| Titel: | Ueber die Möglichkeit der Explosion eines zum Rothglühen erhitzten Dampfkessels durch plötzlich eingelassenes Speisewasser; von Lavington E. Fletcher, Ober-Ingenieur des Vereins zur Verhütung von Dampfkessel-Explosionen in Manchester. | 
| Fundstelle: | Band 184, Jahrgang 1867, Nr. XLI., S. 218 | 
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                        XLI.
                        Ueber die Möglichkeit der Explosion eines zum
                           								Rothglühen erhitzten Dampfkessels durch plötzlich eingelassenes Speisewasser; von
                           									Lavington E. Fletcher,
                           								Ober-Ingenieur des Vereins zur Verhütung von Dampfkessel-Explosionen in
                           								Manchester.
                        Aus dem Engineer, März 1867, S. 228.
                        Fletcher, über die Möglichkeit der Explosion eines rothglühenden
                           								Dampfkessels.
                        
                     
                        
                           In Folge der strengen Kälte im Januar d. J. explodirten sechs zu häuslichen Zwecken
                              									dienende Dampfkessel, wodurch mehrere Personen getödtet und bedeutende Verluste an
                              									Eigenthum verursacht wurden. Diese Kessel wurden nach dem
                              										„Circulationssystem“ betrieben, ein System, wobei der
                              									Kessel meistens von einem über ihm angebrachten Behälter aus mit Wasser gespeist
                              									wird, mit welchem er durch zwei Röhren verbunden ist. So lange als diese Röhren
                              									unverstopft bleiben, wirken sie als Sicherheitsventile und es kann sich im Kessel
                              									kein größerer Dampfdruck anhäufen als derjenige, welcher der Höhe der Wassersäule
                              									entspricht; gefriert jedoch das Wasser in den Röhren, so kann kein Dampf mehr aus
                              									dem Kessel austreten und beim Heizen desselben ist eine Explosion fast mit
                              									Sicherheit zu erwarten.
                           Da noch vielfach die Meinung verbreitet ist, daß derartige Explosionen beim Aufthauen
                              									des Eises im Speiserohr durch das plötzliche Abfließen kalten Wassers auf heißes
                              									Metall verursacht werden, so entschloß ich mich, den Gegenstand praktisch zu
                              									erproben.
                           
                           Die betreffenden Versuche wurden am 2. März d. J. angestellt; die Mittel zur
                              									Ausführung derselben verdanke ich der Freundlichkeit der HHrn. Isaac Storey und Sohn
                              									in Manchester, welche mir drei Dampfkessel und auch die Beihülfe ihrer Arbeiter,
                              									nebst allem nöthigen Zubehör und den erforderlichen Räumen zur Verfügung stellten.
                              									Da die gegebene Frage nicht bloß auf die Sicherheit der für häusliche Zwecke
                              									dienenden kleinen Kessel Bezug hat, sondern auch auf die so häufig gegebenen
                              									Erklärungen der Explosionen großer Dampfkessel, so dürften die Einzelheiten jener
                              									Versuche nicht ohne Interesse seyn.
