| Titel: | Ueber den Proceß der Schwefelsäurebildung; von Dr. Rud. Weber. | 
| Fundstelle: | Band 181, Jahrgang 1866, Nr. LXXVII., S. 297 | 
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                        LXXVII.
                        Ueber den Proceß der Schwefelsäurebildung; von
                           Dr. Rud. Weber.
                        Aus den Monatsberichten der königl. preußischen Akademie der
                                 Wissenschaften zu Berlin, Februar 1866.
                        Weber, über den Proceß der Schwefelsäurebildung.
                        
                     
                        
                           Nach der von PeligotPolytechn. Journal, 1844, Bd. XCIV S. 214. aufgestellten Theorie des Bleikammerprocesses erfolgt die Oxydation der
                              schwefligen Säure lediglich durch den Sauerstoff der Salpetersäure, welche sich
                              durch Zersetzung der aus Stickoxyd und Sauerstoff entstandenen Untersalpetersäure
                              mit Wasser gebildet hat. Diese zur Zeit fast allgemein angenommene Theorie ist aus
                              den Thatsachen hergeleitet worden, daß trockene schweflige Säure auf
                              Untersalpetersäure bei gewöhnlichem Drucke nicht einwirkt, daß dagegen schweflige
                              Säure das Salpetersäurehydrat leicht zersetzt. Aus den Versuchen von Peligot geht aber nicht hervor, daß eine Salpetersäure
                              von dem Grade der Verdünnung, wie sie nach seiner Theorie in den Bleikammern sich
                              bilden muß, bei der in diesen Räumen herrschenden Temperatur von der schwefligen
                              Säure auch factisch zersetzt wird. Wenn die gasförmigen Producte aus der zur Zeit
                              üblichen Beschickung, nämlich: 100 Theile Schwefel, 220 Th. Wasser, 6–7 Th.
                              Salpeter, auf einander reagiren, so kann sich nach der Peligot'schen Erklärung des Vorganges nur eine Salpetersäure bilden,
                              welche 2–3 Proc. Säuregehalt besitzt. Diese Säure muß, wenn die Peligot'sche Theorie richtig ist, die schweflige Säure
                              rasch, und zwar bei der Temperatur von circa 40º
                              C., in Schwefelsäure umwandeln.
                           Zur Prüfung des Verhaltens einer derartigen verdünnten Salpetersäure wurde in
                              dieselbe schweflige Säure geleitet. Bei gewöhnlicher Temperatur fand nach Verlauf
                              von 1/2 Stunde keine Schwefelsäurebildung statt. Nur in höchst geringem Maaße hatte
                              sich letztere Säure erzeugt, als diese Flüssigkeit in einer ganz damit erfüllten
                              Flasche während einer halben Stunde auf circa 40º erwärmt worden war. Da nun
                              die Bleikammern diese Säure verhältnißmäßig rasch produciren, 1000 Kubikfuß liefern
                              pro Stunde circa 5 Pfd.
                              Säurehydrat, so ist diese verdünnte Salpetersäure nicht als das Agens, welches die
                              Oxydation der schwefligen Säure vorwiegend bewirkt, anzusprechen.
                           Zur Prüfung des Verhaltens der in der Bleikammer auf einander reagirenden Products wurden
                              Versuche über das Verhalten der Flüssigkeiten angestellt, welche durch Einwirkung
                              von Untersalpetersäure auf kaltes und erwärmtes Wasser sich bilden. Die bei der
                              Berührung von Untersalpetersäuredampf mit überschüssigem Wasser erzeugte Flüssigkeit
                              enthält neben Salpetersäure noch eine erhebliche Quantität salpetriger Säure, und
                              scheidet in Folge dessen Jod aus Jodkalium in reichlicher Menge aus; sie kann, ohne
                              jene Reaction einzubüßen, sogar kurze Zeit erhitzt werden. Daß nicht Stickoxyd oder
                              Salpetersäure die Ausscheidung des Jods veranlassen, ist bekannt und läßt sich
                              leicht constatiren.
                           Eine solche salpetrige Säure enthaltende Flüssigkeit oxydirt schweflige Säure äußerst
                              leicht, sogar schon in der Kälte. Leitet man in dieselbe schweflige Säure, so erhält
                              man bei Zusatz von einem Barytsalze sogleich einen starken, weißen Niederschlag von
                              schwefelsaurem Baryt. Die Schwefelsäure ist durch die salpetrige Säure gebildet und
                              die neben letzterer Säure vorhandene Salpetersäure wird, wenn die Flüssigkeit
                              verdünnt ist, von der zugeführten schwefligen Säure nicht zerlegt. Um die Gegenwart
                              der Salpetersäure in solchen Flüssigkeiten zu erkennen, beseitigt man den Ueberschuß
                              der zugeführten schwefligen Säure durch Chlor und fügt sodann etwas Schwefelsäure
                              und Eisenvitriol hinzu. Es tritt dann die bekannte Reaction ein.
                           Hieraus erhellet, daß die salpetrige Säure erheblich leichter als Salpetersäure die
                              schweflige Säure oxydirt. Die geringste Menge salpetriger Säure in Wasser gelöst,
                              verwandelt schweflige Säure in Schwefelsäure. Ein Gemisch von 1 Th. Salpetersäure
