| Titel: | Ueber eine besondere Veranlassung zu Dampfkessel-Explosionen; von Eduard Schmidt, Civilingenieur in Wien. | 
| Fundstelle: | Band 173, Jahrgang 1864, Nr. IX., S. 24 | 
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                        IX.
                        Ueber eine besondere Veranlassung zu
                           Dampfkessel-Explosionen; von Eduard Schmidt,
                           Civilingenieur in Wien.
                        Aus der Zeitschrift des österreichischen
                                 Ingenieurvereins, 1864 S. 34.
                        Schmidt, über eine besondere Veranlassung zu
                           Dampfkessel-Explosionen.
                        
                     
                        
                           Auf einer Reise von Wien nach Frankfurt a. M. hatte ich Mitte December vergangenen
                              Jahres Gelegenheit, Hrn. B... aus Z. kennen zu lernen, welcher sich mir als Besitzer einer bedeutenden
                              Maschinenfabrik der Schweiz zu erkennen gab und welchem ich folgende interessante
                              Mittheilungen verdanke, die ich hiermit veröffentliche:
                           Ich lasse Hrn. B... selbst sprechen:
                           
                              „Vor einem Jahre kam mir von einer befreundeten Firma die Nachricht zu,
                                 daß ein von mir gelieferter Dampfkessel, Cornwall'schen Systems, circa vier Wochen nach dessen Inbetriebsetzung,
                                 durchaus durchgebrannt sey und behufs schleuniger Reparatur Maßregeln getroffen
                                 werden möchten. Besagter Kessel hatte nur ein
                                 Flammrohr von beiläufig drei Schuh Durchmesser, innere Feuerung, und war direct
                                 über dem Roste durchglüht und durchgebrannt. Der mit der Reparatur betraute
                                 Kesselschmied erklärte, daß er besagten Kessel ohne jeden Kesselstein
                                 vorgefunden, daß das zu der durchglühten Feuerplatte verwendete Material, ebenso
                                 wie das des ganzen Kessels von der vorzüglichsten Qualität sey, und der
                                 Kesselbesitzer, wie er selbst, sich diese Erscheinung um so weniger zu erklären
                                 vermocht hätten, als constatirt worden, daß während der kurzen Dauer des
                                 Betriebes niemals Wassermangel im Kessel vorhanden gewesen sey.
                              
                           
                              Es entspannen sich zwischen dem Kesselbesitzer und mir nach diesem Vorgange,
                                 wegen Erstattung des Schadens und der Reparaturkosten-Differenzen, welche
                                 das Gutachten von Experten nothwendig machten und das dahin lautete: Die
                                 Construction gedachten Kessels müsse als alleinige Ursache dieses Vorkommnisses
                                 betrachtet werden, in Anbetracht, daß weder Wassermangel noch vorhandener
                                 Kesselstein als Factoren des erwähnten Thatbestandes in Betracht kommen
                                 konnten.
                              
                           
                              Kurze Zeit darauf erhielt ich von einem Geschäftsfreunde in Mailand, bei welchem
                                 ebenfalls einige Cornwall-Kessel größerer Dimensionen aufgestellt worden
                                 waren, ganz dieselbe Nachricht.
                              
                           
                              Ich muß hinzufügen, daß in beiden Fällen die zu den Kesseln gehörigen
                                 Dampfmaschinen Condensations-Maschinen waren, die Speisung nicht direct,
                                 sondern selbstverständlich aus dem Condensator erfolgte.
                              
                           
                              Gedachtem Schaden ward in der kürzesten Zeit abgeholfen; es wurden zu unserer
                                 Beruhigung wissenschaftliche Gutachten von Autoritäten eingeholt, ohne jedoch
                                 ein praktisches, beruhigendes Resultat zu liefern, und befanden wir uns nach wie
                                 vor in demselben, nicht beneidenswerten technischen Dunkel.
                              
