| Titel: | Darstellung von Flechtenspiritus; nach Sten-Stenberg von C. Stahlschmidt. | 
| Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. XLII., S. 178 | 
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                        XLII.
                        Darstellung von Flechtenspiritus; nach Sten-Stenberg von C. Stahlschmidt.
                        Ueber Darstellung von Flechtenspiritus.
                        
                     
                        
                           Es ist eine längst bekannte Thatsache, daß die Cellulose der Pflanzen durch Kochen
                              									mit verdünnter Schwefelsäure oder Salzsäure in Traubenzucker übergeführt werden kann
                              									und man hat bis zur neuesten Zeit versucht diese Methode für die Gewinnung von
                              									Alkohol nutzbar zu machen, jedoch ohne Erfolg, denn die Ueberführung in Zucker
                              									erfolgt so langsam und ist so kostspielig, daß diese Methode mit den anderen
                              									üblichen nicht zu concurriren im Stande ist. Im Jahre 1867 mit der Untersuchung
                              									verschiedener Flechten beschäftigt, fand Prof. Stenberg
                              									in Stockholm, daß die Cellulose der Flechten unter anderen Eigenthümlichkeiten,
                              									welche sie mit der gewöhnlichen Pflanzencellulose verglichen darbot, auch diejenige
                              									zeigte mit verdünnter Schwefelsäure oder Salzsäure gekocht leicht und vollständig in
                              									Traubenzucker übergeführt zu werden. Gestützt auf diese Versuche sind seit der
                              									angegebenen Zeit circa 12 Flechtenbranntweinbrennereien
                              									in Schweden eingerichtet und in regelmäßigem Betrieb, ebenso einige in Norwegen und
                              									Finnland.
                           Die zur Untersuchung angewendeten Flechten waren Islandmoos, Mannmoos und
                              									Rennthiermoos, welche beim unmittelbaren Behandeln mit verdünnter Schwefelsäure
                              									folgende Mengen Traubenzucker lieferten: 
                              								
                           
                              
                                 
                                 Procente Traubenzuckervon der angewendetenMoosmenge
                                 aus derStärkestammend
                                 aus derCellulosestammend
                                 
                              
                                 Mannmoos
                                 73,4
                                 44
                                 29,4
                                 
                              
                                 Islandmoos
                                 72   
                                 40
                                 32   
                                 
                              
                                 Rennthiermoos
                                 68   
                                   4
                                 64   
                                 
