| Titel: | Beiträge zur Kenntniß des Bleikammerprocesses; von Dr. Rud. Weber. | 
| Fundstelle: | Band 184, Jahrgang 1867, Nr. LI., S. 246 | 
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                        LI.
                        Beiträge zur Kenntniß des Bleikammerprocesses;
                           								von Dr. Rud.
                              								Weber.
                        Aus den Monatsberichten der Berliner Akademie, August
                              									1866.
                        Weber, Beiträge zur Kenntniß des Bleikammerprocesses.
                        
                     
                        
                           Bei der Fabrication der englischen Schwefelsäure wird bekanntlich eine erhebliche
                              									Menge von Salpetersäure aufgewendet. Es wird angenommen, daß der größte Theil dieser
                              									Säure in Form von Untersalpetersäuredampf schließlich mit den Kammergasen entweicht.
                              									Für diese Annahme spricht der Umstand, daß die mit Gay-Lussac'schen Condensatoren versehenen Kammersysteme weniger
                              									Salpetersäure consumiren, als Systeme ohne Condensatoren.
                           Die nachstehend beschriebenen Thatsachen machen es wahrscheinlich, daß bei der
                              									Einwirkung der Kammergase aufeinander sich nicht nur solche Producte erzeugen, aus
                              									denen wieder salpetrige Säure und Untersalpetersäure gebildet wird, sondern daß auch
                              									Stickoxydul entstehen kann. Dieses Gas ist bekanntlich nicht befähigt, Sauerstoff zu
                              									übertragen.
                           Nach der Angabe von Pelouze
                              									Annales de Chimie et de Physique, t. LX p. 162. bildet sich Stickoxydul sehr leicht, wenn in ein Gemisch von 2 Vol. Stickoxyd und 1 Vol.
                              									schwefliger Säure etwas Wasser gebracht wird. Aus den 3 Vol. soll 1 Vol. Stickoxydul
                              									entstehen. Die Condensation auf 1/3 des gesammten Volumens soll nach einigen Stunden
                              									erfolgt seyn.
                           Ich habe in einer Glocke über Quecksilber 150 Kub. Cent. Stickoxyd und 75 Kub. Cent.
                              									schweflige Säure aufgefangen, in das Gas 4 Kub. Cent. Wasser gebracht und die Wände
                              									der Glocke benetzt. Nach Verlauf von 1–2 Tagen war eine Reduction des
                              									Gasvolumens bis auf 150 Kub. Cent. erfolgt. Selbst nach 10 Tagen betrug das Volumen
                              									noch 130 Kub. Cent. Das Gas gab an Eisenvitriollösung noch viel Stickoxyd ab. Ein
                              									Theil desselben nur bestand aus Stickoxydul. Die Bildung von Stickoxydul findet also
                              									unter diesen Umständen nur äußerst langsam statt.
                           Die dunkel gefärbte Auflösung des Stickoxydgases in Eisenvitriol wird durch Zufügung
                              									einer hinreichenden Menge von Wasser, welches schweflige Säure enthält, besonders
                              									beim Erwärmen rasch entfärbt. Es ist hieraus auf eine Zersetzung des Stickoxydgases
                              									durch schweflige Säure zu schließen.
                           Leichter als Stickoxydgas wird salpetrige Säure durch schweflige Säure der Art
                              									zersetzt, daß Stickoxydulgas auftritt.
                           Auf dieses Factum wurde ich durch die Beobachtung geleitet, daß eine mit sehr vielem
                              									Wasser vorsichtig verdünnte rauchende Salpetersäure von bekanntem Gehalte an
                              									Untersalpetersäure, nahe doppelt so viel schweflige Säure in Schwefelsäure
                              									umwandelt, als die Rechnung unter der Voraussetzung ergibt, daß Stickoxydgas
                              									gebildet wird.
                           Die bestätigenden Versuche wurden in folgender Weise ausgeführt: Gewogene Mengen von
                              									sorgfältig getrocknetem salpetrigsauren Silberoxyd wurden in kochendem Wasser
                              									gelöst, mit Chlorkalium zersetzt. Das Filtrat wurde in einem Kolben nach der
                              									Verdünnung und Abkühlung mit Salzsäure übersättigt, frisch bereitete wässerige
                              									schweflige Säure und Chlorbaryumlösung zugefügt, sodann die Luft über der
                              									Flüssigkeit mit Kohlensäure verdrängt und der Kolben dicht verkorkt. Der
                              									Niederschlag wurde am folgenden Tage, nachdem die Flüssigkeit abpipetirt worden war,
                              									in bekannter Weise weiter behandelt. Es ergab sich Folgendes:
                           
                              
                                 AngewendetesSilbersalz
                                 schwefelsaurerBaryt.
                                 Schwefelsäure
                                 Schwefelsäure
                                 
                              
                                 
                                 
                                 Ber.
                                 Gef.
                                 
                              
                                 0,917
                                 1,340
                                 0,460
                                 0,238
                                 
                              
                                 0,818
                                 1,100
                                 0,378
                                 0,212
                                 
                              
                                 0,722
                                 1,120
                                 0,385
                                 0,187
                                 
                              
                           
                           
                              
                                 AngewendetesSilbersalz
                                 schwefelsaurerBaryt.
                                 Schwefelsäure
                                 Schwefelsäure
                                 
                              
                                 
                                 
                                 Ber.
                                 Gef.
                                 
