| Titel: | Ueber gesundheitsgefährliche Hafnerwaaren. | 
| Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. LXII., S. 274 | 
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                        LXII.
                        Ueber gesundheitsgefährliche
                           								Hafnerwaaren.
                        Gutachten von L. Buchner, E. Erlenmeyer und C. Stölzel, im Auftrage des Ausschusses des polytechnischen Vereines zu München
                           								an das königliche Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten erstattet
                           								am 7. Februar 1870.
                        Ueber gesundheitsgefährliche Hafnerwaaren.
                        
                     
                        
                           Die Frage über die Schädlichkeit der bei den Hafnerwaaren angewandten bleihaltigen
                              									Glasuren für die menschliche Gesundheit, sowie über den Ersatz derselben durch
                              									geeignete bleifreie Materialien ist seit Anfang dieses Jahrhunderts bis in die
                              									neueste Zeit wiederholt Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. Theils haben
                              									sich einzelne Chemiker damit beschäftigt wie bereits Lampadius, dann Böttger, Wiederhold, Erlenmeyer,
                                 										Barreswil und Andere, theils in den verschiedenen Staaten niedergesetzte
                              									Commissionen.
                           In letzterer Beziehung sind namentlich die auf Veranlassung der Centralstelle für
                              									Handel und Gewerbe in Württemberg angestellten Untersuchungen, dann der in
                              									Frankreich an den Gesundheitsrath der Seine erstattete Bericht von Chevalier, Beaude und Poggiale
                              									hervorzuheben.
                           Die Besorgniß wegen der Schädlichkeit bleihaltiger Glasuren mag öfter übertrieben
                              									seyn, auch gibt es jedenfalls viele Fälle, wo es für den Experten, wenn er auch
                              									einen merklichen Uebergang von Blei in die Speisen nachweisen kann, schwer hält, zu
                              									behaupten, daß in dem gegebenen Falle gerade ein unbedingt gesundheitsschädlicher
                              									Einfluß vorliege, es steht aber jedenfalls so viel fest, daß: 1) das Blei für den menschlichen
                              									Körper ein gefährliches Gift ist und daß
                           2) neue Töpferwaaren nicht etwa in seltenen Fällen, sondern sehr häufig nicht
                              									unerhebliche Mengen von Blei an saure Flüssigkeiten abgeben.
                           Als Beleg für die letzte Behauptung möge an folgende Thatsachen erinnert werden.
                           I. Bei den Württemberger Versuchen gaben von 16 beliebig ausgesuchten Schüsseln und
                              									Töpfen von 1–2 Schoppen Inhalt 14 Stück Blei an gewöhnlichen Essig ab, und
                              									zwar erhielt man daraus bei 6 Gefäßen, wenn dieselben 1–2 Stunden mit heißem
                              									schwachem Essig behandelt wurden, 0,7–5,0 Gramm Bleizucker.
                           II. Erlenmeyer untersuchte i. J. 1856 120 Stück
                              									verschiedene Töpfergeschirre aus den verschiedensten Gegenden von 1 1/2–8
                              									Liter Inhalt. Hiervon gaben 66 bei mehrstündiger Behandlung mit schwachem heißen
                              									Essig (1 Theil wasserfreie Essigsäure auf 240 Theile Wasser) Blei ab, und zwar
                              									gingen bei 22 Stück, wo das abgegebene Blei quantitativ bestimmt wurde, eine
                              									0,15–1 Gramm Bleizucker entsprechende Bleimenge in Lösung.
                           Es ergibt sich hieraus wohl zur Genüge daß, wenn in derartigen Geschirren Speisen
                              									gekocht werden, letztere durch ihren Gehalt an Säure, Fett oder Kochsalz öfter
                              									bedenkliche Mengen von ungebunden gewesenem Bleioxyd aus der Glasur aufnehmen und
                              									manche Erkrankungen veranlassen können.
                           Wenn der schädliche Einfluß des Bleies nicht gerade immer auffallend hervortritt, so
                              									dürfte dieses dadurch veranlaßt seyn, daß erstens kleinere Mengen Blei nicht
                              									unmittelbar nach dem Genusse, sondern erst allmählich zur Wirkung kommen, und
                              									zweitens die mit solchen bleihaltigen Glasuren versehenen Geschirre nur bei der
                              									ersten Ingebrauchnahme Blei an die Speisen abgeben, später aber nicht weiter
                              									gefährlich sind.
                           Wenden wir uns speciell zu der Frage:
                           
                              „ob nicht auf die Einführung einer Fabricationsweise hingewirkt werden
                                 										könne, welche einerseits das Publicum gegen Gefährdung der Gesundheit und
                                 										andererseits die betreffenden Fabrikanten und Handelsleute gegen polizeiliche
                                 										oder gerichtliche Maßregeln sicher zu stellen, geeignet ist,“
                              
                           so erscheint es auf den ersten Blick als am nächsten liegend,
                              									die bleihaltigen Glasuren in der Töpferei ganz zu verbannen und durch bleifreie zu
                              									ersetzen.
                           
