| Titel: | Die Fortschritte der Spinnerei und Weberei im Departement des Oberrheins während der Jahre 1851 bis 1861; Bericht von Thierry-Mieg. | 
| Fundstelle: | Band 168, Jahrgang 1863, Nr. XCIV., S. 353 | 
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                        XCIV.
                        Die Fortschritte der Spinnerei und Weberei im
                           Departement des Oberrheins während der Jahre 1851 bis 1861; Bericht von Thierry-Mieg.
                        Nach dem Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse, October
                              1862, im Auszug bearbeitet von Prof. C.
                              H. Schmidt in Stuttgart. – Aus dem württembergischen Gewerbeblatt,
                              1863, Nr. 8 und 9.
                        Thierry-Mieg, über die Fortschritte der Spinnerei und
                           Weberei im Departement des Oberrheins während der Jahre 1851 bis 1861.
                        
                     
                        
                           1. Baumwollspinnerei.
                           Das verflossene Jahrzehnt zeichnete sich durch einen fast ununterbrochenen sehr guten
                              Geschäftsgang und durch bedeutende Fortschritte in jeder Richtung aus. Es wurde eine
                              große Anzahl neuer Anlagen gegründet, während zugleich die älteren ihr Material
                              erneuerten, in vielen Fällen dasselbe auch ansehnlich vermehrten. Die Production
                              steigerte sich dadurch sehr bedeutend, ohne jedoch jemals den Bedarf befriedigen zu
                              können, so daß die Preise stets auf einer angemessenen Höhe erhalten werden konnten.
                              Die Ursachen dieses so überaus günstigen Geschäftsganges sind vorzugsweise in der
                              zur Mode gewordenen umfänglichen Bekleidung der Damen zu suchen, welche nicht nur
                              einen starken Bedarf an rohen Kattunen, sondern auch an feineren und leichteren
                              Stoffen, wie Mousselins,
                              Organdis etc. hervorrief. Die mit verhältnißmäßig geringem Capital zu betreibende
                              Weberei war in ihrer Entwickelung stets der Spinnerei voraus, und die durch diesen
                              Umstand bedingte Frage nach Garnen hatte eine fortwährende Preissteigerung der
                              letzteren zur nothwendigen Folge.
                           Die Fortschritte, welche die Baumwollspinnerei in technischer Beziehung machte, sind
                              im Folgenden der Hauptsache nach aufgeführt.
                           Die Spinnereien für kurze Baumwolle erlitten eine
                              gründliche Umwandlung durch Einführung des Selfactors, womit die meisten
                              Spinnereien, welche aus Louisiania-Baumwolle Kette Nr. 30 bis 36 und wurden
                              Schuß Nr. 40 bis 50Alle Nro. beziehen sich auf englische Weise. erzeugen, montirt wurden. Die Selfactors theils von Sharp Roberts, theils von Parr-Curtis
                              bezogen und haben gewöhnlich 600 bis 800, in einigen Fällen auch 1100 Spindeln. Die
                              Selfactors von Parr-Curtis kommen vorzugsweise bei
                              der Erzeugung ordinärer Garne, Kette Nr. 32 und Schuß Nr. 44, in Anwendung, und es
                              liefern dieselben per Spindel und Woche 0,72 Pfd.
                              Ketten- oder 0,60 Pfund Schußgarn. Diese Production ist um 12 bis 15 Procent
                              höher als diejenige, welche mit Handmules in den günstigsten Fällen erzielt werden
                              konnte. Zugleich wurden alle Vorbereitungsmaschinen wesentlich verbessert. Die alten
                              Schlagmaschinen wurden durch englische mit Compressionswalzen versehene Maschinen
                              ersetzt, welche die Wolle so gut vorbereiten und eine so gleichförmige Watte
                              liefern, daß man von der doppelten Krempelei zur einfachen übergehen und dadurch bei
                              gleicher Maschinen- und Arbeiterzahl die Production um 20 Proc. steigern,
                              mithin den durch Anwendung der Selfactors hervorgerufenen Mehrbedarf an
                              vorbereitetem Material decken konnte. Die neueren Anlagen sind fast durchgängig mit
                              englischen selbstputzenden Krempeln ausgerüstet, deren Production in 12 Stunden sich
                              auf 60 bis 80 Pfund beläuft, während die gewöhnlichen Maschinen in derselben Zeit
                              bei einfacher Krempelei 35 bis 40 Pfund, bei doppelter Krempelei nur 30 bis 32 Pfund
                              zu liefern im Stande sind. Strecken und Spindelbänke haben ebenfalls entsprechende
                              Verbesserungen erfahren; das früher in ausgedehnter Weise angewandte Canalsystem hat
                              man gänzlich verlassen und statt dessen die englischen Preßtöpfe eingefühlt.
                           Die Spinnereien für lange Wolle, welche Garne über Nr. 80
                              erzeugen, erfuhren eine totale Umwälzung durch die fast allgemeine Einführung der
                              Kämmmaschinen, deren Anwendung die Fabrication von Garnen vorzüglicher Qualität und
                              zugleich eine bessere Ausnutzung der Wolle durch Verminderung des Abfalles
                              ermöglichte. Die frühere Handschlägerei wurde durch Einführung der Schlagmaschinen
                              und Nappeuses beseitigt, auch wurden alle
                              Präparationsmaschinen verbessert. Die Anwendung der Selfactors hat nur theilweise
                              stattgefunden, da man noch sehr im Unklaren darüber ist, ob sie für feinere Garne
                              entschiedene Vortheile gewähren. Die Verminderung der Productionskosten sowohl, als
                              die Steigerung der Production, sind hier weit weniger merkbar, als in der
                              Grobgarnspinnerei.
                           Die Veränderungen, welche in Beziehung auf Anzahl und Größe der Spinnereien innerhalb
                              des betreffenden Zeitraums stattgefunden haben, sind aus folgender Zusammenstellung
                              zu ersehen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 168, S. 354
                              Jahreszahl; Anzahl der Spinnereien;
                                 Triebkräfte; Dampfmaschinen; Wasserräder; Zahl; Pferde; Totale Triebkraft in
                                 Pferden; Spindelzahl; auf Handmules; auf Selfactors; in Summa
                              