                           Ich experimentirte mit drei verschiedenen Kesseln, welche sämmtlich zu der in
                              									Haushaltungen gebräuchlichen Classe (mit Circulationssystem) gehören. Der eine
                              									derselben war aus Kupfer angefertigt, wog 62 Pfd. und war 14 1/2 Zoll hoch, 13 3/4
                              									Zoll lang und unten am Boden 13 3/4, an seinem oberen Ende aber ungefähr 8 Zoll
                              									breit, so daß er ziemlich genau einen Kubikfuß Inhalt hatte. Dieser Kessel ward in
                              									vollständig leerem Zustande auf ein hellbrennendes Feuer so gestellt, daß er von
                              									demselben umgeben war und blieb einige Zeit hindurch so stehen, bis sein Boden durch
                              									und durch rothglühend geworden war, und Bleistücke, welche lose auf die Decke des
                              									Kessels, den kältesten außer dem Bereiche der Flammen befindlichen Theil desselben
                              									gelegt wurden, sogleich schmolzen. Alsdann wurde durch ein mit der Wasserleitung in
                              									Verbindung gesetztes Speiserohr von ungefähr einem halben Zoll lichtem Durchmesser
                              									plötzlich Wasser in den Kessel gelassen. Eine Explosion fand gleichwohl nicht statt;
                              									der Kessel ward nicht von seinem Platze gehoben, er schwankte nicht einmal und ließ
                              									nicht das geringste Zeichen einer in seinem Inneren stattfindenden Erschütterung
                              									wahrnehmen; es war Nichts zu bemerken, als das Entweichen eines Dampfstrahles aus
                              									einer in der Decke des Kessels angebrachten Oeffnung von 7/8 Zoll Durchmesser. Diese
                              									Oeffnung mußte durchaus vorhanden seyn, denn sonst hätte gar kein Wasser in den
                              									Kessel einlaufen können, wie ich experimentell durch gänzliche Verschließung des
                              									Kessels nachwies, indem durch den ersten Dampf, welcher erzeugt ward, der weitere
                              									Eintritt des Wassers verhindert und dasselbe in das Speiserohr zurückgetrieben
                              									wurde. Uebrigens würde diese Oeffnung zur Verhütung des Berstens des Kessels auch
                              									nicht von dem geringsten Einflusse gewesen seyn, wenn die Ansichten über die
                              									explosive Wirkung des Aufschüttens von kaltem Wasser auf rothglühende Metallplatten
                              									richtig wären, denen zufolge diese Wirkung ebenso unwiderstehlich und augenblicklich
                              									eintreten müßte, wie die des Schießpulvers.
                           Das Resultat dieses Versuches war so klar, daß es als entscheidend gelten konnte; zu
                              									seiner Bekräftigung schien es mir indessen wünschenswerth, das Experiment mit einem anderen
                              									Dampfkessel von nur wenig abweichenden Dimensionen zu wiederholen.
                           Dieser zweite, gleichfalls aus Kupfer bestehende Kessel wog 44 Pfd., war 11 3/4 Zoll
                              									hoch, 11 1/2 Zoll lang, unten 10 1/2 und am oberen Ende 8 1/2 Zoll breit, und mit
                              									einem durch ihn hindurchgehenden Feuerrohre von 6 Zoll Durchmesser versehen, so daß
                              									sein Inhalt etwa 5/8 Kubikfuß betrug. Auf gleiche Weise, wie beim vorigen Versuche,
                              									wurde der ganz leere Kessel durch ein lebhaftes Feuer, welches nicht allein auf
                              									seinen Boden und seine Seitenwände, sondern auch auf das Feuerrohr wirkte, erhitzt,
                              									bis auf die Decke gelegte Bleistücke leicht schmolzen und beinahe der halbe Kessel
                              									rothglühend geworden war; dann wurde mittelst eines Rohres von einem Zoll lichter
                              									Weite, welches an dem einen Ende mit dem Kessel, am anderen mit einem sechs bis acht
                              									Fuß höher stehenden Reservoir in Verbindung gesetzt war, plötzlich Wasser
                              									hineingeleitet. Diese Vorrichtung zur Speisung des Kessels wurde der beim ersten
                              									Versuche angewendeten vorgezogen, um durch die größere Weite des Rohres und den
                              									stärkeren Druck des Wassers aus der höher liegenden Cisterne eine plötzlichere
                              									Wasserinjection zu vermitteln und dadurch eine augenblickliche Dampferzeugung zu
                              									begünstigen. Wir erhielten indeß ein genau gleiches Resultat, wie bei dem ersten
                              									Versuche; von einer Explosion war nicht das Mindeste wahrzunehmen; der Kessel blieb
                              									vollkommen ruhig an seinem Platze und die einzige Wirkung der Wasserinjection
                              									bestand in dem Entweichen eines Dampfstrahles durch eine in der Kesseldecke
                              									befindliche einzöllige Oeffnung.
