| Titel: | Kleine Beiträge zum chemischen Theil der Zuckerfabrication; von E. F. Anthon, Fabriken-Inspector in Prag. | 
| Autor: | E. F. Anthon | 
| Fundstelle: | Band 189, Jahrgang 1868, Nr. LVII., S. 242 | 
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                        LVII.
                        Kleine Beiträge zum chemischen Theil der
                           								Zuckerfabrication; von E. F.
                              									Anthon, Fabriken-Inspector in
                           								Prag.
                        (Schluß von S. 143 des vorhergehenden
                           								Heftes.)
                        Anthon, Beiträge zum chemischen Theil der
                           								Zuckerfabrication.
                        
                     
                        
                           VI. Instructives Beispiel der Diffusion.
                           Wenn man eine etwa 1 Zoll im Durchmesser haltende Glasröhre bis auf eine beliebige
                              									Höhe (etwa 3 Zoll hoch) mit normaler Melasse (also mit einem Gehalt von circa 50 Zucker, 30 Nichtzucker und 20 Wasser) füllt,
                              									auf diese recht behutsam eine gleich hohe Schicht reinen farblosen Klärsels bringt,
                              									so daß die Grenze zwischen beiden eine scharfe ist, und die dann verstopfte Röhre
                              									der Ruhe überlassen beobachtet, so wird man bald den Beginn der Diffusion, d. h. ein
                              									Aufsteigen der in der Melasse enthaltenen fremden Stoffe in das reine Klärsel daran
                              									wahrnehmen, daß braune Streifen und Wolken in dem letzteren emporzusteigen beginnen
                              									und das farblos aufgegossene Klärsel immer mehr und zwar so lange dunkler färben,
                              									bis sich die färbenden Theile der Melasse  in beiden aufeinander geschichteten Flüssigkeiten
                              									gleichförmig vertheilt haben. Daß dabei auch gleichzeitig die farblosen in der
                              									Melasse enthaltenen fremden Stoffe den Gesetzen der Diffusion (wenn auch in
                              									ungleichen Zeitabschnitten) folgen und sich gleichfalls in beiden Flüssigkeiten in's
                              									Gleichgewicht setzen, braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden.
                           Wenn man nach längerem Stehen der zur Vermeidung von Verdampfung fest geschlossenen
                              									Glasröhre dieselbe entleert, so wird man die interessante Beobachtung machen, daß in
                              									dem unteren Theil der Röhre, und zwar genau bis zu jener Höhe bis wohin Anfangs die
                              									Melasse reichte, sich die Wände mit Zuckerkrystallen überzogen vorfinden —
                              									eine Erscheinung, deren Erklärung eine sehr einfache ist.
                           Diffusion kann nämlich nur in ungleichartigen Flüssigkeiten, bei gleichartiger Natur
                              									des gelösten Stoffes aber nur bei einem ungleichen Sättigungsgrade der Lösung
                              									stattfinden, jedoch mit Ausnahme jener Fälle, wo man eine mit einem Stoffe übersättigte Lösung mit einer anderen Lösung desselben
                              									Stoffes in Berührung bringt, die zwar nicht übersättigt, für die obwaltende
                              									Temperatur aber doch vollständig gesättigt ist, wo sich dann der Ueberschuß der
                              									ersten Lösung nicht mit dem Gehalte der zweiten Lösung in's Gleichgewicht zu setzen
                              									vermag.
                           Wenn hiernach auf Melasse, welche mehr als die doppelte Menge Zucker von dem darin
                              									enthaltenen Wasser enthält und demnach als eine mit Zucker übersättigte Lösung
                              									anzusehen ist, reines Klärsel gebracht wird, so kann von dem in der Melasse in
                              									Ueberschuß enthaltenen Zucker sich auch nicht der kleinste Theil in das darauf
                              									gegossene Klärsel erheben (obgleich dieses für gleiche Mengen Wasser berechnet
                              									weniger Zucker enthält als die Melasse), weil eine schon mit Zucker gesättigte
                              									Lösung bei derselben Temperatur keinen Zucker mehr aufzunehmen vermag, die fremden
                              									Stoffe in der Melasse aber ungehindert in das Klärsel diffundiren und sich in diesem
                              									in's Gleichgewicht setzen können. Dadurch aber, daß hierdurch der Melasse die Hälfte
                              									der in ihr enthaltenen fremden Stoffe entzogen wird (indem sich diese auf die
                              									doppelte Menge Flüssigkeit vertheilen), verliert die Melasse den größten Theil ihrer
                              									Zähigkeit, welche sie am Auskrystallisiren des Zuckerüberschusses verhindert hatte
                              									und der demzufolge nun auch auszukrystallisiren vermag.
                           Diese Beobachtung hatte für mich ein um so größeres Interesse, als sie mir zur
                              									Bestätigung einer längst gehegten Ansicht diente, für die mir aber bis dahin jeder
                              									directe Beweis fehlte, nämlich der Ansicht, daß eine normale Melasse stets als eine
                              									mit Zucker übersättigte Lösung angesehen werden muß, sobald der darin enthaltene
                              									freie Zucker mehr als doppelt so viel beträgt wie die vorhandene Wassermenge, aus
                              									welcher der Ueberschuß 
                              									aber nur wegen der großen Zähigkeit der Melasse nicht vollständig
                              									auszukrystallisiren vermag.
                           
