| Titel: | Die Parrott-Kanone. | 
| Fundstelle: | Band 173, Jahrgang 1864, Nr. LXXVI., S. 321 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        LXXVI.
                        Die Parrott-Kanone.
                        Ueber die Parrott-Kanone.
                        
                     
                        
                           Unter dem Namen der Parrott-Kanone tritt in der Polemik
                              der neueren artilleristisch-technischen Literatur ein Geschützsystem auf, welches
                              gegenwärtig einen hervorragenden Theil des nordstaatlich amerikanischen
                              Artilleriematerials bildet und nicht nur seiner Qualität nach verschieden beurtheilt
                              wird, sondern auch über den Grad von Verdienst, welchen der Capitain Parrott, gegenwärtig Director der Geschützgießerei zu
                              Cold-Spring bei New-York, als Erfinder desselben beanspruchen kann, so sehr von
                              einander abweichende Meinungen zu Tage gefördert hat, daß es wohl von Interesse seyn
                              dürfte, einige dieser Gegensätze zur Vergleichung zusammen gestellt zu finden,
                              welchem Zwecke im Nachfolgenden entsprochen werden mag.
                           1) In dem Scientific American vom 24. October 1863 wird
                              diesem Systeme der Vorwurf gemacht, daß das Geschützrohr massiv ausgegossen und dann
                              gebohrt werde, während es hohl gegossen und dabei nach Rodman's Proceß abgekühlt werden müsseMan vergleiche Bd. CLXXI S. 34 dieses Journals, wornach dieser
                                    Abkühlungsproceß von Innen nach Außen mittelst eines Stromes eiskalten
                                    Wassers bewirkt wird, welchen man während des Gusses und während des
                                    Rohrerkaltens durch den die Seele des Rohres bildenden Theil der Gußform
                                    hindurchführt.Anm. des Einsenders.; ferner würde es besser seyn, Mündung und Seele des Rohres ganz nach Dahlgren's Muster auszuführen und an diesen Stellen nur
                              sehr wenig Metall fortzunehmen, damit denselben die feste Gußoberfläche möglichst
                              verbleibe. – Endlich heißt es dann in dieser Correspondenz: Während der
                              cylindrische Theil des Bodenstücks mit Schmiedeeisen verstärkt worden ist, hat man
                              den Stoßboden des Rohres lediglich durch Verstärkung des Gußmetalles haltbarer zu
                              machen gesucht; – es hätten um diesen Rohrtheil aber ebenwohl Bänder gelegt
                              werden sollen etc. –
                           Darauf erwiedern die Herausgeber des genannten Blattes: Unserem Correspondenten
                              scheint nicht bekannt geworden zu seyn, daß der gußeiserne
                              
                              Theil des Parrott-Geschützes ganz durchbohrt und der Boden
                                 desselben durch eine Schraube geschlossen ist etc. –
                           2) In demselben Blatte vom 7. November 1863 findet sich dann in einem, an die
                              Herausgeber des Scientific American gerichteten
                              Schreiben folgende, die vorstehende Mittheilung betreffende Entgegnung: Ihrem
                              Correspondenten scheint es entgangen zu seyn, daß zwischen dem rohen und dem
                              vollendeten Dahlgren-Geschütze ein größerer Unterschied
                              besteht, als dieß bei irgend einem anderen Geschütze der Fall ist, indem dasselbe
                              bei seinem Fertigmachen an der Mündung sehr viel Metall verlieren muß. – Die
                              Rodman'sche Gestaltung des Rohr-Inneren kann mit
                              Vortheil nur bei dem gegenwärtigen Columbino-Modell angewendet werden.
                           3) In Nr. 48 der zu Darmstadt erscheinenden Allgemeinen Militär-Zeitung von 1863
                              befindet sich unter der Ueberschrift: „Die amerikanische
                                 Artillerie“ folgende auf den vorliegenden Gegenstand bezügliche
                              Miscelle:
                           
                              „Das Bombardement von Fort Sumter hat den Beweis geliefert, daß es
                                 keinerlei Schiffspanzer gibt, welche den amerikanischen gezogenen
                                 Dreihundertpfündern widerstehen könnten, und daß also die Hauptwaffe, welche
                                 England in einem Krieg mit den Vereinigten Staaten zu verwenden gedachte, stumpf
                                 ist. Was wären die fünfzölligen Panzer des „Warrior“ gegen
                                 Kanonen, deren Projectile auf mehr als 3000 Fuß Entfernung durch zehn Fuß dicke
                                 Backsteinmauern wie durch mürben Käse gefahren sind, und deren Zielgenauigkeit
                                 eine solche ist, daß auf dieselbe Entfernung eine einzige feindliche Kanone
                                 durch einen einzigen wohlgezielten Schuß demontirt werden konnte?
                              