                           Somit bestätigte dieser Versuch das Ergebniß des zuerst abgeführten vollständig; da
                              									indessen die beiden zu diesen Proben angewendeten Kessel von Kupfer angefertigt
                              									waren, während zahlreiche aus Gußeisen bestehende in Gebrauch sind, so hielt ich es
                              									für gerathen, den Versuch auch mit einem gußeisernen Kessel anzustellen, insofern
                              									sich erwarten ließ, daß ein solcher eine größere Geneigtheit zum Explodiren zeigen
                              									würde, und zwar nicht allein wegen der Sprödigkeit seines Materiales, sondern auch
                              									in Folge seiner größeren Metallmasse, welche eine bedeutende Wärmeabsorption, somit
                              									eine rasche Dampferzeugung bedingen mußte.
                           Dieser dritte – wie bemerkt aus Gußeisen bestehende – Kessel wog 85
                              									Pfund, war 15 1/4, Zoll lang, 10 Zoll hoch, unten 11 1/2 Zoll, oben aber 8 1/4 Zoll
                              									breit, und hatte weniger als 1 Kubikfuß Inhalt, da sein Boden zur Vergrößerung der
                              									Heizfläche nach innen gewölbt war. Auch dieser Kessel wurde erhitzt, bis er zum
                              									größeren Theile rothglühend geworden war und aufgelegtes Blei zum raschen Schmelzen
                              									brachte; er war wirklich zu einer solchen Gluth erhitz, daß es beim Hindurchsehen
                              										durch eine kleine,
                              									in der Decke befindliche Oeffnung erschien, als wäre der Boden herausgebrannt und
                              									als sähe das Auge direct in das Feuer selbst. Dann wurde der Kessel mittelst eines
                              									einzölligen Speiserohres mit einem 6 bis 8 Fuß höher gelegenen Reservoir in
                              									Verbindung gesetzt. Anstatt einer Oeffnung in der Kesseldecke war ein
                              									Sicherheitsventil vorhanden, welches auf einen Druck von 35 Pfund per Quadratzoll belastet wurde. Beim Oeffnen des Hahnes
                              									an dem Speiserohr und Einströmen des Wassers war Nichts zu bemerken; das
                              									Sicherheitsventil schlug oder klappte nicht; der Kessel krachte weder, noch zitterte
                              									er; nur das Speiserohr war bis zum Hahne hinauf heiß geworden, so daß der Dampf
                              									gegen dasselbe gewirkt und das weitere Eindringen des Wassers verhindert haben
                              									mußte. Nachdem der Kessel in diesem Zustande einige Zeit ruhig auf dem immer
                              									fortbrennenden Feuer gestanden hatte, wurde das Sicherheitsventil gehoben, worauf
                              									eine geringe Dampfmenge entwich; dieß währte so lange, als das Ventil geöffnet
                              									blieb, hörte beim Schließen desselben aber sofort auf. Da es sich gezeigt hatte, daß
                              									mit dem am Kessel angebrachten Sicherheitsventil kein Resultat zu erzielen sey, so
                              									wurde dasselbe entfernt und anstatt seiner eine Oeffnung von 1 1/4 Zoll Durchmesser
                              									in der Kesseldecke vorgerichtet. Als darauf wieder Wasser zugelassen wurde, schoß
                              									aus der Oeffnung, wie früher, ein Dampfstrahl hervor, und gleich darauf zerbarst der
                              									Kessel an der einen Seite mit einem scharfen Knalle von der Decke bis zum Boden.
                              									Dieß rührte bloß von der jähen Zusammenziehung des Metalles her; der Riß dehnte sich
                              									nicht weiter aus; ebenso wenig bewegte sich der Kessel von seiner Stelle. Das Wasser
                              									strömte zu, bis der Kessel beinahe gefüllt war, allein weitere von den oben
                              									angegebenen Resultaten abweichende Erscheinungen zeigten sich nicht.
                           Um durch meine Versuche die Sache möglichst zur Entscheidung zu bringen, hielt ich es
                              									für gut, die letzte Probe zu wiederholen. Zu diesem Zwecke ward der Kessel vom Feuer
                              									genommen, entleert und wieder an seinen früheren Platz gebracht, worauf die
                              									Verbindung mit dem Wasserbehälter wie vorhin hergestellt, das Sicherheitsventil aber
                              									weggelassen und die Oeffnung in der Kesseldecke auf 3/8 Zoll Durchmesser verengt
                              									wurde. Beim Einströmen des Wassers in den erhitzten Kessel drang wiederum ein
                              									Dampfstrahl aus der Oeffnung hervor; derselbe bildete, so lange der Speisehahn
                              									geöffnet blieb, einen constanten Strom, welcher dann bei abwechselndem Schließen und
                              									Oeffnen des Hahnes intermittirte.
