| Titel: | Séguier's gemischte Ladungen. | 
| Fundstelle: | Band 179, Jahrgang 1866, Nr. L., S. 190 | 
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                        L.
                        Séguier's gemischte Ladungen.
                        Séguier's gemischte Ladungen.
                        
                     
                        
                           Im Bulletin de la Société d'Encouragement,
                              October 1865, wird S. 633, den Comptes rendus de
                                 l'Académie des sciences entnommen, ein Vortrag des Hrn. Baron Séguier über Ballistik mitgetheilt, worin derselbe
                              zunächst die Priorität der Idee: Schießbaumwolle, nach dem Verfahren des
                              österreichischen Hrn. Generals v. Lenk dargestellt, zur
                              Steigerung ihrer ballistischen Wirkung und zur gleichzeitigen Schonung der
                              Feuerwaffen, mit grobkörnigem Minenpulver combinirt beim Schießen zu verwenden, für
                              sich in Anspruch nimmt, anderen hierauf bezüglichen englischen und französischen
                              Veröffentlichungen gegenüber auf seine bei der Akademie bereits seit 1847 und 1848
                              deponirten Mittheilungen hinweist, und mit dieser Sachlage es dann motivirt, daß er
                              nunmehr mit Nachrichten über Versuche hervortrete, welche von ihm zur Auffindung von
                              Mitteln angestellt wurden, beim Schusse:
                           1) die Trägheit des Projectiles anfangs nur ganz allmählich zu überwinden;
                           2) die Bewegungskraft des im Rohre vorschreitenden Geschosses dann successive immer
                              mehr zu steigern, und endlich
                           3) die Totalkraft des zum Schießen verwendeten Motors bis zu dem Momente, wo die
                              Rohrmündung vom Projectile verlassen wird, auch vollständig zu erschöpfen.
                           Als Basis für in diesem Sinne anzustellende Versuche diente Hrn. Séguier die beim Schießen mit Windbüchsen von circa 40 Atmosphären Druck festgestellte Thatsache, daß
                              dabei mit einem gegebenen Quantum Luft von einer bestimmten Compression, durch
                              anfangs mäßiges, dann immer stärker werdendes und endlich in möglichst heftigem
                              Windstoße sich äußerndes Ausströmenlassen derselben genau ebenso ein Maximum von
                              Effect herbeigeführt werden kann, wie der Blasrohrschütze die von ihm
                              hervorzubringende Wirkung mit möglichster Schonung seiner Lungen erreicht, wenn er
                              die anfangs nur leicht und gewissermaßen spielend in Bewegung gesetzte Thonkugel
                              allmählich immer stärker im Rohre vortreibt und sie endlich mit möglichst kräftigem
                              Luftstoße aus demselben entläßt. – Man hatte es bei den angestellten
                              Schießversuchen mit Windbüchsen ganz in der Hand, mit einer gegebenen Quantität Luft
                              von bestimmter Spannung kleinere oder größere Geschoß-Effecte
                              hervorzubringen, je nachdem die Curve der Muschel, welche zur Vermittelung des
                              Windkastenventil-Oeffnens diente, so gestaltet war, daß dadurch entweder ein
                              plötzliches, beziehungsweise allmählich abnehmendes, oder aber ein anfangs schwaches
                              und dann allmählich immer mehr sich verstärkendes Ausströmen der künstlich
                              zusammengepreßten Luft bedingt erschien.
                           Um zu untersuchen, ob sich beim Schießen mit Pulver und anderen festen Körpern,
                              welche bei ihrer Verbrennung hochgespannte Gase als Motoren der Projectilbewegung
                              liefern, nicht ähnliche Wirkungsverschiedenheiten nachweisen lassen, wenn dabei
                              verschiedene Zündungsmethoden, verschiedene explosive Gemenge und verschiedene
                              Gestaltungen des Rohrladungsraumes mit- und beziehungsweise auch
                              untereinander combinirt würden, schritt man zuerst zur Ermittelung des Einflusses der Zündungsmethode auf ballistische Wirkung
                              von Schießpulverladungen, indem die Einmündung der Zündcanäle von
                              Steinschloß- und Percussionsgewehren versuchsweise an verschiedenen Stellen
                              des Ladungsraumes vom Rohre bewerkstelligt und dann auf die Unterschiede geachtet
                              wurde, welche sich in Bezug auf Geschoßwirkung dadurch äußerten, daß die Entzündung
                              der Pulverladung entweder vom Stoßboden der Pulverkammer des Rohres, oder von der
                              Ladungsmitte, oder endlich von dem der Kugel zugewendeten Patronenende aus geschah.