                           
                              Welche Unannehmlichkeiten hieraus resultirten, werden Sie ermessen. Nach meiner
                                 Ueberzeugung und der Ansicht wohl der meisten Dampfkessel-Fabrikanten ist
                                 die Construction der Cornwall-Kessel mit einem
                                 Flammrohr gerade eine der vorzüglichsten. Wenn also weder Wassermangel noch Kesselstein zu
                                 entdecken gewesen, das Material, namentlich bei den vom Feuer berührten Blechen,
                                 das vorzüglichste genannt werden durfte, so hatte ich es hier mit einem bis
                                 jetzt nicht erklärten Problem zu thun, welches allem Anscheine nach geeignet
                                 war, Cornwall'sche Kessel nicht mehr zu empfehlen.
                              
                           
                              Die strengste technische Untersuchung, auf meine Veranlassung von einem unserer
                                 bewährtesten Monteurs in Mailand angestellt, gab folgendes Resultat.
                              
                           
                              Sämmtliche Kessel wurden zum größten Theil mit Condensationswasser gespeist.
                                 – Während des Speisens hörte man kleine Detonationen im Innern des
                                 Kessels, anhaltende Schläge, welche sich in Vibrationen der Kesselwandungen beim
                                 Auflegen der Hände durch das Gefühl kund gaben. Es waren dieß somit höchst
                                 beunruhigende Anzeichen, wie man dieselben größtenteils vor Explosionen bemerkt
                                 haben will.
                              
                           
                              Man versuchte den Kessel, nachdem er abgeblasen, direct aus dem Brunnen kalt zu
                                 speisen; und da diese Erscheinungen nicht mehr eintraten, – die Kessel
                                 sämmtlich nicht mehr durchbrannten, so führte man die directe Speisung für die
                                 Folge permanent ein.
                              
                           
                              Nichtsdestoweniger war man der Ursache der eigentümlichen Erscheinung nicht auf
                                 die Spur gekommen.
                              
                           
                              Ein einfacher Arbeiter, welcher später zurückkehrte, hatte sich indessen mit der
                                 Sache angelegentlicher beschäftigt. Derselbe beobachtete, daß gelegentlich einer
                                 zufälligen Reinigung, Wasser, auf das Flammrohr des entleerten Kessels gegossen,
                                 an dem Bleche nicht adhärirte, dasselbe vielmehr Tropfen bildete in derselben
                                 Weise, wie sich auf eine fettreiche Fläche ausgegossenes Wasser verhält. Bei der
                                 geringen Adhäsion zeigten die gebildeten Tropfen vorherrschend convexe
                                 Oberfläche. Die nähere Untersuchung ergab, daß das Flammrohr im Innern mit einer
                                 dünnen kaum wahrnehmbaren Fettschicht durchaus überzogen war, welche sehr innig
                                 an den Wandungen anhaftete und aus einer Kalkseife
                                 bestand.
                              
                           
                              Das in dem Condensationswasser befindliche Fett, welches der zu condensirende
                                 Dampf wieder von dem Schmiermaterial des Kolbens etc. aufgenommen, hatte sich,
                                 begünstigt durch die im Kessel herrschende Temperatur, zu einer unlöslichen Kalkseife constituirt, welche die oben
                                 angeführten Erscheinungen nach sich zog. Es war somit dieser dünne Ueberzug im
                                 Stande gewesen, den Contact zwischen Wasser und Blech dergestalt zu
                                 unterbrechen, daß es zum Glühen kam und beim Speisen die heftigen Detonationen
                                 verursachte. Durch die Theorie des Leidenfrost'schen
                                 Tropfens findet Obiges hinlänglich seine Erklärung.“
                              