                        
                           VIII. Ueber
                                 										die Mängel in der jetzigen Bezeichnungsweise des Resultates der Analyse von
                                 										Zuckerproducten.
                           Bei der jetzt meist üblichen Weise das Resultat der Analyse von Zuckerproducten
                              									auszudrücken, pflegt man die theils gefundenen, theils nach der Differenz
                              									berechneten Bestandtheile gewöhnlich so zusammenzufassen, daß man die
                              									Gesammtzuckermenge, dann die gefundene Aschenmenge (worunter man sich im Gegensatz
                              									zu den organischen Stoffen, die mineralischen Bestandtheile nicht bloß vorstellt,
                              									sondern häufig sich geradezu des Ausdruckes Mineralstoffe bedient) und endlich die
                              									organischen Stoffe zusammengenommen aufführt, eine Darstellungsweise, welche auch in
                              									den meisten Fällen dem Industriellen genügt. Anders verhält es sich aber mit der Art
                              									und Weise wie man dabei die Zahlengruppen bildet. Gewöhnlich stellt man die direct
                              									gefundene Aschenmenge nach Procenten in Rechnung. Nun ist aber die resultirende
                              									Aschenmenge, abgesehen von anderen noch zu berührenden Momenten, je nach der Methode
                              									des Einäscherns eine verschiedene, nicht bloß qualitativ, sondern auch quantitativ.
                              									Beim Einäschern der zu untersuchenden Stoffe für sich besteht sie zu 4/5 aus
                              									kohlensauren, beim Einäschern unter Zuhülfenahme von Schwefelsäure gänzlich aus
                              									schwefelsauren Verbindungen, und man nimmt somit Zahlen mit in Rechnung, welche sich
                              									auf Stoffe und Stoffmengen beziehen, wie sie in der untersuchten Substanz gar nicht
                              									vorhanden waren und die resultirende Zahl zu groß erscheinen lassen. In noch weit
                              									höherem Grade ist dieß der Fall, wenn man nach dem in neuester Zeit von Landolt gemachten Vorschlag die gefundene Aschenmenge
                              									verdoppelt und die so erhaltene Zahl als den Salzgehalt in Rechnung stellt, wie er
                              									es in seinem Bericht über die Analysen der Zuckerproducte etc.Verhandlungen des Vereines zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, 1867
                                    											S. 103; Zeitschrift des Vereines für Rübenzuckerindustrie, Februarheft 1868;
                                    											im Auszug im polytechn. Journal Bd. CLXXXVII S. 251. gethan
                              									hat, wozu er durch den Umstand veranlaßt wurde, daß die im Rübensaft vorkommenden
                              									organischsauren Alkalien beim Einäschern ziemlich genau ihr halbes Gewicht Asche
                              									geben, und weil er es für angezeigt erachtete dieselben ihrer ganzen Menge nach als
                              									Salze anzusprechen. Vom Standpunkte der Wissenschaft mag vielleicht gegen diese
                              									Gründe nicht viel einzuwenden seyn, vom Standpunkte des Industriellen aber wird dieß
                              									sicher nicht zugestanden werden. Letzterer wird, wenn von  Salzen in den Zuckerproducten
                              									die Rede ist, stets nur die mineralischen Bestandtheile (die Alkalien, incl. Chlor,
                              									Schwefelsäure etc.), nie aber das vor Augen haben was die reine Chemie im
                              									ausgedehntesten Sinne des Wortes unter Salzen versteht, und die vorhandenen
                              									organischen Säuren wohl unter allen Umständen den organischen Stoffen zugruppiren,
                              									wodurch er denn auch sicher zu einer richtigeren Vorstellung gelangt.
                           Um das Gesagte durch ein Beispiel zu erläutern, sey hier das Resultat einer
                              									Melassenanalyse nach dem Analytiker (Stohmann) selbst,
                              									und nach Landolt's Vorschlag umgerechnet
                              									zusammengestellt.
                           Diese Melasse enthielt 52,3 Zucker, 20,7 Wasser und 27,0 fremde Stoffe (letztere aus
                              									11,2 Salzen, 9,4 stickstoffhaltigen und 6,4 stickstofffreien organischen
                              									Verbindungen bestehend).
                           
