| Titel: | Ueber Fortschritte der Hydrotechnik; vom Sectionsingenieur I. A. v. Wagner. | 
| Fundstelle: | Band 189, Jahrgang 1868, Nr. CIX., S. 447 | 
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                        CIX.
                        Ueber Fortschritte der Hydrotechnik; vom
                           								Sectionsingenieur I. A. v.
                              									Wagner.
                        Aus dem Oberlausitzer Gewerbeblatt, 1868, Nr.
                              									16.
                        v. Wagner, über Fortschritte der Hydrotechnik.
                        
                     
                        
                           I.
                           Eins wunde Stelle in den hydrotechnischen Hülfswissenschaften war bisher die
                              									Bestimmung der mittleren Geschwindigkeit eines fließenden Gewässers. Die Mehrzahl
                              									der Hydrotechniker hielt noch an der bekannten Eytelwein'schen Formel υ = 90,9 .Textabbildung Bd. 189, S. 447 (für rhein. Fuß) fest, in welcher dem Coefficienten 90.9 Alles übertragen
                              									wurde, was an Schwankungen und Unsicherheiten überhaupt vorkam.
                           In neuerer Zeit macht die Humphreys-Abbot'sche, auf
                              									Grund vielfacher praktischer Untersuchungen aufgestellte Theorie Aufsehen, welche
                              									unter Anderem feststellt und nachweist, daß die Abnahme der Geschwindigkeit vom
                              									Wasserspiegel bis zur Sohle einer Parabel entspreche. Dank der rastlosen Thätigkeit
                              									eines höchst productiven Hydrotekten Bayerns, des königl. Baubeamten Grebenau in Germersheim, ist genannte Theorie durch deren
                              									Uebersetzung aus dem Amerikanischen für Deutschland nicht allein zugänglich gemacht,
                              									sondern auch in einzelnen Punkten verbessert worden. Gleichzeitig hat Grebenau in dem von ihm herausgegebenen Werke werthvolle
                              									Anhänge beigefügt, in denen er durch Mittheilung von Versuchsresultaten nachweist,
                              									daß die Humphreys-Abbot'sche Formel für υ
                              									entschieden brauchbarer, weil sie genauer ist als die Eytelwein'sche. Mehrere technische Zeitschriften haben über das von Grebenau herausgegebene Werk bereits Auszüge gebracht;
                              									ich führe daher nur das Endresultat an, empfehle aber den Hydrotechnikern nicht auf
                              									dergleichen Auszüge zu bauen, da in denselben mitunter entstellende Fehler
                              									unterlaufen, sondern sich lediglich an das Grebenau'sche
                              									Werk zu halten.Im polytechn. Journal Bd. CLXXXVI S. 161 (erstes Novemberheft
                                    											1867) ist ein Auszug des Grebenau'schen Werkes enthalten, in welchem der Verfasser G. Heidner (S. 165) sagt, daß Grebenau in der Gleichung: y = dx - d1 aus Versehen - d1 (statt + d1) gesetzt
                                    											habe, während doch - d1, richtig ist; der mit Aenderung des Vorzeichens gemachte Fehler
                                    											pflanzt sich nun in der Rechnung fort und liefert selbstverständlich andere
                                    											Resultate. — Ebenso heißt es S. 169 unter XIV: Um = 0,93 . υ „in welcher sich der
                                       												Coefficient auf englisches Fußmaaß bezieht“ —während
                                    											doch derselbe in dieser Gleichung für alle möglichen Maaßsysteme Gültigkeit
                                    											hat.
                           
                           Grebenau hat die Humphreys-Abbot'sche Formel für praktische Zwecke wesentlich
                              									vereinfacht, indem er einen Correctionscoefficienten β einführt; die mittlere
                              									Flußgeschwindigkeit ist hiernach:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 189, S. 448
                              
                           welcher Ausdruck zwar nur approximative, für die Praxis aber
                              									hinlänglich genaue Werthe liefert. So berechnet Grebenau
                              									z. B. für die Isar nach der genauen Formel: υ = 3,1834; nach der
                              									approximativen: υ = 3,1913. Für das Mühlgerinne bei Diemerstein: υ
                              									=0,33148 nach der genauen Formel, und, υ = 0,33735 nach der approximativen
                              									Formel.
                           In der sub 1) stehenden Formel bedeutet a die Querschnittsfläche des Flusses, p den benetzten Umfang, W die obere Wasserbreite, s das relative Gefälle. Die Werthe der
                              									Coefficienten (β für verschiedene Fälle) sind speciell in Grebenau's Werk angegeben. Für sächsisches Fußmaaß berechnet sich die genauere
                              									Formel zu:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 189, S. 448
                              
