| Titel: | Ueber die Birminghamer Drahtlehre, von Latimer Clark. | 
| Autor: | Latimer Clark | 
| Fundstelle: | Band 195, Jahrgang 1870, Nr. XV., S. 50 | 
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                        XV.
                        Ueber die Birminghamer
                           Drahtlehre, von Latimer
                              Clark.
                        Clark, über die Birminghamer Drahtlehre.
                        
                     
                        
                           Die neue allgemeine Drahtlehre, deren Einführung derzeit von Clark in England in ausdauernder Weise beantragt wird, schließt sich
                              – wie bekanntMan s. polytechn. Journal Bd. CXC S.
                                       200, und Bd. CXCII S. 28
                                    und 176. – an die in Birmingham gewöhnlich übliche ziemlich nahe an und
                              gründet sich auf eine einfache mathematische Reihe, von deren Nummern jede ein
                              Gewicht darstellt, welches um 25 Procent größer ist als jenes der
                              vorhergehenden.
                           Durch ein in die neue Drahtlehre festgelegtes Gesetz ist man immer wieder im Stande,
                              auf die ursprüngliche, die Normallehre zurückzukehren, falls dieß einmal nöthig seyn
                              sollte. Da die Entstehungsart der Birminghamer Drahtlehre, ebenso wie die Zeit ihrer
                              Einführung ganz unbekannt ist, so kann auch jetzt ihre Basis nicht mit Sicherheit
                              erforscht und wenn rationell befunden wieder hergestellt werden.
                           Sucht man nun in Ermangelung irgend einer festen Bestimmung in der Aufeinanderfolge
                              der Dimensionen der Nummern dieser Lehre nach einem inneren Zusammenhang und
                              zeichnet sich die Curve des alten Birminghamer Drahtmaaßes neben jener der
                              logarithmischen Linie, so ersieht man, daß – wenn auch die Abstände der
                              beiden Curven nicht erheblich – die alte Lehre jedenfalls nicht nach der
                              logarithmischen Linie bestimmt ist, da die Abweichungen nicht von jener der
                              Constante allein herrühren.
                           In der vorgeschlagenen Drahtlehre ist auch der Verdünnungsfactor durchaus 0,8945,
                              dagegen bei der alten größer bei dicken, kleiner bei dünnen Drähten, er beträgt
                              nämlich von 0,92 bis 0,82.
                           Zur Zeit der Einführung der Drahtlehre waren die Fabrikanten kaum in der Lage, dieselbe nach
                              mathematischen und physikalischen Grundsätzen herzustellen; viel wahrscheinlicher
                              ist es, daß sie eine Reihe schon gezogener Drähte nahmen und nach diesen die Lehre
                              construirten.
                           Vor Einführung der Dampfkraft war der dickste Eisendraht, jener Nr. 1 der
                              Birminghamer Drahtlehre, von etwa 3/10 Zoll (engl.) Durchmesser. Aus diesem wurde
                              die nächste Dicke in einer Operation gezogen und so fort,
                              bis der dünnste Draht eine Stärke von einigen Tausendstel Zoll hatte. Jeder
                              nächstfolgende Draht erhielt die nächst höhere Nummer.
                           Hiernach wurde die Abstufung zweier aufeinanderfolgenden Stärken durch zwei
                              Bedingungen bestimmt.
                           Zunächst mußte zur Ersparung an Zeit der Draht in einem Zuge möglichst verdünnt werden; die Grenze hierfür fand sich in der zum
                              Drahtziehen verwendeten Kraft der Arbeiter oder der Maschinerie im Gegensatz zur
                              Größe der absoluten Festigkeit des Materiales selbst.
                           Durch die Erfahrung kam man auf den günstigsten Mittelweg und der Drahtfabrikant
                              erhielt allmählich eine Reihe von Stärken, welche einfach auf ein Meßblech zu
                              übertragen waren, um eine den damaligen Bedürfnissen der Erzeugung und des Absatzes
                              genügende Lehre zu bilden.
                           So erklärt Clark den Ursprung der Birminghamer Drahtlehre
                              und schließt, daß sich demzufolge bei der Untersuchung der Angaben der Lehre eine
                              bestimmte Beziehung zwischen der absoluten Festigkeit des Drahtes und dem Widerstand
                              beim Ziehen von einem Durchmesser auf den nächst schwächeren zeigen müsse, wie dieß
                              in der That der Fall ist.
                           In der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure, Jahrgang 1866 S. 545, lieferte
                              H. Thomée eine sehr eingehende Abhandlung:
                              „Untersuchungen über Drahtlehren“, welche Clark zum Nachweis des oben Gesagten benutzt; hier sey
                              nur das Nöthigste angeführt.
                           Bezeichnen wir mit D und d
                              den Durchmesser des Drahtes vor und nach dem Zuge, die absolute Festigkeit mit f, den Ziehungswiderstand mit w – beide auf die Flächeneinheit bezogen –, so ergeben sich
                              folgende Relationen:
                           Die absolute Festigkeit des bereits durchgezogenen Drahtes ist
                           F = f .
                              d² π/4.
                           Der Ziehungswiderstand für die Ringfläche (D²
                              – d²) π/4 ist demnach:
                           W = w
                              (D² – d²) π/4.
                           