                           
                              England hat seit einer Reihe von Jahren großes Geschrei von seinen Verbesserungen
                                 im Geschützwesen gemacht. Armstrong, Whitworth,
                                    Blakely haben mit einander gewetteifert, und jedes neue Experiment ist,
                                 wie in der Fabel von dem Hut, jede neue Façon, mit großem Jubel als
                                 höchstmögliche Vervollkommnung gefeiert worden. Währenddem hat in der
                                 Westpointgießerei am Hudson Robert Parrott in aller
                                 Stille und Bescheidenheit seine Vervollkommnungen an schweren Geschützen
                                 angebracht und endlich Kanonen hergestellt, von welchen selbst Engländer
                                 gestehen müssen, daß, wenn sie 1854 solche gehabt hätten, die Belagerung von
                                 Sebastopol nicht viel mehr Tage in Anspruch genommen hätte als sie Monate
                                 gekostet hat. (Charleston aber ist trotzdem noch nicht gefallen.) Wie England zu
                                 seiner berühmten „Enfieldbüchse“ die einfache amerikanische
                                 Commiß-Büchsflinte zum Muster genommen hatDieser Angabe wird in einer späteren Correspondenz der Allgemeinen
                                       Militär-Zeitung zu Gunsten der Originalität des englischen
                                       Enfield-Gewehres widersprochen.Anm. des Einsenders., welche in der Regierungswerkstätte zu Springfield seit Jahrzehnten
                                 verfertigt wird, so wird es sich jetzt wohl auch bequemen müssen, bei
                                 amerikanischen Geschützgießern in die Lehre zu gehen.
                              
                           
                              Die Parrott'schen Geschütze vereinigen die drei
                                 Haupterfordernisse guter Kanonen: Schwere des Projectils, Wurfweite und
                                 Präcision, in größerer Vollkommenheit als irgend ein anderes bekanntes Geschütz.
                                 Ihre beiden wesentlichsten Eigenthümlichkeiten bestehen in der Art und Weise wie
                                 der Lauf stark genug gemacht wird, um die schwersten Ladungen auszuhalten, und
                                 in der Beschützung der Züge gegen die Abreibung durch das Projectil. Die
                                 Kräftigung des Laufes ermöglicht die Herstellung eines enormen Kalibers und
                                 einer entsprechenden Wurfweite; die Beschützung der Züge garantirt die Präcision
                                 des Schusses.
                              
                           
                              Durch vielfache Experimente ist festgestellt, daß die reagirende Gewalt einer
                                 schweren Ladung auf den Lauf sich nur bis auf eine Entfernung von zwei Fuß vom
                                 hinteren Ende des Laufes an erstreckt. Hierauf fußend, verstärkt Parrott nur dieses hintere Ende des Geschützlaufes,
                                 und zwar dadurch, daß er Reifenbündel von Schmiedeeisen über und an einander und
                                 um den Lauf schweißt, bis sie sich mit diesem zu einer compacten Masse
                                 verbinden. Also ein Verfahren, welches an dasjenige bei der Herstellung des
                                 Damascenerstahls erinnert. Ein so gestärkter Lauf vermag durch keine der selbst
                                 zu den schwersten Projectilen gebrauchten Pulverladungen gesprengt zu werden.
                                 Der Dreihundertpfünder, welcher bei der Beschießung des Forts Sumter explodirt
                                 ist, ward nicht durch seine Pulverladung, sondern dadurch gesprengt, daß die
                                 Bombe in Folge einer mangelhaften Zündervorrichtung im Lauf der Kanone
                                 platzte.
                              
                           
                              Die Beschützung der Züge des Laufes wird dadurch bewirkt, daß das cylindrische Ende der Projectile in eine Composition
                                    gehüllt wird, welche weicher als das Eisen ist und die von den Zügen
                                    gefurcht wird, ohne ihrer Schärfe Abbruch zu thun. Diese Idee selbst ist nicht neu und soll auch nicht dafür
                                 gelten; aber Sachverständige wissen sehr wohl, wie viele vergebliche Versuche in
                                 Europa gemacht worden sind, eine dem Zweck vollkommen entsprechende Composition
                                 und eine solche Art der Befestigung derselben zu entdecken, welche sie auf's
                                 innigste mit dem Projectil selbst verbindet. Eben die darin liegende
                                 Schwierigkeit ist von Parrott auf eine Weise gelöst,
                                 für deren
                                 Wirksamkeit das Ergebniß der Beschießung des Forts Sumter das beste Zeugniß
                                 ablegt.
                              
