| Titel: | Untersuchungen über die Entstehung, das künstliche Hervorrufen und die Verhütung des Mutterkornes, von Prof. Dr. Julius Kühn. | 
| Fundstelle: | Band 172, Jahrgang 1864, Nr. XXXIX., S. 148 | 
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                        XXXIX.
                        Untersuchungen über die Entstehung, das
                           künstliche Hervorrufen und die Verhütung des Mutterkornes, von Prof. Dr. Julius Kühn.
                        Kühn's Untersuchungen über die Entstehung, das künstliche
                           Hervorrufen und die Verhütung des Mutterkornes.
                        
                     
                        
                           In den „Mittheilungen aus dem physiologischen
                                    Laboratorium und der Versuchsstation des landwirthschaftlichen Instituts der
                                    Universität Halle“ , 1. Hest
                                 (Halle, C. C. M. Pfeffer, 1863) findet sich unter obiger
                              Ueberschrift eine Abhandlung des Prof. Kühn. In derselben
                              erweitert und ergänzt der Verf. die Mittheilungen, welche er in seinem Buche:
                              „die Krankheiten der Culturgewächse, ihre Ursachen und ihre Verhütung
                                 (Berlin, Bosselmann 1858)“ gemacht hat,
                              indem er zunächst die in neuerer Zeit hervorgetretenen entgegenstehenden Ansichten
                              bekämpft und dann die Resultate seiner jüngsten Beobachtungen und Untersuchungen näher darlegt.
                              Darnach ist das Mutterkorn ebensowenig ein degenerirtes Samenkorn, noch wird es
                              hervorgebracht durch den Biß eines Käfers; vielmehr ist das Mutterkorn nur ein
                              Zwischengebilde in der Entwickelung eines parasitischen Pilzes, Claviceps purpurea Tul. Bringt man das
                              Mutterkorn in feuchten Boden, so entwickeln sich zur Zeit der Kornblüthe aus
                              demselben zahlreiche keulenförmige Pilzchen, wie das schon Tulasne gezeigt hat. Bonorden hat nun in neuester Zeit behauptet, diese
                              Keulenpilze (Claviceps purpurea) seyen nur Parasiten des
                              Mutterkornes. Kühn aber weist nach, daß die Zellen im
                              Innern des Mutterkornes zu Fäden auswachsen und in der That zu den Stielzellen der
                              Claviceps sich entwickeln, daß also wirklich ein innerer genetischer Zusammenhang
                              zwischen dem Mutterkorne und den daraus hervorwachsenden Keulenpilzen bestehe. Mit
                              reifen, auf ihre Keimfähigkeit untersuchten Sporen aus den Köpfchen der Claviceps
                              versuchte nun Kühn das Mutterkorn künstlich zu erzeugen,
                              indem er die Sporen in eben sich öffnende Roggenblüthchen brachte. Der Versuch war
                              von bestem Erfolge begleitet, von 6 mit Sporen besetzten Blüthen wurden in 5
                              derselben große ungemein kräftig entwickelte Mutterkörner erzogen und damit der
                              entscheidende Nachweis geführt, daß das Mutterkorn eine Pilzbildung ist und daß man
                              „wie man Roggen bauen kann, auf diesen auch das Mutterkorn zu
                                 cultiviren vermag.“
                              Kühn wies dabei auch die Art und Weise nach, in welcher
                              die Clavicepssporen keimen. Die Keimfäden derselben umspinnen als ein feines,
                              weißliches Gewebe den Fruchtknoten, dringen später auch in denselben hinein und
                              zerstören ihn ganz oder größtentheils. Allmählich beginnen dann die Fäden sich
                              bauchig zu erweitern und abzugliedern. In dem Stadium ihrer nächsten Entwicklung
                              bilden sie einen schleimig schmierigen, die Spelzen oft überragenden Körper, der
                              nach und nach von unten auf zu dem eigentlichen Mutterkorn sich verdichtet und
                              erhärtet, indem zugleich die violett gefärbte Rindenschicht aus dünneren, parallel
                              gelagerten Fäden entsteht. Dieser Vorgang ist aber noch mit einer zweiten
                              Erscheinung begleitet. Sowie nämlich die Pilzfäden reicher sich zu entwickeln
                              beginnen, scheiden sie einen schleimigen, widerlich süßlich schmeckenden Stoff ab,
                              der als sogenannter „Honigthau des Roggens“ wohl bekannt ist