                              
                                 
                                 Zucker.
                                 Wasser.
                                 Organ. Stoffe.
                                 Salze.
                                 
                              
                                 oder, was dasselbe
                                 52,3
                                 20,7
                                 15,8
                                 11,2
                                 
                              
                                 Nach L. wäre die Zusammens. dagegen
                                 52,3
                                 20,7
                                   4,6
                                 22,4.
                                 
                              
                           Welche von beiden Zusammenstellungen der Zuckerindustrielle für die richtige
                              									anerkennen wird, darüber kann wohl nicht der geringste Zweifel obwalten; und doch
                              									tritt der Widerspruch in beiden Zahlenreihen noch weit greller hervor, wenn man von
                              									den 11,2 Proc. der gefundenen Asche die darin enthaltene Kohlensäure, welche
                              									mindestens 1/5 vom Gewichte derselben betrug, in Abzug bringen und den organischen
                              									Stoffen zuschlagen wollte.
                           Vor Allem kann und muß man an die Zusammenstellung des Resultates einer Analyse die
                              									Forderung stellen, daß sie der Wahrheit und den thatsächlich obwaltenden
                              									Verhältnissen entspreche und nicht unausweislich zu falschen Vorstellungen führe, da
                              									hierdurch die Wissenschaft nur zu leicht dem praktischen Fabrikanten zum Irrlichte
                              									wird.
                           Um zu einem möglichst richtigen Bilde zu führen und den Industriellen in Stand zu
                              									setzen, aus den ihm gebotenen Analysen den möglich größten Nutzen zu ziehen, schlage
                              									ich vor, daß man sich dahin einige, die Analysen von Rohzucker, Syrup und Melasse
                              									für die gewöhnlichen Fälle in folgender Weise zum Ausdruck zu bringen:
                           a) Gesammtzuckergehalt nach der
                              									Polarisation;
                           b) Gehalt an freiem, gewinnbaren
                              									Zucker;
                           c) Gesammtgehalt an organischen
                              									Stoffen und
                           d) Gehalt an frei gedachten (nicht
                              									kohlensauren) Alkalien, inclusive der damit verbundenen Mineralsäuren, wornach also,
                              									wie schon oben bemerkt, von der gefundenen Aschenmenge 1/5 für die darin vorhandene
                              									und von organischen Stoffen herrührende Kohlensäure  in Abzug zu bringen und den
                              									organischen Stoffen zuzuschlagen wäre. Die Namen „Salze“ und
                              										„Aschenbestandtheile“ für die letztangeführte Stoffgruppe
                              									hätte zur Vermeidung falscher Vorstellungen beim Laien zu entfallen und wäre dafür
                              									der Ausdruck „Mineralstoffe“ zu wählen.
                           Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, auf die schon mehrseitig betonte
                              									Mangelhaftigkeit der jetzt im Handel üblichen Werthsbezeichnung des Rohzuckers
                              									hinzuweisen. Fast allgemein wird beim Handel mit Rohzucker in Bezug auf dessen
                              									Gehalt (abgesehen von den durch die Farbe bedingten Qualitätsabstufungen) die bloße
                              									Polarisation zu Grunde gelegt und dabei keine Rücksicht auf die gleichzeitig
                              									vorhandenen Mengen fremder Stoffe genommen, und doch kann thatsächlich bei einer und
                              									derselben Polarisation der Nettowerth um 4–6 Procent und darüber differiren.
                              									Wenn man nun berücksichtigt, daß es sich für den kaufenden Raffinateur gar nicht
                              									oder doch nur untergeordnet darum handelt, wie viel ein Rohzucker polarisirt,
                              									sondern nur darum, was derselbe an ausbringbarem Zucker enthält, so bedarf es wohl
                              									keines weiteren Beweises, daß beim Handel mit Rohzucker nicht dessen Gesammtgehalt
                              									an Zucker nach der bloßen Polarisation, sondern der nach obiger oder in anderer
                              									Weise bestimmte Nettowerth zur Grundlage dienen sollte.
                           