                           
                              Die unter Leitung Parrott's stehende Geschützgießerei
                                 der Vereinigten Staaten befindet sich zu Cold Springs am linken Ufer des Hudson,
                                 der Militär-Akademie zu Westpoint gegenüber. Es werden dort sieben Kaliber
                                 gegossen: 10 Pfünder, 20-, 30-, 60-, 100-, 200- und 300 Pfünder. Von den 100
                                 Pfündern wird einer in einem Tage hergestellt, von den 200 Pfündern zwei in
                                 einer Woche, die kleineren Kaliber in großer Menge. Man mag daraus abnehmen,
                                 welche enorme Menge von Geschützen aus dieser Gießerei hervorgeht. An
                                 Projectilen liefert sie ungefähr 10,000 Stück per
                                 Woche. Die folgende Tabelle über die Schießweite der Parrott'schen Kanonen wird noch durch die im Laufe der Belagerung von
                                 Charleston mit den 200- und 300 Pfündern zu machenden Versuche zu
                                 vervollständigen seyn.
                              
                           
                              
                                 
                                    Kaliber.
                                    Bohrdurchmesser.
                                    Elevation.
                                    Schießweite.
                                    
                                 
                                      10 Pfünder
                                      2,9  Zoll
                                      1°
                                      1800 engl. Fuß
                                    
                                 
                                      10     „
                                    2,9    
                                       „
                                    20°
                                    15000      „
                                    
                                 
                                      20     „
                                    3,67   „
                                      1°
                                      1860      „
                                    
                                 
                                      20     „
                                    3,67   „
                                    15°
                                    13200      „
                                    
                                 
                                      30     „
                                    4,2    
                                       „
                                             3
                                       3/4°
                                      4500      „
                                    
                                 
                                      30     „
                                    4,2    
                                       „
                                    25°
                                    20100      „
                                    
                                 
                                    100     „
                                    6,2    
                                       „
                                             3
                                       1/4°
                                      4350      „
                                    
                                 
                                    100     „
                                    6,2    
                                       „
                                    25°
                                    20460      „
                                    
                                 
                                    100     „
                                    6,2    
                                       „
                                    35°
                                    25359      „
                                    
                                 
                              
                           
                              Die letztere Entfernung wird mit einer Ladung von 16 Pfund Pulver und einem
                                 80pfündigen Hohlgeschoß erreicht. Der Bohrdurchmesser der 200 Pfünder ist 8
                                 Zoll, der 300 Pfünder 10 Zoll. Es war nicht ein 300 Pfünder, sondern ein 200
                                 Pfünder (deren Hohlgeschosse wenig mehr als 150 Pfund wiegen), welcher auf eine
                                 Entfernung von 27000 Fuß Bomben mit verderblicher Wirkung von Morris-Island bis
                                 mitten in die Stadt Charleston warf. Uebrigens wird die Schießweite der 300
                                 Pfünder keine viel größere seyn, sondern nur ihre Gewalt. Welches die Wirkung
                                 der aus solchen Geschützen auf mäßigere Entfernung von einigen tausend Fuß
                                 geschleuderten Projectile auf die so trefflich zu Zielscheiben dienenden steilen
                                 Seiten der ungeschlachten europäischen Panzerschiffe seyn würde, läßt sich sehr
                                 leicht berechnen, und – man hat es wahrscheinlich in England
                                 berechnet.“
                              
                           4) In Nr. 1 derselben Zeitung von 1864 tritt, als Entgegnung hierauf, unter dem
                              Titel: „Das moderne Artilleriewesen“ folgende Correspondenz aus
                              New-York auf.
                           
                           
                              „Zur Ergänzung Ihrer Mittheilung in Nr. 48 der Allg. Mlt. Zeit. über die
                                 amerikanische Artillerie mag noch Folgendes dienen:
                              