                           Hiernach ist die Spindelzahl während des letzten Jahrzehnts um 50 Proc. gestiegen.
                              Die Production hat sich aber um mehr als 50 Proc. vermehrt, da das gründlich
                              verbesserte Maschinensystem äußerst günstig auf die Production einwirkte. Der
                              Geldwerth der jährlichen Production läßt sich annähernd auf folgende Weise
                              ermitteln: Von den gröberen und mittleren Garnsorten liefert eine Spindel jährlich
                              36 Pfd. à 7 fl. im Gesammtwerth von 25 fl.; bei
                              feinen Garnen beträgt die Jahresproduction einer Spindel nur 4 1/2 Pfund à 4 fl., mithin der Gesammtwerth nur 18 fl. Der
                              jährliche Productionswerth einer Spindel stellt sich sonach durchschnittlich auf 21
                              bis 22 fl. und derjenige der gesammten Spindelzahl auf circa 28 Millionen Gulden. Die Jahresproduction hatte 1828 bei 466,000
                              Spindeln nur einen Werth von 7 1/2 Millionen Gulden; diejenige von 1846 bei 779,300
                              Spindeln betrug gegen 19 Mill. Gulden. Die Arbeiterzahl belief sich im Jahre 1828
                              auf 10,000, d. i. 22 Arbeiter pro 1000 Spindeln. Seit
                              den verflossenen 10 Jahren hat sich dieselbe constant auf 14,000 bis 15,000 erhalten,
                              trotz der bedeutenden Vermehrung der Spindelzahl. Statt der 18 bis 20 Arbeiter,
                              welche man noch im Jahre 1851 für 1000 Spindeln nöthig hatte, hat man deren jetzt
                              nur noch 10 bis 12 für dieselbe Spindelzahl.
                           
                        
                           2. Kammwollspinnerei.
                           Die seit dem Jahre 1839 im Elsaß eingeführte Kammwollspinnerei hat während des
                              verflossenen Jahrzehnts einen nicht minder großen Aufschwung genommen wie die
                              Baumwollspinnerei. Im Jahre 1851 wurde dieselbe in fünf Etablissements mit 38,500
                              Spindeln, im Jahre 1861 in sechs Etablissements mit 71,500 Spindeln, worunter 15,000
                              auf Selfactors, betrieben. Die jetzige Zeit scheint geeignet, für diese
                              Industriebranche eine neue Aera herbeizuführen, denn die letzteren Jahre waren für
                              das Geschäft in weichen wollenen und halbwollenen Stoffen Merinos, Thibets etc.)
                              keineswegs günstig, da von der Mode entweder die harten Kammwollstoffe im reinen
                              oder gemischten Zustande (Orleans, Mohairs, Mixedlustre etc.) oder die leichteren
                              Baumwollstoffe (Jaconnets, Mousselins etc.), welche sich für den großen Umfang der
                              Roben besser eigneten, bedeutend bevorzugt wurden.
                           Als die wichtigsten Fortschritte, welche die Kammwollspinnerei in technischer
                              Beziehung gemacht hat, sind folgende anzuführen:
                           