                              – Als Resultat ergab sich hierbei, daß der Nachtheil des Ausgestreutwerdens
                              von unverbrannten Pulverkörnen während des Schusses, welcher bei Anwendung von
                              grobkörnigen Pulversorten im Allgemeinen mehr als bei der von feinkörnigen vorkam,
                              den Steinschloßgewehren mit ihrer von Korn zu Korn gehenden Entzündung in einem weit
                              höheren Grade eigenthümlich ist, als den von dem intensiven Feuerstrahle gut
                              gewählter leicht explodirender Gemenge entzündeten Percussionsgewehren; daß ferner
                              bei Steinschloßgewehren dieses Pulverstreuen sich immer mehr vermindert, je weiter
                              die Entzündung der Patrone nach deren vorderem Ende hin gerückt wird, und daß eine
                              ballistische Maximalwirkung dieser Gewehrart erfolgt, wenn bei Entzündung der Ladung
                              zwischen Kugel und Pulver in Verbindung mit langen Rohren dem Steinschloßgewehre
                              stark comprimirte (fortement tassé) Ladungen
                              nicht zu raschen Pulvers gegeben werden, während bei Percussionsgewehren mit ihren
                              rascher zusammenbrennenden Ladungen die Länge des Rohres keine so bedeutende Rolle
                              spielt und bei deren Entzündungsmethode auch die durch die Mündung des Zündcanals an
                              verschiedenen Stellen der Patronen bedingten Unterschiede nicht recht klar
                              hervortreten.
                           Hiernach zur Vergleichung der ballistischen Wirkungen von
                              Schießpulver, Schießbaumwolle und noch rascher detonirender Substanzen angestellte Versuche
                              ergaben, daß bei gleichen Ladungsgewichten der ballistische Effect des aus Baumwolle dargestellten Pyroxyls
                              größer ist, als der des gewöhnlichen Schießpulvers, starke Ladungen ungesponnener
                              (bloß gekrempelter) Baumwolle hierbei durch heftigen Rückstoß aber auf eine
                              waffenzerstörendere Wirkung derselben schließen lassen, während gesponnene
                              Baumwolle, in einen verhältnißmäßig großen Ladungsraum gebracht, zu befriedigenderen
                              Resultaten führte; Versuche, das Schießpulver durch Knallquecksilber zu ersetzen,
                              mußten aber selbst bei luftvoll gelassenen Zwischenräumen zwischen Ladung und Kugel,
                              wegen der beim Schießen entstandenen Sprünge in den unteren Rohrwandungen, gar bald
                              wieder aufgegeben werden.
                           Als endlich zu dem Versuche geschritten wurde, ebenso wie es bei zweckmäßig
                              construirten Windbüchsen möglich gewesen war, einen bestimmten Weg zur Erlangung
                              ballistischer Maximalwirkungen aufzufinden, um auch bei mit
                                 Schießpulver etc. zu ladenden Gewehren eine möglichst rationelle Verwendung der
                                 als Motoren dienenden gespannten Gase dadurch eintreten zu lassen, daß bei
                              gut gewählter Entzündungsmethode langsamere und raschere Pulversorten so miteinander
                              combinirt wurden, wie es zu einer anfänglich ganz allmählichen Ueberwindung der
                              Trägheit des Projectiles und weiterer Erlangung einer sich hiernach immer mehr
                              steigernden pulsatorischen Kraft erforderlich zu seyn schien, erhielt man dabei sehr
                              befriedigende Resultate durch Anwendung von Metallkapsel-Patronen, die in
                              ihrem unteren Theile Pyroxyl und darauf geschichtet langsam verbrennendes
                              Minenpulver enthielten, welches letztere vermittelst einer durchlöcherten und dann
                              wieder mit dünnem Papier verklebten Pappe-Querscheidewand von der
                              Schießbaumwolle getrennt, den Zündstrahl der angewendeten Percussionsvorrichtung
                              zuerst aufnahm, und, so sich entzündend, die Trägheit des Projectiles successive
                              überwand, ehe das Feuer zu der hiernach in rascher Steigerung sehr hochgespannte
                              Gase liefernden Schießbaumwolle dringen konnte.
                           Am Schlusse dieser interessanten Mittheilungen wird angeführt, daß die Feststellung
                              der Geschoß-Effecte bei diesen Versuchen nicht durch das ballistische Pendel
                              oder sonstige chronometrische Apparate, sondern lediglich durch Vergleichung
                              derjenigen Zielentfernungen miteinander bewirkt worden ist, auf welchen unter den
                              vorliegenden Umständen gleichstarke Geschoßdeformationen
                              zum Vorschein kamen; daß ferner zur Fortsetzung der Versuche mit gemischten
                              Ladungen, durch welche bereits die Nothwendigkeit erwiesen worden sey, zur Erlangung
                              möglichst bedeutender ballistischer Wirkungen einen Motor von allmählich beginnender
                              und dann immer stärker werdender Kraftäußerung verwenden zu können, der Kaiser Napoleon das Polygon von
                              Meudon zur Verfügung gestellt hat, und daß es nun vermittelst der Chaudun'schen Metallkapsel-Patronen möglich
                              geworden sey, dem kleinen Feuergewehr auch die Vortheile einer Ladungsentzündung von
                              vorn, einer den Rückstoß vermindernden Luftkammer zwischen Gewehrstoßboden und
                              Ladung, sowie einer Tragweitenvermehrung – durch Combination langsamer mit
                              raschen Pulversorten – zuzuwenden.
                           D......y,                  Major
                              im Generalstabe in Cassel.