                           
                              Die Parrott-Kanone ist eigentlich nicht die Erfindung
                                 des Hrn. Robert Parrott von New-Hampshire, sondern
                                 des Hrn. Eduard Lindner von Berlin. Dieser ersuchte
                                 vor mehreren Jahren Hrn. Parrott, den Versuch zu
                                 machen, gegossene eiserne Kanonen durch einen geschmiedeten eisernen Ring am
                                 Bodenstücke zu verstärken. Parrott drückte sich
                                 damals entschieden dahin aus, daß dieß eine Unmöglichkeit sey, da ein solcher
                                 Ring nie fest am Gußeisen anliegen könne, und weigerte sich, derartige Versuche
                                 anzustellen. Ein Jahr nachdem diese Unterredung stattfand, nahm Parrott sein Patent heraus, das hauptsächlich darin
                                 besteht, daß er sein Bodenstück durch einen
                                    schmiedeeisernen Ring verstärkte, gerade so wie es ihm Lindner angegeben hatte. Diese Thatsache wurde mir
                                 von Lindner selbst mitgetheilt, und ich habe keine
                                 Ursache daran zu zweifeln, sondern glaube fest, daß Parrott den „Smart-Maier“ gespielt. Die neueste
                                 Erfindung Lindner's übertrifft jedoch die Parrott-Kanone, sowie jede andere, bedeutend. Diese
                                 wird vom sogenannten Stoßboden aus geladen, ist vollständig „im
                                    Block“ geschmiedet, dann gebohrt und gezogen, und in jeder
                                 Beziehung von ausgezeichneter Construction. Lindner
                                 fertigte einen 12 Pfünder dieser Art auf eigene Kosten an, welchen ich selbst
                                 vor etwa einem Jahre in Manchester, N. H., probirte. Die Versuche fielen äußerst
                                 günstig aus, über alles Erwarten gut, und eine besondere Eigenschaft seiner
                                 Geschütze ist die, daß der Rücklauf vollständig aufgehoben ist, was sie
                                 besonders für Schiffskanonen empfehlenswerth macht. Dieses Geschütz war in
                                 West-Point aufgestellt und wurde daselbst von einer besonders dazu bestimmten
                                 Commission untersucht und vielfachen Proben unterworfen. Die Commission sprach
                                 sich vollständig zu Gunsten dieser neuen Erfindung aus, die keine einfache
                                 Verbesserung des schon Dagewesenen, sondern die Verkörperung einer originellen
                                 Idee ist. Daß die Lindner'sche Erfindung bei der
                                 Vereinigten Staaten-Regierung keinen Anklang fand, mag wohl darin seine Ursache
                                 haben, daß Parrott und Dahlgren dagegen wirkten, um ihre eigenen Producte im Marktpreise zu
                                 erhalten. Das Anerbieten Lindner's, mit Dahlgren und Parrott um
                                 die Wette zu schießen, wurde freundlich abgelehnt, und man ließ ihn mit seiner
                                 Kanone abziehen, obgleich sie das beste, originellste, vollkommenste und
                                 zweckdienlichste Erzeugniß der neuen Artilleriewissenschaft ist.“
                              
                           5) In dem zweiten Hefte des Archives für die Officiere der königl. preußischen
                              Artillerie- und Ingenieur-Corps von 1864 findet sich in den von Artillerie-Hauptmann
                              Sander für dieses Blatt gelieferten
                              „Artilleristischen Aphorismen aus dem gegenwärtigen amerikanischen
                                 Kriege,“ an verschiedenen Stellen desselben vertheilt, Folgendes auf
                              die vorliegende Frage Bezügliches:
                           
                              „Parrott begann bereits 1856 die Versuche, aus
                                 welchen sein gegenwärtiges System hervorgieng, und setzte sie, ohne von der
                                 Regierung unterstützt zu werden, so eifrig und mit so vielem Glück fort, daß er
                                 beim Ausbruch des Krieges große Bestellungen auf 10pfündige gezogene
                                 Feldgeschütze übernehmen konnte. Die Vortrefflichkeit derselben bestimmte die
                                 Regierung mit der in Angriff genommenen Beschaffung von Whithworth-Geschützen inne zu halten und sich ausschließlich dem
                                 System Parrott's zuzuwenden; dieser fühlte sich
                                 hierdurch bewogen, seine Fabricationsmethode auch auf schwerere Kaliber
                                 anzuwenden, und ist schließlich dahin gelangt, wöchentlich 33 Geschützrohre vom
                                 10 Pfünder bis zum 300 Pfünder (von den schwereren Kalibern täglich 1 bis 2)
                                 liefern zu können. Bis zum Anfang September 1863 hatte die Armee der Nordstaaten
                                 bereits 2500 derartiger Geschütze aus der in Rede stehenden Gießerei, die
                                 überdieß nebenbei wöchentlich 10,000 Geschosse liefert, bezogen.
                              
                           
                              Die Parrott'schen Geschütze sind gezogene, von vorn zu ladende Geschütze, welche nach dem Urtheil der
                                 Amerikaner die drei Haupterfordernisse guter Kanonen: Präcision,
                                 Percussionskraft und große Schußweite in ganz besonders hohem Grade in sich
                                 vereinigen. Ihre beiden wesentlichsten Eigenthümlichkeiten bestehen in der
                                 Verstärkung des Rohres, um ihm selbst bei Anwendung der schwersten
                                 Geschützladungen genügende Haltbarkeit zu verleihen, und in der besonderen
                                 Einrichtung der Geschosse.
                              
