| Titel: | Bestimmung der Temperaturen, welche eiserne, in der nöthigen Hitze zur Holzgasbereitung dienende Retorten zeigen, mittelst eines neuen Pyrometers; von Dr. W. Reissig. | 
| Fundstelle: | Band 171, Jahrgang 1864, Nr. XCI., S. 351 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        XCI.
                        Bestimmung der Temperaturen, welche eiserne, in
                           der nöthigen Hitze zur Holzgasbereitung dienende Retorten zeigen, mittelst eines neuen
                           Pyrometers; von Dr. W.
                              Reissig.
                        Aus dem Journal für Gasbeleuchtung, 1863 S.
                              289.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              V.
                        Reissig's Pyrometer.
                        
                     
                        
                           Die Zersetzung, welche organische Körper erleiden, wenn wir sie der trockenen
                              Destillation unterwerfen, ist wesentlich durch die Temperatur bedingt, bei welcher
                              die Destillation stattfindet.
                           Es ist durch zahlreiche Beobachtungen unzweifelhaft erwiesen worden, daß mit
                              veränderter Temperatur die Zersetzungsproducte sowohl in quantitativer wie in
                              qualitativer Beziehung sehr wechselnd sind, welche wir aus ein und demselben Körper
                              erhalten. Die Beobachtung der Vorgänge bei der Gasbereitung, die ja ebenfalls eine
                              trockene Destillation ist, zeigt uns das Nämliche. Es ist Jedermann bekannt und ich
                              darf es deßhalb hier nur kurz erwähnen, daß im Allgemeinen, je höher die angewandte
                              Temperatur ist, um so größer die Ausbeute an flüchtigen Substanzen und je geringer
                              die des festen Rückstandes, und umgekehrt je niedriger die Temperatur, desto weniger
                              flüchtige Substanzen und desto mehr Kohle erhalten wir.
                           Der Hitzegrad, bei welchem wir die Zersetzung des Holzes einleiten, ist mehr noch wie
                              bei der Steinkohlengasbereitung von wesentlichstem Einflusse auf die Gasausbeute.
                              Die Möglichkeit der Gasbereitung aus Holz verdankt der Beobachtung ihren Ursprung,
                              daß die in niederer Temperatur entstehenden Theerdämpfe noch weiter erhitzt werden
                              müssen, wobei sie sich in schwere Kohlenwasserstoffe und andere Oasarten spalten.
                              Das genauere Eingehen auf diesen Proceß hätte es deßhalb sehr wichtig erscheinen
                              lassen, um die günstigsten Bedingungen bei der Holzgasbereitung kennen zu lernen,
                              die Temperatur festzustellen, bei welcher dieser Vorgang statt hat. Daß dieß nicht
                              geschehen ist, liegt zumeist an der Unsicherheit der bis jetzt bekannten Pyrometer
                              (der jüngst von Regnault bekannt gegebene ausgenommen)
                              und in der Schwierigkeit der Handhabung der Apparate, die zum Messen dienen sollen.
                              Die Angaben, die bis jetzt unter Fachleuten gang und gäbe sind, und die Hitze der
                              Retorte, nach der Farbe der glühenden Retortenwand bemessen, sind weder genau noch
                              sicher. Selbst Angaben, mit Instrumenten und Apparaten angestellt, zeigen sehr
                              bemerkenswerthe Unterschiede. Ich darf zum Belege hierfür anführen, wie sehr
                              verschieden die Angaben über die durchschnittlich höchste Temperatur bei der
                              Gasbereitung aus Steinkohlen von Hrn. Prof. Stein und
                              Hrn. Director Schilling sind, die sehr beträchtlich von
                              einander abweichen.Schilling's Handbuch für
                                    Steinkohlengas-Beleuchtung S. 28.
                              
