden zu verschiedenen chemischen Untersuchungen, wie
                              sie in Zuckerfabriken vorkommen, enthielten.
                           Wir begrüßen gewiß jede Vereinfachung analytischer Operationen, sie mögen einen Zweck
                              haben welchen sie wollen, mit Freude; es ist aber selbstredend, daß dabei zwei
                              Hauptbedingungen erfüllt bleiben müssen: einmal darf die Genauigkeit darunter nicht
                              leiden, und zweitens darf die Vereinfachung nicht bloß in Worten, d.h. im Scheine bestehen.
                           Ebenso sind wir entschiedene Freunde der Popularisirung der Wissenschaft, fassen aber
                              dabei dieses Wort im edleren Sinne auf und wollen darunter wohl das Bestreben, das
                              durch die Wissenschaft Errungene zum allgemeinen Verständniß zu bringen, verstanden
                              wissen, nicht aber die zahllosen Ab- und Irrwege von diesem Ziele, welche in
                              neuerer Zeit so vielfach angepriesen und zum Nachtheile der Wissenschaft betreten
                              worden sind, und welche namentlich dahin führen Jeden zum Mitarbeiter am Bau der
                              Wissenschaft machen zu wollen – was doch nur zu Fehlbauten führen kann.
                           Während auch in der Literatur allmählich eine Rückkehr von diesem Extrem, das man
                              eher als Trivialisirung der Wissenschaft bezeichnen kann, nicht zu verkennen ist,
                              während die eine Zeit lang so beliebte Tendenz von allen Wohldenkenden mehr und mehr
                              nach ihrem eigentlichen Werthe geschätzt wird, erscheinen die nachtheiligen Folgen
                              noch vereinzelt auf dem Gebiete specieller Zwecke des Wissens, namentlich in dem
                              angewandten Theile der
                              Naturwissenschaft, in den einzelnen Gebieten der rationellen Technik.
                           Es muß dem redlich und fleißig Strebenden schmerzlich seyn, solche Tendenzen, die
                              zumeist mit dünkelhaftem Halbwissen gepaart sind, in dem lieb gewordenen Kreise
                              seines Faches auftauchen und – wie leicht erklärlich – Boden gewinnen
                              zu sehen.
                           Einen solchen Fall haben wir vor uns; man kann nicht anders erwarten, als daß
                              Untersuchungsmethoden über täglich vorkommende Gegenstände der Zuckerfabrication,
                              die von einem „Zuckertechniker“ angepriesen und von dem Einen
                              oder Andern auch empfohlen werden, dadurch Anklang finden, daß sie sich den Anschein
                              geben, als seyen sie von der Hand eines jeden Arbeiters leicht und sicher
                              ausführbar. Man vergißt nur allzu leicht, daß unzuverläßige Untersuchungen weit
                              schlimmer als gar keine sind, weil doch Unwissenheit über eine Sache stets einer
                              Ungewißheit oder gar einer falschen Kenntniß von derselben vorzuziehen ist, und daß
                              es der Untersuchungen chemischer Natur nur äußerst wenige gibt, welche in der Hand des Laien, der
                              weder Ursachen noch Wirkungen seiner Mittel kennt, unter den so verschiedenen
                              Umständen, wie sie die wandelbare Praxis bietet, auf Zuverlässigkeit Anspruch machen
                              können. Der vielfach mißbrauchte Satz, daß es in der Technik auf Genauigkeit der
                              Untersuchungen nicht ankomme, hat nur eine relative Richtigkeit; wo große Zahlen
                              beim Experiment ins Spiel kommen, machen geringe Beobachtungsfehler wenig
                              Unterschied: wo aber mit geringen Mengen, ja mit Millionenstel Kubikcentimetern (bei
                              dem Zabel'schen Apparate II, s.u.) gearbeitet wird, da
                              muß die Gestattung jeder Ungenauigkeit längst aufhören, da kann sie von dem Urheber
                              solcher Methoden, wenn er einigermaßen consequent seyn will, selbst nicht gestattet
                              werden.
                           Es kann überhaupt nur derjenige, welcher mit dem inneren Zusammenhang der angewandten
                              Untersuchungsmethode vollkommen vertraut ist, ein Urtheil über den Grad des
                              Einflusses haben, welchen diese oder jene Manipulation auf das Resultat der
                              Untersuchung ausübt; wie sollte aber ein Laie der Wissenschaft, der ein solches
                              Urtheil nicht haben kann, im Stande seyn ein unter allen Umständen richtiges
                              Resultat zu erzielen, wie sollte er die Tragweite eines doch nicht immer zu
                              vermeidenden kleinen Versehens oder einer kleinen Ungenauigkeit zu schätzen
                              vermögen? Wer aber die chemischen Operationen richtig beurtheilt, welche Hr. Zabel von der Hand jedes Arbeiters ausgeführt wissen
                              will, der kann im günstigsten Falle alle diese Untersuchungen doch nur für nutzlose
                              Spielerei, Zeit- und Geldverschwendung ansehen. Wir müssen es nochmals wiederholen:
                              unzuverlässige Untersuchungen sind viel schlimmer als gar keine.