                           
                              Parrott hatte, wie bereits vor ihm viele Andere, die
                                 Wahrnehmung gemacht, daß die reagirende Gewalt einer starken resp. zu starken
                                 Ladung auf das Rohr sich nur auf das Bodenstück, und zwar in der Regel bis zu 2'
                                 Seelenlänge vom Boden an gerechnet, erstreckt; hiervon ausgehend, beschloß er
                                 die bereits vor Jahrhunderten ausgeführte und neuerdings lebhaft ventilirte
                                 Idee, die Geschützröhre durch umgelegte Reifen zu
                                    verstärken, zur Ausführung zu bringen. Daß er
                                    diese Idee mit dem entschiedensten und besten Erfolg in die Praxis zu
                                    übertragen verstand, ist sein Verdienst, und die Art und Weise wie es
                                    geschieht, seine Erfindung. In seiner bescheidenen und ruhigen Weise
                                 macht er auch nur auf das eigenthümliche Verfahren bei der Befestigung seines
                                 Verstärkungsringes, als einer von ihm herrührenden neuen Erfindung Anspruch: und
                                 als der englische Capitän Blakely und der Professor
                                 Treadwell von Cambridge in Massachusetts die
                                 Behauptung aufstellten, bereits früher als Parrott
                                 gußeiserne Reifen-Kanonen erfunden und angefertigt zu haben, trat er in einer
                                 von ihm selbst verfaßten und vor Jahresfrist veröffentlichten Broschüre,
                                 betitelt: „Thatsachen in Betreff der Reifen-Kanone,“ der
                                 Beeinträchtigung seines Verdienstes entgegen. Er beweist in derselben, daß
                                 derartige Geschütze bereits vor Jahrhunderten angefertigt wurden, gibt auch zu,
                                 daß das von ihm angewandte Princip „der Zusammenschrumpfung der
                                    Reifen“ schon früher bekannt gewesen sey, nimmt aber die Art und
                                 Weise wie er diese Zusammenschrumpfung bewirkt, als seine eigene Erfindung gegen
                                 Blakely und Treadwell
                                 in Schutz.
                              
                           
                              So viel bis jetzt bekannt geworden ist, besteht das Parrott'sche Verfahren darin, daß um das Bodenstück des gußeisernen
                                 gezogenen Rohres ein geschmiedeter Ring, oder vielmehr ein schmiedeeiserner
                                 hohler Cylinder, gelegt wird. Der Ring ist aus verschiedenen übereinander und
                                 aneinander geschweißten und gewalzten Reifenbündeln von Schmiedeeisen als ein
                                 besonderes Stück fabricirt und besitzt eine lichte Weite, die ihn befähigt, auf
                                 das Bodenstück des Rohres geschoben zu werden. Seine Stärke ist gleich dem
                                 halben Bohrungsdurchmesser des zugehörigen Geschützes, und seine Länge eben nur
                                 so groß, daß er diejenige Stelle des Rohres umgibt, an welcher Geschoß und
                                 Ladung liegen. Eine größere Länge hält Parrott für nachtheilig. Sobald
                                    der Ring hergerichtet ist, wird er erhitzt und im glühenden Zustande auf die
                                    gewünschte Stelle des Rohres geschoben. Letzteres liegt dabei fast
                                    horizontal und nur so wenig nach vorn geneigt, daß der Strom kalten Wassers,
                                    welcher während der ganzen Procedur ununterbrochen in das Rohr geleitet wird
                                    und dasselbe beständig abkühlt, ungehindert abfließen kann. Unter dem
                                    Einfluß des kalten Wassers ist der geschmiedete Ring genöthigt sich von
                                    Innen nach Außen, anstatt von Außen nach Innen abzukühlen. Die zuerst
                                 kalt werdenden inneren Theile ziehen sich zuerst zusammen und nehmen allmählich
                                 die äußeren wärmeren Theile derartig mit, daß der ganze Ring in der für seine
                                 eigene Haltbarkeit und die Festigkeit seiner Verbindung mit dem Lauf günstigsten
                                 Weise zusammenschrumpft.
                              