                           Zur Bestimmung der Temperatur einer eisernen, im fabrikmäßigen Betriebe einer
                              Holzgasanstalt befindlichen Retorte bediente ich mich des in Fig. 35 abgebildeten
                              Pyrometers, dessen Genauigkeit wohl eine sehr große ist, dessen Aufstellung und
                              Handhabung freilich einige Uebung verlangt.
                           Ich verdanke die Mittheilung desselben meinem Freunde Hrn. Quincke, Privatdocenten an der Berliner Universität, und habe dasselbe nur
                              unseren Verhältnissen angepaßt.
                           Die Principien nach welchen dasselbe construirt ist, sind folgende: Zwischen den
                              Punkten A und C, Fig. 34, denen
                              von einer galvanischen Kette ein Strom zugeleitet wird (wie es die Pfeile der Figur
                              andeuten), sind Drähte ausgespannt, die mit 1, 2, 3, 4 und 5 bezeichnet sind. Die
                              Stromintensitäten in denselben nennen wir entsprechend i₂, i₁, i₃, i₄ und i₅, und die Widerstände in denselben entsprechend
                              w₁, w₂,
                              w₃, w₄ und
                              w₅.
                           Nach den von Kirchhoff gefundenen Sätzen über
                              StromverbreitungPoggendorff's Annalen Bd. LXIV S. 513 (1845). Sie
                                    lauten:Wird ein System von Drähten, die auf eine ganz beliebige Weise mit einander
                                    verbunden sind, von galvanischen Strömen durchflossen, so ist:1) wenn die Drähte 1, 2, μ in einem Punkte zusammenstoßenJ₁ + J₂ +... J μ = 0wo J₁, J₂... die Intensitäten der Ströme
                                    bezeichnen, die jene Drähte durchfließen, alle nach dem Berührungspunkte zu
                                    als positiv gerechnet;2) wenn die Drähte 1, 2,... v eine geschlossene
                                    Figur bildenJ₁ . w₁ + J₂ . w₂ +.... Jv. wv
                                    = der Summe aller elektromotorischen Kräfte, die sich
                                    auf dem Wege: 1, 2... v befinden; wo w₁, w₂,... die Widerstände der Drähte, J₁, J₂,.... die
                                    Intensitäten der Ströme bezeichnen, von denen diese durchflossen werden,
                                    alle nach einer Richtung als positiv
                                    gerechnet. ist dann, so bald in den Drähten selbst keine elektromotorische Kraft (von
                              Thermoströmen herrührend) ihren Sitz hat:
                           
                              
                                 für den Stromumgang
                                 
                                    ACDA
                                    
                                 =
                                 i₃ w₃ + i₅ w₅ – i₁ w₁ = 0
                                 
                              
                                  „    „            
                                    „
                                 
                                    CBDC
                                    
                                 
                                 i₄ w₄ – i₂ w₂ – i₅ w₅ = 0
                                 
                              
                                 für die Kreuzungsstelle
                                 
                                    C
                                    
                                 
                                 i₃ – i₄ – i₅ =
                                    0
                                 
                              
                                  „    „            
                                    „
                                 
                                    D
                                    
                                 
                                 i₁ + i₅ – i₂ = 0.
                                 
                              
                           
                           In dem Stromzweige 5 befindet sich – wie angedeutet – ein
                              Multiplicator. Derselbe gibt die Stromintensität
                           i₅ = 0
                           so gehen die 4 Gleichungen über in folgende:
                           
                              
                                 i₃ w₃ – i₁ w₁ = 0i₄ w₄ – i₂ w₂
                                    = 0i₃ – i₄ = 0i₁ – i₂ = 0
                                 
                                    
                                    
                                    
                                 
                                    A
                                    
                                 
                              
                                 
                                    oder
                                    
                                 
                                 
                                 
                              
                                 i₃ w₃ – i₁ w₁i₄ w₄ = i₂ w₂
                                 
                                    
                                    
                                 
                                    B
                                    
                                 
                              
                           Berücksichtigt man nun, daß i₃ = i₄ und i₁ =
                              i₂ ist, so gibt die Gleichung B dividirt dann
                           w₃/w₄ = w₁/w₂
                           wobei als Bedingung gilt, daß in dem Stromzweige 5, dem
                              „Brückendrahte,“ kein Strom vorhanden, daß i₅ = 0 ist.
                           Diese gefundene Relation ist unabhängig von der Stromintensität der galvanischen
                              Kette und dem Widerstande des Brückendrahtes, also auch des in demselben
                              eingeschalteten Multiplicators.
                           Wenn nun zwischen A und B ein
                              gerader Draht ausgespannt ist, auf welchem ein bewegliches Ende des Brückendrahtes 5
                              aufruht, so wird dasselbe 2 Stücke auf demselben (1 und 2) bestimmen, deren
                              Widerstände sich verhalten wie die Drahtlängen. Verschiebt man nun das Drahtende D so lange, bis die Stromintensität im Brückendrahte und
                              Multiplicator = 0 ist, so hat man
                           w₃/w₄ = w₁/w₂ = s͵/s͵͵ = s͵/(l₁ – s͵)
                           wo man mit s und s die Längen der Drahtstücke AD und DB des
                              gerade ausgespannten Drahtes AB und mit 1 die
                              ganze Länge des Drahtes AB bezeichnet.
                           Nimmt man nun als Widerstand w₄ einen Platindraht,
                              der an die Stelle der zu messenden Temperatur geführt wird und macht w₃ demselben annähernd gleich (um eine möglichst
                              große Empfindlichkeit des Instrumentes zu erzielen), so hat man
                           w₄ = s₂/s₁ w₃ = (l – s͵)/s͵ w₃
                           Der Widerstand w₄ des Platindrahtes ist nun bei
                              1° Celsius durch den Ausdruck gegeben:
                           
