| Titel: | Ueber Nutzen und Nachtheil der verlängerten Hauptgährung bei der Weinbereitung; von A. Béchamp. | 
| Fundstelle: | Band 171, Jahrgang 1864, Nr. LXXVIII., S. 303 | 
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                        LXXVIII.
                        Ueber Nutzen und Nachtheil der verlängerten
                           Hauptgährung bei der Weinbereitung; von A. Béchamp.
                        Aus den Comptes rendus, t. LVII p. 674.
                        Béchamp, über Nutzen und Nachtheil der verlängerten
                           Hauptgährung bei der Weinbereitung.
                        
                     
                        
                           Die Gährung des gekelterten Mostes in den Kufen kann man definiren: als ein kürzeres
                              oder längeres Verbleiben des Weines auf den Hülsen und Kämmen der Traube.
                           Die Erfahrung hat mir gezeigt, daß die verlängerte Gährung niemals schädlich ist; sie
                              setzt uns im Gegentheil allein in Stand, vollkommenen Wein zu erhalten, jedoch nur
                              unter der Bedingung, daß man sorgfältig die Berührung mit der Luft verhindert.
                           Aeltere und neue Schriftsteller empfehlen aufs bestimmteste das schleunige Abziehen
                              des Weines aus den Kufen, sobald nämlich das erste Sinken des Hutes bemerklich wird,
                              wo dann die Gährung bereits wieder abzunehmen beginnt.
                           Warum ist die Eile bei der jetzt gewöhnlichen Behandlungsweise der Weingährung
                              nothwendig? Weil die Berührung des Weines mit dem Hute unterbrochen werden muß, ehe
                              sie nachtheilig wird. Dieß ist aber erst dann der Fall, wenn in Folge des Eintritts
                              der Luft in die Fässer oder Kufen Schimmel entstanden ist.
                           Während der stürmischen oder lebhaften Gährung sind Most, Schaum und Hut durch die
                              Kohlensäure vor der Berührung mit Luft und mithin vor der Entwickelung von Keimen
                              (welche durch die Luft hineinkommen) geschützt; dieß hört auf, sobald durch
                              Verlangsamung der Gährung die Luft Zutritt erhält, und aus diesem Grunde muß die
                              Gährung früher unterbrochen, der Wein früher abgezogen werden, als es sonst der Fall
                              wäre.
                           
                           Directe Versuche haben mir gezeigt, daß die Schimmelentwickelung im Hut und im Schaum
                              sofort beginnt, wenn die Gährung nachläßt. Diese Thatsache bestätigte sich auch im
                              Herbst 1862 bei im Großen ausgeführten Gährungen von 21000 und 28000 Litern
                              Weinmost. Ich fand kein Faß, dessen Hut nicht am siebenten Tage mit
                              Schimmelbildungen verschiedener Art, mit kugelförmigen, von der Hefe verschiedenen
                              Fermenten imprägnirt gewesen wäre.
                           Hieraus erklärt sich der erfahrungsmäßige Gebrauch des frühen Abziehens aus den
                              Kufen.
                           Es ist dieß in der That eine Nothwendigkeit, wenn man nicht den Zutritt der Luft zu
                              verhindern im Stande ist.
                           Um zur Erzielung vollständig gegohrener Producte die Gährung in den Kufen länger
                              fortsetzen zu können, müßte man nach meiner Ansicht folgendermaßen verfahren: man
                              müßte den Hut durch Aufgießen von Wein zum Untertauchen bringen, ehe die stürmische
                              Gährung ihr Ende erreicht, dann das Faß bis zum Spunde voll machen und dasselbe aus
                              einem noch stürmisch gährenden Fasse immer voll erhalten, so daß nur eine sehr dünne
                              Schaumdecke der Luft ausgesetzt bleibt.
                           Die Resultate meiner Untersuchungen über die geistige Gährung bei der Weinbereitung
                              lassen sich in folgende Sätze zusammenfassen:
                           1) Der Rohrzucker ist kein eigentlicher Zucker, denn er ist direct nicht
                              gährungsfähig und reducirt nicht die Kupferflüssigkeit. Er verbindet sich wie das
                              Dextrin mit den Elementen des Wassers zur Glykose, und zwar unter dem Einfluß einer
                              Säure oder eines Fermentes.
                           2) Dieses Ferment entwickelt sich freiwillig durch das Wachsthum der aus der Luft in
                              die Zuckerlösungen gelangenden Keime.
                           3) Aehnlich verhält sich die Bierhefe beim Beginn ihrer Einwirkung auf den
                              Rohrzucker.
                           4) Das Ferment entsteht aus den in der Luft verbreiteten Sporen in einer Zucker und
                              eiweißartige Körper enthaltenden Flüssigkeit.
                           5) Das Ferment ist ein organisirtes Wesen, welches nach Art der Thiere wirkt und sich
                              ernährt.
                           6) Die geistige Gährung ist, wenn in der zuckerhaltigen Flüssigkeit mit dem Ferment
                              keine eiweißartige Substanz zugegen ist, eine unnatürliche Wirkung, weil das
                              organisirte Wesen sich nicht normal entwickeln, ernähren und vermehren kann.
                           7) Bei der Gährung wird in Folge des physiologischen Lebensprocesses des Ferments
                              Wärme entwickelt. Zugleich entsteht nothwendig Essigsäure nebst anderen flüchtigen
                              Säuren.
                           
                           8) In Folge dieser Säurebildung entstehen auch die entsprechenden Aether.
                           9) Normalmäßiger und fertiger Wein enthält keine eiweißartige Substanz mehr: sie ist
                              vollständig in den Organismus des Ferments übergegangen.
                           10) Bei der Gährung des Traubensaftes wird nicht immer aller Zucker umgesetzt, weil
                              die Zusammensetzung der Flüssigkeit zu complicirt wird. Der Zucker wird nach meinen
                              Versuchen nur dann ganz umgesetzt, wenn der Most nicht über 200 Grm. davon per Liter enthält.
                           Bei der Gährung des Mostes liefert der Zucker mehr Alkohol und weniger Kohlensäure
                              als die Theorie verlangt.
                           11) Die Verlängerung der Hauptgährung des Weines ist empfehlenswerth, doch muß dabei
                              die Luft abgeschlossen werden.