                           Das Verhältniß zwischen der absoluten Festigkeit des Drahtes und dessen
                              Ziehungswiderstand (Ziehbarkeit) sey constant, also
                           
                              
                                 W = m . F,
                                 somit
                                 
                              
                                 w (D² – d²) π/4 = m f
                                       d² π/4;
                                 hieraus
                                 
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 195, S. 51
                              
                           Der Werth von f, der absoluten Festigkeit des Drahtes pro Flächeneinheit ist nicht
                              constant, verschieden natürlich nach Qualität des Materiales, aber wachsend mit abnehmendem
                              Querschnitt.
                           Wäre dieß nicht der Fall, so wäre der Verdünnungsfactor d/D constant und die Birminghamer Drahtlehre
                              stellte die logarithmische Linie dar.
                           Nach Egen ist für Eisendrähte im Mittel w = 160591 Pfd. pro
                              Quadratzoll engl. (Thomée gibt 248 Pfd. pro Quadratmillimeter an).
                           Für m = W/F berechnet Clark 0,538
                              (etwas weniger als Thomée, wegen der Abänderung
                              des Mittelwerthes von f) für f = 80000 Pfd. pro Quadratzoll engl.
                           Diese Werthe von w, m und f
                              in die letzte Gleichung substituirt, erhält man den Verdünnungsfactor d/D = 0,8811 (nach Thomée 0,8847), ungefähr die
                              Gesammtdurchschnittszahl der bezüglichen Factoren der Birminghamer Drahtlehre.
                           Es könnte nun auch für den ersten Augenblick natürlich erscheinen, in die zuletzt
                              genannte Formel statt des mittleren Festigkeitscoefficienten (pro Flächeneinheit) von 80000 Pfd., die den verschiedenen
                              Drahtdurchmessern der Lehre entsprechenden Werthe einzusetzen und dadurch die Reihe
                              der Verdünnungsfactoren zu bestimmen, um die Birminghamer Drahtlehre berichtigt
                              wiederherzustellen. Dieß wäre jedoch nur ausführbar, wenn die Aenderungen des
                              Festigkeitscoefficienten in ein bestimmtes Abhängigkeitsgesetz mit den
                              Querschnittsänderungen unter Voraussetzung eines homogen bleibenden Materiales
                              gebracht werden könnten.
                           Die Eigenschaften verschieden dicker Drähte variiren. Bei dickeren Drähten sind die
                              Fehler im Zusammenhang bedeutender, bei dünneren ist das Gefüge gleichmäßiger, in
                              Folge des wiederholten Ziehens gleichförmiger faserig.
                           Bei Wiederherstellung dieser Lehre, resp. Aufstellung einer neuen, soll es nicht
                              gestattet werden, daß die Wirkungen zufälliger Fehler des Materiales einen Theil der
                              Grundlage eines allgemein einzuführenden Maaßes bilden und empfiehlt es sich,
                              dasselbe auf die Annahme eines reinen und homogenen Materiales zu gründen. Dann aber
                              hat die Nummernfolge einen gleichbleibenden Verdünnungsfactor und stellt die
                              logarithmische Linie dar.
                           Noch zeigt Clark, daß sich die von ihm vorgeschlagene
                              allgemeine Drahtlehre nicht auf die physikalischen Eigenschaften des Eisens
                              beschränkt, sondern gleicherweise für irgend ein anderes der gewöhnlich auftretenden
                              Metalle anwendbar ist.
                           Am Schlusse seiner in der Versammlung der British
                                 Association zu Exeter vorgelesenen Abhandlung lenkt Clark die Aufmerksamkeit des Vereines auf die Arbeiten von Karmarsch, Thomée und Peters über die Aufstellung einer einheitlichen Drahtlehre für
                              Deutschland. Ihren Schriften verdanke er manche interessante Thatsache und
                              instructive Belehrung über diesen Gegenstand. (Engineering August 1869, S. 154.)
                           
                              J. Z.