                        
                           IX. Ueber
                                 										das specifische Gewicht einer bei 14° R. gesättigten
                                 									Zuckerlösung.
                           Verschiedene Beobachtungen, welche ich wiederholt über die ungleiche Dichte einer bei
                              									14° R. gesättigten reinen Zuckerlösung machte, gaben zu folgendem Versuche
                              									Veranlassung.
                           Auf eine 10 Zoll hohe Schicht, in einer weiten Glasröhre befindlicher, grobkörnig
                              									pulverisirter Raffinade wurde eine durch sehr anhaltendes Schütteln von destillirtem
                              									Wasser mit viel überschüssiger fein pulverisirter Raffinade dargestellte und somit
                              									wenigstens nahezu gesättigte Zuckerlösung so gegossen, daß sie nur die Zwischenräume
                              									des Zuckers ausfüllte, und durch 16 Stunden bei 14° R. stehen gelassen.
                              									Nunmehr wurde ein Theil der Lösung klar abgelassen und gab ein specifisches Gewicht
                              									von 1,3272 zu erkennen. Nach Verlauf von weiteren 16 Stunden bei gleicher Temperatur
                              									wurde wieder ein Theil der Zuckerlösung abgelassen, deren Dichte sich wieder genau
                              									zu 1,3272 bei 14° herausstellte.
                           Jetzt ließ ich den Rest der Zuckerlösung, welcher gleichfalls dieselbe Dichte zeigte,
                              									ablaufen und stellte ihn auf flacher Schale bei 15–16°R. zur
                              									freiwilligen Verdampfung so lange an die Luft, bis sich Zuckerkrystalle
                              									ausgeschieden hatten. Der klare Theil der Lösung zeigte nunmehr  eine viel größere Dichte,
                              									nämlich 1,3577 und setzte, als er 24 Stunden in einem verstopften Fläschchen bei
                              									14° R. erhalten wurde, festen Zucker ab unter Verminderung seiner Dichte auf
                              									1,3355. — In den nachfolgenden 24 Stunden reducirte sich die Dichte bei
                              									14° R. auf 1,3338; in noch weiteren 24 Stunden (immer bei 14° R.) auf
                              									1,3300. Mit dieser Zahl schien die Grenze der Abnahme der Dichte erreicht zu seyn,
                              									denn sie blieb sich in den nun folgenden 36 Stunden bei 14° R. vollkommen
                              									gleich.
                           Hiernach kann die Dichte einer bei 14° R. gesättigt erscheinenden Zuckerlösung
                              									eine verschiedene seyn, je nachdem dieselbe bloß durch anhaltendes Schütteln von
                              									Wasser mit überschüssigem Zucker bei 14° R., oder durch Erkaltenlassen einer
                              									etwas übersättigten Lösung auf 14° R. dargestellt worden ist.
                           Da jedoch bei einem und demselben Stoffe und für eine und dieselbe Temperatur füglich
                              									nicht zweierlei Sättigungsgrade denkbar sind, so kann der Grund davon wohl nur darin
                              									liegen, daß entweder die Zahl von 1,3272 noch nicht als der der Temperatur von
                              									14° R. vollkommen entsprechende Sättigungsgrad anzusehen ist, oder daß man
                              									die Zahl 1,3300 bereits einem Zustand von Uebersättigung zuzuschreiben habe, worüber
                              									ich jedoch noch kein positives Urtheil auszusprechen wage, sondern nur
                              									vermuthungsweise letztere Zahl als die richtigere ansehen will. Jedenfalls
                              									bezeichnen beide Zahlen aber die Grenzen, um welche man sich bei der Darstellung des
                              									Klärsels zu bewegen hat.
                           
