| Titel: | Neues Verfahren zur unmittelbaren Erzeugung von Gußstahl mit Gasen; von Aristide Bérard. | 
| Fundstelle: | Band 177, Jahrgang 1865, Nr. L., S. 236 | 
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                        L.
                        Neues Verfahren zur unmittelbaren Erzeugung von
                           Gußstahl mit Gasen; von Aristide Bérard.
                        Aus den Comptes rendus,
                              t. LX p. 1352, Juni 1865.
                        Bérard's Verfahren zur unmittelbaren Erzeugung von Gußstahl
                           mit Gasen.
                        
                     
                        
                           Unter allen metallurgischen Fragen, welche jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit
                              beschäftigen, nimmt die sichere Erzeugung eines billigen Stahls unbedingt eine der
                              ersten Stellen ein.
                           Scholl alt ist die Bemerkung, daß es, da der Stahl bezüglich seiner chemischen
                              Constitution dem Roheisen näher steht, als dem Stabeisen, die Umwandlung des
                              letzteren zu Stahl leichter seyn müßte, als die zu Stabeisen.
                           Bereits vor mehreren Jahren erregte ein berühmter englischer Eisenhüttenmann, Bessemer, bedeutendes Aufsehen durch die Ankündigung
                              eines neuen Verfahrens zur directen Umwandlung des Roheisens zu Stahl ohne Anwendung
                              von Brennmaterial. Die dazu gebrauchten Mittel waren von der älteren
                              Fabricationsmethode so abweichend, daß viele Metallurgen die Möglichkeit eines
                              Erfolges überhaupt in Abrede stellten; dennoch ist das neue Verfahren wirklich in
                              die Praxis eingeführt worden, und täglich begegnen wir den nach demselben
                              dargestellten Producten im Handel. Aber noch immer wird die Frage aufgeworfen, ob
                              dieß auch wohl wirklicher Stahl ist, ob das „Bessemermetall,“ wie es in England genannt wird, sich, ohne
                              allzu bedeutende Veränderungen zu erleiden, wiederholt härten und umschmelzen
                              läßt.
                           Mit Ausnahme einer nur geringen Anzahl von ganz besonders reinen Sorten enthält das
                              meiste Roheisen außer Kohlenstoff, Silicium, Aluminium etc. noch schwankende Mengen
                              von Schwefel und Phosphor, von Substanzen also, welche für die Qualität des
                              darzustellenden Stabeisens und Stahls sehr nachtheilig sind und deßhalb gänzlich
                              entfernt werden müssen.
                           Zur Erreichung dieses Zweckes unterwerfe ich das flüssige Roheisen abwechselnd einer
                              oxydirenden und einer reducirenden Behandlung.
                           Zur Erzeugung der zu meinem Processe erforderlichen Hitze – also als
                              Brennmaterial – sowie zur Vermittelung der nöthigen Reactionen – also
                              als Reagentien – benutze ich Gase.
                           Der von mir angewendete Ofen ist ein nach einem eigenthümlichen System eingerichteter
                              Flammofen mit zwei beweglichen Herdsohlen, der sich ohne Schwierigkeit in gutem Zustande erhalten und
                              ebenso leicht repariren läßt. Beide Sohlen sind durch eine Herdbrücke von einander
                              getrennt, auf welcher eine Schicht Kohks liegt, welche die Gase durchdringen müssen,
                              so daß ihr freier Sauerstoff von denselben absorbirt wird. Der Gasstrom kann
                              mittelst Klappen oder Ventilen so regulirt werden, daß er nach Belieben aus dem
                              rechten Herde in den linken tritt, oder sich in umgekehrter Richtung bewegt. Während
                              man im rechten Herde mittelst Formen, welche atmosphärische Luft zuführen, oxydirend
                              arbeitet, übt man gleichzeitig im linken Herde mit Hülfe von Formen, durch welche
                              ein vorher von Schwefel gereinigtes Gemisch von Wasserstoff- und
                              Kohlenoxydgas zugeführt wird, eine reducirende Wirkung aus. Nachdem diese doppelte
                              Reaction zwölf bis fünfzehn Minuten gewährt hat, wird dieselbe in entgegengesetzter
                              Weise fortgesetzt, so daß an die Stelle des Oxydirens das Reduciren tritt und
                              umgekehrt. Mit dieser Arbeit wird abwechselnd längere oder kürzere Zeit
                              fortgefahren, was von der größeren oder geringeren Reinheit des zu verarbeitenden
                              Roheisens abhängt.
                           In der letzten Periode der Arbeit findet die Entkohlung statt; sobald man an den
                              beliebig oft gezogenen Proben bemerkt, daß das in Arbeit genommene Eisen den
                              geeigneten Zustand angenommen hat, wird es auf ganz dieselbe Weise wie beim
                              Flammofen-Gießereibetriebe abgestochen. In dieser Art ist man vollständig
                              Herr des Processes, und im Stande, denselben bis zu dem für die Beschaffenheit des
                              zu erzielenden Productes am meisten geeigneten Grade fortzuführen.
                           Wir wollen nun die bei diesen abwechselnden Oxydationen und Reductionen