                              
                           Obgleich beim Rennthiermoos nur ein kleiner Theil aus der in dem Moos enthaltenen
                              									Stärke stammt, so eignet sich dasselbe dennoch ebenso gut wie die anderen zur
                              									Maischerzeugung, weil die Cellulose ganz wie die Moosstärke selber sehr leicht und
                              									vollständig in Zucker übergeführt wird, was um so wichtiger ist, als gerade das
                              									Rennthiermoos das verbreitetste und deßhalb am meisten angewendete ist.
                           Das mit Vorsicht gesammelte feuchte Moos wird an einem reinlichen Orte ausgebreitet
                              									und an der Luft getrocknet. Im staubtrockenen Zustande enthält es noch 10–12
                              									Proc. Wasser; es wird dann in Säcke oder Körbe gepackt, eingefahren und in Schuppen
                              									aufbewahrt. Das trockene Moos ist sperrig und erschwert dadurch den Transport und
                              									die Aufbewahrung; um sich hierin jedoch eine Erleichterung zu verschaffen, preßt man
                              									es zusammen, oder mahlt es zu Pulver.
                           Die Ueberführung der Cellulose in Zucker geschieht durch Kochen mit verdünter
                              									Salzsäure und nicht wie sonst üblich mit Schwefelsäure, weil erstere energischer
                              									wirken soll und billiger ist als die letztere. Je nach der Reinheit des Mooses
                              									wendet man 7–10 Gewichtsprocente von 1,165 spec. Gewicht an und verdünnt
                              									dieselbe mit so viel Wasser, daß eine sechsprocentige Säure resultirt.
                           Man bedient sich dabei eines Holzbottichs von 170 Kubikfuß (0,52 Kubikmeter) Inhalt,
                              									welcher bei jeder Operation 1500 Pfd. Moos faßt und in welchen Wasserdampf von 1
                              									1/2–2 Atmosphären Spannung eingeleitet wird. Moos und Säure portionenweise
                              									eingetragen und zeitweise unter Absperren des Dampfes durchgearbeitet, bilden
                              									gewöhnlich nach vier Stunden einen gleichförmigen Brei. In diesem Stadium ist aber
                              									die Zuckerbildung noch nicht beendigt, sondern das Kochen muß noch 4–5
                              									Stunden fortgesetzt werden. Um sich über die Beendigung der Zuckerbildung zu
                              									orientiren, werden von Zeit zu Zeit Proben mit Glasstäben aus dem Kochgefäß
                              									genommen, welche, wenn sie sich nicht mehr butterartig anfühlen, die Beendigung des
                              									Processes anzeigen. Bildet nämlich die Probe im kalten Zustande eine nicht
                              									schmierige, aber ziemlich feste gelatinöse Masse, welche sich leicht als Ganzes vom
                              									Glase loslöst und mit dem Messer geschnitten glänzende Flächen zeigt, so ist die
                              									Zuckerbildung als beendigt zu betrachten. Sicherer bestimmt man diesen Punkt, wenn man die Probe
                              									mit destillirtem Wasser verdünnt, filtrirt und einige Tropfen in Alkohol von 88
                              									Proc. fallen läßt; entsteht dann eine Fällung, so muß noch weiter gekocht werden bis
                              									die Probe klar bleibt.
                           Die fertige Maische wird mit warmem Wasser gemischt, nochmals mit Dampf erwärmt und
                              									in entsprechend großen Gefäßen mit Kalk oder Kreide neutralisirt. Auf Kühlschiffen
                              									wird sie soweit abgekühlt, daß sie mit einer Concentration von 5–6 Proc. und
                              									32–40° C. Temperatur in die Gährgefäße gelangt, in welchen man sie
                              									direct mit 5–8 Proc. Kunsthefe versetzt. Nach vier Tagen ist die Gährung
                              									beendigt, worauf man die Maische in einem Pistorius'schen
                              									Apparat abdestillirt. Nach den Angaben des Betriebsjournals erhielt man aus 103500
                              									Pfd. gewöhnlichem Moos, entsprechend 73485 Pfd. reinem Moos, mit Hülfe von 7440 Pfd.
                              									Salzsäure, 6440 Pfd. Kreide und 15222 Pfd. Hefenmaterialien, 8820 Kannen oder 22075
                              									Liter Spiritus von 50 Proc. Von diesen 8820 Kannen rühren 1446 von den
                              									Hefenmaterialien her, so daß auf das Moos allein 7374 Kannen, oder auf 20 Pfd. Moos
                              									nahezu 5 Liter 50 procentiger Spiritus kommen.
                           Die ungemein geringe Concentration der Maische, die man zur Erzielung einer möglichst
                              									großen Alkoholausbeute anwendet, ist ein Uebelstand und man braucht dabei einen
                              									verhältnißmäßig großen Gährraum, ein großes Quantum Hefenmaterial und eine hohe
                              									15–20° C. betragende Vergährungstemperatur. Diese Uebelstände werden
                              									nach Ansicht des Verfassers verschwinden, wenn die Ueberführung der Cellulose in
                              									Zucker durch Schwefelsäure vermittelt und nach der Operation die Säure durch Kreide
                              									als unlöslicher schwefelsaurer Kalk von der Maische entfernt wird.
                           Der Moosbranntwein hat einen an Genever erinnernden Geschmack, welcher von den in dem
                              									Moose nie fehlenden Tannennadeln und Zweigen herrühren soll. Der aus reinem Moose
                              									bereitete Spiritus besitzt einen angenehmen schwach mandelartigen Geruch und
                              									Geschmack, welcher durch Filtration durch Kohle beseitigt werden kann, so daß
                              									derselbe im gereinigten Zustande dem vorzüglichsten Getreide- oder
                              									Kornspiritus ebenbürtig zur Seite gestellt werden kann. (Im Auszuge aus der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure, 1870, Bd.
                              									XIV S. 7.)