                              von 1,25 spec. Gewicht mit 10 Th. Wasser bildet, mit schwefliger Säure in Berührung
                              gebracht, in der Kälte nicht sogleich Schwefelsäure. Bei der Erzeugung der
                              Schwefelsäure spielt daher die salpetrige Säure eine sehr wesentliche Rolle.
                              Dieselbe oxydirt die schweflige Säure; die erzeugte Schwefelsäure bindet Wasser, und
                              nun erst kann die Zersetzung der gleichzeitig gebildeten Salpetersäure erfolgen.
                           Bei der Einwirkung von schwefliger Säure auf Gemische aus verdünnter Schwefelsäure
                              und Salpetersäure wurden folgende Erscheinungen beobachtet: Auf ein Gemisch von 10
                              Th. Schwefelsäure von 1,360 spec. Gewicht und 2 Th. reiner Salpetersäure übt
                              schweflige Säure in der Kälte keine Wirkung aus. Beträgt die Dichte ersterer Säure
                              1,395, so färbt sich die Flüssigkeit in Berührung mit schwefliger Säure in der Kälte
                              blau. Ein Gemisch, welches stärkere Schwefelsäure, bis zur Dichte 1,530 enthält,
                              färbt sich alsbald intensiv grün. Enthält das Gemisch Schwefelsäure von der Dichte
                              1,630, so nimmt es eine gelbe Farbe an. Bei noch größerer Concentration der
                              Schwefelsäure, wenn deren Dichte 1,740 ist, entstehen prachtvoll violett gefärbte
                              Flüssigkeiten. Ueber letztere Erscheinung wird später Näheres mitgetheilt werden.
                              Läßt man auf die gefärbten Gemische weiter schweflige Säure wirken, so werden sie
                              unter Entbindung von Stickoxydgas schließlich farblos. Die gefärbten Flüssigkeiten
                              enthalten salpetrige Säure. Letztere kann neben Schwefelsäure von bestimmter
                              Concentration unverändert bestehen; sie wird aber in Berührung mit derselben durch
                              schweflige Säure leicht zersetzt; es werden Schwefelsäurehydrat und Stickoxydgas
                              gebildet. Auch hieraus folgt, daß die salpetrige Säure an schweflige Säure direct
                              Sauerstoff abgibt, und daß behufs der Schwefelsäurebildung eine vorherige Zersetzung
                              durch Wasser, nach Peligot eine Ausscheidung von
                              Salpetersäure, nicht erforderlich ist.
                           Peligot behauptet ferner, es bilde sich in der Bleikammer
                              aus dem Stickoxydgase nur Untersalpetersäure (NO⁴) nicht, wie Berzelius
                              annimmt, salpetrige Säure (NO³). Die Richtigkeit dieser Behauptung ist
                              deßhalb in Zweifel zu ziehen, weil die Kammerluft bei dem jetzigen Betriebe
                              bekanntlich ihres Sauerstoffes bis auf wenige Procente beraubt wird. Bei Mangel an
                              Sauerstoff nimmt, wie ältere eudiometrische Versuche mit Stickoxyd schon gelehrt
                              haben, letzteres nicht die zur Bildung von Untersalpetersäure erforderliche Menge
                              von Sauerstoff auf.
                           Die obigen Versuche sprechen dafür, daß bei der Schwefelsäurebildung die wesentliche
                              Function des Wassers nicht darin besteht, daß es, wie Peligot meint, aus Untersalpetersäure Stickoxyd und Salpetersäurehydrat
                              bildet; das Wasser disponirt vielmehr, indem es zur Bildung des stabilen Hydrates
                              der Schwefelsäure Veranlassung gibt, die schweflige Säure, und zwar wohl
                              vorzugsweise auf Kosten des Sauerstoffes der salpetrigen Säure, sich höher zu
                              oxydiren. Das Wasser veranlaßt bekanntlich die Bildung von Schwefelsäure aus
                              schwefliger Säure und freiem Sauerstoff; es bewirkt, daß die schweflige Säure
                              mehreren leicht reducirbaren Körpern, z.B. selenige Säure, Arsensäure etc.
                              Sauerstoff entzieht. Im trockenen Zustande werden letztere Körper bekanntlich nicht
                              durch schweflige Säure reducirt. Aehnlich wie bei den letzt erwähnten Processen
                              fungirt das Wasser bei dem Vorgange in den Bleikammern.
                           Auch die Gegenwart von anderen Körpern, zu denen die Schwefelsäure Verwandtschaft
                              äußert, veranlaßt die Oxydation der schwefligen Säure. Leitet man trockene
                              schweflige Säure über Bleisuperoxyd, so erzeugt sich bekanntlich unter heftiger
                              Erhitzung schwefelsaures Bleioxyd. Deßgleichen erzeugen sich sehr leicht
                              schwefelsaure Salze, wenn man über nur gelinde erhitztes salpetersaures Kali,
                              salpetersaures Blei- oder Silberoxyd schweflige Säure leitet.
                           
                           Bei den letzterwähnten Reactionen, deßgleichen wenn ein Gemenge von trockener
                              schwefliger Säure und Untersalpetersäure durch ein erhitztes Glasrohr geleitet wird,
                              bildet sich ein weißer, krystallinischer, schmelzbarer Körper, welcher nach der
                              Formel
                           2 SO³ + NO³
                           zusammengesetzt ist.