                           wobei
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 189, S. 448
                              , D = a/p
                                 										und r = a/p + W ist; die a p proximative Formel (sub 1) zu:
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 189, S. 448
                              
                           Daß die Humphreys-Abbot'sche Formel der Wahrheit um
                              									Bedeutendes näher steht als z. B. die Eytelwein'sche,
                              									weist unter Anderen auch die folgende Tabelle nach. Grebenau hat bezüglich beider Formeln die sorgfältigsten Untersuchungen
                              									angestellt und gefunden, daß die Eytelwein'sche Formel je
                              									nach Größe des Gefälles entweder viel zu kleine oder um 60 bis 80 Proc. zu große
                              									Werthe für die mittlere Geschwindigkeit angibt. Z. B. beträgt in Metern:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 189, S. 448
                              Bezeichnung des Flusses; Die direct
                                 										gemessene mittlere Geschwindigkeit; Die berechnete mittlere Geschwindigkeit
                                 										nach; Der Werth der Eytelwein'schen Formel ist zu groß; Humphres-Abbot;
                                 										Eytelwein; Am Hübengraben; Proc; Am Speierbach; Proc; Am Hockebach, 1.
                                 										Strecke
                              
                           
                           Diese wenigen Beispiele zeigen sofort, welche von beiden Formeln die brauchbarere
                              									ist. Es ist daher zu verwundern, daß, wie die deutsche Industriezeitung, 1868, Nr.
                              									27 (S. 268) mittheilt, der berühmte Hydrotekt Hagen von
                              									der neuen Formel nicht viel zu halten scheint. Derselbe soll gesagt haben, die neuen
                              									Angaben seyen „mangelhaft und übertrieben“ —
                              										„die Geschwindigkeit sey nicht einmal bis auf 1/10 sicher“
                              									— „die Uebereinstimmung der neuen Formel mit den zu Grunde gelegten
                                 										Versuchen (von Humphreys-Abbot) sey keine
                                 										besondere“ — u. s. f. Wenn Hagen
                              									dieß in der That gesagt hat, so hat er jedenfalls die überraschenden Resultate Grebenau's noch nicht gekannt, wie sie beispielsweise in
                              									voriger Tabelle aufgeführt sind und wie deren noch mehrere zur Widerlegung jener in
                              									der deutschen Industriezeitung enthaltenen Behauptungen mitgetheilt werden könnten.
                              									Das „mangelhaft und übertrieben“ ist in der Humphreys-Abbot'schen Theorie nur bei der
                              									Bestimmung der Horizontal-Curven einigermaßen gerechtfertigt, aber nicht bei
                              									dem Ausdrucke für die mittlere Flußgeschwindigkeit. Wenn nach den Humphreys-Abbot'schen Versuchen die horizontale
                              									Geschwindigkeitscurve einer Parabel entsprechen soll, so ist dieß in der That nur
                              									eine Illusion, entsprungen aus der Zufälligkeit, daß das Bett des Mississippi bei
                              									Columbus eine symmetrische Figur bildet und somit die Horizontalcurve ebenfalls
                              									symmetrisch und parabelähnlich erscheinen läßt; an anderen Orten entspricht die
                              									Horizontalcurve nichts weniger als einer Parabel, sondern der Variabilität der
                              									Flußtiefen, worauf ich später nochmals zurückkommen werde.
                           Der schweizerische Hydrotekt Kutter in Bern will gefunden
                              									haben, daß die Humphreys-Abbot'sche Formel, jedoch
                              									nur für außergewöhnlich starke Gefälle, wie solche an den
                              									schweizerischen Giesbächen vorkommen, etwas zu geringe Werthe liefere. Er stellt
                              									dafür die Formel auf:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 189, S. 449
                              
                           worin r = a/p zu
                              									setzen ist. Durch das Wurzelzeichen 100/r wird
                              									die Formel offenbar elastischer und vertrauenerweckender, als ein vom französischen
                              									Ingenieur Gaukler aufgestellter Ausdruck:
                           5 a) υ = k . r⅔ . s½,
                           welcher für s >
                              									0,0007 gilt; oder:
                           5 ) υ = k . r4/3 . s,
                           
