| Titel: | Russische Schießversuche mit Gußstahl-Kanonenrohren. | 
| Fundstelle: | Band 179, Jahrgang 1866, Nr. LXXXVII., S. 364 | 
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                        LXXXVII.
                        Russische Schießversuche mit
                           Gußstahl-Kanonenrohren.
                        Russische Schießversuche mit
                           Gußstahl-Kanonenrohren.
                        
                     
                        
                           In den Nummern 48 und 49 der Allgemeinen Militär-Zeitung vom 29. November und
                              6. December 1865 werden in Petersburg angestellte Schießversuche mit Gußstahlkanonen
                              gegen Panzerplatten mitgetheilt, welche, von den dortigen Autoritäten der
                              Artillerie, des Genie- und des Marinewesens ausgeführt, insofern vom größten
                              Interesse für die Geschützkunde sind, als sie den Beweis liefern, daß selbst der
                              vorzügliche Krupp'sche Gußstahl zu homogenen
                              Vorderladungsrohren gezogener Geschütze großen Kalibers nicht ausreicht und weiter
                              auch noch für die Behandlung gezogener Hinterladungsgeschützrohre dieses Materials
                              so nützliche Winke geben, daß eine auszugsweise Mittheilung ihrer Resultate hier
                              wohl am Platze seyn dürfte.
                           Nach dem betreffenden Commissionsberichte vom December 1864 zersprang nämlich:
                           1) ein aus Krupp'schem Gußstahl gefertigtes 9zölliges (245
                              millimetriges) Kanonenrohr, welches mit sogenannten Shunt-, Schiebe-
                              oder Parallelzügen versehen war und 7531 Kilogramme wog, schon beim 66sten von mit
                              20,5 Kilogr. Pulver und 122,7 Kilogr. schweren Zinkzapfen-Geschossen
                              abgegebenen Schüssen, und nach hierauf erfolgter genauer Untersuchung der
                              Bruchtheile von Rohr und Geschoß fand sich, daß durch die abgeschliffenen
                              Führungs-Zinkzapfen des Geschosses ein Verkeilen des letzteren im Rohre
                              stattgefunden und so bei der starken Ladung das Zerspringen der Rohrwand veranlaßt
                              hatte. Ferner zersprang
                           
                           2) ein Vorderladungsrohr derselben Art, welches, ursprünglich für den
                              Kaliberdurchmesser von 245 Millimeter bestimmt, nur auf 218 Millimeter gebohrt
                              worden war, so daß anstatt wie früher 61, nunmehr 100 Kilogr. Rohrgewicht auf 1
                              Kilogr. Geschoßgewicht kamen, beim 109ten von mit nur 15 Kilogr. Pulver und 100
                              Kilogr. schweren Projectilen abgegebenen Schüssen, obgleich man den dabei
                              verwendeten Geschossen anstatt der, bei obigem Schießversuche zu schwach befundenen,
                              Führungszapfen von Zink solche von Kupfer gegeben und außerdem noch zwei Reihen von
                              Isolirungszapfen an denselben angebracht hatte, ferner der Geschoßdurchmesser so
                              angeordnet worden war, daß selbst bei der unvortheilhaftesten Anwendung dieser
                              Isolirungsmittel ein Berühren von Rohrseelenwand und Geschoßoberfläche niemals
                              stattfinden konnte, und endlich alle Geschosse auf der Drehbank abgedreht, sowie
                              nach dem Einsetzen der Zapfen genau in Bezug darauf revidirt wurden, ob auch die
                              Achsen von Zapfen- und Cylinderoberfläche derselben zusammenfielen. Die
                              Untersuchung der Bruchtheile von Rohr und Geschoß ergab, daß auch hierbei
                              wahrscheinlich, trotz aller angewendeten Vorsichtsmaßregeln, beim Schusse ein
                              Verkeilen des Rohres mit Bruchstücken des in diesem Falle der Ersparung wegen
                              angewendeten Gußeisen-Geschosses stattgefunden hatte, und dadurch das Rohr
                              zum Zerbersten gebracht worden war. Die Kennzeichen hierfür waren jedoch in diesem
                              Falle nicht so überzeugend wie beim Zerspringen des ersten Rohres aufgetreten, und
                              man beschloß daher zur Lösung der noch immer darüber bestehenden Zweifel, ob der
                              Grund dieser raschen Zerstörung großkalibriger gezogener Vorderladungsrohre im
                              Systeme der Züge beziehungsweise der Geschoßzerschellung im Rohre, oder im
                              Rohrmateriale liege, weitere Schießversuche anzustellen, welche hiernach dann
                              auch