                           Um nun auf den Gegenstand selbst näher einzugehen, so kann man im Allgemeinen die von
                              Hrn. Zabel angerathenen Untersuchungsmethoden dahin
                              charakterisiren, daß sie durchweg die Maaßanalyse an die Stelle der Gewichtsanalyse
                              setzen, und dabei die Eintheilungen und Einrichtungen so zu treffen suchen, daß keine Rechnungen erforderlich sind. Hat nun auf der einen
                              Seite die Chemie längst jeder dieser beiden analytischen Methoden ihr Recht und ihr
                              Gebiet eingeräumt, so bedarf es andererseits nur weniger Worte, um zu zeigen, wohin
                              diese einseitige Tendenz führt und wie Hr. Zabel die
                              Ausführung einer Maaßanalyse versteht. Man erwarte hierbei nicht, daß wir unser ganz
                              mißbilligendes Urtheil an allen den zahlreichen Einzelheiten der Zabel'schen Auseinandersetzungen belegen; man hat auf
                              jeder Seite derselben so viel zu tadeln, daß dieß allzuweit führen würde und wir uns
                              mit einigen wenigen Beispielen werden begnügen müssen.
                           Wenn man nach dem mitgetheilten Recepte (denn hierzu stempelt die einzelnen
                              Vorschriften schon der jedesmalige Titel) „Knochenkohle und Scheidekalt
                                 auf Gehalt an Gyps zu prüfen“ verfahren will, so hat man nach einem
                              flüchtigen Ueberschlag folgende Operationen auszuführen:
                           Kochen 5 Mal, wovon 1 Mal eine ganze Stunde lang; Nachspülen oder Einfüllen bis
                              zu einer bestimmten Marke 7 Mal (!); Filtriren 2 Mal; Zusetzen von Reagentien 7 Mal (!); nach dem Allen soll
                              der „Apparat“ von dem Gypsgehalt noch die Hundertstel Procente
                              angeben! Es ist wohl unter solchen Verhältnissen eine ganz müßige Genauigkeit, daß
                              das Rohr für einen Gehalt von 3,88 K. C. tarirt ist, und hiernach wohl der Grad der
                              Genauigkeit zu beurtheilen, der von der Hand eines Arbeiters erwartet werden darf.
                              Die Methode selbst ist die bekannte Mohr'sche Restmethode
                              mit unwesentlichen Abänderungen; daß die gewöhnliche analytische viel genauere
                              Resultate geben muß und dabei viel einfacher ist, bedarf
                              wohl kaum der Erklärung. Ebenso ist es klar, daß es ganz unmöglich ist, die
                              erforderlichen Anweisungen und Vorsichtsmaßregeln irgend einem Laien in der
                              Wissenschaft geläufig zu machen, ja ein solcher wird sich schwerlich durch ein
                              solches Recept hindurcharbeiten.
                           Ein anderes Beispiel entnehmen wir dem Recepte zur Untersuchung der Säfte auf Kalk
                              und Ammoniak. Nur einige der sehr zahlreichen Ausstellungen seyen hier erwähnt, die
                              sich uns beim Durchlesen desselben aufdrängten.
                           Hr. Zabel nimmt für Dünn- und Dicksäfte 10 K. C.
                              zur Untersuchung. Man
                              sollt es nicht glauben, aber er schreibt es ausdrücklich vor und thut es wirklich
                              selbst! Wenn man nun bedenkt, daß diese Säfte, vom Filter genommen, beispielsweise
                              0,050 Proc. alkalimetrisch meßbaren Kalk enthalten, so hat man in dem zur
                              Untersuchung genommenen Safte etwa 0,005 Gramme Kalk – und diese Menge soll
                              mit einigem Anspruch auf Genauigkeit von einem Nicht-Chemiker maaßanalytisch
                              bestimmt werden!