                           
                              Parrott fertigt gegenwärtig 7 Kaliber, und zwar: 10
                                 Pfünder, 20- (Feldgeschütze), 30-, 60-, 100-, 200-, und 300 Pfünder (Festungs-,
                                 Marine- und Belagerungsgeschütze). Diese Kaliber sind nach dem wirklichen
                                 Gewichte ihrer Vollgeschosse benannt, und es entsprechen also 10- und 20 Pfünder
                                 Feldgeschütze dieses Systems hinsichtlich des Kaliberdurchmessers etwa den gezogenen 4- und 6
                                 Pfündern der preußischen Artillerie.
                              
                           
                              Der Parrott'sche 10 Pfünder hat drei Züge; seine
                                 Geschosse sind theils solide Vollgeschosse (10 Pfund), theils Granaten (8 Pfd.),
                                 Schrapnels und Kartätschen; die Ladung beträgt 1 Pfd., die Totalschußweite 5000
                                 Yards. Das Rohr ist 8 Ctr. 90 Pfund schwer, hat einen Durchmesser von 2,90 Zoll,
                                 eine Seelenlänge von 70 Zoll und gestattet mit Rücksicht auf seine Laffetirung
                                 eine Elevation von 12–13 Grad, wobei eine Schußweite von 3000 bis 3500
                                 Yards erzielt wird (bei 20° 5000 Yards). Die
                                    Geschosse bestehen aus einem Eisenkern mit einer Hülle aus weicherem
                                    Metall; ihre nähere Einrichtung werde ich weiter unten mittheilen. Zur
                                 Laffetirung des 10 Pfünders wird die frühere 6 Pfünder-Laffete, nachdem dieselbe
                                 mit der 12 Pfünder-Achse versehen worden, benutzt.
                              
                           
                              Er wird als leichtes Geschütz, der 20 Pfünder dagegen als Positions-Geschütz nur
                                 in der Reserve-Artillerie verwandt. Der 20 Pfünder hat 5 Züge, sein Vollgeschoß
                                 wiegt 20 Pfund, seine Granate 18 Pfund. Die Ladung beträgt 2 Pfund, die
                                 Totalschußweite 4400 Yards bei 15° Elevation. Das Rohr ist 17 1/2 Centner
                                 schwer, hat einen Bohrungsdurchmesser von 3,67 Zoll, eine Seelenlänge von 79
                                 Zoll und ist mit der Laffete des 12pfündigen Kanons versehen. – Der
                                 30-Pfünder mit 4,2 Zoll Bohrungsdurchmesser, folglich dem 9pfündigen Kaliber
                                 deutscher Artillerie entsprechend, hat 120 Zoll Seelenlänge, 42 Centner
                                 Rohrgewicht, 3 1/4 Pfund Ladung, Elevationen von 3 1/4 bis 25° und 6700
                                 Yards Totalschußweite. Der für die Marine bestimmte 30 Pfünder ist etwas kürzer
                                 und leichter als der für die Festungs- und Belagerungs-Artillerie bestimmte.
                              
                           
                              60 Pfünder sind zwar bestellt, aber bis jetzt noch nicht gefertigt worden, da die
                                 Gießerei zunächst mit Lieferung von Feldgeschützen und 200- und 300 Pfündern
                                 (letztere für die Belagerung von Charleston) vollauf zu thun hat. Es können
                                 daher auch die Abmessungen etc. des 60 Pfünders hier noch nicht angegeben
                                 werden. – 100 Pfünder: Bohrungsdurchmesser 6,40 Zoll, Seelenlänge 130
                                 Zoll, Gewicht des Rohres 97 Centner, Ladung 10 Pfd., Elevation von 3 1/4 bis
                                 25°, Totalschußweite 8453 Yards (entspricht dem ehemaligen 32 Pfünder).
                                 Das Vollgeschoß des 100 Pfünders wiegt 99 1/2 Pfd. bis 101 Pfd., die Granate 80
                                 Pfd. – 200 Pfünder: Bohrungsdurchmesser 8 Zoll, Seelenlänge 136 Zoll,
                                 Gewicht des Rohres 165 Ctr., Ladung 16 Pfd., Elevation 3 1/4 bis 45°,
                                 Totalschußweite wenig mehr als die des 100 Pfünders, aber bedeutend größere
                                 Percussionskraft, das Gewicht der Granate 150 Pfd. – 300 Pfünder:
                                 Bohrungsdurchmesser 10 Zoll, Seelenlänge 144 Zoll, Gewicht des Rohres 260 Ctr.,
                                 Ladung 25 Pfd., Elevation 3 1/4 bis 45°, Totalschußweite 9000 Yards; das
                                 Gewicht der mit 17 Pfund Sprengladung versehenen Granate beträgt 260 Pfd., ihre
                                 Länge ist 3 Fuß.
                              
