| Titel: | Ueber die Verseifung der Fettkörper durch Schwefelalkalien; von J. Pelouze. | 
| Fundstelle: | Band 173, Jahrgang 1864, Nr. CVII., S. 450 | 
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                        CVII.
                        Ueber die Verseifung der Fettkörper durch
                           Schwefelalkalien; von J. Pelouze.
                        Aus den Comptes rendus,
                              t. LIX p. 22, Juli 1864.
                        Pelouze, über die Verseifung der Fettkörper durch
                           Schwefelalkalien.
                        
                     
                        
                           In der nun schon ziemlich fern liegenden Zeit, in welcher ich entdeckte, daß die Oele
                              und Fette sich durch manche Metalloxyde auch ohne die Vermittelung des Wassers
                              verseifen lassen, hatte ich beobachtet, daß die Sulfurete der Alkalimetalle, auf
                              dieselbe Weise angewandt wie die caustische Soda- und Potaschelauge, gleich diesen
                              letzteren die Eigenschaft besitzen, mit denselben Fettkörpern Seifen zu geben.
                              Damals verfolgte ich die Untersuchungen über diesen Gegenstand nicht weiter, habe
                              sie indessen jetzt von Neuem aufgenommen, und da die hier in Betracht kommende
                              Reaction einerseits wegen ihrer Einfachheit sehr merkwürdig ist, andererseits aber
                              auch für einen der wichtigsten und bedeutendsten Industriezweige, die
                              Seifenfabrication, vielleicht von großem Nutzen werden kann, so erlaube ich mir, der
                              Akademie eine Uebersicht meiner bezüglichen Versuche vorzulegen.
                           Durch Behandlung einer concentrirten Aetznatronlösung (Seifensiederlauge) mit
                              Schwefelwasserstoff stellte ich mir Einfach-Schwefelnatrium dar, welches durch
                              wiederholtes Umkrystallisiren gereinigt wurde. Die auf diese Weise dargestellten
                              Krystalle enthalten keine Spur von freiem Natron; sie bestehen aus
                              Einfach-Schwefelnatrium mit 67 Proc. Wasser, entsprechend der Formel NaS, 9 HO.
                           Wird dieses Salz mit neutralen Fettkörpern zusammengebracht, so werden dieselben bei
                              gewöhnlicher Temperatur binnen einer im Allgemeinen sehr kurzen Zeit vollständig
                              verseift.
                           