                           Bezüglich dieses Punktes muß vor Allem im Allgemeinen hervorgehoben werden, daß es
                              									sich dabei nicht etwa um neu zu machende Erfindungen handelt, sondern bleifreie
                              									Glasuren bereits bei den mannichfaltigsten Thonwaaren, sowohl feineren als
                              									ordinären, in Anwendung kommen.
                           Wir finden dergleichen nicht nur bei dem kostbareren Porzellan und dem feinen sowie
                              									gemeinen Steinzeug, sondern auch in verschiedenen Gegenden bei den gewöhnlichen
                              									Töpferwaaren. So wird z.B. das Bunzlauer, Merseburger, Oltinger und das im
                              									nördlichen Bayern producirte Kirchenlamitzer Geschirr mit bleifreier Glasur
                              									hergestellt, welche aus Frisch- und Hohofenschlacken, oder an einzelnen Orten
                              									aus einem leichtschmelzbaren Töpferthon ohne weiteren Zusatz gebildet wird.
                           Nur für diejenigen Geschirre, welche an kältere Stellen des Ofens zu stehen kommen,
                              									benutzt man zu Kirchenlamitz, wie Reinsch berichtet, als
                              									Zusatz zur Hohofenschlacke noch bleihaltige Materialien.
                           Die Anwendung solcher Glasuren beruht auf dem günstigen Umstande, daß in den dortigen
                              									Gegenden ein ziemlich streng flüssiger Töpferthon zur Verfügung steht und zugleich
                              									ein Material für die Glasur, dessen Schmelzbarkeit mit der Masse im Einklang
                              									ist.
                           An vielen Orten ist dagegen der Hafner auf ordinäre in nächster Nähe vorkommende
                              									Thonarten angewiesen, da sein Fabricat zu möglichst billigen Preisen hergestellt
                              									werden soll; er ist dann genöthigt, dem geringeren Thon entsprechend, auch eine
                              									leichtflüssigere Glasur zu benutzen, und es hat sich zu diesem Zweck seit etwa 600
                              									Jahren in größter Verbreitung die bleihaltige Glasur eingebürgert, welche eines
                              									Theils einer geringeren Hitze beim Brennen bedarf, anderen Theils aber auch –
                              									was besonders hervorzuheben ist – bei geeigneter Zusammensetzung an der Masse
                              									des fertigen Geschirres festhaftet und, ohne rissig zu werden, den Temperaturwechsel
                              									beim Kochen verträgt.
                           Es hat nicht an Versuchen und Vorschlägen gefehlt, die bleihaltige Glasur auch für
                              									gewöhnliche Töpferwaaren durch bleifreie gleich leichtflüssige Substanzen zu
                              									ersetzen. Beispielsweise wurde von dem hiesigen verstorbenen Hafner Leibl eine Glasur aus Wasserglas und Kalk benutzt; es
                              									sind ferner Zinkblende statt des Glasurerzes, Borsäure und
                              									Borsäure-Verbindungen als Flußmittel in Anwendung gekommen u.s.f., eine
                              									allgemeine Verdrängung der Bleiglasuren ist aber nicht erreicht worden, weil die
                              									neuen Glasuren entweder dem Zweck nicht vollständig entsprachen, oder wenn sie dieß
                              									thaten, das Fabricat vertheuerten.
                           Damit ist zwar noch nicht entschieden, daß die Herstellung einer allen Anforderungen
                              									entsprechenden bleifreien Glasur überhaupt nicht gelingen werde, vielmehr kann
                              									man erwarten, daß fortgesetzte Versuche zu einem erwünschten Ziele führen dürften;
                              									wir sind aber bis jetzt noch nicht im Stande eine solche in der Praxis allgemein
                              									einzuführen, und selbst wenn eine ganz entsprechende Glasur erfunden würde, hätte es
                              									ohne Zweifel die größten Schwierigkeiten derselben bei dem Kleingewerbe der Hafner
                              									Eingang zu verschaffen.
                           Es ist deßhalb nach unserer Ansicht vor Allem dahin zu wirken, daß die derzeit
                              									allgemein gebräuchliche Bleiglasur in richtiger Weise hergestellt und angewendet
                              									werde. Auch bei der bis jetzt üblichen Fabricationsweise hat dieß jeder intelligente
                              									Hafner in der Hand.
                           Die Bedingungen hierfür bestehen nämlich:
                           1) in Herstellung einer möglichst innigen, nicht mit Bleioxyd übersetzten
                              									Glasurmischung und
                           2) im vollkommenen Brennen der Geschirre.
                           Wenn, wie die Erfahrung lehrt, dagegen häufig gefehlt wird, so liegt dieß nicht
                              									sowohl in der Fabricationsmethode, als vielmehr entweder in Unkenntniß, oder in