                           
                              Bei Gelegenheit der ersten mit dem 300 Pfünder angestellten Versuche zerschlug
                                 das Vollgeschoß eine 9 Zoll dicke schmiedeeiserne Platte und drang durch die
                                 dahinter liegende 2 Fuß starke Eichenholzwand; in einem anderen Falle
                                 durchbohrte sie eine 26 Fuß starke Brustwehr. Was die Laffetirung dieser
                                 schweren Geschütze anbelangt, so wird für den 30 Pfünder die frühere 18pfündige
                                 Feldlaffete verwendet, während für den 100-, 200- und 300 Pfünder besondere
                                 eiserne und hölzerne Laffeten construirt werden mußten. Die Geschwindigkeit der
                                 Parrott'schen Geschosse beträgt:
                              
                           
                              
                                 bei„„
                                 Entfernungen„„
                                 unter 4000
                                    Yards  „    
                                    6000    „über  6000    „
                                    hinaus
                                 = 900 Fuß= 800   „= 700  
                                    „
                                 
                                    
                                    
                                 in der Secunde.
                                 
                              
                           
                              Die Construction der Geschosse beruht, mit Rücksicht auf
                                    das in Anwendung kommende Vorderladungssystem, auf anderen Principien, als
                                    die Construction der preußischen für das Hinterladungssystem berechneten
                                    Geschosse. Bei letzteren gieng man von der Bedingung aus, daß der
                                 Bleimantel auf dem Geschoßkern, während des Schusses weder innerhalb noch
                                 außerhalb des Rohres eine Lockerung irgend einer Art erfahren sollte, eine
                                 Bedingung, die in Verbindung mit der Rücksicht auf die zu seinem Hineintreiben
                                 in die Züge erforderliche Gewalt, die Einrichtung des Ladens von hinten als eine
                                 Nothwendigkeit erscheinen ließ. Die amerikanischen von vorn zu ladenden
                                 Geschütze müssen dieser aus dem Hinterladungssystem erwachsenden Vortheile
                                 entbehren. Sie bedürfen des Spielraums und werden in Folge dessen, selbst wenn
                                 die Geschoßhülle vermittelst des Expansionssystems
                                    theilweise in die Züge getrieben wird, sehr oft Veranlassungen zu einem
                                 schlotternden Gange oder wohl gar zu plötzlichen Klemmungen geben. Daß hierdurch
                                 nicht bloß die Präcision des Schusses, sondern auch die Haltbarkeit des Rohres
                                 beeinträchtigt werden muß, liegt auf der Hand, und wenn auch Parrott behauptet, daß er durch die Construction
                                 seiner Geschosse diesen Uebelständen vorgebeugt habe, so sprechen doch mehrfache
                                 Vorkommnisse dafür, daß ihm dieß nicht in vollständig befriedigendem Grade
                                 gelungen ist. Andererseits ist es allerdings nicht zu läugnen, daß die Anwendung
                                 des Vorderladungssystems nicht bloß eine wesentliche Vereinfachung der
                                 Rohrconstruction gestattet, sondern auch den Vortheil gewährt, ganz davon absehen zu
                                 können, daß es bei den größeren oder vielmehr colossalen Kalibern und den ihnen
                                 eigenthümlichen starken Ladungen sehr schwer seyn dürfte, einen Verschluß zu
                                 construiren, welcher so gewaltigen Ladungen hinreichenden Widerstand
                                 entgegenzustellen vermöchte.
                              
                           
                              Die kais. russische Regierung ist bei ihren schweren gezogenen Kalibern ebenfalls
                                 dem Vorderladungssystem treu geblieben; wenigstens werden die 200 neunzölligen
                                 Gußstahlrohre, welche sie zur Verstärkung der Armirung von Kronstadt und zur
                                 Bewaffnung der im Bau begriffenen Monitors in der Gußstahlfabrik von Krupp in Bestellung gegeben hat, nach diesem System
                                 gegossen.
                              
                           
                              Wie bereits erwähnt, sind die Parrott'schen Geschosse
                                 auf das Expansionsgesetz basirt. Sie bestehen aus einem massiven oder hohlen 3
                                 Kaliber langen Eisenkern (Vollgeschoß, Granate oder Schrapnel) und einem, an dem
                                 unteren Theil desselben befestigten Mantel oder Ring von weicherem Metall.
                              
