| Titel: | Untersuchungen über Eisen und Stahl; vom Bergingenieur de Cizancourt. | 
| Fundstelle: | Band 172, Jahrgang 1864, Nr. LIV., S. 223 | 
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                        LIV.
                        Untersuchungen über Eisen und Stahl; vom
                           Bergingenieur de
                              Cizancourt.
                        Aus den Comptes rendus, t. LVII p. 316.
                        de Cizancourt's Untersuchungen über Eisen und Stahl.
                        
                     
                        
                           Die nähere Bestimmung der Bedingungen, denen die Eisenhüttenproducte, ganz besonders
                              die durch Schmelzung dargestellten, entsprechen müssen, um streck- und
                              hämmerbare Fabricate zu geben, gehört zu den interessantesten Aufgaben der
                              Eisen- und Stahlhüttenkunde.
                           Der Verf. beschäftigte sich längere Zeit speciell mit dem Bessemerprocesse, welcher eine neue Reihe verschiedenartiger
                              Schmelzproducte liefert und gab eine ins Einzelne gehende Beschreibung derselben.
                              Bei dieser Methode lassen sich alle Erscheinungen, welche durch die Einwirkung der
                              atmosphärischen Luft auf das geschmolzene Roheisen hervorgerufen werden, deutlich
                              verfolgen. Das Einblasen von Luft in das letztere bewirkt aller Wahrscheinlichkeit
                              nach zunächst die Verbrennung der leichter als das Eisen zu oxydirenden Substanzen,
                              namentlich des Siliciums, der Erdmetalle und vielleicht auch des Mangans; dann
                              diejenige des chemisch gebundenen und darauf die des als Graphit vorhandenen
                              Kohlenstoffs. Diese Verbrennungsprocesse gehen, wie der Augenschein lehrt,
                              successive vor sich, so daß ein ganz regelmäßiges Frischen – und zwar bei
                              gleichzeitiger constanter Temperatur-Erhöhung
                              – stattfindet. Sind diese Processe vorüber, so übernimmt das Eisen selbst die Rolle des Hauptbrennstoffs, und
                              verbrennt zu gleicher Zeit mit dem Schwefel und Phosphor, so daß diese beiden
                              letzteren Elemente, namentlich der Phosphor, dem Frischproceß, so weit derselbe in
                              der Praxis ausführbar ist, entgehen. Der scheinbar so energisch vor sich gehende Frischproceß
                              findet seine Grenze durch die bei sehr hoher Temperatur stattfindende bedeutende
                              Zunahme der Verwandtschaft des Eisens zum Sauerstoffe und durch Umstände, unter
                              denen dieses Metall von in ihm gelösten oxydirenden Gasen durchdrungen ist und in
                              Folge davon einen besonderen Zustand annimmt, welcher der wirklichen Oxydirung zu
                              überraffinirtem oder oxygenirtem Eisen unmittelbar vorhergeht. Sobald daher dieser
                              Zustand eingetreten ist, muß die Operation unterbrochen werden. Zu diesem Zwecke ist
                              es in den meisten Fällen hinreichend, noch eine gewisse Menge Roheisen zuzusetzen
                              und es in streckbares, mehr oder weniger stark gekohltes Eisen umzuwandeln. Versucht
                              man, das sehr leichtflüssige überraffinirte Metall ohne einen solchen Zusatz zu
                              vergießen, so entweichen die von ihm absorbirten Gase in der Gießform; sie
                              verursachen eine förmliche Eruption und die erstarrten Theile sind nicht
                              streckbar.
                           Durch den Roheisenzusatz hingegen wird die chemische Constitution der gedachten Gase
                              verändert und zwar so, daß sie die höchste Kohlungsstufe erreichen; allein beim
                              Gießen treten sie doch auf. Wird nicht hinreichend Roheisen zugesetzt, daß die ganze
                              Masse in stärkerem Grade sich kohlt, so lassen sich bei der Operation zwei sehr
                              ähnlich zusammengesetzte Eisensorten erhalten, von denen die eine nicht streckbar
                              ist und oxydirende Gase in Lösung hält, wogegen die andere streckbar ist und nur
                              hoch gekohlte Gase enthält.
                           Der Verf. widmete seine Aufmerksamkeit auch den Wirkungen der Gase bei den
                              verschiedenen Processen, denen der Stahl unterworfen
                              wird.
                           So fand er, daß in den Stahlschmelzereien beim Schmelzen und Gießen der mehr oder
                              minder stark gekohlten Stahl- und Eisensorten, die Gase in den letzteren, so
                              lange sie in flüssigem Zustande sind, existiren und daß ihre Menge um so größer, je
                              höher die Temperatur des geschmolzenen Metalles ist. Während des Erkaltens
                              entwickeln sie sich in sehr merkbarer Weise, namentlich beim Erstarren; gleichwohl
                              werden sie aber allem Anschein nach theilweise gebunden, sobald Krystallisation in
                              der erstarrenden Masse eintritt und dieß findet besonders bei den harten Stahlsorten
                              statt, während die Gase bei den weichen Sorten in Folge ihres Freiwerdens und
                              Entweichens ein Aufschäumen verursachen, welches um so stärker ist, je weicher die
                              Stahlsorten sind. Diese Gasentwicklung bildet eine der bedeutenderen
                              Schwierigkeiten, welche die Gußstahlhütten mit Hülfe von Vorsichtsmaßregeln, die
                              überall als gleich unerläßlich anerkannt worden sind, zu bekämpfen haben.