                              und der zwischen den Spelzen hervorquellend, oft in großen Tropfen an den Aehren
                              hängt und sie schmierig und klebrig macht. In dieser schleimigen Flüssigkeit findet
                              man unzählige eiförmige Zellen, deren Bildung, wie die Untersuchung zeigt, auf
                              stielförmigen Aestchen des Pilzgewebes (der Sphacelie) stattfindet. Diese eiförmigen
                              Zellen bilden eine zweite Sporenform des Mutterkornpilzes; sie vermögen auszukeimen
                              und Kühn
                               erzeugte auf einer
                              zweiten Versuchsähre durch Uebertragung dieser Sporen 19 Mutterkörner. Da der
                              süßliche Schleim, in dem diese zweite Form von Sporen (Stylosporen) enthalten ist,
                              den Insecten und insbesondere auch den Käfern als Lockspeise dient, so hat man
                              häufig irrthümlicher Weise geglaubt, diese Käfer seyen die Veranlassung zur
                              Entstehung des Mutterkornes. Daran freilich sind sie nun völlig unschuldig, wohl
                              aber können sie das Mutterkorn verbreiten helfen, indem sie nämlich die in dem
                              vermeintlichen Honigthau enthaltenen, an ihrem Körper leicht anhängenden Sporen von
                              Blüthe zu Blüthe tragen. Diese vorliegende Untersuchung hat unsere Kenntniß über die
                              Natur und die Entwickelung des Mutterkornes zum Abschluß gebracht. Indem wir in
                              Betreff der näheren Details auf die auch durch eine Tafel erläuterte Abhandlung
                              selbst verweisen, beantworten wir nur noch die Frage: „Wie verhütet man
                                 die Mutterkornbildung?“ mit Kühns eigenen
                              Worten:
                           Ueberblicken wir nun die Entwicklungsgeschichte des Mutterkornpilzes, so tritt uns
                              zunächst die Thatsache entgegen, daß die Ueberwinterung
                              desselben an das Dauermycelium, das Mutterkorn geknüpft ist. Dieses bildet zur Zeit der Roggenblüthe die Clavicepssporen in ungeheurer Menge. Zwar sind diese auf
                              den kaum über den Boden Herragenden Sphärienköpfchen von den Blüthen des zur Zeit
                              hochgewachsenen Roggens sehr entfernt, aber Wind und Insecten vermögen die so ganz
                              außerordentlich feinen Sporen schon weiter zu verbreiten. Und wenn auch von den
                              Millionen von Sporen, die durch wenige zur Entwickelung gelangte Mutterkörner auf
                              einer Flur erzeugt werden können, die meisten zu Grunde gehen, einzelne finden doch
                              ein Roggen- oder Grasblüthchen zur Weiterbildung. Damit sind aber die Ausgangspunkte zur sicheren Verbreitung gegeben, wenn
                              irgend die Witterung dieselbe begünstigt. Mit dem von allerlei Insecten geliebten
                              Sphacelienschleim sahen wir die Möglichkeit gegeben,
                              daß die in demselben suspendirten Stylosporen weithin
                              schnelle Verbreitung finden, und bei der enormen Menge, in der sie erzeugt werden,
                              kann daher das zahlreiche Auftreten des Mutterkornes in den seiner Bildung günstigen
                              Jahren nicht mehr befremden. Wollen wir diese Bildung verhüten, so müssen wir jene
                              Ausgangspunkte der Verbreitung möglichst vermindern und
                                 diese selbst möglichst unschädlich zu machen suchen. Wir haben also unsern
                              Kampf zunächst gegen das ausgebildete Mutterkorn zu richten. Zu dem Behuf sorge man,
                              daß nicht durch zu spätes Mähen des Getreides neben dem besten Samenkorne auch
                              zahlreiches Mutterkorn ausfalle und auf den Ackerboden gelange, sondern daß man es möglichst mit
                              dem ausgedroschenen Getreide gewinne, aus dem es durch Werfen, Fegen und Sieben
                              recht wohl zu scheiden ist. Die gewonnenen Mutterkörner werfe man nicht wegen der
                              wenigen zwischen ihnen etwa befindlichen Körner den Hühnern hin, damit diese es
                              verscharren- und so für seine künftige Entwickelung aufs Beste placiren;
                              bringe es auch nicht auf den Composthaufen, wo es nicht weniger gut situirt wäre,
                              sondern werfe es in die Jauchengrube. Hier fault es und wird sicher unschädlich.