                           
                              Die Angaben über die Detail-Einrichtung der Geschosse sind sehr ungenau und
                                 widersprechend; es läßt sich indeß aus denselben ersehen, daß der cylindrische Theil des Eisenkernes auf seiner äußeren
                                    Fläche Falten oder Runzeln hat, welche zum Festhalten des aus einer
                                    weicheren Metallcomposition bestehenden Mantels dienen. Dieser Mantel ist
                                    jedoch nur dazu bestimmt, die Züge gegen Beschädigungen durch den Eisenkern
                                    zu schützen; die eigentliche Führung des Geschosses übernimmt ein kupferner
                                    napfförmiger (bei den schweren Kalibern
                                    ringförmiger) Ansatz an der Basis des Geschosses,
                                    dessen Ränder durch die Pulvergase aufgeweitet und in die Züge gedrückt
                                    werden.
                              
                           
                              Sind diese Angaben richtig, dann liegt die Vermuthung nahe, daß die Führung viel
                                 zu weit vom Schwerpunkt des Geschosses entfernt liegt, um eine sichere seyn zu
                                 können.“
                              
                           Werden aus den hier vorliegenden fünf Angaben nun zunächst die folgenden drei
                              Constructions-Principien:
                           
                              1) Bodenverschluß des Kanonenrohres durch eine Schraube,
                              2) Bildung des inneren Rohrtheiles aus Gußeisen,
                              3) Verstärkung dieses inneren Rohrcylinders durch einen um dessen
                                 Bodenstück gelegten Hohlcylinder von Schmiedeeisen, welcher in einem, durch
                                 Erhitzung hervorgerufenen, ausgedehnten Zustande aufgetrieben und hiernach
                                 möglichst rasch von Innen nach Außen abgekühlt wird,
                              
                           
                           zusammengefaßt und vergleicht man diese Constructions-Details
                              dann noch weiter mit dem Inhalte des Patentes, welches die HHrn. Whitworth und Hulse im August
                              v. J. in England genommen haben und dessen Uebersetzung in diesem Journal Bd. CLXXI
                                 S. 33 mitgetheilt wurde, so ergibt sich daraus ziemlich deutlich daß mit dieser
                              Patentnahme annähernd eigentlich nur ein ausschließliches Vorrecht zur Anfertigung
                              der Parrott-Kanone in England erzielt worden ist und daß
                              die Erfolge dieses Geschützes in den dortigen wissenden Kreisen also doch wohl
                              imponirt haben müssen.
                           Was ferner die Einwendungen eines schon früher dagewesenen Vorschlages, das Rohr mit
                              schmiedeeisernen Reifen zu umgeben, anbelangt, so ist diese Methode der
                              Rohrverstärkung (cerclage) als solche allerdings schon
                              seit etwa 1382 angewendet worden, wie dieses die noch vorhandene „Dulle
                                 Grete“ zu Gent beweistMan vergleiche Bd. CLXIX S. 94 dieses Journals.Anm. des Einsenders., dagegen aber ist die Art wie diese Verstärkungscylinder in Verbindung mit
                              der amerikanischen Methode des Geschützguß-Abkühlens von Innen nach Außen angewendet
                              werden, denn doch wohl eine Hrn. Parrott zuzuschreibende
                              Combination, und es wird diesem Theile seines Geschützsystemes deßhalb also
                              ebensowenig die Originalität abzusprechen seyn, als man es gerecht finden würde, das
                              Verdienst irgend einer anderen zweckmäßigen Verbesserung dadurch geschmälert
                              erblicken zu wollen, daß vielleicht schon von den Phöniziern etwas ähnliches bekannt
                              gewesen sey. Einem dringend hervortretenden Bedürfnisse mit den vorhandenen Mitteln
                              und zur rechten Zeit möglichst vollständig entsprochen zu haben, wird, trotz allen
                              Mäkelns daran, denn doch immer ein Verdienst bleiben, und dieses ist in dem
                              vorliegenden Falle dem Hrn. Parrott umsomehr zu
                              vindiciren, als er sein System von Vorderladungs-Geschützen außerdem noch mit einem
                              dahingehörigen Expansionsgeschoß versehen hat, welches, am meisten dem Müller'schen Geschosse des Schweizer-Geschützsystems
                              ähnelnd, und vielleicht wohl auch noch einer weiteren Verbesserung seiner Führung im
                              Rohre bedürftig, denn doch jedenfalls, mit verhältnißmäßig geringen Pulverladungen,
                              recht befriedigende Schießresultate hat erzielen lassen, und also den mit Spielraum
                              und größeren Ladungen abzufeuernden Warzen- und Leisten- etc. Geschossen der
                              Vorderladungsgeschütze europäischer Artillerien mindestens nicht nachstehen
                              dürfte.
                           Cassel, im April 1864.
                           Dy.,           
                              Artillerie-Hauptmann.