                           w₄ = (1 + α t) W₄
                           wo W₄ den Widerstand dieses
                              Drahtes bei 0° bezeichnet.
                           Für t°, die Temperatur des Drahtes, hat man also
                              die Gleichung
                           1)    (1 + α t) W₄ = (l –
                                 s₁)/s₁ w₃ und
                           für T°
                           2)    (1 + α T) W₄ = (l – τ₁)/σ₁ w₃ 
                           wo σ₁ die bei der Temperatur 1 des Platindrahes
                              abgelesene Länge AD des ausgespannten Drahtes
                              ist.
                           Aus diesen beiden Gleichungen folgt:
                           (1 + α s)/(1 + α t) = (l –
                              τ₁)/σ₁ 1 . s₁/(l – s₁)
                           oder wenn t eine Temperatur in der
                              Nähe des Nullpunktes ist:
                           1 + α (T – t) = s₁/σ₁ . (1 – τ₁)/(l – s₁)
                           T = 1/α (s₁/σ₁ . (l – σ₁)/(l –
                                 s₁) – 1) + t.
                           Der Coefficient α ist für Platin = 0,00376.W. Siemens
                                    in Poggendorff's Annalen, Bd. CX 1860. S.
                                    20.
                              
                           Die Ausführung des Pyrometers selbst soll Fig. 35
                              veranschaulichen.
                           Auf einer Latte A, A ist zwischen den beiden Punkten a' und a der Meßdraht
                              gespannt. Derselbe ist von Messing und hat eine Dicke von 0,4–0,5
                              Millimetern. Die Länge desselben beträgt 1 Meter; kürzeren Draht anzuwenden ist
                              nicht rathsam. Unterhalb des Drahtes befindet sich eine auf Papier aufgetragene
                              Theilung in Millimetern, die es möglich macht, die jeweiligen Abschnitte des
                              Kupferbleches l, l, das an einem Holzklötzchen befestigt
                              ist, genau abzulesen. Die Führung des Klötzchens geschieht durch ein Leistchen x, x. Die Kupferplatte l, l
                              ist unten scharf zugespitzt; sie kann durch eine Feder, die in der Figur nicht
                              angegeben ist, auf dem Meßdrahte a', a so aufgedrückt
                              werden, daß bei einer Verschiebung des Klötzchens die Spitze nicht nothleidet. G ist ein Galvanometer, von bekannter Construction, der
                              einen Multiplicatordraht von mehreren hundert Windungen enthält.
                           Von einer aus zwei Daniell'schen Elementen bestehenden
                              Batterie wird der Strom in die Pföstchen a', a geleitet.
                              Der Draht geht von a'
                              durch eine Röhre von
                              Glas, in welcher ein Platindraht von der feinsten Sorte und von gleicher Länge wie
                              der im Feuer liegende spiralförmig aufgerollt ist, nach der Vereinigungsstelle C. R stellt ein Porzellanrohr dar, das durch den
                              Retortendeckel in das Innere der Retorte geleitet wird und in seinem Innern
                              gleichfalls einen sehr dünnen Platindraht enthält, den man möglichst lang nehmen
                              muß. Der Platindraht in R ist einerseits mit der
                              Vereinigungsstelle l, andererseits mit a durch Drähte von Neusilber, die mit Seide umsponnen
                              sind, verbunden. Von C führt ein nicht zu dünner Draht
                              den Strom in den Galvanometer G und von diesem wieder
                              durch einen eben solchen Draht in die Kupferplatte l, l.
                              Der ganze Apparat wird, um eine möglichst gleiche Temperatur aller Theile außerhalb
                              der Retorte zu erzielen, in einen geräumigen Holzkasten gestellt, dessen Rückwand
                              bei R dann durchbohrt ist. Das Glasrohr D, D legt man, wenn es auf große Genauigkeit ankommt, in
                              ein Gefäß mit Wasser, um gleichfalls eine möglichst constante Temperatur zu
                              erzielen.
                           Wenn der Apparat nun zusammen- und die Verbindungen der Drähte genau
                              hergestellt sind, was man am besten durch Lochen erreicht, wird zuerst bei einer
                              0° C. oder wenig über 0° C. betragenden Temperatur der Punkt bestimmt,
                              bei welchem die Galvanometernadel keinen Strom mehr anzeigt. Es ist gerathen, diesen
                              Versuch mehrmals zu wiederholen, um diesen Punkt möglichst genau zu haben. –
                              Dann kann man die Röhre R in die Retorte bringen, und
                              wenn dieselbe sammt dem in ihr befindlichen Platindraht die zu messende Temperatur
                              angenommen hat, nunmehr abermals den Punkt suchen, bei welchem die Galvanometernadel
                              keinen Strom anzeigt. Aus den beiden gefundenen Längen des Meßdrahtes a', a läßt sich dann mit Hülfe obiger Formeln leicht die
                              Temperatur berechnen.Das Princip des Widerstandes der Leitungsfähigkeit im Platindraht kann
                                    möglicherweise richtig seyn, aber es fehlen zur Annahme desselben noch zwei
                                    Punkte: erstens ist nicht untersucht, ob dieser Widerstand bei höheren
                                    Temperaturen denselben proportional ist, und zweitens ist der Coefficient
                                    für 1° C. von Becquerel zu 0,001861,
                                    hingegen von W. Siemens zu 0,00376 bestimmt;
                                    welche Bestimmung ist die richtige?A. d. Red.
                              