                        
                           X. Versuche
                                 										behufs Ausbildung einer Methode zur Reinigung (Raffination) des Rohzuckers ohne
                                 										Wärme (Kochen) und ohne Chemikalien.
                           Die Ueberzeugung, daß der normale Rohzucker nichts anderes als ein mit Melasse
                              									benetzter reiner fester Zucker ist, führte mich auf den Gedanken, daß es möglich
                              									seyn müsse, denselben durch bloßes systematisches Waschen zuerst mit unreinen, dann
                              									mit immer reineren Zuckerlösungen, auf kaltem Wege und ohne Chemikalien, daher auch
                              									ohne jeden Verlust, in reinen Zucker und Melasse zu zerlegen, und zwar derart, daß.
                              									für je 100 Gewichtstheile in Arbeit genommenen Rohzuckers einerseits die
                              									Gesammtmenge des darin enthaltenen festen freien Zuckers (folglich dessen ganzer
                              									Nettogehalt) erhalten werden kann, andererseits die darin vorhandene Melasse
                              									vollständig und unmittelbar als solche, demnach auch von derartiger Beschaffenheit
                              									daß sie keine weitere Verkochung lohnt.
                           Es bedarf wohl keines besonderen Nachweises, daß, die Bestätigung dieses leitenden
                              									Gedankens und dessen mögliche Durchführung im Großen  vorausgesetzt, ein solches
                              									Verfahren die nahezu gänzliche Vermeidung des Verlustes bei den jetzigen
                              									Raffinationsmethoden zur Folge haben würde, welche genau genommen auch nichts
                              									Anderes als ein Waschproceß des Zuckers sind, der aber auf einem umständlichen,
                              									zeitraubenden und zuckerzerstörenden Umwege ausgeführt wird.
                           Zur praktischen Verfolgung des ausgesprochenen Gedankens habe ich nun seit einigen
                              									Jahren eine große Reihe von Versuchen im Laboratorium durchgeführt, wodurch ich zwar
                              									noch nicht dahin gelangte, die Sache als technisch reif ansehen zu können, welche
                              									aber die Richtigkeit des Principes meiner Voraussetzung unwiderlegbar dargethan
                              									haben.
                           Zuerst versuchte ich den Rohzucker ohne jede weitere Vorbereitung zu reinigen, indem
                              									ich ihn unmittelbar in die Wasch- oder Extractionsvorrichtung brachte und
                              									auszudecken suchte. Hierbei stellte sich nun der Uebelstand heraus, daß ich es nicht
                              									zur Beherrschung der für das Niedergehen der Decken nöthigen Zeit bringen konnte,
                              									denn während es mir öfters glückte, eine 20–24 Zoll hohe Schicht Zucker
                              									vollständig binnen 18–24 Stunden auszudecken, bedurfte es zur Erreichung
                              									desselben Zieles in anderen Fällen 2 bis 3, ja sogar 4 Wochen und half in diesen
                              									Fällen auch in der Regel das Rutschen wenig oder gar nichts, ja verzögerte sogar in
                              									mehreren Versuchen noch das Niedergehen der Decken. Ich mußte nun nach einem anderen
                              									Mittel suchen, welches mir die Beherrschung des Niedergehens der Decken ermöglichte
                              									und fand dieses Mittel auch in vollkommen entsprechender Weise in der Bildung einer
                              									Zuckermasse aus dem zu verarbeitenden Rohzucker mit einer geeigneten Menge ersten
                              									(folglich schlechtesten) Ablaufes von der beim unmittelbar vorausgegangenen Versuche
                              									verwendeten Rohzuckermenge, durch mäßiges Erwärmen und nachheriges Erkaltenlassen
                              									der so gebildeten Zuckerfüllmasse im Extractionsgefäß.
                           An diesem Ziele angelangt, schritt ich zu einer neuen Versuchsreihe (zu welcher ein
                              									aus 93,5 Zucker, 4,4 fremden Stoffen und 2,1 Wasser bestehender Rohzucker verwendet
                              									wurde), die ich in der Weise begann, daß ich die erste Füllmasse aus der für den
                              									ersten Versuch bestimmten Rohzuckermenge durch Befeuchten mit etwas Wasser und
                              									mäßiges Erwärmen bildete, und ausnahmsweise zum Ausdecken dieses Quantums bloß
                              									reines Klärsel verwendete, weil mir bei Beginn dieser Arbeit noch kein Ablauf von
                              									einem vorausgegangenen Versuche zur Verfügung stand. Bei allen folgenden in Arbeit
                              									genommenen Zuckermengen wurde jedoch — dem aufgestellten Princip entsprechend
                              									— zum Anmachen des Rohzuckers stets nur der erste (also schlechteste) Ablauf
                              									von dem unmittelbar 
                              									vorausgegangenen Versuche verwendet; die folgenden, in kleinen Portionen gesammelten
                              									Abläufe aber wurden der Reihenfolge nach (also von immer reinerer Beschaffenheit)
                              									zum Ausdecken benutzt und geendet wurde je nach Bedarf mit einer oder einigen reinen
                              									Klärseldecken; bei dieser Versuchsreihe wurden zehn in Zusammenhang stehende
                              									einzelne Versuche (Ausdeckarbeiten) durchgeführt.
                           Ein Hauptzweck dieser Versuchsreihe war der, mich augenscheinlich zu überzeugen, wie
                              									weit eine Verschlechterung des ersten Ablaufes auf diesem Wege füglich getrieben
                              									werden kann, und namentlich ob dieselbe sich bis zu einem wirklichen Melassenablauf
                              									steigern lasse, obgleich nach meinen bis dahin gemachten Beobachtungen diese Frage
                              									schon mit ziemlicher Gewißheit zu bejahen war.
                           Die in dieser Richtung erlangten Ergebnisse sind im Nachfolgenden zusammengestellt,
                              									wobei ich mich begnügte den Werth der Abläufe nach deren specifischem Gewichte
                              									abzuschätzen, wie ich es schon in meiner Mittheilung Nr. III erläutert habe und wie es dem vorliegenden Zwecke auch vollkommen
                              									entsprach.
                           