                           Die Gesammtheit der beobachteten Erscheinungen beweist, daß die streckbaren
                              Schmelzproducte, mehr oder minder stark gekohlte Stahl- und Eisensorten, im flüssigen
                              Zustande stets mit Kohlenstoff gesättigte Gase in Lösung enthalten; wogegen die
                              Gegenwart von oxydirenden Gasen in diesen Producten hinreicht, um dieselben ihrer
                              Streckbarkeit zu berauben. Die bis jetzt allein mögliche Art und Weise der
                              Beobachtung gestattet übrigens eine quantitative Bestimmung des den gedachten Gasen
                              möglicherweise beigemischten Stickstoffs nicht.
                           Bei den Processen, durch welche die mehr oder weniger stark gekohlten Eisen-
                              und Stahlsorten für die spätere mechanische Bearbeitung, durch Schweißen etc.
                              vorbereitet werden, beobachtete der Verf. ganz unzweideutig, daß diese Metalle, bis
                              wenigstens zur Rothglühhitze hinab, stets mit Gasen imprägnirt sind. Als Beleg dafür
                              genügt es, auf die Leichtigkeit hinzuweisen, mit welcher sie, bis in ihre feinsten
                              Theilchen hinein, je nach der chemischen Beschaffenheit der Gase, mit denen sie in
                              Berührung stehen, verbrennen oder aber sich kohlen. Diese letzteren Vorgänge finden
                              um so rascher statt, je höher die Temperatur ist, in je größerer Menge jene
                              wirksamen Gase vorhanden sind, oder je öfter sich dieselben wieder neu erzeugen. Auf
                              diese Weise wird eine Reihe von gekohlten Producten erhalten, welche bei wenig
                              bedeutenden Differenzen in ihrem chemischen Bestande, sehr verschiedene Grade von
                              Streckbarkeit besitzen und der Praxis genügend weiten Spielraum geben, aus einem und
                              demselben Eisen verschiedene Sorten von auffallend verschiedenen Härtegraden zu
                              erhalten. Diese Producte verlieren ihre Streckbarkeit, wenn in ihnen oxydirende Gase
                              vorhanden waren; blieb die Einwirkung der letzteren auf einzelne Stellen und
                              einzelne Theile beschränkt, so verschwindet die Dehnbarkeit an den betroffenen
                              Punkten und die Wirkung der Gase manifestirt sich dann durch einen offenbaren
                              Fehler.
                           Die mit Kohlenstoff gesättigten Gase können also in den streckbaren Producten nur im
                              geschmolzenen Zustande der letzteren, bis zur Rothglühhitze hinab, existiren; da nun
                              das Vorhandenseyn solcher Gase zu den Grundbedingungen gehört, unter denen das Eisen
                              bei sehr hohen Temperaturen in metallischem Zustande zu existiren vermag, so kann
                              auf die möglichst vollständige Kohlung der in ihm eingeschlossenen Gase nicht genug
                              Sorgfalt und Aufmerksamkeit verwendet werden. Der Verf. kann auf die praktischen
                              Folgerungen, welche er aus dieser Thatsache gezogen – und die er in seiner
                              Abhandlung,Annales des mines, 1863, t. IV p. 225–308. von der das hier Mitgetheilte nur ein kurzer Auszug ist, näher besprochen
                              hat – hier nicht specieller eingehen.
                           
                           Durch die Gesammtheit seiner Untersuchungen über die hier nur in kurzer Uebersicht
                              angeführten Erscheinungen kam der Verf. auch zu einem theoretischen Schlusse über
                              die Constitution des Stahls.
                           Stahlsorten von verschiedener Härte resultiren stets aus der Einwirkung des mit
                              verschiedenen Mengen von Stickstoff gemischten Kohlengases (Kohlenoxydgases) auf das
                              Eisen. Sehen wir hier zunächst von der chemischen Rolle des Stickstoffes, auf welche
                              der Verfasser nachher zurückkommt, ab. Die Wirkung des Kohlengases auf das Eisen ist
                              durch die Einführung einer gewissen Menge Kohlenstoff in die flüssige Eisenmasse und
                              durch das Verbleiben eines gewissen Antheils Kohlenstoff in
                              elastisch-flüssigem Zustande in den Molecularporen desselben zu erklären, so
                              daß sowohl dem festen Theile der Masse, als auch dem Gase ein Element, der
                              Kohlenstoff, gemeinsam ist.