                              1) Die allgemeine Einführung der Kämmmaschinen (System Heilmann oder Hübner),
                                 welche den Zug nicht nur in weit größerer Reinheit und Gleichförmigkeit, sondern
                                 auch in verhältnißmäßig größerer Quantität liefern, als die früher angewandten
                                 Maschinen.
                              2) Die seit 1854 in Gebrauch gekommene Reinigung des zur
                                 Wollwäsche angewandten Wassers, in Folge deren nicht nur eine bedeutende
                                 Ersparniß an Seife erzielt, sondern auch der Waschproceß besser ausgeführt
                                 wird.
                              3) Die Einführung der Bobinoirs mit
                                 Pression und doppelten Spulenreihen, wodurch das Band mehr egalisirt, und die
                                 Production verdoppelt wird.
                              
                           Die Kammwollspinnereien des Departements liefern jährlich für fünf bis sechs
                              Millionen Gulden Garne und beschäftigen 2300 Arbeiter, d. i. 32 Arbeiter pro 1000 Spindeln. An Motoren besaß die
                              Kammwollspinnerei im Jahre 1851 fünf Dampfmaschinen mit 230 und zwei Wasserräder mit
                              120, in Summa 250 Pferdekräften; im Jahre 1861 neun Dampfmaschinen mit 416 und vier
                              Wasserräder mit 285, in Summa 701 Pferdekräften.
                           
                        
                           
                           3. Weberei.
                           Die Weberei des Departements ist im Laufe des letzten Jahrzehnts in gleicher Weise
                              fortgeschritten wie die Spinnerei. Nicht nur haben die zum großen Theil in den
                              Vogesen gelegenen und durch Wasserkraft getriebenen Kattunwebereien sich bedeutend
                              erweitert, sondern es hat die mechanische Weberei auch ganz neue Fabricationszweige
                              sich angeeignet. Außer den gewöhnlichen Kattunen arbeitet man jetzt
                              façonnirte Organdis, Piqués, Moleskins, dann Merinos, Orleans, Rips,
                              Mozambiks, sowie endlich Cassinets und Tuche. Diese sämmtlichen Stoffe wurden früher
                              in anderen Theilen Frankreichs auf Handstühlen gearbeitet; aber die Elsässer haben
                              sich durch Güte und Billigkeit fast den ganzen Markt erobert.
                           Die erste mit 240 mechanischen Stühlen arbeitende Kattunweberei wurde im Jahre 1825
                              errichtet. Drei Jahre später zählte man schon 2125 Stühle und bis zum Jahre 1846
                              steigerte sich deren Anzahl auf 10,000, während die Handstühle von 20,000 auf 12,000
                              zurückgegangen waren. Die Zustände während der Jahre 1851 bis 1862 sind aus
                              folgender Zusammenstellung zu ersehen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 168, S. 356
                              Jahreszahl; Zahl der mechanischen
                                 Webereien; Triebkräfte; Dampfmaschinen; Wasserräder; Zahl; Pferde; Totale
                                 Triebkraft in Pferden; Zahl der Stühle; Handstühle; Maschinenstühle; in
                                 Summa
                              
                           Nimmt man an, daß ein mechanischer Webstuhl im Durchschnitt täglich ein Product im
                              Werth von 3 1/2 bis 4 fl. liefert, so ergibt sich der Werth der gesammten
                              Jahresproduction zu 32 bis 33 Millionen Gulden. Im Jahre 1828 betrug derselbe nur
                              gegen 9, im Jahre 1851 gegen 18 Millionen Gulden. Die Anzahl der durch die gesammte
                              Weberei beschäftigten Arbeiter belief sich im Jahre 1828 auf 30,000, im Jahre 1851
                              auf 19,000 und im Jahre 1861 auf 28,000, so daß dermalen 70 Arbeiter auf 100
                              mechanische Stühle zu rechnen sind.