                              
                                 0,760
                                 1,152
                                 0,396
                                 0,197
                                 
                              
                                 0,992
                                 1,383
                                 0,475
                                 0,257
                                 
                              
                           Die gefundenen Werthe für die Schwefelsäure sind nahezu doppelt so groß, als sie
                              									hätten ausfallen müssen, wenn aus salpetriger Säure Stickoxydgas gebildet worden
                              									wäre, also die Zersetzung:
                           NO³ + SO² = NO² + SO³
                           stattgefunden hätte.
                           Zur Prüfung der Reinheit des Salzes, wurde der Glühverlust ermittelt. Es hinterließen
                              									0,806 des Salzes 0,566 Silber. Nach der Rechnung hätte der Glührückstand 0,5652
                              									betragen müssen.
                           Um das bei dieser Reaction gebildete Stickoxydulgas aufzufangen, bringt man eine
                              									Lösung von salpetrigsaurem Kali in einen mit Gasableitungsrohr versehenen Kolben,
                              									übersättigt die abgekühlte Flüssigkeit mit Salzsäure oder verdünnter Schwefelsäure,
                              									setzt eine hinreichende Menge der wässerigen Auflösung von schwefliger Säure hinzu
                              									und erhitzt den Kolben anfangs gelinde, alsdann stärker.
                           Die Flüssigkeit schäumt beim Zusatz der schwefligen Säure. Das nach Verdrängung der
                              									atmosphärischen Luft aufgefangene Gas wird zuerst mit einer angesäuerten Lösung von
                              									Eisenvitriol, dann mit Wasser geschüttelt; hierdurch wird schweflige Säure, aber
                              									auch etwas Stickoxydulgas aufgelöst. Die Eisensalzlösung verändert ihre Farbe nicht,
                              									wenn die Verdünnung der Flüssigkeiten im Kolben die geeignete war. Das
                              									zurückbleibende Gas zeigt die Eigenschaften des Stickoxyduls. Ein Span brennt darin
                              									mit großer Lebhaftigkeit.
                           Das Stickoxydul tritt als Zersetzungsproduct der salpetrigen Säure dann auf, wenn
                              									letztere in vielem Wasser gelöst, mit überschüssiger schwefliger Säure in Berührung
                              									kommt. Bei Mangel an Wasser entsteht vorwiegend Stickoxydgas. Letzteres bildet sich,
                              									wenn man die Lösung des salpetrig sauren Kalis mit einer größeren Menge
                              									Schwefelsäure versetzt, oder Bleikammerkrystalle in Schwefelsäure von circa 1,5 spec. Gew. auflöst und diese Flüssigkeiten mit
                              									gasförmiger schwefliger Säure behandelt.
                           Das Stickoxydul erzeugt sich auch aus Salpetersäure und schwefliger Säure und zwar
                              									unter der Bedingung, daß die Salpetersäure sehr verdünnt ist. Bringt man ein Gemisch
                              									von 1 Vol. reiner Salpetersäure von 1,25 spec. Gew. und mindestens 5 Vol. Wasser,
                              									welches mit schwefliger Säure gesättigt ist, in ein mit Gasrohr versehenes Kölbchen
                              									und erhitzt gelinde, so
                              									entwickelt sich bald ein Gas, welches über dem Sperrwasser sich hält.
                           Man behandelt das Gas mit Eisensalzlösung und erkennt in der zurückbleibenden Partie
                              									leicht das Stickoxydul. Wendet man mehr als die erwähnte Menge von Salpetersäure an,
                              									so entsteht vorwiegend Stickoxydgas.
                           Die Salpetersäure gibt weit schwieriger Sauerstoff an schweflige Säure ab, als die
                              									salpetrige Säure. Aus letzterer entsteht bei Ueberschuß von Wasser sehr leicht
                              									Stickoxydul.
                           Gemische von Salpetersäure und Schwefelsäure entbinden beim Behandeln mit gasförmiger
                              									schwefliger Säure Stickoxydgas, vorausgesetzt, daß die Concentration der
                              									Schwefelsäure sich nicht der der englischen Schwefelsäure nähert. In diesem Falle
                              									entsteht eine blaue Flüssigkeit, welche in einer Atmosphäre von schwefliger Säure
                              									unter Beibehaltung der Farbe sich aufbewahren läßt.
                           Aus den mitgetheilten Versuchen erhellt, daß in der Bleikammer nicht nur Verluste an
                              									nutzbaren Oxyden des Stickstoffes durch mechanische Fortführung der abziehenden
                              									Kammergase, sondern auch durch Bildung von Stickstoffoxydulgas entstehen können. Die
                              									salpetrige Säure gibt in Berührung mit schwefliger Säure und überschüssigem Wasser
                              									leicht Anlaß zur Bildung dieses Körpers. In der Nähe der Dampfströme, woselbst die
                              									Gase mit einem Uebermaaße von Feuchtigkeit zusammentreffen, bildet sich
                              									unzweifelhaft stets etwas Stickoxydulgas.
                           Es erklärt sich aus dem Obigen auch die Thatsache, daß eine neue Bleikammer sich
                              									leichter in Betrieb setzen läßt, wenn man über den Boden derselben Schwefelsäure
                              									statt Wasser verbreitet. Aus den gemischten Dämpfen wird sich nämlich in Berührung
                              									mit dem Wasser zu Anfang vorzugsweise Stickoxydul bilden. Erst bei einer gewissen
                              									Concentration der Säure auf der Sohle der Kammer erfolgt daselbst die normale
                              									Reaction.
                           In der Bildung von Stickstoffoxydul aus salpetriger Säure beruhen unzweifelhaft öfter
                              									die Betriebsstörungen, welche bei unrichtigem Verhältnisse der der Kammer
                              									zugeführten Materialien eintreten.