                              – Nun aber wissen wir weiter, daß auch viele Gräser Mutterkorn derselben
                              Pilz-Art tragen können, die dem Getreide schädlich wird, daher müssen wir
                              unser Augenmerk auch auf alle Grasränder und Weiden richten. Hier entwickelt es sich
                              auf den oft zahlreich aufgeschoßten Halmen, namentlich unter anderen des Raigrases,
                              nicht selten sehr zahlreich. Sobald daher an solchen Halmen der Sphacelienschleim,
                              der vermeintliche Honigthau, häufig wahrzunehmen ist, so säume man nicht, ehe das Sclerotium sich entwickelt, die Halme mit der
                              Sense abschlagen zu lassen, was erhebliche Mühe oder Kosten nicht verursacht. So
                              verhütet man hier die Ausbildung der Mutterkörner und vermindert somit die
                              Ausgangspunkte der Verbreitung. Ich halte diese letztere Maßregel für besonders
                              wichtig und der Beachtung des praktischen Wirthes für werth. Es ist gerade das auf
                              den Feld-, Weg- und Grabenrändern gebildete Mutterkorn eine
                              Hauptquelle der künftigen Verbreitung, und es liegt namentlich darin auch die
                              Ursache, daß am Rande des Feldes das Mutterkorn meist zuerst und am zahlreichsten
                              verbreitet ist. Es kommt ja auch im Innern der Gewende vor, in der Regel aber findet
                              es vom Rande aus seine Verbreitung. Und dazu geben die auf den Gräsern der Wegränder
                              erzeugten und später hier zu den Sporen bildenden Sphärien sich entwickelnden
                              Sclerotien die Hauptveranlassung. Dazu kommt noch, daß hier auch der Verkehr der
                              Käfer, Fliegen etc., dieser Botengänger des Parasiten, ein besonders lebhafter ist.
                              Also: möglichste Vertilgung aller Mutterkörner, deren wir
                                 irgend habhaft werden können, durch Unterbringung in der Jauchengrube, und dann:
                                 möglichste Verhütung ihrer Bildung auf den Gräsern der Raine, Weg- und
                                 Grabenränder, Weiden etc., was übrigens auch im Interesse der Gesundheit
                              der weidenden Thiere von Wichtigkeit ist.