                           So gab ein Gemisch gleicher Theile von krystallisirtem Einfach-Schwefelnatrium,
                              Olivenöl und Wasser nach Verlauf von zehn Tagen, zuweilen selbst schon nach fünf bis
                              sechs Tagen, eine vollkommen verseifte Masse, welche besteht aus: 1) fertiger Seife;
                              2) Glycerin; 3) Natriumsulfhydrat (NaS, HS); 4) überschüssigem
                              Einfach-Schwefelnatrium.
                           Behandelt man diese Masse mit einer zu ihrer vollständigen Lösung unzulänglichen
                              Menge Wasser, so läßt sich in der Flüssigkeit, auf welcher die Seife schwimmt, die
                              Gegenwart von Natriumsulfhydrat mittelst eines neutralen Mangansalzes deutlich
                              nachweisen, indem der Zusatz eines solchen neben einem reichlichen Niederschlage von
                              Schwefelmangan eine lebhafte Entwickelung von Schwefelwasserstoffgas hervorruft,
                              eine für die in Rede stehende Classe der Salze charakteristische Reaction.
                           Auch durch Kochen der erwähnten Flüssigkeit wird sofort Schwefelwasserstoffgas
                              entwickelt; nach längerem Sieden bleibt in der ersteren nur Einfach-Schwefelnatrium
                              zurück.
                           Die Analyse der genannten, auf kaltem Wege erhaltenen Producte zeigt, daß 1 Aequiv.
                              Schwefelnatrium durch Zersetzung des Wassers 1 Aequiv. Natron, welches den
                              Fettkörper verseift, und 1 Aequiv. Schwefelwasserstoff gibt, welcher sich mit einem
                              zweiten Aequiv. unzersetzten Schwefelnatriums zu Natriumsulfhydrat verbindet, oder
                              nach einer anderen Anschauungsweise geben 2 Aequiv. neutrales Natriumsulfhydrat 1
                              Aequiv. Natrium-Bisulfhydrat und 1 Aequiv. Seife.
                           Wendet man bei der Verseifung höhere Temperatur an, so entwickelt sich der
                              Schwefelwasserstoff und es bildet sich bloß Seife. In diesem Falle gibt 1 Aequiv.
                              Schwefelnatrium dieselbe Seifenmenge, wie 1 Aequiv. Natriumoxyd oder wasserfreies
                              Natron.
                           Meinen Versuchen zufolge bleibt bei längerem Kochen eines Schwefelalkalis mit einem
                              im Ueberschusse vorhandenen neutralen Fettkörper in der Mutterlauge oder Unterlauge
                              keine Spur von Schwefelnatrium zurück, da diese sich mit Bleisalzen nicht
                              schwärzt.
                           Diese Verseifungsprocesse gehen eben so vollständig und eben so rasch, wenn nicht,
                              namentlich auf dem kalten Wege, binnen noch kürzerer Zeit von Statten, als bei der
                              Anwendung von Aetznatronlauge; überdieß sind die auf jene Weise erhaltenen Seifen
                              ebenso schön als die durch Anwendung der bisher üblichen Processe dargestellten
                              Producte.
                           Dürfte zur Darstellung von Seifen mittelst Schwefelnatrium dieses letztere nur in
                              reinem und krystallisirtem Zustande angewendet werden, so würden sich von dem eben
                              mitgetheilten merkwürdigen Versuche für die Technik keine Vortheile erwarten lassen
                              und derselbe würde einzig dem Bereiche der Wissenschaft angehörig bleiben; ich bin
                              indessen überzeugt, daß die Sache nicht auf diesem Standpunkte stehen bleiben wird, daß vielmehr das durch
                              Zersetzung des schwefelsauren Natrons mittelst Kohle erhaltene Schwefelnatrium zur
                              praktischen Seifenfabrication sich sehr gut geeignet erweisen wird.
                           Durch die bei hoher Temperatur ausgeführte Calcination eines Gemenges von
                              Natronsulfat und Kohkspulver erhält man bekanntlich Einfach-Schwefelnatrium, welches
                              nur einige Procente Mehrfach-Schwefelnatrium und Aetznatron enthält; das letztere
                              kann die Verseifung nur befördern.
                           Mit dem auf letztere Weise dargestellten Schwefelnatrium verseifte ich Talg und Oele,
                              und fand dabei, daß die färbenden Substanzen zum größten Theile in der Mutterlauge
                              zurückbleiben.
                           Wie leicht das Sulfat zu Schwefelnatrium sich reduciren läßt, ist jedem Sodafabrikant
                              hinlänglich bekannt; schon jetzt consumirt ein von Gélis und Dusart geschaffener wichtiger
                              IndustriezweigDie Blutlaugensalz-Fabrication mit Hülfe von Schwefelkohlenstoff, s.
                                    polytechn. Journal Bd. CLXVIII S. 219. große Mengen Schwefelnatrium, und diese tüchtigen Chemiker finden in der
                              fabrikmäßigen Darstellung des Schwefelnatriums keinerlei Schwierigkeit.
                           Ich glaube vollkommen Recht zu haben, wenn ich betone, daß das Schwefelnatrium zu
                              zwei- bis dreimal niedrigerem Preise erhalten werden kann, als das kohlensaure
                              Natron, welches letztere bekanntlich, um zur Seifenfabrication dienen zu können,
                              erst noch einem besonderen Processe unterworfen werden muß, durch welchen es
                              mittelst Aetzkalk seiner Kohlensäure beraubt wird. Das Schwefelnatrium besitzt, wie
                              schon bemerkt, eine Verseifungskraft, wenn ich mich so ausdrücken darf, welche
                              derjenigen der Aetzalkalien nichts nachgibt, und die Schwierigkeiten, welche der
                              Seifenfabrikant bei Anwendung jenes Salzes zu überwinden haben wird, werden
                              jedenfalls nicht von dieser Seite kommen. Dieselben werden vielmehr in der
                              Nothwendigkeit ungefärbte, weiße und von jeder Spur Schwefelnatrium freie Seifen
                              darzustellen, liegen.
                           Ich habe mich überzeugt, daß die Zusammensetzung dieser Seifen dieselbe ist, wie sie,
                              den Untersuchungen unseres berühmten Collegen Chevreul
                              zufolge, die Natronseifen haben. Gleich den käuflichen Seifen, mit denen sie
                              identisch sind, lassen sich die in Rede stehenden Producte durch geeignete Anwendung
                              von reinen oder gesalzenen Alkalilaugen noch weiter reinigen. Uebrigens ist diese
                              Art von Reinigung für gewisse Seifenarten bekanntlich schon seit langer Zeit üblich,
                              so z.B. bei den
                              Marseiller Seifen, welche mit Laugen bereitet werden, die man durch unmittelbare
                              Behandlung der Rohsoda mit Aetzkalk darstellt und die sonach stets etwas
                              Schwefelnatrium enthalten.
                           Offenbar entweicht der Schwefelwasserstoff nicht vollständig in Gasform, sondern der
                              größere Theil, wenn nicht die ganze Menge desselben, wird in der Mutterlauge von dem
                              bei der Verseifung angewendeten Ueberschusse von caustischem Alkali
                              zurückgehalten.
                           Hoffentlich wird der Unterschied im Preise des Schwefelnatriums und des Aetznatrons
                              es der Technik möglich machen, die erforderlichen Reinigungskosten anzuwenden und
                              somit die neue Seife von der zum Verbrauche nöthigen Beschaffenheit zu liefern.
                           