                           Bleiben wir bei dem Scheidesafte stehen, dessen Gehalt viel größer ist, so soll in
                              jenen 10 K. C. auch das Ammoniak gemessen werden. Nach einer uns vorliegenden
                              Untersuchung wurde in einem Scheidesafte 0,0238 Proc. Ammoniak gefunden. Hr. Zabel nimmt davon 10 K. C. und erhält also darin etwa
                              0,002 Grm., sage zwei tausendstel Gramme zur Bestimmung! Es ist nur das oben
                              Ausgesprochene hier zu wiederholen, daß nämlich solche Untersuchungen bloß nutzlose
                              Spielereien sind, und daß diese eine Anweisung vollkommen genügt, um Hrn. Zabel jede Competenz zu analytischen Anweisungen
                              absprechen zu lassen.
                           Bei dieser Untersuchung ist es auch, wo nach Hrn. Zabel's
                              Angabe jeder Grad der zum Apparate gehörigen Röhren das Volumen von 0,054725 K. C.
                              (!) haben soll (ebenso enthält jeder Grad der zum Apparat Nr. IV gehörenden Röhren
                              0,097 K. C.) Wir müssen gestehen, daß wir von einer solchen Genauigkeit der
                              Eintheilung, welche noch die Millionenstel eines Kubikcentimeters gibt, gar keinen
                              Begriff haben; wir wüßten freilich ebenso wenig, wie man eine Flüssigkeit überhaupt
                              so genau messen kann.
                           Zu solchen Unmöglichkeiten aber führt die Manie, dem Laien das Rechnen zu
                              ersparen.
                           Nirgendwo berichtet Hr. Zabel über bestimmte vergleichende
                              Versuche. Zur Beurtheilung einer Methode ist es aber wesentlich, zwei Reihen von
                              Vergleichen anzustellen, und nur die Prüfung derselben berechtigt zur Mittheilung
                              und Empfehlung von mehr oder weniger neuen Methoden, was aber Hr. Zabel nicht weiß oder nicht wissen will; es sind dieß
                              nämlich eine Versuchsreihe zum Vergleiche der verschiedenen Resultate unter sich, die nach derselben
                              Methode erlangt sind, und eine zweite zum Vergleiche dieser Resultate mit solchen,
                              welche andere anerkannte Methoden geliefert haben. Wenn
                              wir nun auch diese Forderung hier nicht in aller Strenge stellen wollen (da die
                              angepriesenen Methoden eigentlich längst bekannte und beurtheilte sind), so müßte
                              man doch verlangen, daß die Resultate, wie sie aus den Versuchen von Laien
                              hervorgiengen, die diese Untersuchungen „unter Vermeidung jeder Berechnung
                                 und chemischer Kenntnisse in kurzer Zeit und ohne viele Umstände“
                              ausgeführt haben, mit
                              denjenigen verglichen würden, welche eine gewissenhafte Untersuchung derselben
                              Stoffe in der Hand des geübten Chemikers lieferte.
                           Dieß hat Hr. Zabel aber wohlweislich vermieden.
                           Wir glauben hiermit genug gesagt zu haben; die wenigen speciellen Beispiele werden
                              für jeden Kenner genügen, und Andere wollten wir nur aus bester Ueberzeugung warnen.
                              Hrn. Zabel aber möchten wir zum Schluß noch einen Rath
                              ertheilen, den er, bevor er Weiteres veröffentlicht, recht beherzigen wolle. Da er
                              nämlich nicht in der Lage zu seyn scheint, gewissenhafte Controllversuche
                              anzustellen, so möge er recht zahlreiche Prüfungen in der
                              Weise vornehmen, daß er irgend einem Laien in der Chemie ein Untersuchungsobject mit
                              dem zugehörigen Recepte, wir wollten sagen der Gebrauchsanweisung, vorlege, und
                              dasselbe Object einem zuverlässigen, gewissenhaften Chemiker zur Untersuchung gebe;
                              dieß wiederhole er 20–30 Mal mit jedem der verschiedenen Zweige feiner
                              „einfachen“ Untersuchungen und dann vergleiche er die
                              Resultate.
                           Wir brauchen den Erfolg nicht voraus zu sagen. Wenn Aehnliches durch diejenigen
                              Fabrikanten veranlaßt würde, welche Hrn. Zabel's Apparate
                              gekauft und sie ihren Arbeitern gegeben haben, so würden sie sich ohne Zweifel
                              überzeugen, daß sie Zeit, Mühe, Vertrauen und Geld nutzlos verloren haben.
                           Endlich möge sich Hr. Zabel befleißigen, in Zukunft
                              wenigstens etwas besseres Deutsch zu schreiben; solche Nachlässigkeiten, wie er sich
                              erlaubt, dürfen in wissenschaftlichen Besprechungen doch nicht vorkommen.