                              
                                 Der Ablauf von Versuch
                                 1
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3467
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 2
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3617
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 3
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3712
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 4
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3722
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 5
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3780
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 6
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3801
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 7
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3850
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 8
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3950
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 9
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,3990
                                 
                              
                                 von Versuch
                                 10
                                 hatte eine Dichte von
                                 1,4090.
                                 
                              
                           Es hatte somit der zehnte Ablauf ein spec. Gewicht, wie es einer Zusammensetzung von
                              									beiläufig 51 Zucker, 27½ fremden Stoffen und 21–21½ Wasser und
                              									folglich. auch der Natur wirklicher Melasse entspricht. Die aufgeworfene Frage war
                              									demzufolge auch zu bejahen und ich gelangte zu diesem Resultate ohne irgend ein
                              									Hinderniß und ohne irgend eine Beobachtung, welche die Besorgniß hätte aufkommen
                              									lassen können, daß im Großen nicht derselbe Erfolg in gleicher Weise erzielbar wäre.
                              									Was die bei dieser Versuchsreihe zum vollständigen Ausdecken nöthige Zeit anbelangt,
                              									so betrug dieselbe für eine circa 20 Zoll hohe
                              									Zuckerschicht bei mäßigem Nutschen durchschnittlich 30, nie aber über 36
                              									Stunden.
                           Was weiter die Beschaffenheit der bei dieser Versuchsreihe angewandten absichtlich
                              									gebildeten Füllmassen, sowie die nöthig gewesenen  Mengen an Decke betrifft, so
                              									gibt hierüber folgende Zusammenstellung Aufschluß:
                           
                              
                                 
                                 Füllmasse, Zucker,
                                 bestehend aus
                                 Folglich von folgendem Quotienten.
                                 Nöthig gewesene Decke für 100 Rohzucker.
                                 
                              
                                 
                                 Nichtzucker,
                                 Wasser.
                                 