                        
                           Bemerkungen zu der vorstehenden
                                 Mittheilung von Chevreul.
                           Zu der vorstehenden Mittheilung machte Chevreul folgende,
                              nicht auf die technische Frage bezügliche, sondern rein theoretische
                              Bemerkungen.
                           
                              „Die Verseifung eines neutralen Fettkörpers (Fettsäure + Glycerin) durch
                                 die wässerige Lösung eines Schwefelalkali, z.B. Schwefelnatrium (2NaS), zeigt die größte Analogie mit der Verseifung
                                 desselben Körpers durch kohlensaures Kali (2 KaO, CO²), wie das
                                 nachstehende Schema angibt:
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 173, S. 453
                              Wasser; 1 Atom neutrales Fett; 2
                                 Atome Schwefelnatrium; 1 Atom Wasser; Glycerin + Fettsäure; Schwefel. Natrium; 2
                                 Wasserstoff; 1 Sauerstoff
                              
                           Diese Substanzen geben nach Pelouze bei Gegenwart von
                              Wasser eine Fettsäure, und diese verbindet sich mit 1 Atom Natron, welches letztere
                              durch die Vereinigung von 1 Atom Natrium mit dem Sauerstoffatom des Wassers
                              entsteht.
                           Der durch die Verbindung des Wasserstoffs des zersetzten Wassers mit dem Schwefel des
                              oxydirten Natriumatoms entstandene Schwefelwasserstoff verbindet sich mit dem
                              unzersetzt gebliebenen Atom Schwefelnatrium zu dem aus 1 Atom
                              Schwefelwasserstoffsäure und 1 Atom Schwefelnatrium bestehenden Salze.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 173, S. 453
                              Wasser; 1 Atom neutrales Fett; 2
                                 Atome kohlensaures Kali; Glycerin + Fettsäure; Kohlensäure; Kali
                              