                              stattfindenden Vorgänge näher in's Auge fassen.
                           Während der Oxydationsperiode wird ein Theil des Eisens vom Roheisen in Eisenoxydul
                              verwandelt; das Silicium und die Erdmetalle – Aluminium, Calcium, Magnesium
                              – werden oxydirt zu Kieselsäure und zu Basen, welche sich nebst dem
                              Eisenoxydul zu Silicaten von Monoxyden und Sesquioxyden verbinden. Gleichzeitig
                              werden vielleicht vorhandener Schwefel und Phosphor, sowie Arsen, wenigstens
                              theilweise in Schwefligsäure, Arsenigsäure, Phosphorigsäure umgewandelt, die durch
                              den Zug in die Esse gerissen und dadurch fortgeführt werden.
                           Während der Reductionsperiode wird das frei gebliebene oder mit der gebildeten
                              geringen Kieselsäuremenge noch zu einer wenig stabilen Verbindung vereinigte
                              Eisenoxydul bei der alsdann stattfindenden Temperatur durch die Wirkung des
                              Wasserstoff- und Kohlenoxydstromes wieder reducirt und vereinigt sich mit dem
                              Metallbade. Die Oxyde der Erdmetalle hingegen können unter solchen Verhältnissen
                              nicht reducirt werden und schwimmen als arme Schlacken auf dem flüssigen Eisen. Die noch vorhandenen
                              Metalloide endlich, Schwefel, Phosphor und Arsen, verbinden sich mit dem Wasserstoff
                              zu gasförmigen Producten, welche durch die Esse entweichen; diese der Qualität des
                              darzustellenden Stahls so nachtheiligen Substanzen werden demnach sowohl durch das
                              oxydirende, als durch das reducirende Schmelzen ganz entfernt.
                           Was den während der Oxydation des Roheisens verbrannten Theil des Kohlenstoffs
                              anlangt, so wird derselbe während der Reductionsperiode dem Roheisen durch das
                              Kohlenoxyd und die die Herdsohle bildenden kohligen Substanzen zum Theil wieder
                              zugeführt, so daß auf diese Weise die Entkohlung verzögert und somit zur
                              Ausscheidung der schädlichen fremden Beimengungen Zeit gewonnen wird.
                           Die eigentliche Rolle des Mangans ist noch nicht gehörig
                              festgestellt; seine Wirkung ist indessen außer Zweifel: es begünstigt die Umwandlung
                              des Roheisens in Stahl.
                           Dem im Vorstehenden beschriebenen Verfahren – dem wechselsweise angewendeten
                              oxydirenden und reducirenden Schmelzen – stellte sich in der Praxis eine
                              Schwierigkeit entgegen.
                           Die Oxydation bewirkt eine beträchtliche Erhöhung der Ofentemperatur, die Reduction
                              bringt die entgegengesetzte Wirkung, d.h. eine merkliche Temperaturerniedrigung
                              hervor, in Folge deren das Metallbad bald erstarren („erfrieren,“) und der Proceß unterbrochen
                              werden würde. Diesem Uebelstande wurde dadurch vorgebeugt, daß die Arbeit beider
                              Herde gewissermaßen solidarisch gemacht und so geleitet wurde, daß durch die hohe
                              Temperatur des Oxydationsherdes die geringere des Reductionsraumes ausgeglichen
                              wurde. In Folge dieser Einrichtung wird die Temperatur in beiden Herden fast auf
                              gleicher, und zwar stets sehr bedeutender Höhe erhalten.
                           Mittelst dieses Verfahrens wird das Roheisen durch eine und dieselbe Operation
                              eingeschmolzen, von den für die Qualität der Producte nachtheiligen fremdartigen
                              Körpern befreit (gefeint) und in Stahl verwandelt, welcher sich, seiner definitiven
                              Bestimmung entsprechend, mit einem mehr oder minder hohen Kohlenstoffgehalte
                              darstellen läßt. Der Abgang wird auf ein Minimum reducirt; man hat den Proceß ganz
                              in seiner Gewalt, und wenn sich auch bis jetzt noch nicht aus jedem Roheisen ein
                              guter Stahl darstellen läßt, so wird doch durch die Anwendung meines Verfahrens die
                              Anzahl der dazu verwendbaren Sorten sehr bedeutend vermehrt.
                           Zu Decazeville, wo ich meine ersten Apparate aufgestellt habe, verarbeite ich bei
                              jeder Operation 1000 bis 1200 Kilogr. Roheisen.
                           
                           Der erhaltene Stahl ist nicht etwa ein eigenthümliches Product von besonderen
                              Eigenschaften, sondern wirklicher Stahl mit allen Qualitäten des Gußstahls, von
                              feinem, gleichartigem, geschlossenem Korne und gut zu bearbeiten, der sich ohne
                              wahrnehmbare Veränderung umschmelzen und gut härten läßt, folglich zu allen
                              technischen Zwecken, zur Anfertigung von Werkzeugen etc. wohl geeignet ist.
                           Ich werde der (französischen) Akademie eine ausführliche Abhandlung über die
                              Resultate meiner zu Decazeville angestellten, sowie der jetzt auf einem anderen
                              bedeutenden Hüttenwerke von mir beabsichtigten Versuche, später vorlegen.