                                 
                              
                                 Versuch
                                 1
                                 85,4
                                 3,8
                                 10,8
                                 95,7
                                 62
                                 
                              
                                 Versuch
                                 2
                                 84,3
                                 5,6
                                 10,1
                                 93,8
                                 70
                                 
                              
                                 Versuch
                                 3
                                 83,3
                                 7,0
                                   9,7
                                 92,2
                                 80
                                 
                              
                                 Versuch
                                 4
                                 80,1
                                 8,4
                                 11,5
                                 90,5
                                 88
                                 
                              
                                 Versuch
                                 5
                                 79,8
                                 8,1
                                 12,1
                                 90,7
                                 100
                                 
                              
                                 Versuch
                                 6
                                 79,0
                                 9,4
                                 11,6
                                 89,4
                                 128
                                 
                              
                                 Versuch
                                 7
                                 78,8
                                 9,7
                                 11,5
                                 89,0
                                 136
                                 
                              
                                 Versuch
                                 8
                                 78,3
                                 10,5
                                 11,2
                                 88,2
                                 148
                                 
                              
                                 Versuch
                                 9
                                 76,5
                                 11,6
                                 11,9
                                 86,8
                                 160
                                 
                              
                                 Versuch
                                 10
                                 75,5
                                 12,7
                                 11,8
                                 85,6
                                 228.
                                 
                              
                           Aus dieser Uebersicht ergibt sich deutlich, daß in dem Verhältniß, in welchem der
                              									Zuckerquotient fällt, sich die nöthige Menge Decke für gleiche Mengen Rohzuckers
                              									steigert, und zwar rascher und in größeren Verhältnissen als ich vorausgesetzt
                              									hatte. Während z. B. bei einem Zuckerquotienten von 95,7 der Füllmasse nur 62 Proc.
                              									vom Gewicht des in Arbeit genommenen Rohzuckers an Decke nothwendig waren, er
                              									heischte ein Quotient von 89,4 schon 128 Proc., und endlich ein Quotient von 85,6
                              									sogar 228 Proc. Der Grund davon ist ein mehrfacher und nicht allein in einem
                              									ungleichförmigen Niedergehen der Decken, sondern auch in einer diffundirenden
                              									Wirkung zwischen denselben zu suchen, indem analog dem in meiner obigen Mittheilung
                              									Nr. VI angeführten Beispiel, beim Niederdrücken der
                              									schwereren unreineren Syrupschichten durch nachfolgend reinere, die größere Menge
                              									fremder Stoffe in ersteren Zeit gewinnt nach oben in die nachfolgenden reineren
                              									Syrupschichten zu diffundiren, so wie endlich bei meinen Versuchen auch noch der
                              									Umstand zur Vergrößerung der nöthigen Deckemengen beitrug, daß ich den Ablauf des
                              									einen Extractionsgefäßes (mechanischer Schwierigkeiten wegen) nicht continuirlich
                              									auf den Inhalt des nachfolgenden Extractionsgefäßes auffließen lassen konnte,
                              									sondern portionenweise aufsammeln und aufgießen mußte, wodurch der Effect der Decken
                              									natürlich abgeschwächt wurde.
                           Die Vollendung des Ausdeckens gibt sich durch die Farblosigkeit und Dichte des
                              									Ablaufes leicht zu erkennen, doch scheint es zur möglichsten Verminderung der zum
                              									schließlichen Ausdecken nöthigen Menge reinen Klärsels angezeigt, das Ausdecken
                              									nicht bis zum Ablauf reinen völlig farblosen Klärsels zu treiben, sondern zu
                              									unterbrechen sobald der Ablauf einen Quotienten von beiläufig 98 zeigt, wo dann bei
                              									Anwendung conischer Extractionsgefäße mindestens 95 Proc. des eingefüllten
                              									Rohzuckers  vollständig
                              									ausgedeckt erscheinen werden, wenn dieselben nicht etwa von gar zu dunkler
                              									Beschaffenheit gewesen sind, in welchem Falle man selbst durch ein Uebermaaß von
                              									reinem Klärsel kein vollständiges Weiß zu erzielen vermag.
                           Daß das schließlich als Decke zur Verwendung gelangende reine Klärsel nicht verloren
                              									geht, versteht sich von selbst; die größte Menge desselben bleibt im Zucker zurück,
                              									wird also als Mehrausbeute zurückerhalten.
                           Wenn ich in dieser Mittheilung dem Fachmann auch nichts technisch Reifes geboten
                              									habe, da ich nicht in der Lage bin, meine Versuche im Großen zum Abschluß bringen zu
                              									können, so glaube ich doch dargethan zu haben, daß der oben bezeichnete leitende
                              									Gedanke ein richtiger und die Sache einer weiteren Verfolgung werth sey, wenn auch
                              									vielleicht anfangs nur in der Richtung, daß das besprochene Princip zur
                              									unmittelbaren Darstellung eines Raffinade-Farins oder reinen
                              									Deck-Klärsels aus Rohzucker, oder zu einer billigeren Würfelzucker-
                              									und Kandiserzeugung zur Anwendung gelangt — es weitern Untersuchungen
                              									überlassend zu entscheiden, inwiefern darauf ein neues allgemeines
                              									Raffinations-Verfahren begründet werden kann.
                           Dem allenfallsigen Bedenken, daß das vorgeschlagene Princip gegen eine Grundregel in
                              									der Zuckerfabrication — wornach man kein Zuckerproduct während der weiteren
                              									Verarbeitung mit einem schlechteren Product zusammenbringen darf — verstoße,
                              									glaube ich im Voraus mit der Bemerkung entgegnen zu müssen, daß dieß bei dem in Rede
                              									stehenden Verfahren nur scheinbar stattfindet; denn wenn ich auch behufs der
                              									Füllmassebildung einen schon mehr oder minder reinen Rohzucker mit einem schlechten
                              									Syrup zusammenbringe, so ist es doch klar, daß dieser Syrup keinen verschlechternden
                              									Einfluß auf den im verwendeten Rohzucker vorhandenen Krystallzucker ausüben kann,
                              									sondern im Gegentheil, da der Rohzucker nur als eine Mischung von festem Zucker und
                              									Melasse anzusehen ist, letztere dadurch eine Verbesserung erleidet.
                           