                           wenn s < 0,0007
                              									ist. Für den ersteren Fall setzt er für Erdprofile bei Flüssen
                              									k = 5 bis 5,7. Im letzteren Falle bei Bächen
                              									k = 6,6 bis 7,0, bei
                                 										Flüssen
                              									k = 6,4 bis 7,0.
                           Die Franzosen Darcy und Bazin
                              									entwickeln neuerdings für die mittlere Geschwindigkeit den Ausdruck für
                              									Metermaaß:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 189, S. 450
                              
                           worin die Coefficienten α und β die Werthe
                              									haben
                           
                              
                                 
                                 α
                                 β
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 1) bei glatten Wänden
                                 0,00015
                                 0,000004
                                 
                              
                                 2) bei Cement, Ziegeln, Bretern
                                 0,00019
                                 0,0000124
                                 
                              
                                 3) bei Bruchsteinmauerwerk
                                 0,00024
                                 0,00006
                                 
                              
                                 4) bei Erde
                                 0,00028
                                 0,00035.
                                 
                              
                           Die Formeln 4 bis 6 bedürfen offenbar noch einer praktischen Bestätigung. Für
                              									Binnenflüsse oder solche Wasserläufe, deren Gefälle kein ungewöhnlich starkes ist,
                              									verdient gegenwärtig die sub 3 oder 4 aufgeführte
                              									jedenfalls den Vorzug, da derselben praktische Belege für ihre große Zuverlässigkeit
                              									in großer Menge zur Seite stehen.
                           Alle diese neu aufgestellten Ausdrücke gewinnen aber erst dann praktischen Werth,
                              									wenn sie von Hydrotekten möglichst vielfach geprüft werden, wenn von denselben
                              									überhaupt damit experimentirt wird.
                           Bezüglich der schon berührten, horizontalen
                              									Geschwindigkeitscurven hat Grebenau an einer größeren
                              									Anzahl von Rheinquerprofilen der verschiedensten Gegenden gefunden, daß die
                              									Geschwindigkeit υ0 irgend eines Punktes, die
                              									Tiefe (T) an der betreffenden Stelle und die
                              									mittlere Flußgeschwindigkeit υ in gewissen Beziehungen zu einander stehen,
                              									und zwar fand er an allen Profilen den Ausdruck
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 189, S. 450
                              
                           mit nur geringen Abweichungen einzelner Fälle bestätigt. Die
                              									Formel stimmt jedoch nur für diejenigen Stellen eines Flusses, welche außerhalb des Wirkungskreises der Seitenwände (Böschungen) liegen. Dieß erklärt sich lediglich daraus, daß die sehr
                              									veränderlichen Widerstände, welche die Seitenwände durch Adhäsion (Reibung,
                              									Klebrigkeit etc.) darbieten, auf eine gewisse Länge (Entfernung des oberen
                              									Böschungspunktes von der Verticalen im Böschungsfuß) mehr oder weniger wirksam sind
                              									und die regelmäßigen Beziehungen zwischen υ0,
                              									υ und T beeinflußen, resp. stören. Nimmt
                              									man für gewöhnlich an, daß die größte Geschwindigkeit (Stromstrich) der größten
                              									Tiefe entspreche, so kann man  doch öfters beobachten, daß erstere sich nicht über der
                              									größten Tiefe befindet, sobald diese hart am Ufer und somit bereits im nächsten
                              									Wirkungskreise der Böschungswiderstände liegt. In solchen Fällen ist dann gewöhnlich
                              									eine secundäre Rinne vorhanden, über welcher die größte Geschwindigkeit oder der
                              									Thalweg die Richtung nimmt.
                           Der Correctionscoefficient α bestimmt sich für den Rhein bei Germersheim zu:
                              									α = 1,126, bei Basel zu: α = 1,04(bei 5′ Pegel).
                           Wie zu hoffen steht, wird Grebenau demnächst seine,
                              									namentlich auch neuerdings gemachten reichen Erfahrungen etc., deren er schon viele
                              									in seiner Uebersetzung des Humphreys-Abbot'schen
                              									Werkes niedergelegt hat, in einem besonderen Werke veröffentlichen und mache ich
                              									hierauf im Voraus aufmerksam, da es viel schätzenswerthes Material zu weiterem
                              									Ausbau hydrotechnischer Fortschritte bieten wird.