                           Haben wir so die Ausgangspunkte der Verbreitung des Mutterkornes möglichst
                              beschränkt, so gilt es nun noch, dieser selbst entgegen zu arbeiten. Wer genauer das
                              Auftreten des Mutterkornes beobachtet hat, wird gefunden haben, daß einzelne
                              Mutterkörner, in der Regel sehr kräftig entwickelte, frühzeitig vorhanden sind; erst etwas
                              später tritt dann bei geeigneter Witterung die größere Verbreitung auf. Jenes sind die durch die Clavicepssporen hervorgerufenen
                                 Ausgangspunkte der Verbreitung. Wenn man den Rand der Felder entlang geht
                              und darauf achtet, gewahrt man solche früh befallene Aehren wohl auch schon im
                              Stadium der Schleimbildung, und es ist dann immer zu empfehlen, solche mit dem
                              vermeintlichen Honigthau bedeckte Aehren alsbald abzubrechen und vom Felde zu
                              entfernen, weil sonst von ihnen aus der Schade sich weiter verbreitet. Diese
                              Verbreitung trifft nun aber namentlich alle jüngeren in der
                                 Entwickelung etwas zurückstehenden Halme. Daher das Vorurtheil, daß für die
                              Bildung des Mutterkornes die schwachen Pflanzen die geeigneteren seyen, daß in ihrer
                              Schwächlichkeit ein Hauptgrund, eine Disposition zum Erkranken liege. Das ist
                              durchaus unrichtig. Es gibt keinerlei Dispositionen in diesem
                                 Sinne für das Befallenwerden vom Mutterkornpilz, die Sporen desselben
                              entwickeln sich, wenn die Witterung paßt, ganz genau so auf der kräftigsten, wie auf
                              der schwächlichsten Pflanze, höchstens ist der Unterschied im Gegentheil der Art,
                              daß auf den kräftigsten Pflanzen auch das Mutterkorn
                                 kräftiger sich ausbildet, als auf den schwächeren. Zu meinem Versuche des
                              künstlichen Hervorrufens wählte ich mit Erfolg eine sehr kräftig entwickelte
                              Pflanze. Also nicht in der Disposition zum Erkranken, sondern in der Entwickelungszeit ist es begründet, daß etwas später und
                              deßhalb oft weniger kräftig ausgebildete Pflanzen und Triebe mehr der Ausbreitung
                              des Mutterkornes unterliegen. Wir werden deßhalb dieser mit Erfolg entgegenwirken,
                              wenn wir alles das anwenden, was eine möglichst gleichmäßige
                                 Entwickelung und möglichst gleichzeitiges Abblühen der Pflanzen begünstigt.
                              All die Maßnahmen des rationellen Ackerbaues, die Trockenlegung, tiefe und gute
                              Bearbeitung, normale, nicht einseitig stickstoffreiche Düngung, zweckmäßige Stellung
                              in der Fruchtfolge und Auswahl vollkommenen Saatgutes bezwecken eine solche
                              gleichmäßige Entwickelung aller Pflanzen desselben Feldes. Besonders ist es aber
                              noch die Drillsaat, die deßhalb, weil sie die einzelnen
                              Samen weit gleichmäßiger in den Boden bringt, als die breitwürfige Saat, ein viel
                              egaleres Auflaufen und damit auch später gleichartigere Entfaltung bedingt. Es ist
                              somit die Drillcultur im Verein mit den übrigen Maßnahmen
                                 eines rationellen Betriebes trefflich geeignet – nicht das Auftreten des
                                 Mutterkornes zu verhüten – wohl aber seine Ausbreitung möglichst zu
                                 beschränken, durch einen durchaus gleichartigen normalen Stand und gleichmäßig kräftige
                                 Entwickelung der Saat. Daß dieß auch in praxi
                              probat, habe ich in meiner Stellung als Amtmann von Groß-Krauschen
                              (Schlesien) in den Jahren 1854 und 1855 gesehen. In diesen Jahren gab es viel
                              Mutterkorn, in ihnen habe ich die zahlreichsten Beobachtungen über Ausbildung
                              desselben machen können, das alles aber nicht auf den durchaus
                                 gedrillten Winterungsschlägen der Dominialfelder – sondern auf den
                              daneben liegenden in gewöhnlicher Cultur stehenden Bauerfeldern.
                           So kommen wir auch hier wieder zu dem Ergebniß, auf das ich schon früher in meinem
                              Buche über die Pflanzenkrankheiten S. 258 aufmerksam gemacht habe. „Wie
                                 wir durch eine gleichmäßig gute Ernährung und sorgfältige Pflege am sichersten
                                 dem Erkranken unserer Hausthiere vorbeugen, so werden wir auch bei dem
                                 Pflanzenbau die krankmachenden Ursachen in ihrem nachtheiligen Einflusse
                                 beschränken durch eine normale Ernährung und Pflege, durch
                                    eine wahrhaft rationelle Cultur der angebauten Gewächse.“