                        
                           XI. Ueber
                                 										das Auftreten des oxalsauren Kalkes bei der Rübenzuckerfabrication.
                           Man hat in neuerer Zeit wiederholt ein massenhaftes Auftreten von oxalsaurem Kalk als
                              									Incrustation der Abdampfgefäße in den Zuckerfabriken wahrgenommen, diese Erscheinung
                              									aber, so viel mir bekannt, lediglich mit dem Vorkommen der Oxalsäure in dem
                              									Rübensafte erklärt. Ich halte diese Annahme jedoch für unzulässig und glaube sie in
                              									einer Bildung der Oxalsäure im Kohlensäureofen suchen zu müssen; ich hatte  zwar noch nicht
                              									Gelegenheit die Richtigkeit meiner Ansicht durch Versuche sicher zu stellen, bin
                              									aber dessenungeachtet davon vollkommen überzeugt.
                           Die Sublimirbarkeit der Oxalsäure, ihre Bildung beim Schmelzen von verschiedenen
                              									organischen Stoffen (insbesondere von Holzspänen) mit ätzenden fixen Alkalien und
                              									beim starken Glühen von kohlensaurem Kali mit Kohle, wie es bei der Kaliumbereitung
                              									stattfindet, endlich ihre Elementarzusammensetzung, welche sie der Kohlensäure so
                              									nahe stellt daß Döbereiner ihr den Namen
                              										„kohlige Säure“ beilegte und nach welcher 2 Aequiv.
                              									Kohlensäure nur 1 Aequiv. (bloß 2–3 Proc.) Wasserstoff aufzunehmen haben, um
                              									in Oxalsäure überzugehen, sind offenbar Momente, welche zur Bekräftigung der
                              									ausgesprochenen Ansicht dienen können.
                           Nach dieser Ansicht ist auch auf ungezwungenere Weise die Erscheinung zu erklären,
                              									daß sich der oxalsaure Kalk bei der Läuterung nicht vollständig niederschlägt; da
                              									nämlich der Entstehungsmoment des oxalsauren Kalkes (bei meiner Annahme) mit der
                              									Saturation zusammenfällt, so ist es auch analog vielen anderen Erscheinungen recht
                              									wohl denkbar, daß ein Theil des sich bildenden oxalsauren Kalkes der
                              									augenblicklichen Fällung entgeht und erst beim Abdampfen der Zuckersäfte zum
                              									Ausscheiden gelangt.