                           Ein Beispiel wird dieß des Näheren erläutern. Die ganze Länge des Meßdrahtes betrage
                              1130 Millimeter. Bei 20° C. wurde der Ruhepunkt der Nadel bei 618 Millimeter
                              gefunden; der andere Abschnitt der Drahtlänge beträgt sonach 512 Millim.
                           Als der Draht in das Innere der Retorte geführt war und die dort herrschende Temperatur
                              angenommen hatte, wurde der Ruhepunkt bei 275 Millim. gefunden.
                           Die zu bestimmende Temperatur beträgt sonach:
                           T = 1/0,00376 (618/275 . 855/512
                              – 1) + 30
                           T = 762° Cels.
                           Mit dem beschriebenen Apparate habe ich die Temperaturmessung bei verschiedenen
                              eisernen Retorten ausgeführt, welche im fabrikmäßigen Betriebe einer größeren
                              Anstalt benützt wurden, als sie leer, zur Aufnahme des Holzes bereit und in der
                              nöthigen kirschrothen Glühhitze waren.
                           Die Temperatur, welche in diesem Zustande das Retorteninnere zeigte, betrug
                              720–840° Cels.
                           Diese Temperatur ist sonach diejenige, bei welcher die Zersetzung des Holzes
                              eingeleitet wird. Doch darf hierbei nicht übersehen werden, daß diese Temperatur
                              nicht diejenige ist, bei welcher die trockene Destillation des Holzes verläuft.
                              Durch die nach dem Laden eintretende Zersetzung des Destillationsmaterials wird
                              dieselbe verringert, weil bei der Gasbildung eine beträchtliche Menge Wärme
                              verschluckt wird und außerdem eine weitere Erniedrigung der Temperatur dadurch
                              eintritt, daß das Holz immer in wasserhaltigem Zustande destillirt wird. Diese ist
                              natürlich um so größer, je weniger das Holz getrocknet ist. Allerdings wird zwar
                              durch die Feuerung der Retorte immer wieder eine bedeutende Menge Wärme zugeführt;
                              es ist aber nicht anzunehmen, daß dieselbe dadurch in constanter Hitze zu erhalten
                              ist, weil bei Anwendung von Holz schon in den ersten zehn Minuten 1/4 bis 1/3
                              sämmtlicher Gasproduction sich entwickelt und in dieser Zeit die größere Hälfte von
                              Theer und Essig im Betrage von 12–15 Pfunden übergeht.
                           Wenn ich den Apparat so hergestellt haben werde, daß der Platindraht in der Hülle des
                              Porzellanrohres während der Destillation in der Retorte verbleiben kann, so läßt
                              sich dann auch die Temperatur in derselben während der einzelnen Stadien der
                              Zersetzung folgern und werde ich hierüber später Mittheilung geben.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
