| Titel: | Ueber das Verschwinden der in den Weintrauben enthaltenen Säuren und ihre wahrscheinliche Umwandlung in Zucker; von A. Petit. | 
| Fundstelle: | Band 195, Jahrgang 1870, Nr. XCVI., S. 354 | 
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                        XCVI.
                        Ueber das Verschwinden der in den Weintrauben
                           enthaltenen Säuren und ihre wahrscheinliche Umwandlung in Zucker; von A. Petit.
                        Aus den Comptes rendus, t. LIX p. 760; September
                              1869.
                        Petit, über das Verschwinden der Säuren in den
                           Weintrauben.
                        
                     
                        
                           Wenn die Weinbeeren 1 bis 1,50 Gramm wiegen, so sind sie noch ganz grün, und
                              enthalten im Liter Saft 36 bis 37 Gramme freie Säure, diese als Weinsäure
                              berechnet.
                           In ganz reifem Zustande wiegen die Beeren 2 bis höchstens 3 Grm. Im ersteren Falle
                              müßte der Liter Saft 18 Grm., im zweiten 12 Grm. freier Säure enthalten, wenn man
                              annimmt daß die Gewichtszunahme der Beeren von Wasser herrührt, welches die Säure
                              verdünnt. Der Säuregehalt beträgt indessen nur 5 bis 6 Grm.
                           Was ist die Ursache dieser Differenz? Geben die grünen Beeren verhältnißmäßig mehr
                              Rückstand? Wenn dieß der Fall wäre, so könnte man, da die Verdünnung sich nur auf
                              die Flüssigkeit erstreckt, jene Differenz im Säuregehalt dadurch erklären. Im
                              Gegentheil ist aber der durch Abdampfen des Saftes der reifen Beeren erhaltene
                              Rückstand beträchtlicher, als der mit denselben Beeren im grünen Zustande
                              erhaltene.
                           Sind die Säuren zum Theil durch Basen gesättigt? Die Untersuchung lehrt, daß die
                              reife Beere nicht mehr Basen enthält, als dieselbe Beere in unreifem Zustande; es
                              findet vielmehr das Gegentheil statt. Somit verschwindet Säure.
                           
                           Es ist auch gar nicht wahrscheinlich, daß in der unreifen Beere, welche beim Wachsen
                              bis zu 1 und 1,50 Grm. Gewicht sich auf einem Maximum von 36 bis 37 Grm. Säure per Liter Saft erhält, die Säurebildung plötzlich
                              gehemmt wird, sondern dieselbe muß unaufhörlich stattfinden und während der
                              Zuckerbildung fortdauern.
                           In einer Beere, welche bereits Zucker enthält und deren Saft mir 38 Grm. Säure per Liter gab, sind nur 58 Grm. Rückstand per Liter Saft vorhanden. Daraus ersieht man, wie
                              bedeutend der Gehalt an Säuren ist.
                           Die Blätter, Ranken, Stiele und Stengel der Weintrauben enthalten eine beträchtliche
                              Menge Säure, welche bei meinen Untersuchungen in den Blättern zwischen 13 und 16
                              Grm. per Kilogrm. schwankte. Auch enthalten sie eine
                              bedeutende Menge Zucker, 20 bis 30 Grm. im Kilogr. junger Blätter. Die jungen
                              Blätter enthalten davon am meisten, dann folgen die gelb gewordenen, aber noch nicht
                              vertrockneten Blätter der reifen Trauben. Die grünen Blätter der reifen Trauben
                              enthalten weniger und die Blätter der unreifen Trauben noch viel weniger Zucker. Der
                              Säuregehalt dagegen ist beinahe constant und schwankt in sehr engen Grenzen (13 bis
                              16 Grm. per Kilogr.). Die jungen Blätter enthalten die
                              meiste Säure; jedoch ebenso die Blätter der unreifen und die gelben Blätter der
                              reifen Trauben. Die Stiele der unreifen Beeren enthalten zweimal so viel Säure als
                              die der reifen Trauben.
                           Es findet also in der Pflanze beständig Säurebildung statt und es scheint mir, daß
                              sich die in der Traube stattfindenden stufenweisen Umwandlungen in folgender Weise
                              erklären lassen.
                           Die Blätter zersetzen die Kohlensäure und das Wasser, und bilden Cellulose, indem
                              Sauerstoff frei wird. Dieser Sauerstoff verwandelt die Cellulose in Weinsäure:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 195, S. 355
                              
                           und in Aepfelsäure:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 195, S. 355
                              
                           Der Traubensaft enthält einen Farbstoff, welcher das salpetersaure Silberoxyd
                              reducirt. Diese Reduction findet nicht mehr statt, wenn der Saft durch Thierkohle
                              entfärbt worden ist, welche die Weinsäure zu Aepfelsäure reducirt, nach der
                              Gleichung:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 195, S. 355
                              
                           
                           die Umwandlung der Aepfelsäure in Zucker würde ausgedrückt
                              durch die Formel:
                           2 (C⁸H⁴O⁸, 2 HO) – 4 CO² +
                              C12H12O12.
                           Natürlich gebe ich diese Erklärungen nur mit dem gebührenden Vorbehalte; zweifellos
                              jedoch ist das Verschwinden der Säure.
                           Diese Thatsache läßt sich in sehr auffallender Weise constatiren, indem man in einer
                              noch unreifen schwarzen Traube einige Tage, bevor ihre Farbe sich ändert, dann
                              nachdem sie roth, und zuletzt, nachdem sie ganz schwarz geworden ist, den
                              Säuregehalt bestimmt. Die Beeren dieser Traube nehmen kaum um ein Achtel an Gewicht
                              zu und die in ihnen enthaltene Säure beträgt nur ein Drittel des anfänglichen
                              Säuregehaltes. Zehn Tage genügen, um diese Aenderung herbeizuführen.