                           Die im Stahle zurückbleibende Menge von Kohlengas ist nach der Temperatur
                              verschieden. In flüssigem Zustande enthält der Stahl bedeutend viel Kohlengas, mit
                              mehr oder weniger Stickstoff gemischt. Eine beträchtliche Menge dieser Gase
                              entweicht allerdings um den Zeitpunkt des Erstarrens, doch wird wahrscheinlich auch
                              ein Theil derselben dabei und bei der Krystallisation, wenn solche stattfindet,
                              gebunden. Die Gase bleiben in der Eisenmasse bis zum Rothglühen, d.h. bis dieselbe
                              den teigigen Zustand annimmt, wenn man das Metall von einer höheren Temperatur
                              erkalten läßt; oder sie treten darin von neuem auf, wenn die Temperatur der bereits
                              erkaltet gewesenen Masse wieder erhöht wird.
                           Durch das Härten werden die Gase in den Molecularporen
                              eingeschlossen, indem dadurch die Krystallisation verhindert wird, welcher letztern
                              in der Gegenwart der Gase ein neues Hinderniß erwächst. Durch Härten ohne darauf
                              folgendes Anlassen wird ein Maximum von Gasabsorption herbeigeführt und werden die
                              Gase im Zustande der stärksten Spannung erhalten. Das Härten mit darauf folgendem
                              langsamem Erkalten bewirkt dadurch, daß es eine mehr oder weniger vollständige
                              Wiederkehr des krystallinischen Zustandes zuläßt, eine partielle Entwickelung jener
                              Gase oder die Fixirung derselben im Zustande chemischer Verbindung. Die Elasticität
                              des gehärteten Stahls wird durch die Elasticität des in ihm eingeschlossenen Gases
                              bedingt. Das Aufblähen beim Härten läßt sich ganz ungezwungen durch die Gegenwart
                              dieses Gases erklären. Die große Härte und die Zerbrechlichkeit des gehärteten
                              Stahls sind Folgen des mehr oder weniger glasigen Zustandes, in welchen der Stahl
                              durch das Ablöschen versetzt wird.
                           In der Praxis muß das Stahleisen, welches stabile (beständige) Stahsorten liefert,
                              die bei der weiteren Bearbeitung Stahl bleiben, aufs sorgfältigste von den nicht stahlartigen
                              Sorten, welche nur instabilen Stahl geben, unterschieden werden, obgleich eine
                              scharfe Grenze zwischen beiden Kategorien, durch welche sie absolut von einander
                              geschieden würden, allem Anscheine nach nicht existirt. Die Stabilität der
                              Stahlsorten, welche sie geben, könnte als eins der nöthigen theoretischen Elemente
                              der Classificirung der verschiedenen Roheisensorten dienen, welche derzeit noch
                              gänzlich auf den Handelswerth und auf die Kenntniß von der Beschaffenheit und der
                              Abstammung der Erze, aus welchen jene Sorten dargestellt worden, gegründet ist.
                              Wahres Stahleisen ist solches, dessen Moleculareigenschaften die vorhin näher
                              erörterte Thätigkeit des Kohlengases ermöglichen und welches Stahlsorten gibt, in
                              denen wechselweise Gebundenwerden und Freiwerden dieses Gases stattfinden kann.
                              Diese Moleculareigenschaften scheinen übrigens mit den Eigenschaften, welche die
                              Erhaltung des Magnetismus in dem betreffenden Stahl bedingen, in naher Beziehung zu
                              stehen. Bei nicht stahlartigem Eisen hingegen kann das Kohlengas in den
                              Molecularporen nur unvollkommen eingeschlossen und abwechselnd durch chemische
                              Absorption gebunden werden. Die Carburete oder Kohlenstoffverbindungen von solchem
                              Eisen scheinen eine weit stärkere Neigung zur Bildung von Graphitausscheidungen zu
                              besitzen; allem Anschein nach halten sie denselben nur lose zurück, vielleicht weil
                              derselbe in Form von höheren oder complexeren Verbindungen vorhanden ist. Nach den
                              bis jetzt bekannt gewordenen praktischen Resultaten zu urtheilen, scheinen die aus
                              solchen nicht stahlartigen Eisensorten dargestellten, dem Stahle analogen oder
                              stahlähnlichen Verbindungen bei der Leichtigkeit, mit welcher sie beim Wärmen ihre
                              Härte verlieren, nicht wirklicher, sondern nur Pseudo-Stahl zu seyn.
                           Zweifelsohne ist es dieser Pseudo-Stahl, bei dessen Darstellung der Stickstoff – abgesehen von den Fällen, in denen
                              solcher durch zufällige Einschließung zurückgehalten wird – und manche Metalloide eine chemische Rolle spielen können, deren
                              genaue Kenntniß von großem Interesse und hohem Werthe seyn würde. Wahrer Stahl aber würde begreiflicherweise jener Körper
                              nicht bedürfen, da es streng genommen genügen würde,
                              den Kohlenstoff als das einzige Agens zur Erklärung der bei solchem Stahle
                              auftretenden Erscheinungen zu betrachten; in den wahren Stahlsorten aber, bei deren
                              Bildung der Kohlenstoff in gasförmigem Zustande eine Rolle spielt, würde sich
                              derselbe stets auf experimentellem Wege in Form von Kohlenoxydgas nachweisen
                              lassen.