                           a) zur Prüfung des Einflusses von Rohrzug- und
                              Geschoßsystem auf die Dauerhaftigkeit des Rohres beim Abschießen von
                              Stahlgeschossen, die in der Rohrseele nicht zerschellen können, mit zwei
                              218millimetrigen Gußstahlrohren, von denen das eine Parallelzüge und das andere den
                              französischen Geschützzug hatte, sowie
                           b) zur Festigkeitsprüfung des Rohrmateriales selbst mit
                              zwei glatten ursprünglich 218millimetrigen Vorderladungsrohren, von denen eines bis
                              auf 281 Millimeter nachgebohrt worden war, zugehörigen Rundkugeln und starken
                              Ladungen ausgeführt wurden und als Resultate Folgendes ergaben:
                           Die Geschosse der 218 millimetrigen mit Parallelzügen versehenen Kanone durchschlugen
                              auf 1067 Meter Entfernung einen 120 Millimeter starken Eisenpanzer nicht nur mit 15,
                              sondern auch mit 12,5 Kilogr. Ladung, so daß aus diesem wie aus dem nach französischem
                              Systeme gezogenen Rohre nach 46 Schüssen nur noch mit 12,5 Kilogr. Pulver gefeuert
                              wurde, wobei sich in dem Rohre mit Parallelzügen nach 169 und in dem Rohre mit Zügen
                              französischen Systemes nach 240 Schüssen Stahlausbrennungen der Rohrseelenwand an
                              denjenigen Stellen des Geschoßlagers zeigten, wo die Pulvergase beim Schusse durch
                              den Geschoßspielraum entwichen waren. – Diese, hauptsächlich wohl
                              mechanischen Einwirkungen der entweichenden Pulvergase zuzuschreibenden
                              Stahlausbrennungen waren nach den genannten Schußanzahlen im zweiten Rohre
                              bedeutender als im ersten und lieferten den nunmehr thatsächlich festgestellten
                              Beweis, daß großkalibrige mit schweren Geschossen und starken Ladungen
                              abgefeuerte gezogene Vorderladungsgeschütze bei
                              mangelndem Abschlusse des Geschoßspielraumes, selbst in dem
                                 Falle noch einer schädlichen Verletzung durch
                                 Ausbrennen ihrer Seelenwand ausgesetzt sind, wenn zu ihrer Anfertigung Stahl bester Qualität verwendet wurde, welche Eigenschaft
                              dem Stahle des Hrn. Krupp nach dem Gutachten der
                              Commission zuzusprechen ist. – Es beschränkt sich
                                 hierdurch die Dauer solcher Vorderladungsrohre auf höchstens 250 Schüsse,
                              weil später in Folge stattgehabten Ausbrennens die Geschosse sich in denselben
                              festkeilen und so ihr Zerspringen veranlassen könnten.
                           Der ferner mit dem glatten Stahlkanonenrohre von 218
                              Millimeter Kaliberdurchmesser angestellte Schießversuch, welcher vom
                              Marine-Ministerium ausgeführt wurde, bewies neben der Güte des Materiales in
                              Bezug auf Cohäsionskraft weiter, daß auch beim Schießen mit solchen Rohren
                              schädliche Ausbrennungen in der Seelenwand vorkommen, denn es zeigten sich nach 1025
                              mit Rundkugeln und 12,5 Kilogr. Pulverladung abgegebenen Schüssen bei diesem
                              Versuchsrohre schon bedeutende Beschädigungen seiner Seelenwand, welche offenbar
                              durch die im Kugelspielraume entwichenen Gase veranlaßt worden waren. – Das
                              hiernach zum Versuche gebrachte, von 218 auf 281 Millimeter ausgebohrte glatte Rohr
                              zeigte nach 790 mit 90 Kilogr. schweren Rundkugeln und 20 Kilogr. Pulver abgegebenen
                              Schüssen zwar ebenfalls Ausbrennungen seiner Stahlwand in der Gegend des
                              Geschoßlagers, es waren dieselben jedoch nicht so bedeutend, daß dadurch die fernere
                              Gebrauchsfähigkeit des Rohres hätte in Frage gestellt werden müssen, ein Beweis, daß
                              der Gasdruck pro Flächeneinheit der inneren Rohrwand bei
                              diesem größeren Kaliber und Ladungen von 20 Kilogr. nicht so groß als bei dem nur 21
                              millimetrigen Rohre und 12,5 Kilogr. Pulver gewesen war. Eisenpanzer von 120
                              Millimeter Stärke wurden von diesen mit 20 Kilogr. Pulver abgeschossenen Rundkugeln zwar
                              noch auf 854 Meter Entfernung durchbohrt, die Trefffähigkeit des glatten Rohres
                              stand auf diese Entfernung derjenigen des gezogenen Rohres aber schon bedeutend
                              nach.
