| Titel: | Ueber Anthrachinon; von C. Gräbe und C. Liebermann. | 
| Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. LXV., S. 283 | 
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                        LXV.
                        Ueber Anthrachinon; von C. Gräbe und C. Liebermann.
                        Aus den Berichten der deutschen chemischen
                                 								Gesellschaft zu Berlin, 1870, Nr. 12.
                        Gräbe und Liebermann, über Anthrachinon.
                        
                     
                        
                           In der Sitzung der chemischen Gesellschaft vom 11. April d. J. haben wir gelegentlich
                              									eines Vortrages über Fabrication von künstlichem Alizarin, und zwar nur mündlich
                              									erwähnt, daß Anthrachinon, obwohl sehr indifferent gegen Kali, dennoch bei längerem
                              									Schmelzen damit auf 250° C. angegriffen würde. Wir haben damals keine näheren
                              									Angaben gemacht, weil wir uns vorgesetzt hatten, diese Reaction genauer zu studiren.
                              									Da nun aber, wie u.a. die Abhandlung von Martha
                              									In diesem Bande des polytechn. Journals S. 58 (erstes Juliheft 1870). zeigt, sich Andere nicht nur technisch, sondern auch wissenschaftlich mit
                              									der von uns begonnenen und noch nicht völlig abgeschlossenen Arbeit beschäftigen, so
                              									sehen wir uns zur kurzen Mittheilung der folgenden Beobachtungen gezwungen, deren
                              									weitere Ausarbeitung wir uns vorbehalter.
                           Erhitzt man Anthrachinon und Kali in einer Silberschale auf 250°, so wird die
                              									Masse bald blau, als ob sie Alizarin enthielte, fügt man aber Wasser zu dieser
                              									Schmelze hinzu, so entfärbt sich die Lösung, und man erhält fast nur Anthrachinon,
                              									welches sich in Flocken abscheidet. Bei lange fortgesetzter Einwirkung wird das
                              									Chinon stärker angegriffen; beim Verdünnen mit Wasser scheidet sich alsdann das
                              									unzersetzte Anthrachinon ab, auf Zusatz von Säure zur filtrirten Lösung zeigt sich
                              									ein reichlicher farbloser Niederschlag, der mit Wasserdämpfen übergeht, und nur eine
                              									Spur eines bräunlichen Farbstoffes (Alizarin?) hinterläßt. Die im Verhältniß zum
                              									zersetzten Anthrachinon in sehr bedeutender Menge abgeschiedene Säure ist
                              									Benzoesäure, deren Bildung als einziges Spaltungsproduct des Anthrachinons darum
                              									interessant ist, weil sie es sehr wahrscheinlich macht, daß das Molecül des
                              									Anthrachinons in dieselben gleichen Hälften zerfällt, aus denen das Anthracen bei
                              									seiner Synthese aus Benzylchlorid entsteht.
                           Wenn man die Temperatur der Anthrachinon-Kalischmelze steigen läßt, so
                              									beobachtet man einen Moment, in welchem sich dieselbe mit einer grünschillernden
                              									Haut bedeckt. Gießt man um diese Zeit die Schmelze in Wasser, so färbt sich dasselbe
                              									prachtvoll kirschroth. Man filtrirt schnell und bemerkt nun, daß das rothe Filtrat
                              									sich sehr schnell unter Abscheidung weißer Flocken entfärbt. Läßt man die rothe
                              									alkalische Lösung in Säure tropfen, so erhält man einen citronengelben amorphen
                              									Niederschlag, der sich bald an der Luft verändert und weiß wird. Der entstehende
                              									weiße Körper gibt mit wässerigem Kali keine rothe Färbung mehr, und ist in diesem
                              									Reagens unlöslich. Er ist Anthrachinon.
                           Man muß sich vor einem stärkeren Erhitzen der Kalischmelze hüten, da sonst heftige
                              									Wasserstoffentwickelung eintritt, mit der zugleich das Anthrachinon weiter zersetzt
                              									wird; dieses Endproduct haben wir noch nicht genauer untersucht.
                           Man kann die gelbe, in Alkalien mit rother Farbe lösliche Verbindung noch auf eine andere Art
                              									erhalten, nach welcher die Darstellung ohne alle Schwierigkeiten ist, und welche
                              									zugleich die Natur der Substanz aufklärt. Uebergießt man ein Gemisch von
                              									Anthrachinon und Zinkstaub mit wässerigem Kali, so wird die Lösung schon in der
                              									Kälte roth.
                           Böttger hat diese Reaction schon früher beobachtet, ohne
                              									eine Erklärung dafür zu geben. Man vollendet die Einwirkung, indem man einige
                              									Minuten auf 100° C. erwärmt, wobei das Anthrachinon quantitativ umgewandelt
                              									wird. Da wo die Luft Zutritt hat, wird entweder Anthrachinon oder ein grüner
                              									intermediärer Körper abgeschieden. Man filtrirt und fällt bei Abschluß der Luft mit
                              									Säure. Der gelbe Niederschlag wird im Kohlensäurestrom auf ein Filter gebracht, das
                              									sich im Plantamour'schen Trichter befindet, und in
                              									demselben Gase getrocknet. Er löst sich sehr schwer in Schwefelkohlenstoff; von
                              									Alkohol und Aether wird er zwar mit gelber Farbe von prachtvoll grüner Fluorescenz
                              									gelöst, der größte Theil aber dabei, wenn die Luft nicht abgehalten wurde, in
                              									Anthrachinon verwandelt. Aus heißer Carbolsäure erhält man ihn in kleinen gelben
                              									Nadeln. Concentrirte Schwefelsäure löst ihn violett, doch geht diese Färbung fast
                              									momentan in die gewöhnliche gelbe, von Anthrachinon in Schwefelsäure, über.
                           Wir haben auf die chinonartige Natur des Anthrachinons bisher nur aus seiner
                              									Zusammensetzung und directen Bildung aus Anthracen bei der Oxydation, aus seinem
                              									Verhalten gegen Phosphorsuperchlorid und aus der Thatsache geschlossen, daß dasselbe
                              									durch Einführung zweier Hydroxyle Alizarin liefert, welches unbedingt als ein Chinon
                              									anzusehen ist. Der Nachweis, daß ein Anthrahydrochinon existire, zu welchem das
                              									Anthrachinon in demselben Verhältniß stehe wie das gewöhnliche Chinon zum
                              									Hydrochinon, war uns bisher nicht gelungen; wir erklärten unsere vergeblichen
                              									Versuche in dieser Richtung mit einer leichten Rückbildung von Anthrachinon, wofür
                              									das Verhalten des reducirten Alizarins (des Tetraoxyanthracens) sprach, da dieses an
                              									der Luft sehr bald wieder in Alizarin übergeht.Wendet man zur Reduction von Alizarin Zinkstaub und Kali statt Natriumamalgam
                                    											an, so erhält man eine gelbe Lösung, die mit Luft geschüttelt nur allmählich
                                    											in die violette des alizarinsauren Kalis übergeht. Die oben beschriebene Verbindung füllt diese Lücke aus, da sie nichts
                              									anderes als Anthrahydrochinon oder Anthrachinonhydron oder wahrscheinlich ein
                              									Gemenge beider
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 197, S. 284
                              