                           Da hier das Alkali fertig gebildet vorhanden ist, so findet eine Wasserzersetzung
                              nicht Statt. Das Kali von 1 Atom basisch-kohlensaurem Kali tritt an die Fettsäure, und
                              die Kohlensäure dieses Atoms verbindet sich mit dem zweiten Atom des
                              basisch-kohlensauren Kalis zu 1 Atom neutralem kohlensaurem Salze.
                           Diese Resultate sind nach der Weise, wie ich die chemische
                                 Neutralität, und zwar vom relativen, nicht vom absoluten Gesichtspunkte aus
                              betrachte, wohl erklärlich.
                           Das von den Chemikern als neutral bezeichnete Salz ist ein
                              solches Salz, dessen beide näheren Bestandtheile, die Säure und das Alkali, welche
                              im freien Zustande jedes auf eine gefärbte, Reagens genannte Substanz in verschiedener Weise
                              einwirken, nach ihrer wechselseitigen Vereinigung nicht
                              mehr auf dieses Reagens wirken, wenigstens die Farbe desselben nicht mehr
                              verändern.
                           Nach meiner Anschauungsweise ist die Neutralität –
                              in diesem Falle – ein Ueberwiegen der Wahlverwandtschaft zwischen den beiden
                              mit einander verbundenen Körpern über diejenige Affinität, welche das Reagens zu dem
                              einen oder dem anderen dieser Körper möglicherweise hat.
                           Aber diese Neutralität selbst ist nicht als absolut, sie
                              ist nur als relativ zu betrachten in Bezug auf die beiden
                              mit einander verbundenen Körper und auf das Reagens, so daß sie in Bezug auf ein
                              anderes Reagens möglicherweise nicht existirt.
                           Das, was als Acidität der Säuren und als Alkalinität der Alkalien bezeichnet wird, ist eine sehr
                              starke wechselseitige Affinität zwischen Säuren und
                              Alkalien.
                           Dieselbe Folgerung gilt für die Körper, welche verbrennen, wenn man einen verbrennenden (d.h. die Verbrennung einleitenden und
                              unterhaltenden) Körper, wie den Sauerstoff, und einen verbrennbaren oder verbrennlichen, wie den Wasserstoff, unterscheidet; die
                              verbrennende Kraft und die Verbrennbarkeitskraft, durch welche die Verbindung der eben genannten
                              beiden Körper erklärt wird, sind gleichfalls nichts Anderes, als eine starke wechselseitige Affinität der einfachen Körper zu
                              einander.
                           Bei der zwischen dem basisch-kohlensauren Kali und dem Fettkörper stattfindenden
                              Reaction neutralisirt die Kohlensäure nur die eine Hälfte des Kalis, die andere
                              Hälfte desselben bewirkt die Verseifung.
                           Bei der Reaction zwischen dem Schwefelnatrium und dem Fettkörper verursacht die eine
                              Hälfte des Natriums bei Gegenwart von Wasser eine Wasserzersetzung, während
                              gleichzeitig die Fettsäure vom Glycerin sich abscheidet, so daß zugleich Natron +
                              Fettsäure und Schwefelwasserstoffsäure entstehen, welche letztere sich mit der
                              anderen Hälfte des geschwefelt gebliebenen Natriums verbindet.
                           
                           Von Seiten der Chemiker ist die Neutralität fast nur in
                              Bezug auf Acidität und Alkalinität untersucht worden; gleichwohl bietet sie, wie wir
                              den Begriff definirt haben, ein hohes Interesse, z.B. wenn man sie in ihren
                              Beziehungen zu gewissen organoleptischen Eigenschaften in
                              Betrachtung zieht. So bildet die durch ihren außerordentlich bitteren Geschmack
                              ausgezeichnete Pikrinsäure mit dem Kali ein neutrales
                              Salz, und doch zeigt diese Verbindung die Bitterkeit der Säure in hohem Grade, so
                              daß wir hier das Beispiel einer organoleptischen Eigenschaft, nämlich des bitteren
                              Geschmacks haben, welche durch ein, die Acidität neutralisirendes Alkali nicht
                              gleichfalls verwischt oder neutralisirt wird.
                           Ein näheres Studium der organoleptischen Eigenschaften von diesem Gesichtspunkte aus
                              wird, wie ich nicht bezweifle, zu werthvollen Resultaten für die Physiologie und
                              Therapie führen, und zwar insofern, als sich aus der unbestreitbaren Thatsache, daß
                              die Körper in Folge ihrer chemischen Reactionen, ihrer wechselseitigen
                              Aufeinanderwirkungen tief eingreifende Veränderungen erleiden, die Folgerung
                              deduciren läßt, daß man in den meisten Fällen, wo ein Körper, welcher als Gift, Miasma, Virus bezeichnet wird, die Lebensfunctionen
                              eines thierischen Organismus stört, hoffen darf, dereinst einen anderen Körper zu
                              finden, welcher des ersteren organoleptische Wirkung zu neutralisiren vermag oder,
                              um mich eines vulgären Ausdruckes zu bedienen, der als Gegengift gegen denselben wirken kann.