                           Ich bemerke noch, daß bei dem angegebenen Inhalt der Kessel, durch Verdampfung von
                              									ungefähr einer Viertelpinte Wasser in den beiden größeren und einer Achtelpinte
                              									in dem kleineren ein Dampfdruck von etwa 150 Pfund per
                              									Quadratzoll in denselben hätte erzeugt werden müssen; und obgleich sie alle drei
                              									vorher erhitzt worden waren, so ist doch klar, daß ein solcher Druck nicht einmal
                              									annähernd erreicht werden konnte, indem die leichten, flachwandigen Kupferkessel
                              									sich nicht im Geringsten ausbauchten, während die aus der Oeffnung entweichende
                              									Dampfmenge nicht größer war, als die, welche durch ein gewöhnliches
                              									Sicherheitsventil hätte entweichen können. –
                           Aus den Resultaten der im Vorstehenden beschriebenen Versuche ist ersichtlich, daß es
                              									auf keine Weise gelang, die benutzten Kessel zum Explodiren zu bringen. Und doch
                              									wurde keine Mühe gespart um einen solchen Erfolg herbeizuführen. Alles, was durch
                              									hellrothglühende Metallplatten und kaltes Wasser unter den angegebenen Umständen
                              									bewirkt werden konnte, wurde bewirkt, und die Proben, denen die Kessel unterworfen
                              									wurden, waren strenger, als sie jemals in der Praxis vorkommen können, sowohl bei
                              									den kleinen Kesseln für häusliche Zwecke in Folge der Einwirkung der Kälte, als bei
                              									großen Maschinenkesseln in Folge des Ueberheizens der Oefen und des plötzlichen
                              									Zulassens von kaltem Speisewasser zu den rothglühenden Kesselwandungen. Bei den
                              									kleinen Hausdampfkesseln wirkt die Hitze selten weiter als auf den Boden und auf
                              									eine oder zwei von den Seiten, während die zu den Versuchen benutzten Exemplare vom
                              									Feuer vollständig umgeben waren, so daß die erhitzte Fläche bei dem Versuche weit
                              									größer war, als dieß in der Praxis der Fall seyn kann. Die Injection des Wassers
                              									durch die einen Zoll weite Speiseröhre mittelst Oeffnens eines Hahnes war jedenfalls
                              									mindestens eine ebenso plötzliche, als sie möglicherweise durch rasches Aufthauen
                              									einer Eissäule hervorgebracht werden kann; überdieß bewiesen die Versuche, daß ohne
                              									eine freie Auslaß- und eine freie Speiseöffnung das Wasser nicht in den
                              									Kessel fließen kann, daß also ohne das gleichzeitige Offenseyn beider
                              									Circulationsröhren nur eine geringe Wassermenge in den Kessel gelangen kann.
                              									– Betreffs der Maschinenkessel ist zu beachten, daß bei einem solchen der
                              									Inhalt im Vergleich zu seiner freien Heizfläche bedeutend größer seyn würde, als bei
                              									den zu den Versuchen benutzten, so daß die Kraft des Dampfes verhältnißmäßig
                              									reducirt und in der Praxis verschwindend klein würde.
                           Meiner Ueberzeugung nach liefern die im Vorstehenden mitgetheilten Versuche einen
                              									vollgültigen Beweis, daß die Ansicht, welcher zufolge Dampfkesselexplosionen durch
                              									augenblickliche Erzeugung einer großen Dampfmenge in Folge der Injection von Wasser
                              									auf heiße Kesselwandungen hervorgerufen werden, ein Trugschluß ist, und daß das durch Frost veranlaßte Zerplatzen von
                              									Circulationskesseln bloß von einer in Folge von Verstopfung der Auslaßröhren durch
                              									Eis verursachten Anhäufung des Dampfdruckes herrührt, welche sich durch gute
                              									Sicherheitsventile vermindern und somit eine Explosion verhüten läßt.