                              									Fahrlässigkeit, oder gewissenloser Sucht möglichst billig zu produciren. Hiergegen
                              									kann also nur durch Belehrung und zugleich durch strenges polizeiliches Einschreiten
                              									gegen gesundheitsschädliche Waaren gewirkt werden.
                           Das Hafnergewerbe steht, so fern es als locales Kleingewerbe betrieben wird, auf
                              									einer niedrigen Stufe der Entwickelung. Während andere Industriezweige von den
                              									Resultaten der Wissenschaft mehr oder weniger Nutzen zogen, ist dieß von der
                              									Hafnerei nur in sehr beschränktem Maaße und mehr nur von Einzelnen geschehen; man
                              									darf behaupten, daß von sämmtlichen Gewerben, nächst den Bäckern, unsere Hafner sich
                              									am meisten den Verbesserungen unzugänglich gezeigt haben. Daher begegnen wir gerade
                              									hier leider nur zu häufig einer sehr mangelhaften Kenntniß bezüglich der Rohstoffe
                              									(Thon, Glasurmaterialien, färbende Metalloxyde), bezüglich zweckmäßiger
                              									Mahlvorrichtungen für die Glasur, rationell construiter Oefen u.s.w., so daß in
                              									Folge davon natürlich auch die Fabricate mangelhaft ausfallen müssen, während sie
                              									sehr häufig ohne Preiserhöhung besser producirt werden könnten.
                           Um in dieser Richtung allmählich verbessernd einzuwirken, halten wir nachfolgende
                              									Maßregeln für empfehlenswerth:
                           1) Da bei uns im südlichen Bayern die Hafnerei sich an einigen Orten, namentlich zu
                              									Vilsbiburg und im Kröning, besonders concentrirt hat, so wäre zunächst ein
                              									wissenschaftlich gebildeter Sachverständiger zu beauftragen, dort sowie an Orten wo
                              									anerkannt vorzügliche Töpferwaaren fabricirt werden, den Betrieb genau zu studiren,
                              									damit auf Grund der
                              									geschehenen Ermittelungen diejenigen Richtungen näher bezeichnet werden könnten,
                              									nach welchen verbessernd vorgegangen werden muß.
                           2) In Anbetracht der Wichtigkeit des in Rede stehenden Industriezweiges sind, in
                              									ähnlicher Weise wie bei uns eine Schnitzerschule zu Berchtesgaden, Weberschulen in
                              									Passau und Münchberg, Brauerschulen zu Weihenstephan und Augsburg bestehen, in den
                              									Hafnerbezirken Töpferschulen, oder wenigstens an bestehende technische Lehranstalten
                              									sich anschließende besondere Curse für die Hafnerei einzurichten. In diesen würden
                              									die jüngeren Gewerbetreibenden, nachdem sie die gewöhnlichen Schulen verlassen
                              									haben, namentlich in chemischer Hinsicht zu unterrichten seyn über die
                              									Rohmaterialien, Zusammensetzung der Glasuren und den Ofenbau, in mechanischer
                              									Beziehung über Schlämm- und Mahlvorrichtungen, endlich im Modelliren und
                              									Zeichnen, um zugleich auf Veredlung der Formen der Fabricate hinzuwirken. Derartige
                              									Schulen könnten zugleich auf die Verbesserung der Fabricate hinzielende Versuche in
                              									der ausübenden Technik veranlassen und wären ohne Zweifel im Stande, nicht nur auf
                              									die nächsten sondern auch auf weitere Kreise Bayerns überhaupt einen
                              									bemerkenswerthen Einfluß zu gewinnen.
                           3) Läßt sich durch Veranstaltung von Localausstellungen von Töpferwaaren in den
                              									betreffenden Industriebezirken und durch Ertheilung von Prämien für vorzügliche
                              									Fabricate anregend und ermunternd einwirken.
                           4) Gegen den Verkauf von Geschirren, die eine mit Blei übersetzte Glasur haben, ist
                              									mit Consequenz seitens der Behörden einzuschreiten. Um dieß nachdrücklich thun zu
                              									können, empfiehlt es sich, die Hafner anzuhalten, ihre Fabricate durch ein
                              									Fabrikzeichen kenntlich zu machen, damit jederzeit deren Ursprung constatirt werden
                              									kann. In derartigen Maßregeln ist, nach unserer Ansicht, keine Beschränkung des
                              									Gewerbes überhaupt zu finden, sondern dieselben werden vielmehr nur dazu dienen
                              									einerseits bestehender Indolenz oder Gewissenlosigkeit entgegen zu arbeiten,
                              									andererseits guten Fabricaten die gebührende Geltung zu verschaffen. (Bayerisches
                              									Industrie- und Gewerbeblatt, Juni 1870, S. 174.)