                           Da diese Versuche, neben der Cohäsionsfestigkeit des Rohrmateriales und der
                              Ueberlegenheit gezogener Rohre gegen Panzerplatten, welche den betreffenden Erfolgen
                              glatter Geschütze gegenüber auf der größeren Treffsicherheit und der zerstörenderen
                              Wirkung ihrer Langgeschosse beruht, nun dargethan hatten, daß gezogene
                              Gußstahl-Vorderladungsrohre obigen Systemes und großen Kalibers wegen raschen
                              Ausbrennens ihrer Seelenwand an denjenigen Stellen wo die Pulvergase durch den
                              Geschoßspielraum entweichen, schon nach 250 Schüssen an der Grenze ihrer
                              Brauchbarkeit stehen, wurden auch noch einige Schießversuche mit Gußstahlrohren
                              zweier anderer Vorderladungs-Geschützsysteme angestellt, deren Geschosse an
                              ihrem Boden mit kupfernen, den Spielraum beim Schusse verschließenden
                              Expansionsspiegeln ausgerüstet waren und von denen die eine Rohrart, mit
                              Parallelzügen versehen, Projectile schoß, welche außer diesem Expansionsspiegel auch
                              noch Führungszapfen hatten, die zweite Rohrart aber nur
                              mit Expansionsspiegeln ausgerüstete Projectile schoß und nach dem Blakely'schen Systeme nur schmale Züge hatte, in denen
                              der Expansionsspiegel beim Schusse in sie eingepreßt, die Geschoßrotation allein
                              anbahnen muhte.
                           Am regelmäßigsten fielen hierbei die Schüsse der mit Führungszapfen und Expansionsspiegel versehenen Geschosse aus, allein
                              auch selbst diese Resultate standen in Bezug auf Treffsicherheit hinter denen
                              zurück, welche mit den Vorderladungsgeschützen oben bezeichneter Systeme erlangt
                              worden waren; man unterließ es daher, diese Versuche auch noch in Beziehung darauf
                              fortzusetzen, in wie weit die Expansionsspiegel der Geschosse im Stande seyn würden,
                              das Ausbrennen der inneren Rohrwandung zu verhindern, indem es hiernach weit
                              ergiebiger zu seyn schien, sich statt dessen noch einigen Schießversuchen mit
                              Hinterladungs-Geschützrohren zuzuwenden, welche letztere, bei überwiegender
                              Trefffähigkeit, zugleich gestatten, die Geschoßachse beim Laden immer möglichst mit
                              der Rohrachse zusammenfallen zu lassen und so, wenn etwa in diesem Falle noch
                              Rohrausbrennungen vorkommen sollten, einem Verkeilen der Rohrseele durch das Geschoß
                              vorzubeugen, während außerdem noch anzunehmen stand, daß solche Ausbrennungen bei
                              Verwendung von Bleimantel-Compressivgeschossen in den Hinterladungsrohren
                              geringer seyn würden, als sie sich bei dem Gebrauche von mit Spielraum
                              abzuschießenden Geschossen der Vorderladungsgeschützrohre gezeigt hatten.
                           Die hiernach mit einem Hinterladungs-Geschützrohre von 218 Millimeter Kaliberdurchmesser, Krupp'schen Gußstahles und Krupp'schen Verschlusses angestellten Schießversuche ergaben –
                              nachdem seine Ladung zur größeren Übereinstimmung mit den bei 98 Kilogr.
