| Titel: | Ueber Desinfection, als Maßregel gegen Ausbreitung der Cholera, nach Dr. Max v. Pettenkofer. | 
| Fundstelle: | Band 181, Jahrgang 1866, Nr. CXXII., S. 484 | 
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                        CXXII.
                        Ueber Desinfection, als Maßregel gegen
                           Ausbreitung der Cholera, nach Dr. Max v. Pettenkofer.
                        v. Pettenkofer, über Desinfection, als Maßregel gegen Ausbreitung
                           der Cholera.
                        
                     
                        
                           Die Excremente sind wesentlich als ein Gemenge von Harn und Koth anzusehen, deren
                              freiwillige Zersetzung immer mit der Entwickelung einer alkalischen Reaction, mit
                              der Bildung von kohlensaurem Ammoniak, einhergeht. Diese Entwickelung von
                              kohlensaurem Ammoniak hat für die freiwillige Zersetzung der Excremente die nämliche
                              topische Bedeutung, wie bei der Zuckergährung die Entwickelung von Kohlensäure oder
                              die Bildung von Alkohol. Die Desinfectionsmittel müssen im Allgemeinen darnach
                              geprüft und gewählt werden, ob sie im Stande sind, den Eintritt der ammoniakalischen
                              Zersetzung von Harn und Koth zu verhindern.
                           Es ist bekannt, daß Metallsalze, Mineralsäuren und Carbolsäure (sogenanntes
                              Steinkohlentheer-Kreosot) Harn und Koth monatelang im sauren Zustande
                              erhalten können. Unter den Metallsalzen gibt der Verfasser dem Eisenvitriol den Vorzug. So weit man andere Metallsalze, z.B.
                              Manganchlorür, einen Abfall der Chlorkalkfabrication, oder Zinksalze, billig haben
                              kann, so können auch diese zu gleichem Zwecke wie der Eisenvitriol verwendet werden.
                              Die Menge anlangend, in welcher der Eisenvitriol verwendet werden soll, so muß man
                              unterscheiden zwischen Excrementen, die bereits in ammoniakalische Zersetzung
                              übergegangen sind, und zwischen frischen. Bei einer Abtrittsgrube z.B., deren Inhalt
                              bereits in den Zustand der ersteren übergegangen ist, muß so lange Eisenvitriol
                              zugesetzt werden, bis die anfangs nach Ammoniak und Schwefelwasserstoff
                              riechende Flüssigkeit diesen Geruch verliert. Bei frischen Excrementen genügt eine
                              verhältnißmäßig geringe Menge Eisenvitriol, sie vor ammoniakalischer Fäulniß zu
                              bewahren; nach Versuchen des Verfassers genügen durchschnittlich 1 1/2 Loth oder 24
                              Grm. für eine Person und für einen Tag.
                           Dieses Resultat der Desinfection, die Excremente nicht alkalisch werden zu lassen,
                              sondern sauer zu erhalten, läßt sich allerdings auch mit Mineralsäuren, mit
                              Schwefelsäure, Salzsäure u.s.w., ebenso mit Carbolsäure erreichen; aber die
                              Anwendung dieser Mittel ist aus verschiedenen Gründen gegenüber der des
                              Eisenvitriols eine sehr beschränkte. Die Carbolsäure vermag in verhältnißmäßig sehr
                              geringer Menge die Excremente vor ammoniakalischer Zersetzung zu schützen, und hat
                              als organische Säure manche Nachtheile nicht, welche die Anwendung von Mineralsäuren
                              mit sich bringt; sie hat noch das Angenehme, den Geruch der Excremente vollständig
                              zu verdecken. Als allgemeines Desinfectionsmittel, wie den Eisenvitriol, kann man
                              sie allerdings nicht betrachten, weil sie sehr theuer ist, und weil sie zur
                              Desinfection des bereits alkalisch gewordenen, Schwefelammonium enthaltenden
                              Inhaltes der Gruben, dem Eisenvitriol nachstehen muß. Ihre Anwendung geschieht in
                              wässeriger Lösung; 1 Theil Carbolsäure löst sich in 20 Theilen Wasser. 1/4 Liter
                              dieser gesättigten Lösung ist durchschnittlich hinreichend, um die täglichen
                              Excremente von 4 Personen bis zu ihrer Entfernung aus der Nähe der Wohnungen vor
                              fauliger Zersetzung zu bewahren.
                           Alle Mittel, welche die Excremente verhindern in eine alkalische Reaction
                              überzugehen, können den Zersetzungsproceß derselben in einer ganz wesentlichen Weise
                              umändern. Der Verfasser legt auf diese Abänderung der Zersetzungsprocesse viel
                              Gewicht, und hält für sehr wahrscheinlich, daß diese Abänderung auch die
                              Entwickelung des besonderen Infectionsstoffes der Cholera und seinen Uebergang in
                              die Luft verhindern werde. Es ist abzuwarten, welchen praktischen Erfolg man von
                              diesem Standpunkte aus erreichen kann.
                           Nicht selten benutzt man auch ein alkalisches Desinfectionsmittel, den Chlorkalk, ja
                              manchmal combinirt man Eisenvitriol mit Chlorkalk, die sich dann nutzlos gegenseitig
                              zersetzen und neutralisiren, wenn nicht eine davon in bedeutendem Ueberschusse
                              angewendet wird. Wie leicht kann es vorkommen, daß man gerade so viel Chlorkalk in
                              eine durch Eisenvitriol bereits saure Grube wirft, daß sie wieder alkalisch wird,
                              wodurch die ammoniakalische Zersetzung des Inhaltes nur unterstützt wird. (Buchner's neues Repertorium für Pharmacie, Bd. XV S.
                              1.)