                           
                           Man kann hierin wohl eine stichhaltige Ursache für Kesselexplosionen entdecken.
                           Viele Explosionen haben trotz der eingehendsten wissenschaftlich-technischen
                              Untersuchung ein befriedigendes Resultat hinsichtlich Feststellung der Ursachen
                              nicht gegeben; viele hat man ungenügend erklärt, weil man einer notorischen Wirkung
                              auch stets eine Ursache entgegenstellen zu müssen glaubte, – ohne indessen
                              meist das Rechte zu treffen, – noch andere Explosionen hat man elektrischen
                              Einflüssen zugeschrieben. Diese letztere ist vorzüglich eine recht bequeme
                              Erklärung, welche ein Jeder gläubig a priori acceptiren
                              muß, trotzdem wohl Niemand in der Lage seyn dürfte, die im Innern eines Kessels
                              durch so mannichfache äußere und innere Ursachen herbeigeführte elektrische
                              Wirkungsweise nur annähernd darzuthun.
                           Sollte nicht vielleicht gerade die Bildung unlöslicher Kalk-, resp. anderer
                              Metalloxydseifen die Ursache vieler Explosionen gewesen seyn? Finden wir nicht den
                              meisten Dampf fettreich? Ist nicht das meiste Speisewasser kalk- oder
                              thonerdehaltig?
                           Natürlich werden diese gefahrbringenden Umstände nur eintreten, sobald wir es mit
                              Condensations-Speisung zu thun haben.
                           Bei stationären Kesseln ferner ist gerade die Cornwall'sche Construction für
                              dergleichen Eventualitäten die günstigste; die Feuergase werden über dem Roste,
                              resp. über der Feuerbrücke, zur größtmöglichsten Wirkung gebracht und im Vergleich
                              zu anderen Kessel-Constructionen in dem engen Flammrohr in einer Art
                              concentrirt, welche bei Voraussetzung vorliegender Umstände ein Durchglühen der
                              Bleche schneller und wirksamer
                              zur Folge hat.
                           Jedenfalls dürfte das Gesagte das technische Publicum warnen, fette und zugleich
                              kalkhaltige Wässer zum Speisen zu verwenden, ohne vorher den Kalk zu entfernen.
                           Mit dem Fett dürfte dieß größere Schwierigkeiten haben.
                           Die Umstände, welche bei stationären Kesseln außerordentlich gefahrbringend werden
                              können, – werden es in höherem Grade bei Locomotivkesseln. Am seltensten
                              werden dieselben durch Flußwasser, häufiger durch Quell- und Brunnenwasser
                              gespeist, welches in höherem oder geringerem Grade (je nach der qualitativen
                              Beschaffenheit der darin gelösten Salze) geneigt ist, Verbindungen einzugehen.
                           Wird der Dampf bei einer stationären Dampfmaschine durch Fetten des Dampfkolbens und
                              der Stopfbüchsen fettreich, so erhalten wir in einem Locomotivkessel, ganz abgesehen
                              davon, daß durch den schnellen Gang der Kolben mehr Schmiermaterial nothwendig wird,
                              und diese Nothwendigkeit
                              zuweilen große Talg- und Oelverschwendung seitens der Führer nach sich zieht,
                              erfahrungsgemäß im Kessel selbst fettreichen Dampf, welcher bei der großen Anzahl
                              von Siederöhren, bei entsprechendem Kalkgehalte des Wassers, in erhöhtem Grade
                              gefahrbringend seyn kann. Erwägt man ferner, daß durch das öftere Vorwärmen des
                              Speisewassers im Tender vermittelst der Dampf-Wärmhähne die günstigste
                              Berührung fetten Dampfes mit dem Speisewasser bei erhöhter Temperatur stattfindet,
                              so sehen wir hier alle Umstände zusammenwirken, welche besagte Erscheinungen nach
                              sich zu ziehen im Stande sind und welche bei den gebotenen Reibungswiderständen,
                              welche die Siederöhren dem aufwallenden Wasser entgegensetzen, diese
                              Kalkseifen-Ueberzüge der Siederöhren und der Feuerbüchse mit ihren
                              Versteifungen nur begünstigen können.
                           Indem der Verfasser der Ueberzeugung ist, daß die Tragweite der Wirkung
                              obenbeschriebener Erscheinung von keinem Techniker unterschätzt werden wird, spricht
                              derselbe zugleich die Hoffnung aus, daß es durch anzustellende Untersuchungen den
                              Fachmännern gelingen möge, das Vorkommen dieser unlöslichen Seifenbildungen in
                              Dampfkesseln weiter zu constatiren, geeignete Mittel zu deren Verhütung zu
                              findenAls Präservativ werden sich nach Dr. Bolley's Vorschlag kleine Mengen Sodalösung
                                    bewähren; man sehe dessen Abhandlung: „neue Erfahrungen über die
                                       Gefahren, welche durch gewisse Speisungswässer für Dampfkessel
                                       entstehen,“ im polytechn. Journal Bd. CLXII S. 164.A. d. Red. und durch Veröffentlichung derselben das Interesse der Wissenschaft wie des
                              Gemeinwohles zu fördern.