                           ist. Es ist möglich, daß die gelbe Farbe des
                              									Reductionsproductes und die rothe seiner kalischen Lösung von Anthrachinhydron herrührt, und daß das
                              									Anthrahydrochinon selbst farblos ist. Uebergießt man das trockene Reductionsproduct
                              									mit starkem Kali, so wird die Oberfläche für eine kurze Zeit prachtvoll dunkelgrün,
                              									wahrscheinlich von Anthrachinonhydron. Das Anthrahydrochinon absorbirt in
                              									alkalischer Lösung Sauerstoff; es reducirt die Fehling'sche Flüssigkeit, wobei aber das gleichzeitig abgeschiedene
                              									Anthrachinon die Reduction undeutlich macht.
                           Die Entstehung der Substanz beim Schmelzen mit Kali erklärt sich leicht daraus, daß
                              									der in der Schmelze entwickelte Wasserstoff zur Reduction benutzt wird. Sie kann,
                              									obwohl schwierig in geringer Menge, auch erhalten werden, indem man Anthrachinon mit
                              									Alkohol, Natriumamalgam und etwas Kali kocht.
                           Die angegebene Reductionsmethode scheint für die Darstellung von Hydrochinonen aus
                              									den Chinonen von hohem Atomgewicht allgemein anwendbar zu seyn. Aus
                              									Bibromanthrachinon erhält man die Hydroverbindung nach dem Fällen mit Salzsäure in
                              									grünen Flocken. Das rothe Chrysochinon wird zu einer durch Säure farblos gefällten
                              									Verbindung reducirt, welche nicht ganz so luftempfindlich ist, wie die analoge des
                              									Anthracens, aber allmählich wieder in Chrysochinon übergeht. Sie löst sich mit
                              									schmutzig grüngelber Farbe in Schwefelsäure, die beim Schütteln mit Luft in einiger
                              									Zeit in die prachtvoll königsblaue übergeht, welche der Lösung von Chrysochinon in
                              									Schwefelsäure eigen ist.