                              Geschoßgewicht und 12 1/2 Kilogr. Ladung 413 Meter Geschoßanfangsgeschwindigkeit
                              gebenden Vorderladungsgeschützen von 12 1/2 Kilogr., welche in diesem Falle nur 400
                              Meter Geschoßanfangsgeschwindigkeit ergaben, auf 13 1/2 Kilogr. mit 413 Meter
                              Geschoßanfangsgeschwindigkeit erhöht worden war, – daß zwar auch diese
                              Geschütze ihre Geschosse durch 120 Millimeter starke, mit einer Holzwand gefütterte
                              eiserne Panzerplatten hindurchtrieben und dabei noch gegen 9 Fuß hohe und 25 Schritt
                              breite Ziele auf Entfernungen von 1706 bis 2133 Meter eine im Verhältnisse von 70 zu
                              30 Proc. größere Treffsicherheit als obige Vorderladungsgeschütze hatten, von Rohrausbrennungen aber ebenfalls nicht frei waren.
                              letztere traten vielmehr in der Form von kleinen Grübchen und rauh gewordenen
                              Stellen schon nach dem 127sten Schusse und zwar zunächst an der hinteren
                              Ladungsraumfläche und an der daran stoßenden Verschlußfläche auf, wo dem Fortschreiten dieser Ausbrennungen erst durch Anwendung von
                                 mit jedem Schusse wechselnden, beziehungsweise sich erneuernden
                                 Metall-Liderungsringen wirksam entgegengetreten werden konnte.Man vergleiche hiermit Bd. CLXXV S. 14 und Bd. CLXXVI S. 357 dieses Journals,
                                    wornach vom Referenten bereits im J. 1862 der Vorschlag gemacht wurde, dem
                                    Wahrendorff'schen Kolbenverschlusse dadurch
                                    eine mit jedem Schusse sich erneuernde Metall-Liderung zu geben, daß
                                    in die zugehörigen Preßspanböden Kupferringe eingesetzt würden.Anm. des Referenten. Nach dem 212ten Schusse kamen auch noch geringe Ausbrennungen am Anfange der
                              Rohrzüge vor, welche in Verbindung mit Schrammen an dem unteren Gußeisenrande wieder
                              aufgefundener Geschosse hinter ihrer Bleiumhüllung, sowie mit einer unregelmäßigen
                              Gestaltung der Zugfelder-Eindrücke in letzterer darauf schließen ließen, daß
                              auch bei diesen Geschützen während des Schusses einunvollständiges Zusammenfallen
                              von Geschoßlängen- und Rohrseelenachse geherrscht haben mußte.
                           Hiernach wurde versucht, diesen letzteren Uebelstand dadurch zu vermeiden, daß man
                              den untersten Bleigürtel des Geschosses in seinem Durchmesser vergrößerte, indem
                              zuerst sechs Vertiefungen in denselben eingebohrt, und diese dann mit eben so vielen
                              Bleizapfen ausgegossen wurden, welche die zwischen Geschoß- und
                              Rohrseelen-Durchmesser bestehende Differenz an dieser Stelle bis auf 3 Punkte
                              zu ermäßigen hatten. Die Schrammen am hinteren Geschoßende kamen hiernach nicht mehr
                              vor, die Unregelmäßigkeiten der Feldereindrücke im Bleimantel aber blieben, es waren jedoch die
                              hiermit in Verbindung stehenden anormalen Geschoßbewegungen, wegen Weichheit des
                              Bleimantels, nicht im Stande Höhlungen im Rohre zu veranlassen und dadurch ein
                              Verkeilen des letzteren durch das Geschoß zu ermöglichen.
                           Nach 400 Schüssen endlich vermehrten sich die Ausbrennungen des Rohres am Anfange
                              seiner Züge in solcher Weise, daß sie an der ganzen Peripherie des Anschlusses vom
                              Ladungsraume an den gezogenen Theil der Seele sichtbar wurden, und zwar im oberen
                              Theile mehr als unten. Dienstuntauglich war das Rohr hierdurch aber noch nicht
                              geworden und es fiel daher, sowie weil dasselbe Rohr schon früher in Krupp's Fabrik 25 Schüsse mit 10 Kilogr. Pulver
                              ausgehalten hatte, das Commissions-Urtheil dahin aus, daß gezogenen
                              Gußstahl-Hinterladungsgeschützen der oben bezeichneten Art neben sehr
                              bedeutender Trefffähigkeit und genügender Wirkung gegen Panzerplatten auch noch die
                              Eigenschaft zuzusprechen ist, eine Abgabe von 425 Schüssen diensttauglich aushalten
                              zu können.
                           D......y,                  Major
                              im Generalstabe in Cassel.